Thorngates Postulat der angemessenen Komplexität

Thorngates Postulat der angemessenen Komplexität
Allgemein, Genau und Einfach

Thorngates Postulat der angemessenen Komplexität[1] (engl. Thorngate's Postulate of commensurate complexity) ist eine Beschreibung eines sozialwissenschaftlichen Phänomens, welches Forschungsrichtungen und -ergebnisse betrifft.

Allgemeines

Karl E. Weick beschreibt das Modell anhand einer Uhr, bei der auf 12 Uhr das Wort allgemein (engl. General), auf 4 Uhr das Wort „genau“ (engl. Accurate) und auf 8 Uhr das Wort „einfach“ (engl. Simple) steht.

Nach seiner Darstellung kann Forschung sich in einem Kontinuum auf dem Zifferblatt zwischen den drei Ausprägungen definieren lassen:

  • wenn die Forschung sich zwischen „genau“ und „einfach“ befindet, ist sie nicht mehr allgemein nutzbar.
  • Wenn sich Forschung auf allgemeine/einfache Aussagen konzentriert, dann mangelt es ihnen an Genauigkeit,
  • wenn sie sich auf allgemein/genaue Forschung konzentriert, ist sie nicht mehr einfach.

Implizit zeigt Weick damit folgendes auf:

  • Forschungsergebnisse, die einfach und allgemein sind (10-Uhr-Forschung), sind ungenau;
  • Forschung, die genau und einfach ist (6-Uhr-Forschung), kann nur auf sehr begrenzte Gebiete angewandt werden und
  • Forschung die allgemein und genau (2-Uhr-Forschung) ist, wird mit einer erheblichen Komplexität ausgestattet sein.

Als Beispiele für 2-Uhr-Forschung nennt Weick die psychoanalytische Theorie (Otto Fenichel[2]), Levinsons Organisationsdiagnose[3] und Gregory Batesons[4] Theorie zur Ökologie des Geistes. Sechs-Uhr-Forschung (einfach und genau aber nicht allgemein) erkennt er beispielsweise in der Koalitionstheorie von Komorita und Chertkoff[5] aber auch in einem großen Teil der Feld- und Laborforschung. Als Beispiele für 10-Uhr-Forschung (einfach und allgemein aber ungenau) nennt Weick das Peter-Prinzip, das Konzept der losen Kopplung und die organisierte Anarchie.

Für Weick bedeutet das, dass Forschungsansätze, die sich nach dieser Darstellung zwangsläufig auf eine oder zwei Dimensionen konzentrieren müssen, durch andere Ansätze ergänzt werden sollten. Nur so können vollständige Bilder von Forschungsgegenständen entstehen. Somit ist das Postulat deskriptiv für die Forschung und präskriptiv für die Forschungsmethodik.

Das Postulat ähnelt dem 'magischen Dreieck der Vermögensanlage' - bei diesem konkurrieren die Ziele Rentabilität, Sicherheit und Liquidität.

Quellen

  1. Thorngate, W. 1976. „In general“ vs. „it depends“: Some comments on the Gergen-Schlenker debate. Personality and Social Psychology Bulletin 2, S. 404-410. zitiert in Weick, Karl E. (1985) Der Prozeß des Organisierens (Übers. v. Hauck, Gerhard); 4. Aufl. 27. August 2007; suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft 1194, Frankfurt; ISBN : 978-3-518-28794-1; Seite 54 ff.
  2. Otto Fenichel 1945. The psychoanalytic theory of neuroses. New York: Norton.
  3. Levinson, H. 1972. Organizational diagnosis. Cambridge, Mass. : Harvard University Press
  4. Gregory W. Bateson, 1972. Steps to an ecology of mind. New York: Ballantine
  5. Komorita, S. S. , J. M. Chertkoff. 1973. A bargaining theory of coalition formation. Psychological Review 80, S. 149-162.

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