Sidonie Adlersburg

Sidonie Adlersburg

Abschied von Sidonie ist eine Erzählung des Autors Erich Hackl (* 1954) aus dem Jahr 1989. Sie beschreibt ein tatsächliches Ereignis, Hackl recherchierte die Fakten in Kleinarbeit. Mit Einfühlungsvermögen und in knapper Sprache schildert Hackl darin das Leben des von Zigeunern ausgesetzten Findelkindes Sidonie, die von einer sozialistischen Arbeiterfamilie wie eine Tochter aufgenommen wird, bis die örtlichen Fürsorgebehörden das dunkelhäutige Kind gegen den Widerstand der Pflegeeltern vorgeblich nur zu seiner Mutter zurück, in Wirklichkeit jedoch in die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau deportieren.

Da das Buch zunehmend auch als Schullektüre Verwendung findet, enthalten einige Ausgaben Vorstufen zu der Erzählung, das Drehbuch Sidonie, Fotos, Dokumente und Gesprächsprotokolle mit Angehörigen des Mädchens.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltliche Zusammenfassung

Im Sommer 1933 wird ein dunkelhäutiges Mädchen mit dem Namen Sidonie Adlersburg vor dem Krankenhaus in Steyr ausgesetzt. Die Behörden vermuten, dass es ein Baby einer Zigeunerin ist. Josefa Breirather nimmt das Kind auf. Die Frau bemüht sich, das Kind so gut wie möglich zu erziehen. Zusammen mit ihrem sozialdemokratisch gesinnten Mann Hans Breirather erzieht sie Sidonie mit viel Sorgfalt. Das Kind wächst mit dem Sohn der Breirathers, Manfred, auf. Nachdem Hans im März 1935 aus der Haft entlassen wurde, in der er wegen seiner politischen Orientierung saß, ist seine Familie um das Kind Hilde, das etwa so alt ist wie Sidonie, welches Josefa auch in Pflege genommen hatte, gewachsen.

Die Stadt, in der die Familie wohnt, verändert sich zunehmend. Die Sozialdemokraten werden weniger und viele schließen sich den Nationalsozialisten an. Als die Deutsche Wehrmacht im März 1938 in Österreich einmarschiert und nun auch Österreich unter dem Regime von Hitler steht, gibt es kaum noch Menschen, die wie Hans Breirather sozialdemokratisch gesinnt sind. Sidonie und Hilde werden 1939 eingeschult. Sidonie ist nicht gut in der Schule, malt Bilder und träumt. Allerdings fühlt sie sich dort sehr wohl und mag die Lehrerin sehr gerne.

Im März 1943 erhält Familie Breirather ein Schreiben mit der Aufforderung, dass Sidonie zu ihrer leiblichen Mutter zurückgebracht werden soll. Hans und Josefa Breirather ahnen, dass dies der erste Schritt ist, um Sidonie mit anderen Zigeunern zu deportieren. Sie suchen beim Bürgermeister Hilfe und dieser macht falsche Versprechungen, für Sidonies Verbleib im Ort zu kämpfen. Die Fürsorgerin, der Bürgermeister und der Direktor der Grundschule wissen, dass Sidonie zwar zur ihrer leiblichen Mutter gebracht wird, dass aber die kleine 10 Jährige Sidi mit dem letzten Transport nach Auschwitz-Birkenau gebracht werden soll. Doch mit ihren Beurteilungen und ihrer mangelnden Humanität liefern sie das Mädchen dem Tod aus. Das Ehepaar Breirather kämpft verzweifelt gegen diese Entscheidung, doch sie können es nicht verhindern. Der Abschied von Sidonie ist ein Abschied für immer. Sidonie wird wirklich mit dem letzten Transport nach Auschwitz gebracht. Im Konzentrationslager stirbt sie dann - nach Aussage ihres leiblichen Bruders Joschi Adlersburg - nicht an Flecktyphus, wie zunächst vermutet, sondern an "Kränkung". Sie hat die Trennung von ihren Zieheltern, ihren eigentlichen Eltern, nicht verkraftet und ist an dieser Trauer gestorben. Familie Breirather versucht noch Jahre nach dem Krieg das Schweigen um Sidi zu brechen, doch bis heute streiten die Menschen in ihrem alten Heimatort alles ab, niemand fühlt sich schuldig.

