Ta'ziya

Ta'ziya
Selbstgeißelung im Rahmen der Muharram-Passionsfeiern

Die schiitischen Passionsspiele (Ta'ziya, dt.: Beileidsausdruck; auch Muharram-Passionsfeiern) sind eine zehntägige Trauerzeremonie, in der die Schiiten ihren Kummer über den Tod des dritten Imam Al-Husain ibn 'Alī in der Schlacht von Kerbela ausdrücken. Die Passionsfeiern gelten als wichtigstes Ritual im schiitischen Islam.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Im Jahre 680 starb der dritte Imam Husain mit seiner Gefolgschaft im Kampf gegen die zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegenen Truppen des Umayyaden-Kalifen Yazid I. den Märtyrertod. Diese Schlacht von Kerbala ist tief in der Religiosität der Schiiten verwurzelt. Die erste Überlieferung der gemeinsamen Trauer um Husain zeugt aus dem Jahre 684[1], das Passionsfest wurde erstmals 963 in Bagdad veranstaltet[2][3]. Die Feierlichkeiten beginnen am ersten Tag des Monats Muharram und steigern sich bis zum 10. Muharram, den Todestag Husains, in ihren Höhepunkt, den Aschura.

Ablauf

Prozessionen in Bahrain 2005.

Im Mittelpunkt steht zum einen das Klagen, das Weinen und die Selbstgeißelung der Gläubigen. Das Leid soll die eigene Trauer um das Leiden der gefallenen Imame in ein aktives Mitleiden verwandeln und die Bereitschaft zum Martyrium symbolisieren. Charakteristisch für die Muharram-Passionsfeiern sind lange Züge von Gläubigen, die sich immer wieder selbst mit der Hand vor die Brust oder mit Ketten auf den Rücken schlagen. Diese Rituale ermöglichen es den Schiiten, "einen Teil der individuellen Sünden, aber auch der kollektiven historischen Schuld der Schia, abzubüßen"[4].

Zum anderen entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert die szenische Darstellung von Märtyrertoden und Leidensgeschichten Husains und seiner Begleiter zu einem weiteren wichtigen Bestandteil der Feiern. Diese schauspielerischen Einlagen sind eigentlich mit ta'ziya gemeint, sie sind die eigentlichen Spiele. Schon von Beginn der Muharram-Feierlichkeiten sind szenische Elemente überliefert, etwa die Bitte um einen Schluck Wasser, da die Märtyrer bei Kerbala vom Wasser des Euphrat abgeschnitten wurden. Die neueren Darstellungen sind im Gegensatz dazu ganze Szenen mit Dialogen. Sie behandeln an jedem der zehn Tage ein anderes Ereignis. Die schiitischen Passionsspiele erlebten in Iran unter den Kadscharen ihre Blütezeit, wurden unter Reza Schah Pahlavi verboten und sind seit der Islamischen Revolution von 1979 wieder vermehrt zu finden.

Christopher de Bellaigue, ein in Iran lebender britischer Journalist, beschreibt die Feierlichkeiten in Teheran als eine allgegenwärtige Massenveranstaltung. 10 Tage lang befindet sich die Stadt und die Bevölkerung im Trauergewand. Schwarze Kleidung dominiert.

„Am Ende der Straße befand sich eine Bühne. [...] Ein junger Trompeter ließ ein Signal ertönen, und der sittenlose Damaszener trat von links auf die Bühne. (Alle erkannten Yazid [...].) Auf seinem Helm wehte eine gebe Feder. Sein fettes Gesicht war ausdruckslos. Nachdem er eine Weile herumgestampft war, begann er unanständige Worte in ein Handmikrofon zu brüllen [...]. Auf der Bühne gaben die Schauspieler die Überredungsversuche, Verhandlungen und moralischen Nöte wieder, die Hosseins Märtyrertod vorangingen. [...] Plötzlich gab es Bewegung auf der linken Seite der Bühne, und Yazid trat wieder auf. [...] aber jetzt war er von Kopf bis Fuß grün gekleidet. Er hatte die Rolle gewechselt und war nun Hossein. [...] Dann trat Hosseins Halbbruder Abol Fazl auf. [...] Beide weinten. Hossein bat Abol Fazl, Wasser vom Fluß zu holen. Beide wußten, daß der jüngere Bruder kaum eine Chance hatte, lebend von seiner Mission zurückzukehren.“

