Stressfraktur

Stressfraktur
Klassifikation nach ICD-10
T14.2 Knochenbruch
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Ein Knochenbruch oder Fraktur (lat.: frangere - brechen) ist eine Unterbrechung der Kontinuität eines Knochens unter Bildung zweier oder mehrerer Bruchstücke (Fragmente) mit oder ohne Verschiebung (Dislokation).

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

  • Gewalteinwirkungen und/oder bei erhöhter Belastung:
    • direkte Gewalteinwirkung (Schläge, Stöße usw.)
    • indirekte Gewalteinwirkung (frakturfern, Hebelwirkung)
    • wiederholte Einwirkung von Mikrotraumen (Ermüdungsbruch), z. B.: Marschfraktur
  • ohne Gewalteinwirkung („adäquates Trauma“) und/oder bei normaler Belastung bei vorgeschädigtem Knochengewebe
    • Pathologische Fraktur
    • Spontanfraktur

bei schwerer Osteoporose, Knochentumoren, Metastasen und Osteomalazie.

Fraktur des Armes
Röntgenbild einer Fersentrümmerfraktur mit Verplattung

Häufigkeit

Hüftfrakturen sind nach neuen Studiendaten offenbar häufiger als bisher angenommen: Schätzungsweise 141 pro 100 000 Einwohner erleiden jährlich in Deutschland eine Hüftfraktur. Damit sind diese Frakturen als häufiges Ereignis zu bezeichnen. Icks et al. hatten auf Basis der Krankenhausdiagnosestatistik bundesweit alle Entlassungsfälle mit der Diagnose Hüftfraktur im Jahr 2004 analysiert [1]. Es wurden 116 281 Patienten mit mindestens einem Krankenhausaufenthalt pro Jahr wegen Hüftfraktur errechnet. Das entspreche einer Inzidenz von 141 pro 100 000 Einwohner. Bisher wurde die Inzidenz aufgrund von Daten einer großen bundesweiten Krankenkasse auf 122 pro 100 000 Einwohner geschätzt. Hüftfrakturen sind bei Osteoporose-Patienten außer Wirbelfrakturen eine besonders gefürchtete Komplikation. Denn schätzungsweise 30 Prozent der Betroffenen sterben innerhalb eines Jahres. Und: Jeder Dritte mit Hüftfraktur wird dauerhaft invalide. [2]

Frakturzeichen

Unsichere Frakturzeichen sind die fünf Entzündungszeichen:

  • Schmerz (Dolor)
  • Schwellung (Tumor)
  • Bluterguss (Hämatom), daraus resultierend: Röte (Rubor) und Wärme (Calor)
  • eingeschränkte Beweglichkeit (Functio laesa)

Sichere Frakturzeichen sind

  • aus der Wunde ragende Fragmente
  • Achsenfehlstellungen (z. B. Fuß zeigt in die falsche Richtung)
  • abnorme Beweglichkeit
  • Knirschen der Bruchstelle (sog. Krepitation).

Bei Verdacht auf Vorliegen einer Fraktur wird in der Regel eine Röntgenuntersuchung notwendig.

Einteilung der Frakturen

Man unterscheidet Frakturen nach mehreren Kriterien:

  • Zahl der Fragmente
  • Lokalisation
  • Vollständigkeit (komplett/inkomplett)
  • AO-Klassifikation
  • offene und geschlossene Frakturen

Nach der Zahl der Fragmente

  • Einfragmentfrakturen (nur ein Frakturspalt)
  • Stückfrakturen (bis zu drei zusätzliche Fragmente)
  • Trümmerfrakturen (mehr als drei zusätzliche Fragmente)

Nach der Lokalisation

  • Schaftfrakturen (diaphysäre Frakturen)
  • Gelenknahe Frakturen (metaphysäre Frakturen)
  • Gelenkfrakturen (Frakturen mit Beteiligung der Gelenkfläche und Luxationsfrakturen)

AO-Klassifikation

Eine systematische Klassifikation der Frakturen der langen Röhrenknochen wurde 1958 von der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) entwickelt [3]. Diese AO-Klassifikation wird heute allgemein als Grundlage der Beschreibung von Frakturen sowohl im klinischen Alltag als auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwendet.

Die AO-Klassifikation besteht primär aus vier Zahlen oder Buchstaben zur Beschreibung eines Knochenbruches. Weitere Codes beschreiben den assoziierten Haut-, Weichteil- und vaskulärnervösen Schaden.

