Schlacht von Gorlice-Tarnow

Schlacht von Gorlice-Tarnow
Schlacht von Gorlice und Tarnów
Teil von: Erster Weltkrieg
Ostfront 1915
Ostfront 1915
Datum Mai 1915
Ort Tarnów, Gorlice
Ausgang Russische Niederlage
Konfliktparteien
Befehlshaber
Generaloberst August von Mackensen
Generaloberst Hans von Seeckt
General Radko-Dimitrejew
Truppenstärke
216.000 Mann

Deutsches Reich:
11. Armee:
10 Infanteriedivisionen
634 Geschütze

Österreich-Ungarn:
4. Armee:
8 Infanteriedivisionen
1 Kavalleriedivision
253 Geschütze
3. Armee:

18,5 Infanteriedivisionen
5,5 Kavalleriedivisionen
680 Geschütze
Verluste
90.000 Tote und Verwundete 100.000 Tote und Verwundete
240.000 Gefangene

Die Schlacht von Gorlice und Tarnów fand im Ersten Weltkrieg, Anfang Mai 1915 statt. Sie markiert den Wendepunkt an der Ostfront des Jahres 1915. Die Mittelmächte konnten sich durch den Sieg in dieser Schlacht von dem Druck an ihren Grenzen befreien und in der weiteren Folge des Durchbruchs ganz Polen erobern.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Im Jahr 1914 hatten die Mittelmächte an der Ostfront zwar die strategische Offensive, die russische Dampfwalze, zum Stoppen gebracht, doch war die Lage noch keineswegs bereinigt. Die Deutschen hatten zwar bei Tannenberg und an den Masurischen Seen ein Eindringen der Russen nach Ostpreußen verhindern können, doch war die Eroberung Polens im Herbst desselben Jahres am russischen Widerstand gescheitert. Die Donaumonarchie, schwer angeschlagen durch die Schlacht von Lemberg, hatte zwar durch die Schlacht bei Limanowa-Lapanow die direkte Bedrohung ihres Kernlands durch die zaristische Armee abgewendet, doch standen immer noch russische Truppen auf ihrem Territorium und die folgende Winteroffensive in den Karpaten hatte keine Erfolge gezeitigt, sondern die eigene Armee derart geschwächt, dass diese zu größeren Angriffen nicht mehr in der Lage war. Damit war die Bedrohung des eigenen Kernlandes eher aufgeschoben als aufgehoben und ein Durchbruch an der Karpatenfront in die ungarische Tiefebene auf Budapest hätte den Zusammenbruch Österreich-Ungarns herbeiführen können. Durch die sich abzeichnende Kriegserklärung Italiens wurde der Habsburger-Staat noch stärker unter Druck gesetzt, denn ein Zweifrontenkrieg an den eigenen Grenzen wäre militärisch untragbar für das fragile Reich gewesen. Die Deutschen, die sich mit einer solchen strategischen Situation seit dem Scheitern des Schlieffen-Plans schon konfrontiert sahen, standen ebenso unter Zugzwang gegen Russland einen Puffer zu schaffen, um an der Westfront wieder die Initiative zu ergreifen.

