Privilegium minus

Privilegium minus

Unter Privilegium minus im engeren Sinne wird eine kaiserliche Urkunde aus dem Jahr 1156 verstanden, die als eine „Gründungsurkunde“ des Staates Österreich betrachtet werden kann.

Allgemein war ein Privilegium minus im Mittelalter (vom 9. Jahrhundert bis in das 14. Jahrhundert) die einfache Form der Urkunden der päpstlichen Kanzlei, gegenüber der feierlichen Form, dem Privilegium Maius. Während das Privilegium minus durch das Breve ersetzt wurde, trat an die Stelle des Privilegium Maius die (goldene) Bulle.

Inhaltsverzeichnis

Das österreichische Privilegium Minus

Als Privilegium minus, auch kleiner österreichischer Freiheitsbrief bezeichnet die Forschung in Abgrenzung zum späteren Privilegium Maius (einer Fälschung aus der Kanzlei Rudolfs IV. aus dem Jahre 1358/59) ein feierliches Diplom, das am 17. September 1156 von Kaiser Friedrich I. für den Herzog von Bayern Heinrich Jasomirgott aus dem Hause Babenberg ausgestellt wurde. Sie beinhaltet die Erhebung Österreichs (Ostarrîchi) von einer Markgrafschaft zum erblichen Herzogtum für die Babenberger. Neben der Erblichkeit der Herzogswürde war auch eine weibliche Erbfolge vorgesehen: Bei Kinderlosigkeit sollte der Herzog entscheiden können, wen er zum Nachfolger bestimmte (Libertas Affectandi). Die Pflicht, auf Reichstagen zu erscheinen, wurde auf solche beschränkt, die in Bayern stattfanden. Heeresfolge musste nur noch bei Kriegsschauplätzen in der Nachbarschaft Österreichs geleistet werden.

Dieser Freiheitsbrief ist vor dem Hintergrund des staufisch-welfischen Konflikts zu sehen, den der damals junge Kaiser des Heiligen Römischen Reiches – von beiden Häusern abstammend – beseitigen wollte. Dem Welfen Heinrich dem Löwen wurde das Herzogtum Bayern zurückgegeben, das die Babenberger an seiner Stelle seit 1139 regiert hatten. Die Erhebung zum Herzog von Österreich war nicht mehr als ein Ersatz und wurde allgemein als Niederlage Heinrich Jasomirgotts gesehen. Ihre Hauptfunktion dürfte für Friedrich I. jedoch darin bestanden haben, Bayern durch die Abspaltung Österreichs zu verkleinern und damit Heinrichs des Löwen Machtzuwachs zu begrenzen.

Vorgeschichte

Im März 1152 wurde Friedrich Barbarossa zum König gewählt. Es ist anzunehmen, dass Heinrich der Löwe unter seinen Wählern war und ihm die Rückgabe des Herzogtums Bayern im Vorfeld in Aussicht gestellt wurde. Allerdings ist dieses nicht eindeutig zu belegen, da die Quellenlage sehr lückenhaft ist. Selbst der als zuverlässig geltende Otto von Freising nennt die Anwesenden bei der Wahl in Frankfurt nicht beim Namen. Friedrich Barbarossa hatte großes Interesse daran, die Gunst Heinrichs des Löwen zu erhalten, da er einen Italienzug plante und dafür die Unterstützung in militärischer Form von Heinrich brauchte. Unter diesen Voraussetzungen ließ Barbarossa es zu, dass Heinrich die beiden Herzogtümer Sachsen und Bayern unter seiner Herrschaft vereinte.

Als der König 1152 beide Herzöge zum Hoftag nach Würzburg berief, um in Verhandlungen mit Heinrich Jasomirgott über das Herzogtum Bayern zu treten, blieb jener fern. Zu Pfingsten 1153 in Worms trafen dann beide ein, aber es konnte kein Ergebnis erzielt werden, da Heinrich Jasomirgott anführte, dass er nicht rechtmäßig geladen sei. Diese Taktik des abwechselnden Fernbleibens kombiniert mit der Begründung, dass man nicht rechtmäßig geladen sei, verzögerte eine Entscheidung.