1. Nummerierung der Körperregion

2. Position innerhalb der Region

  • 1 = proximal (d. h. körpernahes Knochenende)
  • 2 = diaphysär (d. h. Knochenschaft ist betroffen)
  • 3 = distal (d. h. körperfernes Knochenende)

3. Bewertung der Fraktur nach Kompliziertheit, Prognose

  • Bei Schaftfrakturen
    • A = einfache Fraktur
    • B = Keilfraktur
    • C = komplexe Fraktur
  • Bei Gelenkfrakturen
    • A = extraartikulär
    • B = partielle Gelenkfraktur
    • C = vollständige Gelenkfraktur

Beispiele

  • 22A1 wäre demnach eine einfache Fraktur in der Mitte des Unterarms, medizinisch ausgedrückt eine Ulnaschaftfraktur
  • 23C3 wäre eine schwere Fraktur des distalen Unterarmes, wobei sowohl Ulna als auch Radius mehrfach zersplittert sind (Trümmerfraktur des Handgelenkes)
  • 32A3 wäre eine Fraktur in der Mitte des Femur mit zusätzlicher Achsenfehlstellung

Offene oder Geschlossene Fraktur

Des Weiteren wird zwischen offenen Frakturen und geschlossenen Frakturen unterschieden. Der Schweregrad der Weichteilverletzung wird nach Tscherne und Oestern[4] in beiden Fällen wie folgt dokumentiert:

Geschlossene Frakturen

  • Grad 0: Keine oder unbedeutende Weichteilverletzung, indirekte Gewalteinwirkung, einfache Frakturform
  • Grad I: Oberflächlich Hautabschürfung oder Quetschung Kontusion durch Fragmentdruck von innen, einfache bis mittelschwere Frakturform
  • Grad II: Tiefe, verschmutzte Hautabschürfung, Kontusion durch direkte Gewalteinwirkung, drohendes Kompartmentsyndrom, mittelschwere bis schwere Frakturform
  • Grad III: Ausgedehnte Hautkontusion oder Zerstörung der Muskulatur, subkutanes Decollement, manifestes Kompartmentsyndrom, Verletzung eines Hauptgefäßes

Offene Frakturen

offene Luxationsfraktur: Aufgrund des Bildes alleine kann der Grad der Weichteilschädigung nicht sicher angegeben werden!
  • Grad I: Durchspießung der Haut, unbedeutende Verschmutzung Kontamination einfache Frakturform.
  • Grad II: Durchtrennung der Haut, umschriebene Haut- und Weichteilkontusion, mittelschwere Kontamination, alle Frakturformen
  • Grad III: Ausgedehnte Weichteildestruktion, häufig Gefäß-und Nervenverletzung, starke Wundkontamination, ausgedehnte Knochenzertrümmerung
  • Grad IV: „Subtotale“ (d. h. unvollständige) Amputationsverletzung, wobei weniger als 1/4 des Weichteilmantels intakt ist und ausgedehnte Verletzungen von Nerven und Blutgefäßen Vorliegen.


Im anglo-amerikanischen Sprachraum wird für die offenen Frakturen meist die Klassifikation nach Gustilo und Anderson verwendet, die der vorstehenden Klassifikation sehr ähnlich ist, jedoch statt Grad IV anzugeben, den Grad III in Grad IIIA-C unterteilt.[5]

Übersicht der Frakturformen

Querfraktur

Einfache, querverlaufende Fraktur. Entsteht oft durch direkte Krafteinwirkung auf die feststehende Extremität, z. B. durch eine Blutgrätsche beim Fußball.

Schrägfraktur

Wie Querfraktur, aber in unterschiedlichem Winkel schrägverlaufende Frakturlinie. Unfallhergang auch ähnlich, nur mit schräg einwirkender Kraft.

Spiral- oder Torsionsfraktur

Eine lange Spiralfraktur des proximalen Oberschenkels

Auf kürzerer oder längerer Strecke spiralig verlaufende Frakturlinie. Entsteht durch indirekte Gewalteinwirkung (Verdrehung der feststehenden Extremität). Häufig beim alpinen Skisport.

Berstungsfraktur

Kommt am knöchernen Schädel vor. Fraktur durch Einwirkung stumpfer Gewalt. Sternförmige Frakturlinien, oft auch mit Eindrückung von Fragmenten.

Kompressionsfraktur

Fraktur durch Gewalteinwirkung auf die Längsachse eines Knochens. Unfallhergang oft Sturz aus größerer Höhe.

Beispiele:

Abrissfraktur

Wird auch „knöcherner Ausriss“ genannt. Als Mechanismus liegt eine plötzliche Spannungssteigerung einer Sehne oder eines Bandes am knöchernen Ansatz zugrunde. Aufgrund der - vor allem bei jüngeren Menschen - höheren Zugfestigkeit der Sehnen und Bänder im Vergleich mit dem Knochen wird eine Kortikalisschale oder gar ein ganzes Knochenfragment abgerissen.