Planungen der Stäbe

Am 1. April signalisierte der deutsche Militärbevollmächtigte beim k.u.k. Oberkommando General Cremon daher die Bereitschaft, deutsche Truppenverbände zu einer Entlastungsoffensive des österreich-ungarischen Verbündeten an der Ostfront bereit zu stellen. Dieser Idee stimmte die OHL am 13. April zu. Über die Methode, mit der ein solcher Befreiungsschlag geführt werden sollte, herrschte allerdings keineswegs Einigkeit in den höchsten militärischen Stellen der Mittelmächte. Die eine Fraktion bildeten die Sieger der Schlacht von Tannenberg, Ludendorff und Hindenburg. Sie setzten sich für eine breitangelegte, strategische Umfassungsoperation ein. Zwei Hauptstöße, einerseits von Ostpreußen und andererseits von Galizien sollten die russische Front an ihren Flanken aufrollen und die russischen Truppen sollten in einem ganz Polen umfassenden Kessel abgeschnitten werden. Die Oberkommandierenden beider verbündeter Staaten setzten allerdings auf konventionellere Strategien. Der österreichische Generalstabschef Conrad von Hötzendorf hatte bereits nach der Schlacht in den Karpaten einen Plan für eine konventionelle Durchbruchsschlacht im Zentrum der Front am russischen Frontvorsprung zwischen Tarnów und der Region Gorlice aufgestellt. Natürlich wollte er keinesfalls seinen Plan gegenüber den unkonventionellen Ideen der beiden Preußen zurückstehen lassen. Den Ausschlag gab allerdings der höchste Offizier der deutschen Armee. Als Chef der OHL befürwortete Erich von Falkenhayn die österreichische Alternative, die Hötzendorf ihm bereits im Januar 1915 skizziert hatte. Er fürchtete, dass die große Umfassung der beiden ihm untergebenen Offiziere zu viele deutsche Truppen benötigt hätte und somit die Westfront zu sehr ausdünnen würde. Ebenso setzten die beiden Generale auf eine fast eigenständige Rolle der k.u.k-Streitkräfte beim Vorstoß aus Galizien. Dies traute der deutsche Oberkommandeur seinem Verbündeten allerdings keineswegs mehr zu. Somit fiel die Entscheidung auf eine eng begrenzte Operation unter deutscher Regie.

Der österreichische Heereschef Conrad von Hötzendorf hatte zwar nach der Schlacht verlauten lassen, sie sei ohne ihn nicht denkbar gewesen, da er es erlaubt habe, deutsche Truppen durch österreichische Militärstellen zu versorgen. Dies entsprach aber einer reinen Propagandabehauptung. Es war allein Falkenhayns Idee, eine gemeinsame Operation unter einem deutschen Befehlshaber und Stab durchzuführen und die Truppen Wilhelms des Zweiten stellten nicht nur materiell den größten Teil, sie führten auch den Angriffsstoß durch.

Die Befehlshaber

Die Truppen

Verlauf

Deutscher Durchbruch

Zu diesem Zweck entsandte die OHL den schon in Ostpreußen ausgezeichneten August von Mackensen und beauftragte ihn mit der Führung der deutschen 11. Armee, bestehend aus dem Gardekorps, dem X. Armeekorps, dem XXXXI. Reservekorps, der 119. und der 11. bayerischen Infanterie-Division, verstärkt durch ein österreichisch-ungarisches Armeekorps.

Operatives Ziel war es, zwischen das russische 9. und 10. Korps einen Keil zu treiben. Die Geländebedingungen begünstigten die Operation: Die Flanken der Angriffsverbände waren im Norden durch die Weichsel, im Süden durch die Beskiden gedeckt, und das vorhandene Eisenbahnnetz erleichterte Anmarsch und Versorgung. Das nach Norden absinkende Gelände bot gute Beobachtungs- und Übersichtverhältnisse über das Gefechtsfeld mit Einsicht in die russischen Stellungen, während der eigene Anmarsch weitgehend verborgen erfolgen konnte. Problematisch war jedoch, dass die zahlreichen, quer zur Angriffsachse in Süd-Nord-Richtung verlaufenden Weichselzuflüsse zu überwinden waren und das Wegenetz im Operationsgebiet nur aus wenigen Hauptstraßen bestand.

Die Operation startete mit massiver Artillerievorbereitung, beginnend mit dem Einschießen und folgendem Störfeuer am 1. Mai 1915. Während die Infanteriekräfte beider Seiten in etwa gleich stark waren, zeigte sich in der Artillerie eine erhebliche Überlegenheit der Angreifer:

Artillerie Mittelmächte Russland
Schwere Geschütze 334 4
Feldgeschütze 1.272 675
Minenwerfer 52 0

