Pyramiden von Güimar

Pyramiden von Güimar
Eine der Pyramiden von Güímar 2003
Dieselbe Pyramide 2008

Bei den Pyramiden von Güímar handelt es sich um sechs rechteckig langgestreckte, pyramidenförmige Terrassenbauten aus mörtelfrei aufgeschichteten Lavasteinen. Sie befinden sich in der Gemarkung Chacona, die zur Stadt Güímar auf der Insel Teneriffa gehört. Während die Datierung in das 19. Jahrhundert durch archäologische Grabungen zweifelsfrei gesichert ist, konnte ihre ursprüngliche Funktion bisher nicht eindeutig geklärt werden.

Überlieferungen der Einheimischen sowie alte Darstellungen zeigen, dass solche Pyramiden (auch Morras, Majanos, Molleros oder Paredones genannt) einst an vielen Orten der Inseln zu finden waren, jedoch im Laufe der Zeit häufig abgerissen und als billiges Baumaterial genutzt wurden. In Güímar selbst gab es ursprünglich neun Pyramiden, von denen heute nur noch sechs erhalten sind.

Inhaltsverzeichnis

Forschungsgeschichte

Im Jahre 1991 wurde der weltweit bekannte Abenteurer und Forscher Thor Heyerdahl durch einen ihm zugesandten Zeitungsartikel auf die kanarischen Pyramiden aufmerksam, woraufhin er sich auf Teneriffa niederließ. Aufgrund seiner Hypothese einer transatlantischen Verbindung zwischen Ägypten und Mittelamerika sah Heyerdahl Parallelen zu den kanarischen Terrassenkonstruktionen bezüglich sowohl der Konstruktionsmerkmale als auch der Flächen zwischen den Pyramiden, die als Zeremonialplätze gedient hätten.

Kontroverse in lokalen Zeitungen

Nachdem Heyerdahl seine Hypothese, die kanarischen Pyramiden bildeten sowohl zeitlich als auch geografisch eine Zwischenstation auf dem Weg von ägyptischen Sonnenanbetern zu den Maya, formuliert hatte, setzte eine heftige Kontroverse ein, die zwischen Heyerdahl, Historikern, Esoterikern, Archäologen, Astronomen, Geschichtsinteressierten und nationalistischen Kräften in den örtlichen Zeitungen ausgefochten wurden.[1]

Astronomische Untersuchungen

Untersuchungen von Aparicio Juan und Esteban López, beide Mitarbeiter des Astrophysikalischen Instituts der Universität La Laguna, hatten schon Anfang der 1990er Jahre ergeben, dass die Längsseiten einiger Terrassenbauten von Güímar in Richtung der beiden Sonnenwenden weisen: Am Tag der Sommersonnenwende kann man von der Plattform der größten Pyramide einen zweifachen Sonnenuntergang erleben: Die Sonne versinkt hinter einer Bergspitze, passiert sie, taucht dahinter wieder auf und versinkt hinter dem benachbarten Berg ein zweites Mal. Alle Pyramiden weisen auf ihrer Westseite Treppen auf, auf denen man zur Wintersonnenwende genau der aufgehenden Sonne entgegentritt. Beides ist jedoch so unspezifisch, dass aufgrund dieser Beobachtungen allein nicht der Beweis erbracht werden kann, dass die Ausrichtung der Bauten gewollt und nicht zufällig ist.

Ausgrabungen

Des Weiteren fanden zwischen 1991 und 1998 in Abstimmung mit Thor Heyerdahl mehrere Ausgrabungen durch Archäologen der Universität La Laguna (Departamento de Prehistoria, Antropología e Historia Antigua) statt, deren 1996 auf einem Kolloquium vorgestellte und 1998 publizierte Session den entscheidenden Beweis für die Datierung der Pyramiden lieferte. Nach vorhergehenden geophysikalischen Georadar-Untersuchungen wurden acht Felder mit je 25 m² Fläche in Schichtengrabung bis auf den festen Lavagrund hinab abgetieft. Dabei konnten drei Schichten festgestellt werden, angeführt von oben nach unten:

  1. Schichtdicke im Mittel 20 cm, bestehend aus stark humoser Erde mit vielen pflanzlichen Resten und Wurzeln; es wurden deutliche Pflug-Spuren und ein breites Spektrum an datierbaren Funden aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gefunden;
  2. Schichtdicke im Mittel 25 cm, ähnlich zusammengesetzt wie die erste Schicht, allerdings mit weniger Humus und einer größeren Anzahl von kleinen Steinen; zum Vorschein kamen sehr verschiedene, in das 19. und 20. Jahrhundert zu datierende Funde; unter diesen Funden ist ein offizielles Siegel von 1848 besonders zu erwähnen;
  3. Schichtdicke 25 bis 150 cm, zusammengesetzt aus kleinen vulkanischen Steinchen, aufgebracht offensichtlich in einem Zug, den unebenen felsigen Untergrund nivellierend; die Füllung enthielt fast keine Funde außer einigen wenigen Scherben, einerseits von einheimischer Keramik andererseits von Importkeramik - beide Sorten grob in das 19. Jahrhundert zu datieren; die Pyramiden stehen stratigraphisch direkt auf dieser untersten Schicht; somit kann die frühest mögliche Entstehungszeit der Pyramiden auf das 19. Jahrhundert datiert werden.[2]

Des Weiteren wurde unter der Seitenkanten einer der Pyramiden eine natürliche Lavahöhle entdeckt, die zugemauert war und Funde aus der Guanchenzeit erbrachte. Da die Pyramide stratigraphisch über der Höhle liegt, lassen sich aus den in die Zeit zwischen 600 und 1000 n. Chr. datierten Guanchenfunden nur Schlüsse für die Höhlennutzung ziehen. Die Pyramiden können aufgrund der gefundenen jüngeren Importkeramik nicht älter als aus dem 19. Jahrhundert sein.

Freimaurer als Urheber?

Im Jahr 2005 erschien ein Buch auf spanisch von den beiden Astrophysikern Aparicio Juan und Esteban López über Die Pyramiden von Güímar: Mythos und Realität. Dort stellen sie ihre Theorie vor, die Pyramiden seien eventuell von Freimaurern vor dem Hintergrund ihres Symbolismus auf die Sonnenwenden hin orientiert gebaut worden. Diese Theorie ist unter Historikern nicht allgemein anerkannt[3] und weitere Artikel und Repliken der kanarischen Wissenschaftler sind in Arbeit.

Der Pyramidenpark

Nach Abschluss der Grabungen wurde das 65.000 Quadratmeter große Areal der Pyramiden 1998 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Finanzielle Unterstützung erhielt Heyerdahl dabei von seinem Freund und kanarischen Geschäftsmann Fred Olsen, dem die größte Fährgesellschaft der Kanaren gehört und dessen Vorfahren um 1900 aus Norwegen auf die Kanaren gekommen sind. Ein Informationszentrum macht die Besucher mit Heyerdahls Forschungsreisen und seinen Hypothesen über die Pyramiden vertraut. Zwei Pavillons beinhalten Ausstellungen über Heyerdahl sowie Modelle seiner Boote, unter anderem einen Nachbau der Ra II in Originalgröße. Trotz der vorgelegten Grabungsergebnisse glaubte Heyerdahl weiterhin "an eine mögliche Beziehung zwischen der Existenz der Pyramiden und den vorspanischen Zivilisationen von Teneriffa"[4]. So werden im Museum zwar stark vergrößerte Fotos der gefundenen Objekte aus der Guanchenhöhle gezeigt. Die gefundene Importkeramik aus dem 19. Jahrhundert, die die "Pyramiden" letztlich datiert hat, wird jedoch nur kurz auf einer Info-Tafel erwähnt – ohne Abbildung.

Ohne die Lektüre der spanischen Artikel über die archäologischen Grabungsergebnisse treibt die Rezeptionsgeschichte der "Pyramiden" in den Reiseführern bunte Blüten, da es offensichtlich keine zugängliche Literatur in deutscher Sprache gibt – hier als Beispiel der Dumont-Reiseführer Teneriffa aus dem Jahr 2004: „Für Urlauber war der Ort [Güímar] lange Zeit eher uninteressant, man fuhr vorbei. Doch seit der berühmte Ethnologe Prof. Thor Heyerdahl († 2002) hier den Parque Etnográfico ‚Pirámides de Güímar‘ rund um die Guanchen-Pyramiden einrichtete, kommt Leben in das Städtchen. Die stufenförmigen Pyramiden im Ortsteil Chacona waren lange Zeit wissenschaftlich geächtet. Die kanarischen Archäologen werteten die kunstvoll aufgeschichteten Steinmonumente ab: Es seien von den Bauern auf den Feldern gesammelte Vulkanbrocken. Durch Franco geprägt, der aus Angst vor Separatismus alles verbot, was nicht spanisch war, passte eine Guanchen-Kultur nicht ins Konzept.[5]

Fazit

Als Grund für die Errichtung der Terrassenbauten wird von Archäologen immer wieder die Praxis der einheimischen Landbevölkerung angeführt, die bewirtschafteten Flächen von Steinen zu befreien und diese terrassenförmig aufzuschichten.