Friedrich Barbarossa wollte 1154 eine Entscheidung herbeiführen, da der festgesetzte Termin für den Italienzug näher rückte, für den er die Kontingente Heinrichs des Löwens brauchte, der auf eine Entscheidung zu seinen Gunsten drängte. Auf einem Hoftag in Goslar im Juni 1154 wurden beide Gegenspieler geladen und Heinrich Jasomirgott blieb wieder fern. Das fürstliche Hofgericht beschloss daraufhin, Heinrich dem Löwen Bayern zuzusprechen. Diese Entscheidung wurde dadurch erleichtert, dass Heinrich Jasomirgott es versäumte seine Stellung in Bayern zu festigen. Er hatte seine Residenz schon zuvor von Regensburg nach Wien verlegt, eine blühende Fernhandelstadt, und sich somit aus den nördlichen Teilen Bayerns in die südlichen Teile seines Herrschaftsgebietes zurückgezogen.

Seit dem Urteil des fürstlichen Hofgerichts führte Heinrich der Löwe den sächsischen und bayrischen Herzogtitel in seinen Urkunden und auf seinem Siegel. Die tatsächliche Investitur fand aber erst im September 1156 auf einem Hoftag in Regensburg statt, als Heinrich Jasomirgott seinen Verzicht offiziell erklärte. Heinrich der Löwe wurde in seiner Entscheidung, auch den bayrischen Herzogtitel zu führen, bestärkt, als im Oktober 1155 auf einem Hoftag in Regensburg die bayrischen Großen ihm Mannschaft und Treueid zusicherten.

Am 5. Juni 1156 kam es zu einem geheimen Treffen in der Nähe von Regensburg zwischen Friedrich Barbarossa und Heinrich Jasomirgott ohne Heinrich den Löwen. Einzelheiten über das Gespräch sind nicht bekannt.

Der Hoftag zu Regensburg September 1156

Am 8. September 1156 hielt Friedrich I. einen Hoftag in Regensburg und Heinrich Jasomirgott hatte sein Zeltlager nahe der Stadt aufgeschlagen, um die Beschlüsse zu verkünden, die seit dem 5. Juni 1156 Bestand hatten. Friedrich I. besuchte mit den Großen des Reiches, unter ihnen Heinrich der Löwe, das Lager Heinrich Jasomirgotts auf den Barbinger Wiesen. Die Tatsache, dass der Kaiser zu Heinrich Jasomirgott reiste, auch wenn die Entfernung nur zwei deutsche Meilen betrug, zeigte die besonders entgegenkommende Haltung Friedrichs dem Babenberger gegenüber. Ob der Besuch des Zeltlagers eine Forderung von Heinrich Jasomirgott vom 5. Juni 1156 war oder der Kaiser der Schwierigkeit entgehen wollte, wie Heinrich der Löwe als amtierender Herzog in seiner Residenz empfangen werden sollte, lässt sich nicht klären.

Heinrich Jasomirgott gab Friedrich sieben Fahnen, was den Verzicht auf das Herzogtum Bayern symbolisiert. Dieser belehnte damit dann Heinrich den Löwen, der wiederum dem Kaiser zwei zurückgab. Friedrich wandelte die Mark Österreich auf Grund eines Beschlusses der Fürsten in ein Herzogtum um und gab Heinrich Jasomirgott und seiner Frau die zwei Fahnen. Der Streit um das Herzogtum Bayern war durch eine feierliche Zeremonie ohne Blutvergießen beigelegt worden, Heinrich der Löwe wurde Herzog von Bayern und Heinrich Jasomirgott Herzog des neu entstandenen Herzogtums Österreich.

Die Beilegung des Streites durch lehnsrechtliche Bestimmungen

Neun Tage nach der feierlichen Zeremonie vom 8. September 1156 wurde nach weiteren Verhandlungen das Privilegium minus ausgestellt. Mittels lehnsrechtlicher Regelungen gelang es Friedrich Barbarossa, eine langfristige Lösung für verschiedene Komponenten des Konflikts um das Herzogtum Bayern zu finden.

a) Die Umwandlung der Mark in ein Herzogtum

Der Umwandlung ging ein Urteilsspruch der Fürsten voraus, den der Kaiser erbeten hatte und der von einem der vornehmsten weltlichen Großen des Reiches, Herzog Wenzel von Böhmen, verkündet wurde. Der Wortlaut des Privilegium minus, der diesen Urteilsspruch behandelt, ist omnibus principibus approbantibus marchiam Austrie in ducatum commutavimus. Die Umwandlung der Mark in ein Herzogtum wird ein paar Zeilen vorher begründet mit der honor et gloria Heinrich Jasomirgotts. Demnach liegt ein Grund für die Umwandlung darin, dass Heinrich Jasomirgott nicht auf die Ehre und den Ruhm, der mit dem Herzogtitel verbunden ist, verzichten soll.

