Rhythmisch-musikalische Erziehung

Rhythmisch-musikalische Erziehung

Rhythmisch-musikalische Erziehung, oder in Kurzform Rhythmik genannt, ist eine künstlerisch-pädagogische Disziplin. Zentraler Inhalt der Rhythmik ist die Wechselwirkung zwischen Musik und Bewegung.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Begründet wurde das Fach durch den Genfer Musikpädagogen Emile Jaques-Dalcroze (1865 – 1950), der die Bedeutung der rhythmisch geschulten Bewegung für den Musikunterricht erkannte. Jaques-Dalcroze entwickelte daraufhin eine Methode der Musikerziehung durch Bewegung. Er ließ zunächst seine Schüler den Takt mit den Armen schlagen und beobachtete dabei, dass sie den gesamten Körper mitbewegten. Diese Erkenntnis führte zu der weiterführenden Konsequenz, auch die Beine einzubeziehen, indem die Füße den Rhythmus realisierten. Die Übertragung von Rhythmus und Takt in Bewegungen der Arme und Beine ist eine der klassischen Dalcroze-Übungen, die veranschaulichen, wie die räumliche Darstellung eines zeitlichen Verlaufs zu einem besseren Verständnis für musikalische Abfolgen führen kann. Dalcroze erfand eine Vielzahl von Übungen, um den Sinn für Rhythmus, Melodieführung und Phrasierung zu steigern. Aber auch Klang, Dynamik, Mehrstimmigkeit und komplizierte musikalische Formen wurden als réalisations corporelles in räumlich koordinierter Bewegung sichtbar gemacht.[1]

Seine Methode bedeutete, den Körper der Musik so präzise wie möglich folgen zu lassen. Dalcroze verlangte seinen Schülern in der gleichzeitigen Realisierung verschiedener Taktarten und Rhythmen ein hohes Maß an Koordination ab. Für diese Mechanisierung wurde er auch kritisiert und diejenigen seiner Schüler, die vom Tanz oder von der Gymnastik kamen, stellten in ihrer eigenen Lehrtätigkeit die harmonische Körperbewegung an erste Stelle.

Dalcrozes Idee einer Erneuerung der Künste aus dem Geist des Rhythmus konnte durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges nicht von ihm selbst in Deutschland fortgeführt werden. Er kehrte 1914 nach Genf zurück, um das dortige Zentralinstitut zu leiten, während seine Mitarbeiter und Schüler die weitere Verbreitung in Deutschland übernahmen. Im Zuge dessen erfuhr die Methode eine Umbenennung in „Rhythmisch-musikalische Erziehung“ und wurde 1925 erstmals an einer deutschen Musikhochschule etabliert.[2]

Rhythmik verbreitete sich rasch und fand durch die Initiative einzelner Fachvertreter Eingang in angrenzende Fachbereiche. Rhythmiker begannen mit Tänzern, Sängern und Schauspielern zu arbeiten, drangen in die Heilpädagogik vor[3] und etablierten das Fach in den Lehramtsstudiengängen für Musik. Die Wechselbeziehung von Musik und Bewegung blieb als inhaltliche Basis erhalten. Verändert wurde die Sichtweise auf die Lernenden. Die Individualität der einzelnen Gruppenmitglieder, ihre Befindlichkeit, ihr Lerntempo, ihre Art sich auszudrücken, rückte in den deutschsprachigen Ländern in den Vordergrund. Heute präsentieren sich Rhythmiker als Experten, um künstlerische und pädagogische Zielsetzungen im Bereich Musik und Bewegung zu verwirklichen. Grundlage dafür ist die auf Wahrnehmungsprozessen, Interaktion und Kreativitätsentfaltung in der Gruppe basierende Methode der Rhythmik.

Pädagogische Aspekte

Ziele der Rhythmisch-musikalischen Erziehung

  • Sensibilisierung der Sinne
  • Entwickeln kreativer Fähigkeiten
  • Kenntnisse zu Grundelementen der Musik
  • Tänzerische Fähigkeiten entwickeln
  • Verständnis für die Wechselwirkung und den Zusammenhang von Musik und Bewegung entwickeln
  • Verbessern von Sprache und Sprechen
  • Schulen der Konzentration
  • Fördern der Persönlichkeit
  • Soziale Kompetenzen

Methoden der Rhythmik

Als typische Prinzipien und Praktiken der Rhythmik im Gesamtfeld Musik und Bewegung können heute gelten:

  • „Realisationen": Transformationen zwischen Musik und Bewegung ("Zeige, was du hörst. Spiele, was du siehst")
  • Erfahrungsfeld Kontraste: Wahrnehmungsdifferenzierung und Sensomotorik
  • Führen und Folgen: Kommunikation und Interaktion
  • Erleben – Reflektieren – Einordnen
  • Dynamik (Ruhe- und Bewegungsphasen, Eindruck und Ausdruck, Wechsel der angesprochenen Sinne)
  • Exploration, Improvisation und Gestaltung

Unterschiedliche Vorstellungen über didaktisch-methodische Strukturierung führen zu verschiedenen Ergebnissen. In der Rhythmikliteratur der 80er Jahre finden sich systematische Ordnungen, die den vielfältigen Inhalten der Rhythmik genügend Raum geben. Rudolf Konrad etwa unterscheidet 5 Felder, die sich als Handlungs- oder Aktionsfelder verstehen und in der Praxis ineinander verschränkt sind:[4]

  • Sensomotorik
  • Interaktion
  • Sozialisation
  • Ästhetik
  • Multimediale Situation

