Protoindustrie

Protoindustrie

Protoindustrie (auch Proto-Industrialisierung oder Protoindustralisierung) ist ein geschichtswissenschaftlicher Fachbegriff für eine bestimmte Form der Frühindustrialisierung.

Unter Protoindustrie werden die Formen von industrieller Fertigung verstanden, die eine Massenproduktion von Gütern und Waren in verteilten Werkstätten und Manufakturen darstellten. Teile des Fertigungsprozesses fanden dabei auch auf der Basis von Heimarbeit statt.

Der Begriff bedeutet so viel wie „Vor-Industrialisierung“. Gemeint ist damit ein Prozess, der lange vor der Industriellen Revolution einsetzte. In dieser Zeit begannen ländliche Bewohner, Güter für den Export dezentral auf dem Land herzustellen. Besonders verbreitet war dieses Verlagssystem auf dem Gebiet der Textilherstellung. Mit steigender Nachfrage entwickelte sich vielerorts eine Marktproduktion. Folglich entstand eine ländliche Hausindustrie, die noch nicht von Maschinen, aber auch nicht mehr von der Landwirtschaft bestimmt war. Händler brachten Rohstoffe, mit denen meist die ganze Familie arbeitete und aus ihnen Produkte wie z. B. Kleider herstellte. Diese Produkte kauften ihnen dann die Händler wieder ab.

Zur Protoindustralisierung gehören auch die kameralistischen Bemühungen der aufgeklärt-absolutistischen Fürsten des 18. Jahrhunderts, die durch gezielte Förderung etwa im Bereich der Montan- oder Keramikindustrie eine Weiterentwicklung ihrer Volkswirtschaft beabsichtigten. Die Protoindustrie führte laut einer These zu einem verstärkten Bevölkerungswachstum, da jetzt auch außerhalb rein agrarischer Tätigkeiten Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden. Dieses Wachstum kann jedoch durch Mikrostudien empirisch nicht oder nur für einzelne Regionen in Deutschland nachgewiesen werden.

Durch die Proletarisierung großer Teile der Bevölkerung, die Vergrößerung des Marktes sowie durch verstärkte Kapitalakkumulation förderte die Protoindustrialisierung die eigentliche Industrialisierung.[1] Doch auch diese These wird von Geschichtswissenschaftlern heute stark kritisiert. Diese führen als Gegenargumente an, dass nur ein Teil des in die Industrialisierung geflossenen Kapitals in den Heimgewerben erwirtschaftet wurde und auch schon vor der angeblichen Protoindustrialisierung eine Kommerzialisierung der Landwirtschaft nachzuweisen ist.

Einen festen Zeitraum für die protoindustrielle Zeit kann man nicht festmachen, da diese Entwicklung regional unterschiedlich verlaufen ist und in Teilen der Dritten Welt noch anhält. Generell reicht die Zeitperiode der Protoindustrie im mitteleuropäischen Raum vom Spätmittelalter und der Neuzeit mit starken regionalen Schwankungen bis in das 18. bis 19. Jahrhundert. Abgelöst wurde die Protoindustrie von der Früh- und Hochindustrie, wobei die Übergänge wiederum regional bedingt fließend oder abrupt waren.

Beispiele für Protoindustrie sind lokale Häufungen von wassergetriebenen Hammerwerken, Mühlen und Schleifkotten an den Wasserläufen, die wie z. B. im Wupperviereck in Gesamtheit für einen hohen Grad an Industrialisierung der Region verantwortlich sind, ohne ein eindeutiges industrielles Zentrum zu bilden.

Literatur

  • Dietrich Ebeling, Wolfgang Mager (Hrsg.): Protoindustrie in der Region – Europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Verlag für Regionalgeschichte, ISBN 978-3-89534-177-9
  • D. Liesemann-Verlag, Protoindustrialisierung', Liesborn 1987

Einzelnachweise

  1. Peter Kriedte, Hans Medick, Jürgen Schlumbohm: Industrialisierung vor der Industrialisierung: gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1977

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