- Banzhaf-Index
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Ein Machtindex ist ein Instrument zur Messung von Macht. Die bekanntesten Machtindizes, die im Folgenden dargestellt werden, messen eine ganz besondere Form von Macht: die sogenannte „Abstimmungsmacht“ (voting power). Damit ist das Entscheidungsgewicht einzelner Mitglieder eines Gremiums bei Mehrheitsentscheidungen gemeint.
Eine Entscheidung in einem Gremium ist getroffen, wenn die Befürworter einer Alternative ein Quorum erreichen. Beispiele für ein Quorum sind eine absolute Mehrheit von mehr als 50 Prozent, die qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln, die in vielen Ländern für Verfassungsänderungen erforderlich ist, oder 10 Prozent für die Durchführung von Volksbegehren. Der weiter unten erläuterten Machtindizes zeigen an, bei welchem Anteil aller möglichen Koalitionen der beteiligten Parteien ein Stimmberechtigter die Entscheidung auf die von ihm gewünschte Alternative lenken kann.
Inhaltsverzeichnis
Beispiel
In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1958 hatten die großen Staaten (Deutschland, Frankreich, Italien) jeweils vier Stimmen, die mittelgroßen Staaten (Belgien, Niederlande) je zwei, und Luxemburg nur eine Stimme. Um einen Beschluss zu fassen, waren zwölf Stimmen notwendig. Für das kleine Luxemburg war dies jedoch fatal: Um bei einer Entscheidung ausschlaggebend zu sein, um einmal das Zünglein an der Waage zu sein, hätte es eine Konstellation geben müssen, bei der die anderen Staaten zusammen elf Stimmen haben und es dann auf Luxemburg ankommt, zuzustimmen oder nicht. Einzig in einer solchen Konstellation hätte Luxemburg Macht gehabt. Es konnte aber eine solche Konstellation nicht geben: Die Stimmen anderer Staaten können nicht zu elf addiert werden; der Machtindex von Luxemburg war daher Null.[1]
Zwei Machtindizes für Abstimmungsmacht
Die Berechnung des normierten Machtindex nach Banzhaf (Lionel Penrose 1946, John Banzhaf 1965) und die nach Shapley-Shubik (Lloyd Shapley 1953, Martin Shubik 1954) liefern ähnliche Ergebnisse. (Was genau diese Ergebnisse aussagen, und ob sie wirklich messen, was sie zu messen vorgeben, ist allerdings umstritten.[2])
Shapley-Shubik-Index
Beim Shapley-Shubik-Index bestimmt sich die Macht eines Mitglieds aus der Anzahl der Anordnungen aller Mitglieder, bei denen das Quorum genau mit diesem Mitglied erreicht wird. Dadurch wird jede Koalition mit dem Faktor (n−1)! · (N–n)! · k gewichtet, wobei n die Anzahl ihrer Mitglieder, k die Anzahl einzelner Mitglieder, die sie scheitern lassen können, und N die Anzahl aller Mitglieder ist.
Beispiel: Drei Mitglieder A, B und C mit einem Stimmgewicht von 50, 49 und 1 treffen Entscheidungen mit einem Quorum von 51 Prozent. Man betrachtet alle möglichen Dreierpermutationen und notiert, ab welchem Mitglied das Quorum erreicht ist.
