Religionswissenschaftler

Religionswissenschaftler
Religiöse Symbole, von links nach rechts
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Christentum, Judentum, Hinduismus
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Islam, Buddhismus, Shinto
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Sikhismus, Bahai, Jainismus

Die Religionswissenschaft ist eine Geisteswissenschaft oder auch Kulturwissenschaft, die sich mit allen konkreten Religionen, religiösen Gemeinschaften sowie (religiösen) Weltanschauungen und Ideologien der Vergangenheit und Gegenwart befasst. Zu ihren Subdisziplinen zählen beispielsweise die Religionsgeschichte, Religionsphänomenologie, Religionssoziologie, Religionspsychologie, Religionsethnologie, Religionsökonomie, Religionsgeographie u.a. Zur universitären Theologie bestehen Berührungspunkte in allen theologischen Bereichen: kirchengeschichtlichen, exegetischen, systematischen und praktischen. Die Theologie(n) sind darüber hinaus auch Objekte der Religionswissenschaft.

Was genau eine Religion ist oder eine Handlung als klar religiös bestimmt, konnte bisher nur vorläufig bestimmt werden (siehe Religionsdefinition). Die Religionswissenschaft arbeitet in der Regel mit auf ihre jeweiligen Fragestellungen zugeschnittenen Arbeitsdefinitionen.

Im deutschsprachigen Raum wird das Fach oftmals durch Attribute wie „allgemeine“ oder „vergleichende“ näher bestimmt und häufig mit dem Fach Religionsgeschichte assoziiert. Zum Beispiel nannte sich der Dachverband der Religionswissenschaft in Deutschland 50 Jahre lang „Deutsche Vereinigung für Religionsgeschichte“ und wurde 2005 in Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft umbenannt.

Inhaltsverzeichnis

Religionswissenschaftliche Untersuchungsebenen

Eine Untersuchung von Glaubensinhalten auf der Sachebene, also eine Suche nach transzendenter Wahrheit, nimmt die Religionswissenschaft nicht vor. Sie ordnet, klassifiziert, vergleicht und analysiert die Erscheinungsformen und Elemente verschiedener Religionen. Die geschichtswissenschaftliche Arbeit (Religionsgeschichte) und die Feldforschung (Religionsethnologie) sind hierfür wesentliche Grundlagen.

Anschließende Vergleiche und Analysen werden mit Methoden durchgeführt, die anderen Disziplinen entlehnt sind; so entstehen kulturtheoretische, religionssoziologische, religionspsychologische usw. Zugänge zum Material. Dagegen sind Religionsphilosophie und Religionstheologie ausdrücklich nicht Teil der Religionswissenschaft, da sie normative Elemente enthalten.

Eine große Rolle spielen die Philologien von Sprachen, in denen Heilige Schriften abgefasst sind oder in denen religiöses Leben stattfindet; beispielsweise Arabistik, Sinologie, Keilschriftforschung, Indologie. Außerdem sind Fächer von Bedeutung, die sich auf eine einzelne Religion oder einen bestimmten Kulturkreis spezialisieren (oft identisch mit den entsprechenden Philologien): Keltologie, Judaistik, Buddhismuskunde, Islamwissenschaft, Afrikanistik, Orientalistik, Tibetologie.

Weitere Fächer, die mit der Religionswissenschaft im interdisziplinären Austausch stehen, sind Geschichte, Archäologie, Volkskunde, Ethnologie/Völkerkunde, Anthropologie und andere Kulturwissenschaften. Seit den 1990ern spielen auch Disziplinen der Neurowissenschaften eine Rolle.

Theologien sind grundsätzlich Teil des Gegenstandes, nicht der Methode der Religionswissenschaft. Im Rahmen von innerhalb des Faches umstrittenen Ansätzen wie Praktischer bzw. Angewandter oder Interkultureller Religionswissenschaft spielen die Theologien auch als Dialogpartner eine Rolle. Gleichzeitig bedienen sich die christlichen Theologien – wie auch viele andere Disziplinen – religionswissenschaftlicher Methoden, soweit es die Erforschung ihrer historischen Grundlagen betrifft. Soweit Religionswissenschaft an theologischen Fakultäten angesiedelt ist, wird sie oft im Sinne von Missionswissenschaft, Religionsgeschichte oder im Dienste einer Universaltheologie als Hilfsdisziplin betrachtet.

Geschichte des Faches

Es handelt sich um eine junge Wissenschaft mit „Vorläufern“ in aufklärerischen Krisenzeiten (Antike, Humanismus). Im strengen Sinne entstand sie während der neuzeitlichen Aufklärung, insbesondere in England, den Niederlanden, Deutschland und Skandinavien. Erst ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte sie sich als eigenständiges Fach an den Universitäten; in Deutschland erstmalig 1912 mit der Gründung des Religionswissenschaftlichen Instituts Leipzig. Zunächst wurde sie an theologischen Fakultäten gelehrt und betrieben. Dies ging auf die Rektoratsrede Adolfs von Harnack von 1901 zurück.[1]

In den letzten Jahrzehnten aber entwickelte sich die Religionswissenschaft an den meisten Universitäten zu einer von den Theologien unabhängigen Wissenschaft, was einen Einzug in die philosophischen und kulturwissenschaftlichen Fakultäten zur Folge hatte. Hierbei ist und war vor allem die Diskussion der Methodik des Faches als eigentlicher Grund der Entwicklung zu einer eigenständigen Disziplin verantwortlich.

