Stanislaw Petrow

Stanislaw Petrow

Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow (russ.: Станислав Евграфович Петров; * 1939) ist ein Oberstleutnant a. D. der Sowjetarmee, der am 26. September 1983 als leitender Offizier im Kontrollraum der Kommandozentrale der sowjetischen Satellitenüberwachung einen vom System gemeldeten vermeintlichen Raketenangriff der USA auf die UdSSR als Falschalarm einstufte und damit das Auslösen eines Atomkriegs, des ob des Kalten Krieges befürchteten Dritten Weltkriegs, verhinderte.

Aus Gründen der militärischen Geheimhaltung und wegen politischer Spannungen wurde Petrows Vorgehen bis 1998 geheim gehalten.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Spätestens ab 1947 standen die USA und die UdSSR in einem in unterschiedlicher Intensität geführten, so genannten Kalten Krieg.

Die Spannungen zwischen den beiden Supermächten fanden Ausdruck in der Bildung der beiden Bündnissysteme NATO und Warschauer Pakt und gipfelten in einem beispiellosen permanenten Wettrüsten. Beide Parteien versuchten, ihre Positionen mit Hilfe von immer weiter entwickelten, mächtigeren Waffenarsenalen zu festigen. Mit der erneuten Verschärfung der Spannungen um 1980 hatten beide Seiten bereits ein Vielfaches der zum Auslöschen des Gegners erforderlichen nuklearen Zerstörungskraft akkumuliert (Overkill). So entstand ein fragiles Gleichgewicht der Mächte, jeweils von automatischen Frühwarnsystemen beschirmt, welche im Fall eines gegnerischen Erstschlages die absolute Vergeltung in Form der totalen Vernichtung des Angreifers auslösen sollten (Mutual assured destruction). Im Jahr 1983 war das Verhältnis zwischen den beiden Blöcken als Folge des Abschusses des Korean-Airlines-Flugs 007 durch die Sowjetunion am 1. September und durch die Vorbereitung des NATO-Manövers Able Archer 83 zusätzlich gespannt. Letzteres sollte einen Atomkrieg simulieren, wurde wegen seines hohen Geheimhaltungs- und Realitätsgrads von östlichen Geheimdiensten aber als reale Vorbereitung eines Nuklearschlags gegen die Sowjetunion gewertet.

Der Vorfall

Oberstleutnant Stanislaw Petrow war diensthabender Offizier im Serpuchow-15-Bunker (ungefähr 50 Kilometer südlich von Moskau). Seine Aufgabe bestand in der computer- und satellitengestützten Überwachung des Luftraumes. Im Fall eines nuklearen Angriffes auf die UdSSR sah die Strategie einen mit allen Mitteln geführten sofortigen nuklearen Gegenschlag vor.

Kurz nach Mitternacht des 26. September 1983 meldete der Computer eine auf die Sowjetunion anfliegende amerikanische Atomrakete. Petrow schlussfolgerte die Unwahrscheinlichkeit eines solchen Angriffes, da es militärisch sinnlos wäre, den Feind mit einer einzigen Rakete anzugreifen. Der massive Gegenschlag würde die totale eigene Auslöschung des Aggressors bedeuten. Zusätzlich war die Verlässlichkeit des Satellitensystems in letzter Zeit mehrfach in Frage gestellt worden. Petrow stufte den Vorfall als falschen Alarm ein.

Kurze Zeit später meldete das Computersystem eine zweite, dritte, vierte und fünfte abgefeuerte Rakete. Petrow glaubte weiterhin an einen Falschalarm, hatte jedoch keinerlei andere Quellen, um seine Vermutung zu überprüfen. Die Reichweite des landgestützten sowjetischen Radars war dermaßen kurz, dass es zum Entdeckungszeitpunkt bereits zu spät gewesen wäre.

Unter derart erheblichem Druck stehend, blieb Petrow aber bei der Entscheidung, die Informationen, die zu einem Gegenangriff geführt hätten, nicht weiterzuleiten. Er setzte weiterhin auf einen Computerirrtum, im Bewusstsein, dass im Falle eines Irrtums umgehend Dutzende nukleare Sprengköpfe über seinem Heimatland niedergehen würden. Da das Satellitensystem aber nur fünf abgefeuerte Raketen meldete, ging er von einem Falschalarm aus. Ein tatsächlicher Angriff hätte seiner Ansicht nach mit deutlich mehr Waffen stattfinden müssen.

Kurz danach an diesem Morgen stellte sich heraus, dass Petrows Einschätzungen richtig waren – das satellitengestützte sowjetische Frühwarnsystem hatte Sonnenreflexionen auf Wolken in der Nähe der Malmstrom Air Force Base in Montana, wo auch amerikanische Interkontinentalraketen stationiert waren, als Raketenstarts fehlinterpretiert. Auch wenn den Befehl zum Gegenschlag letztlich noch das sowjetische Oberkommando und die Staatsführung hätte anordnen müssen, hatte Petrow durch sein umsichtiges Verhalten die hierarchische Kettenreaktion bis zu einem möglichen Nuklearkrieg rechtzeitig unterbrochen.

Das Nachspiel

Indem er sich weigerte, die automatischen Warnungen weiterzugeben, handelte Petrow – einen Atomkrieg verhindernd – den Vorschriften zuwider. Dementsprechend wurde er von seinen Vorgesetzten mehrfach verhört und galt fortan als unzuverlässiger Offizier.

Er wurde für sein Verhalten weder belobigt noch belohnt – aber auch nicht bestraft. Es deckte die Unzulänglichkeit des sowjetischen Militärsystems auf und rückte seine Vorgesetzten in ein schlechtes Licht. So bekam er von offizieller Seite einen Verweis für falsche Archivierung von Schriftangelegenheiten, und seine einst vielversprechende Karriere fand ein jähes Ende. Er wurde auf einen weniger heiklen Posten versetzt und verließ die Armee aus eigenem Entschluss wegen seiner kranken Frau.[1] Petrow lebt seitdem in ärmlichen Verhältnissen als Rentner in Frjasino.

Die Association of World Citizens mit Sitz in San Francisco zeichnete Petrow sowohl am 21. Mai 2004 in Moskau – wo ihm mit der Auszeichnung auch eintausend US-Dollar überreicht wurden – als auch am 19. Januar 2006 im UN-Hauptquartier in New York mit dem World Citizen Award aus.

Populärkultur

  • Die deutsche Band Beehoover widmete ihm das Lied Stanislav Petrov.
  • Der ebenfalls im Jahre 1983 entstandene US-amerikanische Film War Games – Kriegsspiele, behandelt ein ähnliches Szenario, in dem ein (allerdings amerikanischer) Befehlshaber an der Realität des vom Rechner angezeigten Raketenangriffs zweifelt.

Siehe auch

  • Wassili Archipow (sowjetischer Marineoffizier, der während der Kubakrise an Bord des mit nuklearen Torpedos bestückten U-Bootes B-59 war)

Einzelnachweise

  1. Henning Sietz: Petrows Entscheidung. In: Die Zeit. Nr. 39, 18. September 2008 (ZEIT ONLINE ; Stand: 9. November 2008). 

Weblinks


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