Erst wenn sich zu A das Mitglied B hinzugesellt, ist das Quorum erreicht: B entscheidet. Das Gleiche gilt für C, wenn es sich mit A zusammenschließt, denn auch A und C erreichen das Quorum. Die übrigen Fälle sind analog:
- ABC: B entscheidet (Quorum mit AB erreicht)
- ACB: C entscheidet (Quorum mit AC erreicht)
- BAC: A entscheidet (Quorum mit BA erreicht)
- BCA: A entscheidet (Quorum mit BCA erreicht)
- CAB: A entscheidet (Quorum mit CA erreicht)
- CBA: A entscheidet (Quorum mit CBA erreicht)
Von den sechs möglichen Permutationen entscheidet A vier, B und C entscheiden jeweils eine. Der Shapley-Shubik-Index ist der normalisierte Wert:
- A hat den Machtindex 2/3 ≈ 67 Prozent
- B hat den Machtindex 1/6 ≈ 17 Prozent
- C hat den Machtindex 1/6 ≈ 17 Prozent
Das Mitglied C mit nur einer Stimme hat den gleichen Machtindex wie Mitglied B mit 49 Stimmen. Erhöht man das Quorum um eine Stimme auf 52, verliert C jegliche Entscheidungsmacht, ebenso bei einem Quorum von 49 Stimmen:
Quorum Machtindex von
A (50 Stimmen)
Machtindex von
B (49 Stimmen)
Machtindex von
C (1 Stimme)
100 1/3 1/3 1/3 52–99 1/2 1/2 0 51 2/3 1/6 1/6 50 2/3 1/6 1/6 2–49 1/2 1/2 0 1 1/3 1/3 1/3 Banzhaf-Index
Beim Banzhaf-Index wird die Macht eines Mitglieds bestimmt durch Abzählen der siegreichen Koalitionen, in denen es wesentlich zum Sieg beiträgt. Dadurch wird jede Koalition mit der Anzahl einzelner Mitglieder, die sie scheitern lassen können, gewichtet. So ergibt sich für obiges Beispiel:
- A ist entscheidend für die Koalitionen AB, AC und ABC
- B ist entscheidend für die Koalition AB
- C ist entscheidend für die Koalition AC
Daraus ergibt sich die Banzhaf-Macht als Summe der siegreichen wesentlichen Koalitionen von A, B und C: 3 + 1 + 1 = 5. Der Banzhaf-Index ist definiert als die normalisierte Banzhaf-Macht:
- A hat den Machtindex 3/5 = 60 Prozent
- B hat den Machtindex 1/5 = 20 Prozent
- C hat den Machtindex 1/5 = 20 Prozent
Dies bedeutet: Obwohl C nur einen Bruchteil der Stimmen von B besitzt, hat es doch die gleiche Banzhaf-Macht.
Quorum Machtindex von
A (50 Stimmen)
Machtindex von
B (49 Stimmen)
Machtindex von
C (1 Stimme)
100 1/3 1/3 1/3 52–99 1/2 1/2 0 51 3/5 1/5 1/5 50 2/3 1/6 1/6 2–49 1/2 1/2 0 1 1/3 1/3 1/3 Siehe auch: Quadratwurzelgesetz von Penrose
Literatur
- Brian Barry: Is it better to be powerful or lucky? (1980). In: Ders., Democracy and Power. Oxford: Clarendon 1991, ISBN 0-19-827297-9, S. 270-302.
- Steven A. Brams: Game Theory and Politics. The Free Press, New York 1975, ISBN 0-02-904550-9, S. 157–198.
- Dan S. Felsenthal, Moshé Machover: The measurement of voting power: Theory and practice, problems and paradoxes. Elgar, Cheltenham 1998, ISBN 1-85898-805-5.
- Manfred J. Holler, Johann Kellermann: Die a-priori-Abstimmungsstärke im Europäischen Parlament. In: Kyklos 31, 1978, ISSN 0023-5962, S. 107-111.
- Manfred J. Holler, Gerhard Illing: Einführung in die Spieltheorie. 6. Auflage, Springer, Berlin 2006, ISBN 3-540-27880-X, S. 304–338.
- Alan D. Taylor: Mathematics and politics: Strategy, voting, power and proof. Springer, New York 1995, ISBN 0-387-94391-9, S. 63–95, 205–240.
Einzelnachweise
- ↑ Werner Kirsch: Europa, nachgerechnet, Die Zeit, 9. Juni 2004
- ↑ Vgl. Barry 1991.
Weblinks
- Presseinfo der Ruhr-Uni-Bochum: EU: Gleicher Einfluss für alle Bürger, 10. Mai 2004
- Ian Stewart: Stimmenzahl und Macht, Spektrum der Wissenschaft, November 1993, Seite 12
- Agnieszka Borkowski: Machtverteilung im Ministerrat nach dem Vertrag von Nizza und den Konventsvorschlägen in einer erweiterten europäischen Union, 2003 (PDF-Datei)
- Dennis Leech, Robert Leech: Computer Algorithms for Voting Power Analysis (englisch)
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