Auch Isabell Frohne[5] spricht von Feldern, nämlich Erfahrungsfeldern, die sich in Innen- und Außenfelder gliedern. Innenfelder betreffen alle Handlungen, die sich auf das Individuum selbst beziehen wie etwa: Selbstwahrnehmung, Verbesserung der Koordination, Weiterentwicklung der motorischen Fähigkeiten, Schulung der Ausdrucksfähigkeit etc. Aktionen der Außenfelder sind hingegen gekennzeichnet von Handlungen im direkten Bezug zu anderen Gruppenmitgliedern wie Einfühlungs- und Abgrenzungsverhalten, Kommunikation durch Bewegung oder Musik, Mitgestalten von Gruppenaufgaben. Auch diese Einteilung ist theoretisch. In der Praxis verschränken sich die Aktionen eines Feldes mit dem anderen. Bezogen auf Handlungen unterscheidet Frohne sechs Erfahrungsfelder: Innenfeld:

  • Sensibilisierung
  • Orientierung
  • Expressivität

Außenfeld:

  • Flexibilität
  • Kommunikation und Interaktion
  • Phantasie und Kreativität

Elisabeth Danuser-Zogg unterscheidet 6 Bereiche der Rhythmik:[6]

  • Musik
  • Bewegung
  • Wahrnehmung
  • Begriffsbildung und Reflexion
  • Soziale Interaktion
  • Persönlicher Ausdruck

Inhalte

Der Lernstoff – in anderen Fachrichtungen wie Tanz oder Musik ebenfalls vertreten - kann in der Rhythmik nicht ohne die Methode erfasst werden (Improvisation ist Methode und Inhalt zugleich), aber Aspekte der Methode existieren durchaus in anderen Inhalten (z.B. in therapeutischen oder gruppendynamischen Verfahren).

Mittel der Rhythmisch-musikalischen Erziehung

  • Musik
  • Bewegung
  • Sprache, Stimme
  • Geräte, Objekte, Material

Zielgruppen sind alle Altersstufen und Menschen mit Förderbedarf (Rhythmik für Kinder, Rhythmik für Erwachsene, Rhythmik in der Sonder- und Heilpädagogik).

Rhythmisch-musikalische Erziehung zeichnet sich durch eine Methoden- und Modalitätenvielfalt aus, die die Teilnehmer einerseits zur Nachahmung, jedoch genauso zum Erfinden, Experimentieren und Vorstellen eigener Ideen motivieren soll. Die soziale Grundlage des Rhythmikunterrichtes sind Interaktionsformen (non-verbale und verbale Kommunikation, Partnerspiele, solo-tutti etc.), da der Unterricht in Gruppen stattfindet.

Literatur

  • Isabell Frohne: Das rhythmische Prinzip. Lilienthal/Bremen 1981.
  • Rudolf Konrad: Erziehungsbereich Rhythmik – Entwurf einer Theorie. Bosse Verlag, Regensburg 1984.
  • Renate Klöppel, Sabine Vliex: Helfen durch Rhythmik. Freiburg 1992.
  • Gudrun Schäfer: Rhythmik als interaktionspädagogisches Konzept. Remscheid 1992.
  • Songrid Hürtgen-Busch: Die Wegbereiterinnen der rhythmisch-musikalischen Erziehung in Deutschland. Frankfurt a.M. 1996.
  • Gertrud Bünner, Peter Röthig (Hrsg.): Grundlagen und Methoden rhythmischer Erziehung. Stuttgart 1997.
  • Glathe & Krause-Wichert: Rhythmik und Improvisation-Modelle für Rhythmikunterricht und musikalische Improvisation. Kallmeyer, Seetze-Velber 1997.
  • Reinhard Ring, Brigitte Steinmann: Lexikon der Rhythmik. Bosse Verlag, Kassel 1997.
  • Witoszynskyj, Schindler, Schneider: Erziehung durch Musik und Bewegung. öbv&hpt, Wien 1998, ISBN 3-215-07207-6.
  • Marianne Steffen-Wittek: Rhythmik. In: Helms/Schneider/Weber: Praxisfelder der Musikpädagogik. Kassel 2001.
  • Elisabeth Danuser-Zogg:Musik und Bewegung, Struktur und Dynamik der Unterrichtsgestaltung. Academia Verlag, St. Augustin 2002.
  • Zwiener, Daniel: Als Bewegung sichtbare Musik. Zur Entwicklung und Ästhetik der Methode Jaques-Dalcroze in Deutschland als musikpädagogische Konzeption. Essen 2008.
  • Bankl, Mayr, Witoszynskyj: Lebendiges Lernen durch Musik, Bewegung, Sprache. G & G Verlagsgesellschaft, Wien 2009, ISBN 978-3-7074-1111-9.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Zwiener, Daniel: Als Bewegung sichtbare Musik. Zur Entwicklung und Ästhetik der Methode Jaques-Dalcroze in Deutschland als musikpädagogische Konzeption. Essen 2008.
  2. Zwiener, Daniel: Als Bewegung sichtbare Musik. Zur Entwicklung und Ästhetik der Methode Jaques-Dalcroze in Deutschland als musikpädagogische Konzeption. Essen 2008.
  3. Renate Klöppel, Sabine Vliex: Helfen durch Rhythmik. Freiburg 1992.
  4. Rudolf Konrad: Erziehungsbereich Rhythmik – Entwurf einer Theorie. Bosse Verlag, Regensburg 1984.
  5. Isabell Frohne: Das rhythmische Prinzip. Lilienthal/Bremen 1981.
  6. Elisabeth Danuser-Zogg:Musik und Bewegung, Struktur und Dynamik der Unterrichtsgestaltung. Academia Verlag, St. Augustin 2002.

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