- Schachcomputer in der DDR
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Die Entwicklung von Schachcomputern in der DDR verlief in mehreren Stufen vom Prototyp bis zur Serienreife.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Im VEB Mikroelektronik „Karl Marx“ des Kombinats Mikroelektronik Erfurt („VEB Funkwerk Erfurt“) wurde untersucht, wie der entstandene Rückstand zum westlichen Niveau der Konsumgüter verringert werden kann.
Das Kombinat hatte zwei wesentliche Produktlinien:
- elektronische Bauelemente
- elektronische Messgeräte
Die Entwicklung und Produktion von Schachcomputern erfolgte in den Betriebsteilen des Messgerätewerkes. Spezialisten des Bauelementewerkes wurden zunächst beauftragt, mit den im Werk produzierten mikroelektronischen Bauelementen vergleichbare Produkte zu applizieren - darunter auch Schachcomputer. Die Schachcomputer waren seinerzeit auf dem westlichen Markt bereits als Massenproduktion vorhanden, in den sozialistischen Ländern jedoch nur vereinzelt.
Die Mikroelektronik, dann auch die Konsumgüterindustrie mit mikroelektronischen Bauelementen, waren wirtschaftlich gesehen Zuschuss-Segmente der Volkswirtschaft der DDR.
SC1
Der Schachcomputer SC1, von dem etwa ein Dutzend gebaut wurden, war eine Kleinstserie zur Demonstration der Leistungsfähigkeit mikroelektronischer Bauelemente aus der Produktion der DDR.
Das Gehäuse bestand aus einem Holzrahmen, das Schachbrett war ein Aluminiumblech, auf dem die Schachfelder aufgedruckt waren. Die Eingabe der Schachzüge wurde mittels einer Tastatur analog zu der eines Taschenrechners realisiert. Die Ausgabe der Schachzüge erfolgte mit einer LED-Anzeige.
Das Programm des Prototyps war noch keine Eigenentwicklung.
Der SC1 fand bei den für die Aufnahme einer Serienproduktion Zuständigen sofort eine nachhaltige Zustimmung und führte zu dem Auftrag, diesen Schachcomputer sofort bis zur Serienreife weiterzuentwickeln. Dabei ergaben sich folgende Schwerpunkte für die Entwicklungstätigkeit:
- kostengünstige Fertigung
- Verwendung von Bauelementen aus der eigenen Produktion
- preiswertes Gehäuse
- leistungsstarkes Programm.
Das Gehäuse des SC1 mit Holzrahmen und die Montage mit vielen Schrauben wäre für eine Serienfertigung sehr kostenintensiv gewesen. Außerdem hatte das Funkwerk keine Fertigungskapazität für Holzerzeugnisse.
SC2
Um kostengünstig produzieren zu können, wurde entschieden, ein Kunststoffgehäuse zu konstruieren. Das erforderliche Werkzeug sollte schnell und billig entstehen, was zu der Entscheidung führte, ein Gehäuse aus Polyurethan einzusetzen. Dieses konnte einfach gefertigt werden. Nachteilig war die dicke Materialstärke, wodurch auch keine hohen gestalterischen Ansprüche erfüllt werden konnten. Dafür war die Lösung schnell umgesetzt und es entstand der SC2.
Vom SC2 wurden in den Jahren 1981 bis 1983 einige hundert Exemplare, vorwiegend im Inland, verkauft. Die Vorstellung des SC2 auf Messen und die Marktforschung ergaben keine guten Exportmöglichkeiten in das westliche Ausland, was jedoch eine wichtige Aufgabe für die Produzenten von Konsumgütern in der DDR war. Für die Inlandnachfrage war der SC2 wiederum zu teuer.
Man setzte den Export in westliche Länder als Devisenbeschaffung als ausdrückliches Ziel. Darauf hin wurde der Schachcomputer für den Export in westliche Länder weiterentwickelt.
Wegen der Sättigung der westlichen Märkte mit Billigprodukten an Schachcomputern wurde als Zielgruppe speziell der gehobene Bedarf definiert. Dies erforderte insbesondere ein niveauvolles Gehäuse und anspruchsvollere Schachprogramme.
CM
Im Funkwerk wurde darauf hin im Jahr 1985 eine spezielle Abteilung für die Entwicklung der Schachcomputer und andere Konsumgüter gegründet. Für diese Abteilung wurden zwei ausgezeichnete Schachspieler mit Programmierfähigkeit gewonnen. Für die Gehäusegestaltung der Schachcomputer und weiterer Konsumgüter wurden die besten Konstrukteure und Entwickler eingesetzt und zwei Designer eingestellt. Insgesamt haben bis zu 28 Ingenieure und Facharbeiter Konsumgüter, darunter als wichtigstes die Schachcomputer, entwickelt. Damit wurden Ressourcen für eine selbständige Produktlinie gebildet, denen auch eine eigene Fertigungsstätte unweit von Erfurt in Plaue zugeordnet wurde.
Die meisten Produkte auf dem westlichen Markt waren Massenfertigung und in Plastgehäusen untergebracht. Beim gehobenen Bedarf ging man bei der Zielgruppe auch von aktiven Schachspielern als potentielle Kunden aus, die sicher ein Schachbrett aus Holz bevorzugen würden. Die Normgröße der Schachbretter wurde also unter diesem Aspekt als wichtig angesehen und realisiert.