Christopher de Bellaigue[5]

Der nächste Teil des Schauspiels wird wie folgt beschrieben:

„Abol Fazl sprang auf einen schäbigen Klepper, der am Straßenrand wartete [...]. Wild kämpfend erreichte er das Flußufer. [...] Seine Ritterlichkeit erlaubte es ihm nicht, seinen Durst zu stillen, ehe die Frauen und Kinder den ihren gestillt hatten. Er füllte seinen ledernen Wasserbehälter und sprang wieder aufs Pferd, aber im nun folgenden Kampf wurde er überwältigt und verlor dabei beide Hände und Augen. Er rief aus: «Oh Bruder, höre meinen Ruf und komme mir zu Hilfe!» Zwei Pfeile schnellten von der Sehne. Der eine durchbohrte Abol Fazls Wasserbehälter, der andere seine Brust.“

Christopher de Bellaigue[6]

Auch die Prozessionen beschreibt de Bellaigue:

„[Vorweg ging ein] Mann mit einer eisernen Standarte [...], an deren langem Schaft Schwerter, monsterähnliche Figuren und Federbüsche [...] hin und her schwangen. Ihm folgten zwei Reihen von Männern, die im Rhythmus der Baßtrommel marschierten. Dabei schlugen sie sie sich mit Ketten an kurzen Griffen auf den Rücken - ein Hieb bei jedem dröhnenden Trommelschlag. [...] Ich folgte der Prozession bis zur Hauptstraße, wo sie sich in eine Kette von mindestens einem Dutzend weiterer Prozessionen aus verschiedenen Stadtvierteln eingliederte.“

Christopher de Bellaigue[7]

Aschura

Gemälde mit dem Titel 10. Muharram von Zonaro, 1909.

Hauptartikel: Aschura

Am 10. Muharram erreichen die Passionsspiele ihren Höhepunkt. Weißgekleidete Schwertschläger verwunden sich mit Kurzschwertern oder Langdolchen selbst an der Stirn. Am gleichen Tag wird der Tod Husains nachgespielt und das Klagen steigert sich erneut. Nach schiitischer Tradition wird nun 40 Tage der Toten gedacht, um im Anschluss an diese Trauerzeit ein Gedenkfest zu feiern, das Arba'in.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Heinz Halm: Der schiitische Islam, München 1994, S. 54
  2. Wilfried Buchta: Schiiten, München 2004, S. 65
  3. Heinz Halm: Der schiitische Islam, München 1994, S. 55
  4. Heinz Halm: Der schiitische Islam, München 1994, S. 53
  5. Christopher de Bellaigue: Im Rosengarten der Märtyrer. München 2006, S. 14-15
  6. Christopher de Bellaigue: Im Rosengarten der Märtyrer. München 2006, S. 15-16
  7. Christopher de Bellaigue: Im Rosengarten der Märtyrer. München 2006, S. 19-20

Literatur

  • Davoud Monchi-Zadeh: Ta'ziya. Das persische Passionsspiel: mit teilweiser Übersetzung der von Litten gesammelten Stücke. Stockholm : Almqvist & Wiksell 1967 (Skrifter utgivna av K. Humanistiska Vetenskapssamfundet i Uppsala ; 44,4)
  • Charles Virolleaud: Le Théâtre Persan ou Le Drame de Kerbéla. Paris 1950.
  • Titaÿna: La Caravane des Morts. Ed. des Portiques, Paris 1930.
  • Sir Lewis Pelly: The Miracle Play of Hasan and Husein, London 1879, 2 Bände.
  • Alexandre Chodzko: Théatre persan : choix de Téaziés ou drames traduits pour la première fois du persan, Paris 1878 [1]

Weblinks


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