Hans stirbt 1980. Auf seinen Grabstein lässt seine Familie neben seinem Namen noch: „Sidonie Adlersburg 1933-1943 gestorben in Auschwitz“ eingravieren.

Am Ende des Buches wird noch ein anderes Beispiel eines Zigeunerkindes in Österreich aus einem anderen Dorf erzählt, das auch in einer Pflegefamilie lebt, dem es wie Sidonie ergangen wäre, wenn sich nicht andere Leute, wie der Bürgermeister, für sie eingesetzt hätten und so verhindert haben, dass das Mädchen zu ihrer leiblichen Mutter und dann in ein Konzentrationslager deportiert wird.

Charakteristik der Personen

  • Josefa ist eine sehr liebevolle und temperamentvolle Frau und hat enorm viel Stolz. Josefa liebt ihre Pflegekinder wie ihren eigenen Sohn Manfred. Ihr ist egal, dass andere Menschen sie wegen Sidonies Hautfarbe verurteilen. Für sie zählt nicht die Hautfarbe, sondern der Mensch selbst.
  • Hans liebt seine Kinder über alles. Außerdem versucht er etwas zu verändern. In der damaligen Zeit ist dies sehr schwer, da die Menschen Angst haben und lieber sich selbst retten. Das ist auch der Grund dafür, dass er ins Gefängnis muss. Hans versucht seine Meinung so gut es geht durchzusetzen.
  • Sidonie ist ein höfliches, hilfsbereites und nettes Mädchen. Sie macht den Menschen keine Vorwürfe, wenn sie Vorurteile auf Grund ihrer Hautfarbe haben. Manchmal wehrt Sidonie sich jedoch dagegen. Die Trennung von ihrer Pflegefamilie fällt ihr sehr schwer. Sie kann nicht verstehen wieso sie weggehen muss.

Die sprachlichen Ausdrucksmittel

Das Buch beginnt mit einem direkten Einstieg in das Schicksal eines völlig unbekannten Menschen: Sidonie wird vom Pförtner des Krankenhauses entdeckt. Hackl gibt zunächst keine weiteren Informationen oder Erklärungen und so wird von Anfang an das Interesse beim Leser geweckt.

Auffällig sind die zahlreichen Angaben zu Zeit und Ort. Es werden möglichst viele Informationen zur Handlung gegeben um den Bezug zur Wirklichkeit stets deutlich zu machen. Der Leser soll wissen, dass es sich nicht um eine erfundene Geschichte handelt.

Im Gegensatz zu diesen Angaben steht der Mangel an zusätzlichen Erklärungen. Ein gewisses Hintergrundwissen muss beim Leser vorhanden sein, mit dem er sich eigene Gedanken bilden kann. Der Erzähler berichtet im Nachhinein von den Ereignissen, doch er gibt keine Vorankündigungen oder Vorverweise. Er hat den gleichen begrenzten Wissensstandpunkt wie Josefa oder Hans. Formulierungen wie „fühlte sie“, „dachte sie“, etc. werden kaum gebraucht.

An einer einzigen Stelle wechselt der Erzähler die Person:

„Dann bemühte sich Manfred, das Schweigen um das Mädchen zu brechen. [...] Eines Tages verspürte er den Drang, jemandem sein Herz auszuschütten. Er suchte den Kaplan von Sierninghofen auf, fing an zu erzählen, der andere starrte ihn wie verstört an, wie ein Gespenst, da hab ich es gleich wieder gelassen. Der hat gar nichts gesagt, mich nur so angeschaut.“

Seite 118,119 (Diogenes TB, 1991)

In der gesamten Erzählung tauchen nur sehr wenige Fragezeigen (?) und keine Anführungszeichen („“) auf. Dafür verwendet der Autor Kursivdruck und viele Kommas. Die para- und hypotaktischen Sätze sind teilweise mit Umgangssprache gespickt, dadurch wirkten die Personen noch authentischer.

Die Erzählung wirkt stilistisch sehr durchdacht.

Nachwirkungen

Im Jahre 1988 wurde in Sierning-Letten eine Gedenktafel am Jugendzentrum angebracht, die an Sidonie Adlersburg und den Völkermord erinnert. Im Jahre 2000 wurde schließlich der neu eingeweihte Gemeindekindergarten nach ihr benannt. Ein Denkmal, das vor dem Kindergarten errichtet wurde, zeigt eine Mutter, die sich schützend über ihr Kind beugt.

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