Ferner wäre eine Degradierung Heinrich Jasomirgotts zum Markgrafen untragbar gewesen, denn er hatte keinerlei persönliche Schuld auf sich geladen. Zudem wäre im Falle der Degradierung Heinrich der Löwe, als Herzog von Bayern, höher gestellt und hätte den Babenberger zu seinem Hof laden können, um von ihm Rechenschaft zu verlangen. Diese Punkte zeigen, wie wichtig die Wahrung des persönlichen Status der Beteiligten war.

Heinrich Jasomirgott wurde das Herzogtum laut Privilegium minus mit allen Rechten und mit allen Lehen übertragen, die einst Markgraf Leopold vom Herzogtum Bayern innehatte (…, que quondam marchio Livpoldus habebat a ducatu Bawarie). Dieser Umstand spricht Heinrich Jasomirgott zu, dass er als Herzog die gleiche Stellung einnahm, die ihm vorher als Markgraf zukam. Dieses war für den Babenberger entscheidend, denn er wollte den Herzogtitel weiterführen, allerdings nicht auf die Vorrechte eines Markgrafen verzichten. Als Markgraf hatte er die Möglichkeit vom Kirchengut Leistungen, vor allem finanzieller Art, zu fordern, was ihm als Herzog aufgrund der Immunität und des Königsschutzes der Güter der Reichskirchen nicht möglich gewesen wäre.

Für Heinrich den Löwen bedeutete die Stärkung der Babenberger durch das Privilegium minus gleichzeitig eine Schwächung, nämlich den Verlust Österreichs als Mark. Bayern wurde Binnenherzogtum des Reiches wie etwa Schwaben. Der Welfe hatte zwar das Herzogtum Bayern bekommen, jedoch die durch Grenzen bestimmten Aufgaben wie Ausweitung und Grenzschutz konnte er nicht wahrnehmen. So blieb ihm nur der Norden und Nordosten von Sachsen als Wirkungsfeld.

Die Stärkung der Babenberger und die gleichzeitige Schwächung der Welfen muss auch im Sinne Friedrich Barbarossas gewesen sein, um ein Gegengewicht zu Heinrich dem Löwen, dem mächtigsten Reichsfürsten dieser Zeit, zu schaffen. Friedrich Barbarossa hatte es geschafft, eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu finden, von der er am meisten profitiert, da er die militärischen Kontingente für seinen Italienzug von Heinrich dem Löwen bekam, ohne ihn dabei zu stark werden zu lassen, und den Babenberger durch besondere Vorrechte hinter sich brachte. Darüber hinaus diente die kampflose Beilegung des Konflikts der Erhaltung des Landfriedens im Reich, der während der für den Italienzug geplanten Abwesenheit des Herrschers von besonderer Bedeutung war.

b) Die libertas affectandi

Zu der Reihe an Vorrechten, die Heinrich Jasomirgott verbrieft wurden, gehört das Recht im Falle kinderlosen Todes das Herzogtum jemanden zu überlassen, den Heinrich und seine Gattin Theodora aussuchen. Der Wortlaut im Privilegium minus lautet:

Si autem predictus dux Austrie patruus noster et uxor eius absque liberis decesserint, libertatem habeant eundem ducatum affectandi cuicumque voluerint.

Diese Bestimmung, dass der Vasall entscheidet, an wen das Lehen fällt und nicht der Kaiser, ist höchst ungewöhnlich für das Mittelalter. Zu beachten ist, dass dieses Vorschlagsrecht nur Heinrich Jasomirgott (patruus noster) und seiner Frau Theodora (et uxor eius) zustand. Damit war es zeitlich begrenzt und gilt für die nächsten Generationen nicht mehr. Außerdem behielt Barbarossa das Belehnungsrecht, er verpflichtete sich nur den von Heinrich und Theodora bestimmten Nachfolger einzusetzen.

