Seerobbe

Seerobbe
Seehund
Seehund

Seehund

Systematik
Unterklasse: Höhere Säugetiere (Eutheria)
Ordnung: Raubtiere (Carnivora)
Unterordnung: Hundeartige (Cynoidea)
Familie: Hundsrobben (Phocidae)
Gattung: Phoca
Art: Seehund
Wissenschaftlicher Name
Phoca vitulina
Linnaeus 1758

Der Seehund (Phoca vitulina) ist eine in allen nördlich-gemäßigten Meeren verbreitete Robbe aus der Familie der Hundsrobben.

Inhaltsverzeichnis

Aussehen

Seehunde sind im Vergleich zu der anderen an deutschen Küsten verbreiteten Robbe, der Kegelrobbe, kleine und schlanke Robben (Männchen etwa 170 cm, Weibchen 140 cm, Gewicht 150 beziehungsweise 100 kg). Von der Kegelrobbe unterscheiden sie sich auch durch ihren rundlichen Kopf. Die Färbung ist regional sehr variabel; in deutschen Küstengewässern sind Seehunde dunkelgrau gefärbt und haben unregelmäßig über den Körper verteilte schwarze Flecken.

Verbreitung und Lebensraum

Verbreitungsgebiet

Der Seehund kommt auf der Nordhalbkugel im Atlantik und Pazifik vor. Er bevorzugt Küsten mit trockenfallenden Sandbänken, auf denen er vor Feinden sicher ist. Man findet ihn aber auch an geschützten Felsküsten.

Die weltweite Gesamtpopulation der Seehunde wird auf 500.000 Individuen geschätzt. Von diesen leben 90.000 an europäischen Küsten.

Während der Seehund an den Küsten der Nordsee allgegenwärtig ist, ist er in der Ostsee eine extreme Seltenheit; der Bestand in diesem Binnenmeer wird auf 250 Tiere geschätzt, womit Seehunde in der Ostsee noch seltener als Kegel- und Ringelrobben sind. Die Ostsee-Seehunde leben an den Küsten dänischer Inseln und des südlichen Schwedens. Umherwandernde junge Seehunde kommen manchmal auch an deutsche Ostseeküsten.

Lebensweise

Seehunde auf einer Sandbank in der Nordsee
Seehunde vor Norwegen

Seehunde sind sehr gute Schwimmer, die bis zu 200 m tief und 30 Minuten lang tauchen können. Für gewöhnlich dauert ein Tauchgang aber nur drei Minuten. Ausgewachsene Seehunde fressen ausschließlich Fische, und zwar Heringe, Sardinen, Dorsche, Lachse, Stinte und Plattfische. Jüngere Seehunde ernähren sich zu einem Großteil von anderen Meerestieren wie Krebstieren und Mollusken. Im Wasser sind Seehunde einzelgängerisch, auf Sandbänken kommen sie oft zu kleinen Gruppen zusammen. Sie sind jedoch keine sozialen Tiere und reagieren aggressiv auf Berührung durch Artgenossen; vor allem Männchen fügen sich gelegentlich gegenseitig blutige Wunden zu. Auf den Sandbänken findet man sie daher meistens gleichmäßig verteilt, mit eineinhalb Metern Mindestabstand zwischen zwei Tieren.

Die Paarung findet im Wasser statt. Mehrere Männchen sammeln sich dabei um ein Weibchen und versuchen, auf ihren Rücken zu gelangen. Das Weibchen wehrt sich zunächst mit Bissen und Fluchtversuchen gegen die Paarung. Letztlich siegt eines der Männchen, indem es mit einem Biss in den Nacken das Weibchen ruhigstellt. Nach etwa drei Minuten ist der Paarungsakt beendet und beide Partner schwimmen ihrer Wege. Seehundmännchen sind weder monogam noch bewachen sie nach Art mancher anderer Robben einen Harem.

Die Tragzeit beträgt anschließend 11 Monate, es wird in der Regel nur ein Jungtier geboren, das bei der Geburt etwa 10 kg schwer und 85 cm lang ist. Es wird ungefähr fünf Wochen gesäugt und dann allein gelassen.