Beispiele:

  • Außenknöchelbruch (Weber-A)
  • Abriss der Basis des V. Mittelfußknochens (durch die Sehne des Musculus peroneus brevis)
  • Abriss des Epicondylus ulnaris bei der Ellbogenluxation

Abscherfraktur

Auch Meißelfraktur genannt: Bei Stauchung eines Gelenkes wird ein Teil des Knochens wie mit einem Meißelschlag abgeschert. Kommt am Speichenköpfchen und am Schienbeinkopf vor.

Grünholzfraktur

Kindliche Frakturform, die Knochenhaut (Periost) reißt nicht, es kommt zur Knickbildung wie bei einem frischen grünen Zweig.

Ermüdungsfraktur

(Synonyme: Ermüdungsbruch, Stressfraktur) Fraktur durch ständige zyklische Belastung eines Knochens. Am Mittelfußknochen auch „Marschfraktur“ genannt.

Die Diagnostik gestaltet sich schwierig, da im Röntgen eine solche Fraktur erst nach einer periostalen Reaktion nach einigen Wochen sichtbar wird und damit eigentlich der Knochen wieder verheilt ist.

Pathologische Fraktur

Die Fraktur ohne „adäquates Trauma“ wird pathologische Fraktur oder auch Spontanfraktur genannt. Typische Beispiele sind die Kompressions- oder Sinterungsfrakturen der Wirbelkörper bei schwerer Osteoporose und die Spontanfrakturen im Bereich von Knochenmetastasen bösartiger Tumoren, typischerweise beim Mammakarzinom und Prostatakarzinom.

Komplikationen

Beispiele:

Diagnostik, Frakturheilung und Behandlung

Siehe Hauptartikel Knochenbruchbehandlung.

Erste Hilfe

Maßnahmen

Der Knochenbruch wird durch den Ersthelfer weder eingerenkt noch gerichtet. Der Verunglückte ist so wenig wie möglich zu bewegen oder zu transportieren. Man lagert ihn ruhig und fixiert wenn nötig zum Beispiel mit Dreiecktüchern aus dem Verbandkasten oder zusammengerollten Decken die Bruchstelle. Dabei ist auf die aktuelle Position des Verletzen Rücksicht nehmen – er wird von sich aus eine Schonhaltung einnehmen – hierbei gilt es den Patienten dabei zu unterstützen und zu entlasten. Die Lagerung sollte sicher und ausreichend geschützt vor Unterkühlung oder Überhitzung sein. Da bei der Fraktur großer Knochen oder mehrerer Knochen sowie eventueller Weichteilschäden oder innerer Verletzungen die Gefahr eines Schocks besteht, sollte der Verletzte nicht alleine gelassen werden. Bei der Lagerung ist darauf zu achten, dass im Falle eines Schocks genügend Platz für entsprechende Maßnahmen besteht.

Durch offene Brüche verursachte blutende Wunden werden wie andere Blutungen auch versorgt (Wundauflage aber kein Druckverband!). Hervorstehende Knochenteile sind dabei gegebenenfalls wie Fremdkörper zu behandeln, das heißt schonend und steril abdecken.

Weitere Versorgung

Nach der ruhigen Lagerung wird mit den weiteren Maßnahmen zur Versorgung des Patienten fortgefahren, wichtig ist dabei

  • Überwachung auf Schock,
  • Kontrolle der Vitalparameter (Atmung, Puls) in regelmäßigen Abständen,
  • Versorgung von blutenden Wunden
  • Erhaltung der Körperwärme (siehe Unterkühlung), zum Beispiel mit Hilfe einer Rettungsdecke oder Kleidungsstücken.
  • DMS-Kontrolle (Durchblutung, Motorik, Sensorik)
  • gegebenenfalls Stabilisierung der Körper- und Lebensfunktionen

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. DMW 133, 2008, 125
  2. Zitiert nach Ärzte-Zeitung, 16. Juli 2008
  3. Maurice E. Müller: The Comprehensive Classification of Fractures of Long Bones in: M.E. Müller u. a. (Hrsg.): Manual of Internal Fixation. 3. Auflage. S. 118ff. Springer-Verlag, Berlin – Heidelberg – New York – Tokyo, 1991, ISBN 3-540-52523-8
  4. A. Rüter,O. Trentz und M. Wagner (Hrsg.): Unfallchirurgie, S. 69, Verlag Urban und Schwarzenberg, München - Wien - Baltimore, 1995, ISBN 3-541-17201-0
  5. ebenda

Weblinks

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