Am 2. Mai 1915 um 6 Uhr morgens, es herrschte klares Frühlingswetter und beste Sicht für die Artilleriebeobachter und die vor Erstaunen nach und nach aus ihren Gräben auf die Brustwehren steigenden Infanteristen, eröffnete ein gewaltiger Feuerschlag aller Rohre das Vernichtungsfeuer auf die russischen Stellungen: Etwa alle 130 Meter feuerte ein schweres, alle 40 Meter ein Feldgeschütz, dazu die tiefe Krater reißenden Minenwerfer – die bisher massivste Konzentration von Artillerie des Krieges. Deutsche Patrouillen, zur Tarnung des deutschen Anmarsches mit österreichischen Uniformen bekleidet, hatten bereits seit Tagen das Niemandsland beherrscht und erkundet. Mackensen und seinem Stabschef Oberst i.G. von Seeckt[1], an der rechten Flanke verstärkt durch die 4. k.u.k.-Armee, gelang es daher, von den Russen unbemerkt im Angriffsabschnitt vier deutsche Infanteriedivsionen nahe an die russischen Linien heranzuführen. Wie viele andere Verbände rückten auch die zwei Bataillone des durch Minenwerfer verstärkten Garderegiments unter Hauptmann von Loebell gegen 7 Uhr unbemerkt über einen gedeckten Kolonnenweg in ihre Sturmausgangsstellung. Nachdem gegen 10 Uhr das einem präzise ausgearbeiteten Feuerplan folgende deutsche Artilleriefeuer weiter nach hinten verlegt hatte, stieß von Loebell aus seiner Bereitstellung unmittelbar auf die russischen Stellungen vor, deren Verteidiger völlig überrascht wurden, überwand das mit nur drei hintereinander liegenden Gräben und dürftigem Stacheldrahtverhau schwach ausgebaute Verteidigungssystem und erzielte mit nur wenigen Mann Verlust einen Einbruch von 6 km Tiefe.[2] So wie an dieser Stelle brachen um 10 Uhr insgesamt ca. 40.000 Infanteristen, begleitet von MG-Trupps und geführt durch Hornsignale zum Sturm auf, überwanden das ca. 3 km breite Niemandsland, versuchen das teils heftige Feindfeuer zu unterlaufen und sich dann zum Nahkampf in die russischen Stellungen werfen, in denen sich nach Augenzeugenberichten die Leichenberge türmten. In den Artilleriekampf griffen auch die Flieger ein, denn die OHL hatte das unter dem Decknamen Brieftaubenabteilung Ostende operierende 20 Flugzeuge starke Bombengeschwader ebenfalls bereitgestellt.[3] Die brennende Stadt Gorlice mit ihrem Petroleumwerk und ihren explodierenden Munitionsdepots wurde ein Werk der Vernichtung.

Unter der Wucht dieses Angriffs brach die Front binnen eines Tages zusammen; den Deutschen gelang es, 14 Kilometer[4] weit vorzustoßen, 17.000 Russen gaben sich gefangen. Nach zwei Tagen war die russische Front auf einer Breite von 35 km eingebrochen. In Ermangelung nachgelagerter Stellungen mussten sich die russischen Truppen über freies Feld zurückziehen, was sie zu einer leichten Beute deutscher Artillerie, Flieger und nachrückender Truppen machte. Infolgedessen verlor das 10. Korps in den ersten beiden Tagen 30.000 und das 9. Korps 10.000 Mann. Beide hatten vor Beginn der Operation jeweils ca. 40.000 Soldaten gezählt.

Russische Gegenstöße

Das russische Heereskommando Stawka verbot aus politischen Gründen den Rückzug. Italien und Rumänien waren nahe am Kriegseintritt und man wollte diese Nationen nicht durch eine russische Niederlage davon abschrecken gegen die Mittelmächte ins Feld zu ziehen. Ebenso bereitete man eine weitere Karpatenoffensive vor und wollte dieses Unternehmen nicht gefährden. Somit sandte Radko-Dimitrejew eine Infanteriedivision und eine Kavalleriedivision im Eilmarsch in den Bereich des Durchbruchs. Die Truppen wurden mangels Vorbereitung von den Deutschen vernichtend geschlagen. Sie konnten nicht einmal mehr Nachricht zurück an den Armeestab geben. Aus der Sicht des russischen Befehlshabers verschwanden sie einfach von der Bildfläche.

