Selbstbildung

Selbstbildung

Selbstbildung ist ein pädagogisches Konzept zur Gestaltung des lebenslangen und -begleitenden Lernens im Sinne eines Sich bildens und einer sinnvollen Lebensführung. Es handelt sich um den personalen Aspekt der menschlichen Bildung und somit um das Herz aller Bildung. Sie ist eine Leistung, durch die der Mensch selbstbestimmt seine Teilhabe an der Kultur gestaltet und zu eigenem Ausdruck bringt.

Selbstbildung ist weder an Institutionen, curriculare Bildungsgänge, formale Eingangsvoraussetzungen noch an bestimmte Lebensalter gebunden. Sie basiert auf Begegnung und Gespräch, auf Besichtigung und Beobachtung, auf Erkundung und Erprobung, auf Hören und Lesen, alles jedoch aus eigener Einsicht und Motivation, selbstgesteuert und mit der freien Entscheidung, ob er eine Lehrperson beiziehen möchte oder nicht. Im Unterschied zur autonomen Selbstbildung Erwachsener liegt bei der Selbstbildung von Kindern ggf. die Notwendigkeit vor, die Bedingungen zu selbstbildendem Handeln bereitzustellen. Die kann bedeuten, dass Pädagogen, Eltern usw. ggf. eingreifen und so wenig wie möglich, dabei so viel wie nötig Hilfestellung leisten, um beim Kind die Motivation zu erhalten oder gefährliche Irrwege zu vermeiden.

Man differenziert unter anderem die ästhetische bzw. die religiösen Selbstbildung.

Hieronymus Andreas Mertens war einer der ersten, die unter diesem Begriff über die Kunst, stets froh zu leben philosophierten. Er bezog die Selbstbildung bereits auf Kinder, während viele andere Autoren dieser Zeit eher Erwachsene, insbesondere Lehrer und Wissenschaftler oder eine Methode innerhalb der Schulen im Blick hatten.

1836 erschienen zwei Bücher, die Anstand und Sitte zum Gegenstand der Selbstbildung machen wollten. Carl von Wallen hat dabei schon Deutschlands Jugend beiderlei Geschlechts als Zielgruppe.

Romano Guardini hat dann seit den 20er Jahren die Selbstbildung zum Thema der katholischen Jugendbewegung gemacht, indem er den Jugendlichen Briefe zur Selbstbildung schrieb.

Zu dieser Zeit begann auch die Suche nach der Thema und der Methode der Selbstbildung in den Biographien und Werken herausragender Persönlichkeiten wie Adalbert Stifter, Friedrich Schiller, Jacob Wilhelm Heinse, Heinrich von Kleist, Friedrich Hebbel, u. v. a.

Nach dem Krieg brachte Adolf Grimme von 1946 bis 1949 unter dem Titel "Denkendes Volk" die sogenannten "Blätter für Selbstbildung" heraus. Es handelte sich um das Organ der Volkshochschulbewegung.

In entwicklungspsychologischer Sicht bezeichnet Selbstbildung – vor allem nach dem Verständnis von Gerd E. Schäfer – den Entwicklungsprozess des Menschen (vgl. Konstruktivismus, Piaget). Die Entwicklung von Kindern wird deshalb als aktiver Prozess verstanden, in dem diese anhand von Bedeutungen selbsttätig ihre Umwelt erkunden. Ein ähnliches Konzept findet sich bei Wassilios Fthenakis in seinem Begriff der Ko-Konstruktion.

