Standard-Linienbus

Standard-Linienbus

Als VÖV-Busse werden in der Bundesrepublik Deutschland entwickelte und überwiegend auch in Deutschland gefertigte Einheitstypen von Linienbussen bezeichnet. Die VÖV-Busse wurden von verschiedenen Busherstellern in nahezu identischer Ausführung nach den Vorgaben des VÖV gebaut und waren von den 1970er bis in die 1990er Jahre der typische Linienbus in Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltete sich in Deutschland eine große Vielfalt von Omnibustypen − es gab damals noch viel mehr Hersteller von Omnibussen als heute, die jeweils ein breites Programm anboten. Dies führte bei öffentlichen Verkehrsbetrieben zu dem Problem, für die unterschiedlichsten Bustypen Ersatzteile bevorraten und fachkundiges Wartungs- und Reparaturpersonal beschäftigen zu müssen. Die Hamburger Hochbahn regte daher 1959 an, einen deutschen Einheits-Stadtbus-Typ zu konstruieren, um Beschaffung, Wartung und Reparatur der Busse zu vereinfachen und dadurch die Kosten zu senken. Mit der Umsetzung dieser Aufgabe beschäftigte sich der Verband Öffentlicher Verkehrsbetriebe (VÖV), der 1991 im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) aufging. Ergebnis war ein Standard-Linienbus und, daraus abgeleitet, ein Standard-Überlandlinienbus (StÜLB).

1. Generation: VÖV-I-Bus

Standard-Linienbus

VÖV-Standard-Linienbus Mercedes-Benz O 305
MAN SL 200 der ÜSTRA Hannover

Der im Oktober 1966 vom VÖV eingerichtete Arbeitskreis „Standard-Linienbus“ erarbeitete unter maßgeblicher Mitarbeit der FFG Fahrzeugwerkstätten Falkenried (damals Teil der Hamburger Hochbahn) Kriterien für einen modernen Linienbus mit mehr Fahrgast-, Bedien- und Wartungsfreundlichkeit. Die von unterschiedlichen Verkehrsbetrieben stammenden zehn Mitglieder legten bei den im vierwöchigen Abstand stattfindenden Sitzungen mit einfacher Mehrheit bindende Beschlüsse fest. Dabei wurde der Einfachheit halber lediglich vom zweiachsigen Eindecker ausgegangen. Die Standardisierung sollte sich auf den Wagenkörper, seine Einrichtungen und die elektrische Anlage konzentrieren[1]. Für die endgültigen Festlegungen bei den Punkten Fußbodenhöhe, Fahrerplatz und blendfreie Frontscheibe wurden jeweils Gutachten bei verschiedenen Instituten eingeholt.

1967 wurden die ersten Prototypen nach diesen Vorgaben durch Büssing, Magirus-Deutz und Daimler-Benz vorgestellt. Der Prototyp von Magirus-Deutz war von Oktober 1967 bis September 1968 in Hamburg im Probeeinsatz. Die gemachten Erfahrungen der Werkstätten, Fahrer und Fahrgäste flossen in die endgültige VÖV-Richtlinie „Typenempfehlung für einen VÖV-Standard-Linienbus“ (SL) ein. Das Lastenheft forderte Fahrzeuge mit einer Länge von 11 m mit einem Fensterteiler von 1430 mm (7x), zweiflügelige Türen mit einer lichten Durchgangsbreite von 1250 mm, Heckmotor und einem für damalige Zeit niedrigem Wagenboden (725 mm) mit zwei Stufen (je 200 mm) an den beiden Türen. Die Motorleistung sollte mindestens 12 PS/t bezogen auf das Gesamtgewicht betragen. Auf der Außenseite des Fahrerplatzes war ein zentrales Elektrofach vorgesehen. Der Fahrerarbeitsplatz war einheitlich gestaltet (sog. VÖV-Fahrerplatz), die zweiteilige Windschutzscheibe war zur Verhinderung von Blendungen aus dem Innenraum horizontal gewölbt. Die Anordnung der Sitze war vorgegeben, als Anzahl waren 44 bei 2+2-Vollbestuhlung bzw. 37 bei 2+1-Anordnung zwischen den Türen vorsehen. Das ergab eine Stehplatzanzahl von 61 bzw. 78. Gegenüber der Mitteltür war Platz für die Mitnahme zweier Kinderwagen vorgesehen. Neu war auch die Einheitlichkeit der Haltestangen mit Anordnung von Signalknöpfen für den Ausstiegswunsch der Fahrgäste. Für die Vereinheitlichung der Elektrik gab es einen Verkabelungsplan, auch Lage und Größe von Beleuchtung, Beschilderung, selbst für die Reklameflächen wurde fest gehalten.