Zwar gelang es am nächsten Tag dem 3. (kaukasischen) Korps (dem einzig noch intakten Verband im Angriffsabschnitt), die Deutschen bis zum 6. Mai aufzuhalten und sich geordnet auf den Fluss Wisloka zurückzuziehen, doch die Truppen von General Emmich hatten durch die Lücke der völlig durcheinander geratenen X. und IX. russischen Korps vorstoßend bereits Dukla erreicht, bedrohten damit die rückwärtigen Gebiete der russischen Front und schlossen dort am 7. Mai die gesamte 48. russische Division unter General Kornilow ein, die die Waffen streckte.

Halten der Linie

Das Heereshauptquartier verbot noch immer jedweden Rückzug und befahl das Halten der Front am Fluss Wisloka. Dies stellte allerdings nicht in Rechnung, dass es dort keinerlei vorbereitete Stellungen zur Verteidigung gab und die Hälfte der 3. Armee nur noch auf dem Papier der Generalstabskarten bestand. General Radko-Dimitrejew forderte natürlich Verstärkungen an, um seine Truppen zu konsolidieren. Ihm wurde vom Hauptquartier nur eine Division versprochen. Bis zum Ende der Gefechte erhielt er gerade zwei Regimenter. Trotzdem führte er am 7. Mai erneut einen Gegenangriff mit dem 3. (kaukasischen) Korps und dem 24. Korps durch. Der russische Armeebefehlshaber setzte in dieses Manöver große Hoffnungen, doch es erwies sich als ein Debakel. Das 24. Korps wurde komplett vernichtet und jede Möglichkeit für eine weitere Operation dieser Art war dahin. Am 8. Mai gelang es den deutschen Truppen, sich gegen die Reste des 9. und 10. Korps durchzusetzen; sie trieben diese in einen ungeordneten Rückzug. Somit war die improvisierte Front schon nach 48 Stunden zerbrochen. Die russischen Verluste betrugen bereits 210.000 Mann, davon 140.000 Gefangene. Zahlreiches Material, darunter 160 Geschütze und 400 Maschinengewehre waren in die Hände der Angreifer gefallen. Am 9. Mai meldete Dimitrejew, seine Armee habe ihr ganzes Blut verloren[5]. Der russische Frontkommandeur General Iwanow hatte schon seit einigen Tagen um Rückzug gebeten. Seine Anfrage wurde am 10. Mai, nach dem totalen Zusammenbruch, von STAWKA erfüllt, gleichzeitig wurde er seines Postens enthoben. Die Soldaten des Zaren zogen sich nun auf den Fluss San zurück und wandten dabei die Taktik der „verbrannten Erde“, misshandelten oder evakuierten die Bevölkerung, zündeten die Dörfer an, töteten das Vieh und zerstörten die Verkehrswege.

Gründe des Durchbruchs

Taktische Vorteile der deutschen Truppen

Die 11. Armee war der erste Verband der deutschen Truppen, der an der Ostfront von den Erfahrungen der Kämpfe des Westens profitieren konnte. Ihre Truppen wurden ab Ende 1914 aus der Westfront selbst herausgelöst und der Stabschef Hans von Seeckt hatte die Einheiten seit dem Sommer 1914 kommandiert. Die Zusammenarbeit von Artillerie und Infanterie lief, anders als bei den Truppen des Zaren, koordiniert. Ebenso hatten die Soldaten die Erfahrung verinnerlicht, dass der Bau von Stellungen feindlichen Geschützbeschuss fast unwirksam machen konnte. Infolgedessen wurden auf deutscher Seite in jeder freien Minute die Verteidigungsmöglichkeiten verbessert, sogar wenn man sich selbst auf dem Vormarsch befand. Die Tarnung der eigenen Kräfte wurde streng beachtet. Zudem benutzete man im Vormarsch Feldtelefone, so dass dem deutschen Stab ganz andere Möglichkeiten der Truppenführung offenstanden, als einer Armee, die noch nach alten Regeln kämpfte.