Seehunde können 30 bis 35 Jahre alt werden. Dabei haben Weibchen in der Regel eine höhere Lebenserwartung als Männchen, die sich bei den Aggressionen gegen Geschlechtsgenossen mehr verausgaben und vielleicht deshalb selten älter als 25 Jahre alt werden.

Unterarten

Es werden geographisch fünf Unterarten unterschieden:

Die Largha-Robbe wurde früher als Unterart des Seehundes, heute aber als selbständige Art eingestuft.

Mensch und Seehund

Seehundjagd in Vorzeit und Mittelalter

Von Bewohnern der Küsten wird der Seehund zum Nahrungserwerb und zum Fell- und Ölgewinn seit Jahrtausenden gejagt. Entlang des Unterrheins hat man zehn Steinplatten entdeckt, auf denen eiszeitliche Siedler die Umrisse von Robben eingraviert haben – wobei nicht immer deutlich ist, ob die dargestellten Tiere Seehunde oder die einstmals ebenso häufigen Kegelrobben sein sollen. Auch andere Robbenarten, die heute auf die Arktis beschränkt sind, lebten während der letzten Eiszeit an europäischen Küsten. Seehunde schwammen wohl immer wieder die Flüsse aufwärts und gelangten so selbst in die Netze von Binnenfischern. Auch heute noch schwimmen Seehunde gelegentlich Rhein, Weser und Elbe aufwärts, kommen aber nicht mehr so weit wie einst.

An dänischen Küsten fand man auf 7.500 Jahre datierte Holzkeulen, die unter einer Torfschicht konserviert waren. Da man mit ähnlichen Keulen bis ins 19. Jahrhundert an den Nordseeküsten Robben schlug, geht man davon aus, dass schon die Jäger der Jungsteinzeit dieser Betätigung nachgingen. Des Weiteren hat man in Robbenknochen Pfeilspitzen gefunden. Allerdings stammen aus dieser Zeit nur wenige Überreste von Seehunden. Damals bewohnten Kegelrobben, Ringelrobben und Sattelrobben in großer Zahl Nord- und Ostsee, und erst um die Zeitenwende wurde der Seehund hier häufig. Aus dem 1. Jahrhundert findet man entlang der Wesermündung Seehundknochen, die in den Abfallgruben der Warftbewohner zusammen mit Haustierknochen lagerten. Ähnliche Funde stammen aus dem frühen Mittelalter von der Insel Föhr. In den folgenden Jahrhunderten wurde die Seehundjagd zunehmend unüblich. Nach dem 11. Jahrhundert sind Seehundknochenfunde bei menschlichen Siedlungen die Ausnahme.

Ausrottungskampagnen des 19. und 20. Jahrhunderts

Erst seit dem späten 19. Jahrhundert wurde auf Seehunde wieder aus anderem Grund Jagd gemacht: Der Beginn des industriellen Fischfangs und die sich abzeichnende Überfischung der Meere verleitete Fischer zu der Überzeugung, dass der Seehund als Nahrungskonkurrent die Fischbestände plündere. Die Ausrottung des Seehundes wurde als erstrebenswertes Ziel gesehen. So beklagten sich 1902 die Fischer von Rügen in einer gemeinsamen Petition an den Regierungsbezirk Stralsund, dass sie ohne eine „Vertilgung der Seehunde“ ihrem „Ruin unzweifelhaft entgegengehen“ würden. Pro erlegtem Seehund wurden in Vorpommern 5 Mark gezahlt, und bald zogen andere Ostseestaaten nach und zahlten ebenfalls Prämien. Dabei wurden die Tiere geschossen, erschlagen und mit Netzen und Reusen gefangen; auch das Auslegen vergifteter Fischköder wurde in manchen Regionen als Methode angewandt. Zwischen 1886 und 1927 wurden in der Ostsee 353.329 Robben getötet und damit der Seehund wie auch die Kegelrobbe an den Rand der vollständigen Ausrottung gebracht.