Siehe auch

Bildung, Selbstbestimmung, Selbsttätigkeit, Selbsterziehung, Selbsterkenntnis

Literatur

  • Hieronymus Andreas Mertens: Vortrag eines Vaters an seine Kinder. Über die Kunst, stets froh zu leben. Zur Selbstbildung beym Eintritt in die große Welt; 17. Erziehungsrede, 1788
  • J.G. Petri: Allerneuestes Complimentir- und Anstandsbuch, oder Regeln für Selbstbildung und seine Lebensart, 1836
  • Carl von Wallen: Handbuch des Anstandes und der feinen Sitte Zur Selbstbildung für Deutschlands Jugend beiderlei Geschlechts, 1836
  • Michael Leopold Enk von der Burg: Über Bildung und Selbstbildung, 1842
  • Anton Füster: Mentor des studirenden Jünglings. Anleitung zur Selbstbildung, 1848
  • Franz Müller: Selbst-Bildung (Opus Sancti Josephi.), 1903ff.
  • Ernst Lüttge: Die Praxis der Lesebuchbehandlung als Anleitung zur Selbstbildung durch Lektüre, 1908
  • Ernst Weber: Der Weg zur Zeichenkunst. Ein Büchlein für theoretische und praktische Selbstbildung, 1913; 1918; 1920; 1926
  • Romano Guardini: (Gottes Werkleute.) Briefe über Selbstbildung, 1922 u.ö., zuletzt 1993
  • Anna Carstens: Jacob Wilhelm Heinse unter dem Gesichtspunkt der Selbstbildung, 1923
  • Hermann Bühnemann: Die Selbstbildung des Schulkindes. Eine Einführung in die Grundfragen einer kindertümlichen "stillen Beschäftigung" und in einer Sammlung zeitgemäßer Bildungsmittel, 1931; 1938
  • Theodor Rutt: Selbsterziehung und Selbstbildung im Leben und in den Werken Adalbert Stifters, 1939
  • Franz Michel Willam: Unser Weg zu Gott. Ein Buch zur religiösen Selbstbildung, 1951
  • Horst Widmann: Selbsterziehung und Selbstbildung bei Schiller. Ein Beitrag zur Erscheinungslehre der Selbsterziehung, 1954
  • Hans Rudolf Franz: Selbsterkenntnis, Selbsterziehung und Selbstbildung bei Friedrich Hebbel. ein Beitrag zur Erscheinungslehre der Selbsterziehung, 1957
  • Hartmut Apfelstedt: Selbsterziehung und Selbstbildung in der deutschen Frühromantik. Friedrich Schlegel, Novalis, Wackenroder, Tieck, 1957; 1958
  • Jugendbuch und Bücherei als Wege der Selbstbildung. Vorträge des 9. Arbeitskursus für Jugendbüchereileiter und Jungbibliothekare; (28. September - 3. Oktober 1959), 1959
  • Berthold Michael: Selbstbildung im Schulunterricht, 1963
  • Paulus Sladek: Wege zur religiösen Selbstbildung, 1964
  • Wolfgang Guenther: Spiel, Kampf und Arbeit als Formen der Selbstbildung im Frühwerk Ernst Jüngers, 1966; 1968
  • Frei Otto: Selbstbildung. Physikalische und konstruktive Entstehungsprozesse, die auf die Entstehung, Ausbildung und den Wandel organischer Objekte Einfluß haben und die auch für Technik und Architektur von Bedeutung sein können, 1984
  • Karl Wilkner: Selbsttätigkeit und Selbstbildung, 1987
  • Helmut Moysich: Die Selbst-Bildung und der Exzeß des Blicks. Zum Werk Heinrich von Kleists, 1988
  • Astrid Weiss: Vorbereitung Heranwachsender auf Selbstbildung, untersucht und dargestellt anhand des Experimentierens im Physikunterricht der Klasse 9, 1990
  • Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Auf der Suche nach Identität. Von der Erziehung zur Selbstbildung, 1991
  • Sabine Meyer: Mädchenbücher als Sozialisationsagenten und Angebote zur Selbstbildung zum Wandel weiblicher Leitbilder in der jüngeren Entwicklung des Mädchenbuches in Deutschland, 1993
  • Ulrike Hentschel: Theaterspielen als ästhetische Bildung. Über einen Beitrag produktiven künstlerischen Gestaltens zur Selbstbildung, 1996
  • Wilfried Gabriel: Personale Pädagogik in der Informationsgesellschaft. Berufliche Bildung, Selbstbildung und Selbstorganisation in der Pädagogik Rudolf Steiners, 1996
  • Florence Giust-Desprairies: Im Spiegel der Anderen. Selbstbildung in der internationalen Begegnung, 1997
  • Martha Friedenthal-Haase: Lebensführung und Selbstbildung in Medien des 18. und 19. Jahrhunderts Katalog zur Ausstellung, 25. Mai - 16. Juni 1998, 1998
  • Olaf Sanders: Romantik, Zerstörung, Pop. Studien zu einer Theorie der Selbstbildung, 2000
  • Reinhard Aulke: Vom Anspruch der Situation zur Selbstbildung des Kindes, 2001
  • Kirsten Fernandez: Bildung als Selbstbildung. Zur Kritik postmoderner Vorstellungen von der Bildung des Subjekts, 2003
  • Rie Shibuya: Individualität und Selbstheit. Schellings Weg zur Selbstbildung der Persönlichkeit (1801-1810), 2005
  • Klaus Künzel: Informelles Lernen - Selbstbildung und soziale Praxis, 2005
  • Gerd E. Schäfer: Bildungsprozesse im Kindesalter. Selbstbildung, Erfahrung und Lernen in der frühen Kindheit, 2005

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