Taktische Fehler der russischen Armee

Das russische Stellungssystem, das den Deutschen entgegenstand, besaß zwar eine Tiefe von 6 km, war aber den Anforderungen des Grabenkriegs keineswegs gewachsen. Die russischen Truppen hatten es versäumt, eine ausreichende Anzahl von vorgeschobenen Posten anzulegen und konnten deshalb das breite Niemandsland nicht überwachen. Dies erwies sich als entscheidend für das Überraschungsmoment des Angriffs, denn die Russen bemerkten den massiven Aufmarsch der deutschen Truppen in ihren Bereitstellungsräumen nicht. Generell muss man sagen, dass die Aufklärungsarbeit der russischen Truppen mangelhaft war. Bis zum Tag der Offensive hatte man die massive Konzentration der vier deutschen Angriffsdivisionen weder durch konventionelle noch durch Luftaufklärung feststellen können. Dies führte dazu, dass Mackensen ganz nach der Art clausewitzscher Strategie eine starke Truppenkonzentration gegen eine Schwachstelle einsetzen konnte, ohne dass die russische Armee im Vorfeld Gegenmaßnahmen (zum Beispiel das Heranbringen von Reserven) getroffen hätte.

Das Grabensystem der russischen Streitkräfte stellte zudem einen Hauptfaktor für ihre Niederlage dar. Da sämtliche militärischen Stäbe nicht mit einer deutschen Offensive rechneten, obwohl Agentenmeldungen vor einer Offensive der Mittelmächte gewarnt hatten, wurden die Truppen nicht aufgefordert, notwendige Schanzarbeiten zu treffen, sie wurden sogar daran gehindert: Das 10. Korps, welches der deutsche Hauptstoß traf, versuchte zwar Stellungen für seinen rückwärtigen Raum auszuheben. Als jedoch der Armeekommandeur darüber informiert wurde, verbot er die Aktion und entzog dem Verband noch zusätzlich Truppen. Radko-Dimitrejew war der Ansicht, dass ein Korps, das Stellungen für seine Reserven ausheben konnte, personell überbesetzt war. Er schickte die herausgelösten Truppenteile zu seiner Karpatenfront. So sollte die für das Frühjahr geplante russische Offensive verstärkt werden. Daher bezeichnete General Bontsch-Brujewitsch, der im Auftrag des Großen Hauptquartiers die russische Front im Frühjahr inspizierte, die Verteidigungsvorkehrungen der 3. Armee als nicht ernstgemeint.

Strategische Fehler der russischen Führung

Die russische Armeeführung plante nach den Misserfolgen in Ostpreußen entlang der Südwestfront eine Offensive in den Karpaten. Somit wurde die russische 3. Armee unter Ratko-Dmitrejew ausgedünnt. Des Weiteren sollte sie selbst an dieser Offensive beteiligt sein. Dies veranlasste den Befehlshaber der Armee, seinen westlichen Frontabschnitt nur mangelhaft zu decken. Die russischen Truppen litten insbesondere daran, dass keine einzige Division der ersten Linie, sondern ausschließlich Reserveformationen zum Abfangen des feindlichen Angriffs zur Verfügung standen. So kam es, dass bei Gorlice-Tarnów fünfeinhalb russische Divisionen, bestehend aus Reservisten, gegen zehn kaiserliche und acht k.u.k.-Divisionen antraten. Damit wurde ein Durchbruch der Mittelmächte beinahe unvermeidlich.