Die Fahrzeuge waren in ihren Maßen und Aufteilungen weitgehend gleich, die Motoren waren individuell. Wichtige Teile wie z.B. die Fensterscheiben, die Türen, die Beleuchtungseinrichtungen und die Zielschildkästen waren dagegen herstellerunabhängig identisch und demnach austauschbar. Dies diente sowohl den Busherstellern (durch geringere Kosten bei den Zubehörteilen, die durch ihre Einheitlichkeit insgesamt höhere Stückzahlen erreichen), den Verkehrsbetrieben (durch vereinfachte Ersatzteilhaltung und einheitliche Handhabung der unterschiedlichen Fabrikate bei Werkstatt- und Fahrpersonal) als auch den Fahrgästen (ein Griff, und schon ist der Haltegriff in der Hand).

MAN/Göppel Gelenkbus nach VÖV-Richtlinien der BSAG; Aufnahme Ende der 1980er Jahre

Vorgesehen wurde auch eine kleinere Version des Standard-Linienbusses durch Verkürzung um einen Fensterteiler (1430 mm) auf 9,57 m Länge und eine abgeleitete Version als Überland-Linienbus durch Verlängerung des hinteren Überhangs auf 3,3 m und einen um 150 mm auf 875 mm angehobenen Fußboden zur Unterbringung von mehr Sitzplätzen (14 Reihen mit Blickrichtung vorwärts), eines Reserverades und eines Werkzeugfachs. Angeregt wurde die Überlegung, auf Basis dieser Überland-Variante mit erhöhtem Fußboden einen „Gelenkzug-Motorwagen“ zu konstruieren.

In Anlehnung an die VÖV-Vorgaben wurden dann Gelenkbusse von Aufbauherstellern wie Göppel und Vetter und Anderthalbdecker von Ludewig und Vetter hergestellt. Diese hatten aber im Gegensatz zum Standardbus einen unterflur angeordneten Mittelmotor und dadurch einen höheren Wagenboden.

Standard-Doppeldecker MAN-Büssing

1972 entwickelten die Gaubschat Fahrzeugwerke einen Doppeldeckerbus mit Heckmotor für die Berliner BVG. Dieser Standard-Doppeldecker (MAN SD 200) hatte einen sehr niedrigen Wagenboden (400 mm) und MAN-Komponenten. Die Aufbauten fertigte das Berliner Werk der Orenstein & Koppel, später die Thyssen Waggon-Union.

Ab 1978 fertigte Daimler-Benz durch Nutzung der bei FFG entwickelten Knickschuzsteuerung des Gelenks einen Schubgelenkbus (MB O 305 G) mit Heckmotor komplett in Eigenregie ohne Nutzung von Aufbauherstellern. Später baute auch Magirus-Deutz einen eigenen Gelenkbus mit Heckmotor, allerdings mit Antrieb über Kardanwelle durch das Gelenk auf die zweite Achse. Für MAN baute weiterhin Göppel den Gelenkbus, nun allerdings auch mit Heckmotor.

Als Hersteller beschäftigten sich mit dem VÖV-Bus die Unternehmen:

In der Übergangszeit nach der Übernahme von Büssing durch MAN gab es VÖV-Busse auch mit dem Markennamen „MAN-Büssing“ (ab 1971); nach der Eingliederung von Magirus-Deutz in IVECO auch mit dem IVECO-Schriftzug. Die Busse von Gräf & Stift und Steyr wurden unter den Namen Gräf & Stift, Gräf & Deutz (wenn ein Magirus-Deutz-Chassis verwendet wurde) und Gräf/Steyr verkauft. Gräf & Stift gehörte ab 1971 zu MAN, die Nutzfahrzeugproduktion von Steyr ab 1989. Die Fahrwerke und Motoren von Mercedes-Benz und MAN wurden auch von Kässbohrer (SETRA) und Neoplan für den Bau von Stadtbussen verwendet, die jedoch in wesentlichen Punkten nicht den Standardisierungsrichtlinien entsprachen.

Die VÖV-I-Busse verbreiteten sich schnell, es gab wohl kaum eine Stadt in der Bundesrepublik Deutschland, in der die Fahrzeuge nicht eingesetzt wurden. Die VÖV-Busse wurden auch ins Ausland exportiert und zum Teil dort (auch in Lizenz) gebaut. Auch einzelne Elemente des deutschen Standardbusses wie das zentrale Elektrofach oder die blendfreie Windschutzscheibe wurden von in- und ausländischen Busherstellern (z.B. Volvo für Stadtbusse) übernommen.