Dieses ungewöhnliche Vorrecht findet seine Rechtfertigung in der Lage der Babenberger im Jahr 1156. Heinrich Jasomirgot und die byzantinische Prinzessin Theodora waren kinderlos. Heinrich hatte aus erster Ehe eine Tochter namens Agnes, die noch minderjährig war und zudem weiblich. Wäre es nun zu einem frühzeitigen Ableben Heinrichs und Theodoras gekommen, so hätte Agnes eine schwere Stellung im Reich gehabt. Die beiden Brüder Heinrichs, Otto von Freising und Bischof Konrad von Passau, schieden auch als potenzielle Nachfolger aus, da sie beide Geistliche waren. Um das Fortbestehen des Geschlechtes der Babenberger zu garantieren, musste Heinrich Jasomirgott auf diese besondere Form der Belehnung drängen.

Für Friedrich Barbarossa war dieses Vorrecht keine besondere Einschränkung seiner Macht als Lehnsherr, denn bei großen Reichsvasallen hätte er im Falle des Todes des Vasallen die Investitur der Söhne auch nicht verweigern können. Zudem hatte er großes Interesse am Fortbestehen der Babenberger, da sie ein Gegengewicht zu den Welfen darstellten, die als Herzöge von Bayern möglicherweise nach dem Aussterben der Babenberger Ansprüche auf Österreich erhoben hätten.

c) Die Beschränkung der Vasallenpflicht

Die Beschränkung im Privilegium minus bezieht sich auf die Hoffahrt und Heeresfolge. Heinrich Jasomirgott musste nur zu Hoftagen in Bayern erscheinen, wenn er geladen war. (Dux vero Austrie de ducatu suo aliud servicium non debeat imperio, nisi quod ad curias, quas imperator prefixerit in Bawaria, evocatus veniat.) Für Heinrich Jasomirgott bedeutet diese geographische Begrenzung eine finanzielle Entlastung, da er somit die Gelder für lange Reisen in den Norden nicht benötigte.

Die Beschränkung der Heeresfolge auf benachbarte Länder des Herzogtums Österreich (Nullam quoque expedicionem debeat, nisi quam forte imperator in regna vel provincias Austrie vicinas ordinaverit.) ist mit der geographischen Lage des Herzogtums zu erklären, welches früher Mark von Bayern war. Es lag im Interesse Friedrich Barbarossas den Babenberger zu entlasten, damit er die Aufgaben einer Mark weiterführte. Insbesondere erhoffte er sich Unterstützung für Züge in das an Österreich angrenzende Italien.

Literatur

  • Heinrich Appelt: Heinrich der Löwe und die Wahl Friedrich Barbarossas In: Alexander Novotny, Othmar Pickl (Hrg.): Festschrift Hermann Wiesflecker, Graz 1973, S. 39-48
  • Heinrich Appelt: Privilegium minus. Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich. Wien 1973, 2. Aufl. 1976
  • Heinrich Büttner: Das politische Handeln Friedrich Barbarossas im Jahre 1156. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 106, Wiesbaden 1970, S. 54–67
  • Wilhelm Erben: Das Privilegium Friedrich I. für das Herzogtum Österreich. Wien 1902
  • Heinrich Fichtenau: Von der Mark zum Herzogtum. Grundlagen und Sinn des „Privilegium minus“ für Österreich. München 1958
  • Otto von Freising, Rahewin: Die Taten Friedrichs. In: Rudolf Buchner (Hrsg.): Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters (= Freiherr von Stein-Gedächtnisausgabe; Band XVII). Darmstadt 1965
  • Erich Schrader: Zur Gerichtsbestimmung des Privilegium minus. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (ZRG), Band LXXXII, Weimar 1952, S.371-385
  • Michael Tangl: Die Echtheit des österreichischen Privilegium Minus In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (ZRG), Germanistische Abteilung, Bd. 25 = 38 (1904), S. 258-286 (Digitalisat)
  • Erich Zöllner: Das Privilegium minus und seine Nachfolgebestimmungen in genealogischer Sicht. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (MIÖG), Band LXXXVI, Wien 1978, S. 1–26

Weblinks


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