Als weitere Zieleigenschaft wurde die Eingabe direkt durch die Figuren auf das jeweilige Schachfeld angesehen. Für die Eingabe über die Schachfigur wurde ein magnetisches Wirkprinzip gewählt. Alle Schachfiguren wurden unten aufgebohrt und bekamen kleine, runde Magnete eingeklebt.
Ein technisch zu lösendes Problem war nun, das Magnetfeld durch das 12 mm dicke Schachbrett auf die Leiterplatte zu den dort befindlichen Sensoren (Hall-Generatoren) zu bekommen. Diese Wirkung konnte nur erzielt werden, indem in das Schachfeld für jedes einzelne Feld ein Stahlstift eingelassen wurde. Danach kamen mit einer präzisen Technologie die dünnen Furniere beidseitig auf die hölzerne Trägerplatte. Die Erfinder erhielten für diese Lösung Patente.
Die Anzeige der berechneten Schachzüge erfolgte wiederum mit LEDs auf den betreffenden Schachfeldern.
Das Gehäuse dieses Schachcomputers war also eine anspruchsvolle Holzkonstruktion mit in feinwerktechnischer Präzision eingearbeiteten Stahlstiften. Als Produzent hierfür wurde eine Möbel-Produktionsgenossenschaft (PGH) gewonnen, die mit der geforderten Präzisionsarbeit eine außergewöhnliche Herausforderung gemeistert hat.
Entstanden ist ein hochwertiger, auch ins westliche Ausland verkaufter Schachcomputer: der Chess Master - CM mit neuem Programm, Holzgehäuse, magnetischer Eingabe und Ausgabe mit LED-Anzeigen.
Der CM wurde später mit Bauelementen mit höherer Arbeitsgeschwindigkeit unter gleicher Bezeichnung weiterentwickelt, wobei die übrigen Eigenschaften erhalten blieben. Er wurde 1984 auf Messen vorgestellt und anschließend zu Tausenden ins westliche und östliche Ausland sowie im Inland verkauft. Der Verkaufspreis in der DDR betrug 1580 Mark.
CM diamond
Für die Weiterentwicklung des CM wurde für die Entwickler vorgegeben, zusätzliche Programme schnell für Kunden zugänglich zu machen. Die gewählte technische Lösung hierfür waren von außen einschiebbare, auswechselbare Kassetten. Zum optionalen Lieferumfang gehörte je ein Eröffnungs- und Endspielmodul, die unterhalb der Tastatur eingesteckt werden konnten.
Wichtigstes äußeres Unterscheidungsmerkmal in Bezug auf den CM war ein zusätzliches Kommunikationsfeld rechts oben (siehe Abbildung), das als vierstellige LED-Anzeige ausgeführt war. Das Schachprogramm konnte hier unter Verwendung von 16-Segment-Anzeigen aktuelle Informationen zum Spielstand und zur Bedienung ausgeben.
In Hinblick auf den Verkauf ins westliche Ausland wurde der Name des CM klangvoll ergänzt: CM diamond.
Dem Export geschuldet ist auch die sehr attraktive Gestaltung der Verpackung und der Bedienungsanleitung des Schachcomputers, damals vorgenommen von einem auf dem westlichen Markt erfahrenen Designer.
Der CM diamond wurde ab 1987 im In- und Ausland, nun auch stärker ins westliche Ausland verkauft.
CMT
Wurde mit dem CM schon erfolgreich der gehobene Bedarf gedeckt, ging die Zielrichtung für die Weiterentwicklung an einen speziellen, solventen Kundenkreis, der auch die repräsentative Wirkung des Schachspiels schätzte. Die Konstrukteure entwickelten einen Schachtisch, in dem die komplette Elektronik integriert war. Dies war eine Weltneuheit, die dann nach kurzer Bewertung des Marktes auch sofort umgesetzt wurde.
Als Elektronik wurde die des CM verwendet. Der Tisch selbst war eine spezielle Konstruktion unter Berücksichtigung der konkreten Anforderungen. Damit die Funktion als Tisch gesichert werden konnte, waren die Bedienelemente seitlich einschiebbar gehalten, so dass im eingeschobenen Zustand ein normaler Schachtisch sichtbar war. Das Tischbein war hohl, um darin das Netzkabel unterbringen zu können. Unter der Tischplatte nahmen Aluminiumprofile die Kräfte der Tischplatte auf und übertrugen diese auf das Tischbein.
Für den Transport wurden das Tischbein und die Füße abgeschraubt, so dass eine relativ transportfreundliche Größe entstand (das gleiche Prinzip, das auch bei IKEA-Möbeln angewandt wird). Als Umverpackung wurde eine Holzkiste verwendet, die auch die Stoßsicherheit des Schachcomputertisches beim Transport gewährleistete.
Vom Schachtisch wurden einige Dutzend produziert und zumeist in westliche Länder exportiert.
Weitere Pläne
Mit der Massenproduktion von mikroelektronischen Bauelementen wurden diese auch preisgünstiger, so dass die Produktion von Schachcomputern zu erschwinglichen Preisen ins Auge gefasst werden konnte. Für dieses Anliegen wurden Designer tätig. Für einen völlig neuen Schachcomputer wurde ein erstes Gestaltungsmuster, noch ohne jegliche elektrische Funktion, hergestellt. Die Umsetzung dieses Erzeugnisses wurde mit dem Niedergang der DDR nicht mehr realisiert.
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