Studium der Religionswissenschaft

Ein deutschsprachiges Studium der Religionswissenschaft kann in Österreich, der Schweiz und Deutschland aufgenommen werden.

Studium der Religionswissenschaft in Deutschland

Derzeitig kann Religionswissenschaft als eigenständige Disziplin u. a. an den Universitäten Bayreuth, Berlin, Bochum, Bremen, Erfurt, Frankfurt, Göttingen, Hannover, Heidelberg, Jena, Leipzig, Marburg, Münster, München, Potsdam und Tübingen studiert werden. Hierbei gibt es folgende Abschlüsse des Faches:

  • Magister Artium (derzeitig üblichster Abschluss, auslaufend)
  • Diplom (nur in Bremen, auslaufend)
  • B.A. „Religionswissenschaft“ oder verschiedene Studiengänge mit religionswissenschaftlichen Schwerpunkten, etwa B.A. „Kultur- und Religionswissenschaft“ oder „Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Religion“
  • M.A. „Religionswissenschaft“ (setzt i.d.R. einen B.A.-Abschluss voraus)
  • Dr. phil. (setzt einen Magister- oder M.A.-Abschluss oder ein Diplom voraus)

Studium der Religionswissenschaft in Österreich

In Österreich kann Religionswissenschaft in Wien und Graz studiert werden. Die Abschlussmöglichkeiten des Individuellen Diplomstudiums Religionswissenschaft (Wien) sind hier nur Magister phil. Über die Einrichtung eines Bakkalaureatsstudiums wurde negativ entschieden und auch ein Doktoratsstudium ist noch in einiger Ferne. In Graz ist es seit dem Wintersemester 2006/07 möglich, ein Masterstudium (M.Phil.) der Religionswissenschaften zu absolvieren.

Studium der Religionswissenschaft in der Schweiz

Zur Zeit wird die Religionswissenschaft an den Schweizer Universitäten deutlich ausgebaut. Religionswissenschaft mit deutschem oder französischsprachigem Bachelor- oder Masterabschluss kann studiert werden in Basel (dt.), Bern (dt.), Freiburg (dt./frz.), Genf (frz.), Lausanne (frz.), Luzern (dt.) und Zürich (dt.).

Fußnoten

  1. Adolf von Harnack: Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität König Friedrich Wilhelm II. in der Aula derselben am 3. August 1901 gehalten von Adolf Harnack. Berlin 1901. Wieder abgedruckt in: Reden und Aufsätze. Bd. 2. Gießen 1905. S. 159–178.

Literatur

Nachschlagewerke

  • H. D. Betz u.a. (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 8 Bände. Mohr-Siebeck, Tübingen 1998–2005 (4. Aufl.). ISBN 3-16-146941-0
  • Mircea Eliade/ Charles J. Adams: The Encyclopedia of Religion. New York: Macmillan 1987
  • James Hastings: Encyclopedia of Religion and Ethics, Edinburgh, Scotland: T & T Clark 1908
  • Hubert Cancik/ B. Gladigow/ K.-H. Kohl (Hrsg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. 5 Bände, Stuttgart 1988–2001

Allgemeines

  • Burkhard Gladigow: "Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte." In: Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme. Berlin 1992. Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Bd. 5. S. 3–26.
  • H.J. Greschat: Was ist Religionswissenschaft? Stuttgart 1988
  • K. Hock: Einführung in die Religionswissenschaft. Darmstadt 2002
  • H.G. Kippenberg/ K. v. Stuckrad: Einführung in die Religionswissenschaft, München 2003
  • H.G. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religionswissenschaft und Moderne. München 1997
  • Michael Klöcker/ Udo Tworuschka: Praktische Religionmswissenschaft, Köln-Wien 2008
  • Gebhard Löhr: Die Identität der Religionswissenschaft. Beiträge zum Verständnis einer unbekannten Disziplin. Peter Lang Verlag, Frankfurt 2000, ISBN 3-631-36153-X
  • Axel Michaels (Hrsg.): Klassiker der Religionswissenschaft. Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade. München 1997
  • Fritz Stolz: Grundzüge der Religionswissenschaft. Göttingen 2001
  • H. Zinser (Hrsg.): Religionswissenschaft. Eine Einführung. Berlin 1988
  • Jacques Waardenburg: Religionen und Religion. Berlin 1986
  • Udo Tworuschka: Religionswissenschaft. Stuttgart 2006

Weblinks

Organisationen

Zeitschriften


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