Auch in der Nordsee wurde Seehunden von Prämienjägern nachgestellt. Die größere Weitläufigkeit der Nordsee machte eine so effektive Ausrottung wie in der Ostsee allerdings schwerer – vor allem, da der Bestand aus dem Atlantik ergänzt wurde. Doch ab den 1930ern zeichnete sich ab, dass Seehunde seltener wurden. 1953 wurde im Bundesjagdgesetz die ungeregelte Jagd beendet. Von da an musste ein Interessierter bei der Jagdbehörde seines Landkreises einen Erlaubnisschein beantragen, mit dem er das Recht auf die Seehundjagd bekam. Für etwa 250 Mark konnte man sich von einem Führer zu einem Seehund bringen lassen und diesen erschießen. Die Populationen brachen in den 1960ern zusammen, und der Seehund wurde eine Seltenheit. Die Niederlande verboten die Jagd 1962, 1971 folgte Niedersachsen, 1973 Schleswig-Holstein und 1977 Dänemark. Da es heute nur noch selten zur Wilderei kommt, sterben kaum noch Seehunde in der Nordsee durch Abschuss. Seit Einstellung der Jagd haben sich die Bestände von einem bedrohlichen Tief wieder erholt. So gibt es im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer geschätzte 7000 Seehunde.

verletzte Tiere

Umweltgifte

Auch nach dem Ende der Seehundjagd starb immer noch eine große Zahl von Seehunden durch nicht natürliche Ursachen. Umweltgifte wie PCB gelangten bis in die 1980er in Nord- und Ostsee. Sie schwächten die Seehunde und machten sie unfruchtbar; in der Ostsee, wo die Belastung besonders problematisch war, zeigten untersuchte Robben Gebärmutterverschlüsse, Tumore, Nierenschäden, Darmgeschwüre und Hautveränderungen. Aufgrund eines geschwächten Immunsystems waren die Mundhöhlen mit Pilzen übersät.

Die PDV-Seuche

Wie empfindlich der Bestand immer noch ist, zeigte eine Seuche im Jahr 1988, bei der es sich um eine Abart der Hundestaupe handelte, das PDV-Virus (phocine distemper virus). 18.000 Seehunde, zwei Drittel der gesamten Population, starben daran. Das Ausmaß der Seuche war vermutlich der allgemeinen Immunschwäche der Nordsee-Seehunde geschuldet. In von Schadstoffeinleitungen weniger betroffenen Regionen wie den norwegischen und isländischen Küsten hat die Seuche so gut wie keine Opfer unter den Seehunden gefordert. Eine Wiederholung der Seuche mit allerdings weniger katastrophalen Ausmaßen geschah 2002, auch 2007 wurden in Dänemark und Schweden Tiere aufgefunden, die mit einer ähnlichen Seuche infiziert waren[1].

Die Herkunft des PDV war zunächst unklar. Für Aufsehen sorgte 1988 die Entdeckung, dass auch Nerze mit PDV infiziert waren. Die Theorie wurde geäußert, aus Farmen entlaufene Nerze hätten die Seehunde infiziert. Allerdings ist der Infektionsweg wahrscheinlich umgekehrt verlaufen. In den 1990ern fand man dann heraus, dass Sattelrobben das PDV-Virus in sich tragen, aber nicht daran erkranken. Da sich im harten Winter 1987 einzelne Sattelrobben in die Nordsee verirrt hatten, mag dies der Weg gewesen sein, auf dem die Seuche ins Wattenmeer gelangte. Aus Fischerkreisen wurde geäußert, durch die Seuche werde die Population auf ein natürliches Maß verringert.

Heuler-Aufzucht

Seehunde auf der Helgoländer Düne
Phoca vitulina.ogg
Seehundgruppe auf der Helgoländer Düne
Mit einem Sender versehener Seehund

Ein Problem für die Seehunde des Wattenmeers sind auch Touristen, die im Watt wandern und auf junge Seehunde stoßen. Die Muttertiere lassen die Jungen oft für lange Zeit allein. Wenn in dieser Zeit Touristen auf die Jungen stoßen und das Junge berühren oder gar streicheln, wird die Mutter das mit Menschengeruch behaftete Junge höchstwahrscheinlich nicht mehr akzeptieren. So ein Jungtier, das seine Mutter dauerhaft verloren hat, wird als „Heuler“ bezeichnet.