Eine Durchstoßung der Frontlinie wäre zwar eine taktische Niederlage für die Russen gewesen, die Niederlage bei Gorlice erreichte aber eine strategische Dimension. Der entscheidende Faktor hierbei war die Ausnützung des Durchbruchs, das heißt das rasche Vorantreiben der Offensive von deutscher Seite. Dies hätte durch ein rasches Heranbringen von Reserven auf russischer Seite verhindert werden können. Aus zwei Gründen fand dies allerdings nicht statt. Zentraler Punkt war hierbei die Mangelhaftigkeit des Eisenbahnsystems und der Logistik der Stäbe des zaristischen Heeres. Das Schienennetz in Galizien war nur ungenügend ausgebaut. Dieses Problem wurde allerdings noch dadurch verschärft, dass die Mobilität der russischen Armee zu wünschen übrig ließ. Zum Beispiel gelang es Ludendorff nach der Schlacht bei Tannenberg, mittels Zugverbindungen seine ganze 8. Armee binnen zwei Wochen gegen die noch ungeschlagene 1. russische Armee im Osten Ostpreußens zu drehen. Zum Vergleich hierzu benötigten die Offiziere des Zarenreichs einige Monate später mehr als vier Wochen, um ihre 9. Armee ohne jede Feindeinwirkung in der Bukowina zu mobilisieren. Diese technischen Probleme gaben aber nicht allein den Ausschlag. Der russische Armeechef hatte die Wahl zwischen zwei Optionen. Einerseits konnte er die Frontlinie verstärken und möglichst viele Truppen in Feindnähe konzentrieren. Andererseits stand ihm die Möglichkeit offen, seine Front auszudünnen und die Verteidigung in der Tiefe zu staffeln, um so das Heranführen von Reserven garantieren zu können. Ratko-Dmitrejew verfolgte allerdings erstere Variante und lieferte somit seine zahlenmäßig punktuell unterlegen Truppen voll der feindlichen Angriffswucht aus.

Mangelnde Versorgung und Ausrüstung der russischen Armee

Die zaristische Autokratie galt zwar im damaligen Europa als Musterbeispiel einer diktatorischen Monarchie. Allerdings hatte sie zunehmend mit einer liberalen und auch marxistischen Opposition zu kämpfen. Die Regierung, die obendrein an mangelnder personeller Kontinuität litt, konnte eine Militarisierung der Industrie gegen die oppositionellen Kräfte nicht durchsetzen. Alle kriegführenden Staaten arbeiteten in diese Richtung. In Russland hatten entsprechende Bemühungen keinen großen Erfolg. Zwar mussten alle Armeen des Jahres 1915 mit Nachschubmangel fertigwerden. In Russland waren die Versorgungsschwierigkeiten allerdings besonders gravierend. Monatlich wurden 50.000 Gewehre weniger gefertigt als Rekruten eingezogen wurden, und die Artillerie der zaristischen Armee war durch Munitionsmangel zunehmend zur Untätigkeit verurteilt.

Ein weiterer Nachteil ergab sich aus Fehlern des russischen Generalstabs der Vorkriegszeit. Man hatte in der Artillerieplanung – auch angesichts der eigenen noch schwach entwickelten Industrie – der leichten gegenüber der schweren Artillerie den Vorzug gegeben, weil man mit einem Bewegungskrieg rechnete. Während bei leichten Geschützen im Angriffsbereich die Mittelmächte nur eine Überlegenheit von zwei zu eins verbuchen konnten, standen über 300 deutschen schweren Geschützen nur vier russische gegenüber. Dies hatte zur Folge, dass die Deutschen die feindliche Artillerie wirksam bekämpfen konnten, während den Offizieren des Zaren ein Gegenfeuer auf die feindlichen Batterien aufgrund der geringeren Reichweite leichter Geschütze erschwert war.