Dem setzte Heyerdahl entgegen, dass es sich keinesfalls um zufällig aufgeschichtete Steinhaufen handeln kann. So weisen die Steine an den Ecken der Pyramiden deutliche Bearbeitungsspuren auf und die Außenseiten der Objekte zeigen gerade Flächen, da alle Steine mit der flachen Seite nach außen aufeinander geschichtet sind und herausragende Lavafelsen an diese Außenkanten angeglichen wurden. Allerdings hielt Heyerdahl bis zu seinem Tode an der widerlegten Hypothese fest, die Pyramiden hätten etwas mit den Guanchen zu tun. Diese Assoziation wird im Pyramidenpark und auf der offiziellen Website durch die Museumspräsentation und Informationsgestaltung offensichtlich auch weiterhin bewusst hervorgerufen.

Die Theorie von Aparicio und Esteban verbindet die Erkenntnis, dass die Pyramiden im 19. Jahrhundert entstanden, mit dem Zugeständnis, dass es sich nicht um zweckfrei aufgeschichtete Lesesteinhaufen handelt. Dieser Vorschlag wird zur Zeit wissenschaftlich diskutiert.

Somit sind die Pyramiden zwar grob datiert und die Entstehung im Zusammenhang mit Guanchen oder gar noch früheren Kulturen wissenschaftlich widerlegt. Der Grund für die Errichtung und der soziokulturelle Hintergrund der Entstehung müssen jedoch weiterhin als ungeklärt bezeichnet werden.

Literatur

  • Maria Cruz Jiménez Gómez/Juan Francisco Navarro Mederos: El complejo de las morras de Chacona (Güímar, Tenerife): resultados del proyecto de investigación, XII Coloquio de Historia Canario-Americana (1996), Cabildo Insular de Gran Canaria, Las Palmas de Gran Canaria 1998, Band 1.
  • Juan Francisco Navarro Mederos/Maria Cruz Jiménez Gómez: El difusionismo atlántico y las pirámides de Chacona, in: Miguel Ángel Molinero Polo y Domingo Sola Antequera: Arte y Sociedad del Egipto antiguo. Madrid 2000, ISBN 978-84-7490-604-2, S. 241-253.
  • Antonio Aparicio Juan/César Esteban López: Las Pirámides de Güímar: mito y realidad. Centro de la Cultura Popular Canaria, La Laguna 2005, ISBN 978-84-7926-510-6.
  • Kurze Zusammenfassung von Las Pirámides de Güímar: mito y realidad auf spanisch.
  • Juan Francisco Navarro Mederos: Arqueología de las Islas Canarias", in: Espacio, Tiempo y Forma, Serie I, Prehistoria y Arqueología, Bd. 10, 1997, S. 447-478.

Einzelnachweise

  1. Juan Francisco Navarro Mederos: Arqueología de las Islas Canarias, in: Espacio, Tiempo y Forma, Serie I, Prehistoria y Arqueología, Bd. 10, 1997, S. 467.
  2. Juan Francisco Navarro Mederos/Maria Cruz Jiménez Gómez: El difusionismo atlántico y las pirámides de Chacona, in: Miguel Ángel Molinero Polo y Domingo Sola Antequera: Arte y Sociedad del Egipto antiguo. Madrid 2000, S. 246-249.
  3. Der Artikel von Jiménez und Navarro in Molinero Polos Buch führt zwar Aparicios Artikel auf, erwähnt sie im Text aber nicht einmal: Juan Francisco Navarro Mederos/Maria Cruz Jiménez Gómez: El difusionismo atlántico y las pirámides de Chacona, in: Miguel Ángel Molinero Polo y Domingo Sola Antequera: Arte y Sociedad del Egipto antiguo. Madrid 2000, ISBN 978-84-7490-604-2, S. 241-253.
  4. Flyer aus dem Pyramidenpark in Güímar, erworben am 16.02.2008 an der Eintrittskasse: Pirámides de Güímar. Parque Etnográfico. DEUTSCH ohne Jahr, ohne Ort.
  5. Gottfried Aigner: Teneriffa. Dumont, Köln, 2. aktualisierte Auflage 2004, ISBN 3-7701-5932-2, S. 94-95.

Siehe auch

Weblinks

28.321944444444-16.4130555555567Koordinaten: 28° 19′ 19″ N, 16° 24′ 47″ W


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