Die erste erfolgreiche Aufzucht eines Heulers wurde 1956 bekannt; das Tier wurde allerdings anschließend ins Aquarium Wilhelmshaven und nicht in die Freiheit verbracht, da aufgrund der damals üblichen Robbenjagd ein Überleben eines von Menschenhand aufgezogenen Seehundes für sehr unwahrscheinlich gehalten wurde. Seit den 1970ern wurden feste Seehund-Aufzuchtstationen entlang der Nordseeküste errichtet.

Heuler sind ein natürliches Phänomen. Sie haben ihr Muttertier durch Verstoßen, Tod oder Stürme verloren, oder die Mutter hat ein krankes oder verletztes Jungtier verlassen. Der Sinn der Seehund-Aufzuchtstationen ist vor allem in jüngerer Zeit heftig diskutiert worden. Zum einen sind auch gesunde Seehundjunge dorthin gebracht worden, deren Mutter auf Nahrungssuche war und zu ihrem Jungen zurückgekehrt wäre – Schätzungen der Kritiker gehen sogar davon aus, dass dies für 90 % aller eingelieferten Heuler zutrifft. Die wirklich kranken und pflegebedürftigen Seehunde hingegen seien durch natürliche Selektion ausgesondert worden, und es sei unnatürlich, diese aufzupäppeln und ihnen zu einem Leben in Freiheit zu verhelfen. In den Aufzuchtstationen kommt es zu Todesfällen durch Stress oder durch die Zwangsfütterung, die notwendig ist, da die Heuler fast immer die Nahrungsaufnahme verweigern. Die letztlich entlassenen Seehunde sind oft halbzahm und meiden ihre Artgenossen.

Die Kritik hat dazu geführt, dass Dänemark bereits seit 1985 keine Heuler mehr auswildert und seit 1993 alle gefundenen Heuler getötet werden. An deutschen Nordseeküsten gab es auch ein Umdenken. Die Station in Friedrichskoog nimmt keine kranken oder verletzten Heuler mehr auf. Viele Seehundbänke liegen heute in den Kernzonen der Nationalparks, damit Touristen keine Heuler mehr aufgreifen können. Die nach Friedrichskoog verbrachten Seehunde werden bis auf Einzelfälle wieder ausgewildert.

Viele „Tierfreunde“ haben für solche Maßnahmen wenig Verständnis. In den Niederlanden suchen sie immer noch die Strände ab und bringen selbst kerngesunde Jungrobben in die Station Pieterburen. Gegen die Methoden der Mitarbeiter der Station Pieterburen, die auch an deutschen Küsten gegen geltendes Recht Heuler aufgegriffen haben und allein im Jahr 2001 über 300 junge Robben aufgezogen haben, wird seit Jahren erfolglos von Naturschützern protestiert.

Sonstiges

Der Seehund wurde von der Schutzgemeinschaft Deutsches Wild zum „Wildtier des Jahres 2006“ ausgerufen.

Literatur

  • Ronald M. Nowak: Walker’s mammals of the world. 6. Auflage. Johns Hopkins University Press, Baltimore 1999, ISBN 0-8018-5789-9.  
  • Bernhard Grzimek: Grzimeks Tierleben, Band 12 (Säugetiere 3), ISBN 3-8289-1603-1
  • Armin Maywald: Die Welt der Seehunde: ein Porträt zwischen Faszination und bedrohter Natur. Soltau-Kurier-Norden, 2002, ISBN 3-928327-60-7
  • Rüdiger Wandrey: Die Wale und Robben der Welt: Vorkommen, Gefährdung, Schutz. Franckh-Kosmos, 1997, ISBN 3-440-07047-6

Einzelnachweise

  1. Ovanligt virus in Dagens Nyheter (schwedisch)

Weblinks


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