Folgen

Gorlice-Tarnów stellte für die Mittelmächte einen entscheidenden Befreiungsschlag dar. Die gesamte Karpatenfront war aus den Angeln gehoben worden, am 3./4. Juni wurde die wichtige österreichisch-ungarischen Festungsstadt Przemyśl, die erst am 22. März vor den Russen kapituliert hatte, zurückgewonnen. Die auf einer Breite von 160 km eingedrückte russische Südwestfront musste auf eine nicht vorbereitete Linie am San um ca. 100 km zurückgenomen werden. STAWKA versuchte diese mit den zusammengewürfelten Resten der 3. Armee zu verteidigen, kaum ausgebildete Truppen, wie Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch sagte: ... kaum ausgebildete Bauerntölpel; sie haben mangels Waffen nicht einmal richtig schießen gelernt.[6] Mackensen meldete, er kämpfe nur noch gegen vollkommen heruntergekommene Truppen. Diese verachteten „Tölpel“ leisteten zunächst tapferen Widerstand, der jedoch bald zusammenbrach. Allein am 14. Juni ergaben sich weitere 15.000 Mann. Am 19. traf Mackensen mit seinen erschöpften Truppen vor Grodek auf eine gut ausgebaute Verteidigungslinie, die er trotz der Kräfteunterlegenheit sofort stürmen ließ.[7] Erneut wurde die Front durchbrochen und am 22. Juni die Großstadt Lemberg zurück erobert. In diesen Gefechten verlor das russische Heer noch einmal soviele Soldaten, wie es in der Schlacht bei Gorlice-Tarnow verloren hatte.

Im Angesicht der totalen Niederlage ordnete die russische Führung unter Großfürst Nikolai am 17. Juni die Räumung Polens an. Somit hatte das Zarenreich die ersten großen Verluste an Territorium hinzunehmen, ganz abgesehen von den Verlusten an Menschen und Material. Generell wurden die zuversichtlichen Kriegsziele der russischen Führung nach Gorlice-Tarnów ad absurdum geführt. Die von den westlichen Verbündeten oft angemahnte Absicht, den Krieg auf deutsches Gebiet zu tragen, wurde illusorisch. Für die Mittelmächte bedeutete die Operation hingegen einen vollen Erfolg. Der mehrere hundert Kilometer tiefe Puffer gegen die Armee des Zaren, der im Laufe des Jahres erobert wurde, ermöglichte der OHL die Vorbereitung zur Offensive von Verdun und bannte jede territoriale Gefahr für das Reich. Auch für Österreich-Ungarn hatte sich die Lage entspannt. Die Doppelmonarchie konnte sich nun der Gefahr, die Italien im Süden als neues Mitglied der Entente darstellte, fast voll und ganz zuwenden.

Quellen

Einzelhinweise

  1. bekannt als Reichswehrchef in der Weimarer Republik
  2. Ausführliche Augenzeugenberichte des Hauptmann von Loebell u.a. finden sich in: Wolfgang Foerster (Hrsg.): Wir Kämpfer im Weltkrieg. München o.J., S. 182ff
  3. vgl. Piekałkiewicz, a.a.O., S. 297
  4. bei Cartier, a.a.O., S. 300 wird die Einbruchstiefe am Abend des 2.5. mit 16 km Breite und 4 km Tiefe angegeben.
  5. Cartier, a.a.O., S. 301
  6. vgl. Cartier, a.a.O., S. 301
  7. Der österreichische Dichter und Sanitäter Georg Trakl hatte hier ein halbes Jahr zuvor seine traumatischen Kriegserfahrungen in dem bekannten Gedicht Grodek wiedergegeben.

Literaturliste

  • Jean-Pierre Cartier: Der Erste Weltkrieg. München: Piper 1984. ISBN 3-492-02788-1
  • John Keegan: Der Erste Weltkrieg – Eine europäische Tragödie. Reinbek: Rowohlt Taschenbuchverlag 2001. ISBN 3-499-61194-5
  • Janusz Piekałkiewicz: Der Erste Weltkrieg. Düsseldorf: Weltbild 1993. ISBN 3-89350-564-4
  • Manfried Rauchensteiner: Der Tod des Doppeladlers: Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg. Graz, Wien, Köln: Styria 1993. ISBN 3-222-12116-8
  • Norman Stone: The Eastern Front 1914–1917. London: Hodder and Stoughton 1985. ISBN 0-340-36035-6
  • Hew Strachen: Der Erste Weltkrieg. München: Bertelsmann 2003. ISBN 3-570-00777-4
  • Christian Zentner: Der Erste Weltkrieg.. Rastatt: Moewig-Verlag 2000. ISBN 3-8118-1652-7

Weblinks


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