Standard-Überlandbus StÜLB

StÜLB-I Mercedes-Benz O 307
StÜLB-I Magirus-Deutz L117

Als Ergänzung zum Standard-Stadtlinienbus wurde ein Überlandbus gefordert, der von Bundesbahn, Bundespost und den in den Verbänden BDE und BDP zusammen geschlossenen Unternehmen eingesetzt werden würde. Bereits 1968 bzw. 1969 wurden auf Basis des Standard-Linienbusses von Büssing und Mercedes-Benz hierfür Busse mit mehr Sitzplätzen hergestellt. Dazu wurde der hintere Überhang um 30 cm auf 3,3 m vergrößert, um eine Sitzreihe mehr unterbringen zu können bzw. den Sitzteiler zu vergrößern. Die Gesamtlänge betrug nun 11,3 Meter.

1973 wurde eine besondere Richtlinie zum Bau eines Standard-Überlandlinienbus (StÜLB) heraus gegeben. Er war etwas länger (11,7 m) als der SL-I-Bus, bot mehr und bequemere Sitzplätze (53, Sitzteiler 720 mm), hatte einen etwas höheren Wagenboden (900 mm) für Unterflur-Kofferräume, Außenschwingtüren (vorn nur einfachbreit), außerdem eine abgerundetere Front mit vertikal an den Seiten gebogenen Windschutzscheiben. Da diese gefälliger war als die VÖV-Front, wurden auch die VÖV-I-Stadtbusse nun fakultativ mit StÜLB-Front angeboten. Andererseits war der Überlandbus auch mit doppeltbreiter Vordertür lieferbar, verschiedene Hersteller boten auch andere Türanordnungen (z.B. schmale Mitteltür bei MAN, schmale Hecktür bei Magirus).

Der StÜLB wurde besonders zahlreich an die Deutsche Bundespost und die Deutsche Bundesbahn geliefert. Hersteller waren Magirus-Deutz und Mercedes-Benz, etwas später auch MAN. Auf Basis des StÜLB entstanden bei Magirus-Deutz auch Kombibusse (Typ L117P). Hier wurden die Sitze auf höhere Podeste gestellt, um das Kofferraumvolumen zu erhöhen. Außerdem wurde anstatt des Mittelausstiegs eine einfachbreite Tür hinter der Hinterachse angeboten. Es gab auch eine besondere Version des Karosseriebauers Voll in Würzburg.

SL-I- und StÜLB-Modelle

2. Generation: VÖV-II-Bus

Standard-Linienbus II (SL II)

SL-II-Bus von Mercedes-Benz (Stadtbus; Typ O 405)
VÖV-II-Gelenkbus von MAN (Stadtbus; ehemaliges Fahrzeug der ÜSTRA)

Mitte der 1970er Jahre stellte der VÖV Überlegungen zum Nachfolger des VÖV-I-Busses an. Dabei sollten u.a. die Informationseinrichtungen verbessert und der Sitzteiler etwas vergrößert werden, was eine größere Gesamtlänge zur Folge hatte. Insbesondere sollte aber die Einstiegssituation verbessert werden. Um die Höhe des Fahrzeugbodens zu verringern, und nur noch eine Stufe im Fahrzeug zu haben, wurden kleinere Räder mit sog. 55-%-Reifen vorgesehen. Die FFG stellte 1976 einen Versuchsbus vor, nach dessen Erprobung bei der HHA folgten 22 Prototypen als sogenannte S 80 (Stadtbus der 80er Jahre). Die Motorleistung sollte mindestens 240 PS betragen. Nach der zweijährigen Erprobung der S 80 bei acht verschiedenen Verkehrsbetrieben wurde die Typenempfehlung des VÖV zum sog. SL II überarbeitet. Die 55-%-Reifen bewährten sich nicht, jetzt wurde eine 70-%-Bereifung vorgesehen. Die Wagenlänge betrug 11.475 mm, die Fußbodenhöhe lag jetzt bei 710 mm, die Einstiege wiesen wieder zwei, allerdings kleinere Stufen von 195 mm auf. Es waren verschiedene Bestuhlungen vorgesehen mit 38 bzw. 44 Sitzplätzen. 1982 wurden drei Prototypen eines Gelenkbusses G 80 der MAN mit Heckmotor und Antrieb über Kardanwelle auf die zweite Achse bei der Rheinbahn in Düsseldorf getestet. Ab 1984 begann die Serienfertigung der Stadtlinienbusse der zweiten Generation bei den Herstellern MAN (SL 202), Daimler-Benz (MB O 405) und Neoplan (N 416). Waggon-Union stellte wiederum Doppeldecker auf MAN-Basis her, die dem Lastenheft nach Möglichkeit entsprachen.

Überlandbus Ü 80

1979 wurde bei den FFG der Prototyp der Überlandvariante hergestellt, bezeichnet als Ü 80. Er unterschied sich vom VÖV-II-Stadtbus durch eine etwas größere Wagenlänge (11.810 mm), kleinere Fahrtzielanzeige vorn, Außenschwingtüren (vorn einfachbreit) und mehr und bequemere Sitzplätze. Der Fahrzeugboden lag vorn 760 mm und in der Mitte 860 mm über der Fahrbahnhöhe und konnte über zwei 190 mm bzw. 240 mm hohe Stufen im Bus erreicht werden. Die Serienwagen wurden von Mercedes (O 407) und von Neoplan (N 416 Ü) hergestellt. Von Magirus-Deutz und Kässbohrer entstanden Prototypen, eine Serienfertigung des VÖV-II kam bei diesen Herstellern jedoch nicht zustande. Kässbohrer Setra gab dieses Projekt zugunsten des eigenständigen S 215 UL auf, der sich dann zum erfolgreichsten Überlandbus seiner Zeit entwickelte. MAN baute zunächst den StÜLB (SÜ 240) weiter und ersetzte diesen später durch die ÜL 242/ÜL 272, die auf dem VÖV-II-Bus basierten, auch wenn ihnen das äußerlich kaum anzusehen war.

Auch die VÖV-II-Busse waren weit verbreitet; auch von diesem Typ konnten Fahrzeuge ins Ausland verkauft werden. Das Aufkommen der Niederflurbusse in den 1990er Jahren läutete das schleichende Ende der VÖV-Fahrzeuge ein. Bei den Herstellern überstiegen die Produktionszahlen der wieder bei jedem Hersteller individuell entwickelten Niederflurmodelle rasch diejenigen der VÖV-II-Modelle. Im Jahr 2000 lief der letzte VÖV-II-Bus bei Mercedes-Benz vom Band. Auch bei den Busbetreibern werden VÖV-II-Fahrzeuge seltener, die Vielfalt der Bustypen nimmt seitdem wieder stark zu.

SL-II- und Ü-80-Modelle

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. O.W.O. Schultz: Standard-Linien-Bus: Entwicklung − Grundzüge − Ergebnisse. In: Lastauto Omnibus, Heft 10/1968, Vereinigte Motor-Verlage GmbH, Stuttgart 1968

Quellen und Literatur

  • Jürgen Jacobi: 10 Jahre Standardbus. Verlag Wolfgang Zeunert, Gifhorn 1977, ISBN 3-921237-40-8
  • O.W.O. Schultz: Typenempfehlungen für den Standard-Linienbus II − Entwicklung des Prototyps. Abschlußbericht zum FE-Vorhaben TV 7431, Hamburg-Consult (Tochterfirma der Hamburger Hochbahn), Hamburg 4/1977
  • Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe (VÖV): Unverbindliche Typen- und Konditionenempfehlung für den Standard-Linienbus SL II. VÖV-Schriften, Reihe Technik, Ausgabe Juli 1983, Köln 1/1984
  • O.W.O. Schultz: »ÖNV-Bus Ü80« − Prototyp −. Teilschlussbericht zum TV 7666, FFG Falkenried im Auftrag des BMFT, Hamburg 11/1983
  • FFG, SNV, STUVA, TU Hannover Inst. f. Verkehrswirtschaft, Straßenwesen und Städtebau: Bus-Verkehrssystem − Fahrzeug Fahrweg Betrieb. S. 73−108, Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe (VÖV) u. Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA), Alba Buchverlag, Düsseldorf 2/1979, ISBN 3-87094-771-3
  • Ingo Kasten: Initialzündung − Standardbusse (Teil I). In: lastauto omnibus, Heft 7/1981, S. 66−69, Vereinigte Motor-Verlage GmbH & Co. KG, Stuttgart 1981
  • Ingo Kasten: Ausstrahlung − Standardbusse (Teil II). In: lastauto omnibus, Heft 8/1981, S. 68−71, Vereinigte Motor-Verlage GmbH & Co. KG, Stuttgart 1981

Weblinks


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