Turngerät

Turngerät

Gerätturnen (auch Kunstturnen oder Geräteturnen; engl.: artistic gymnastics) ist eine olympische Individualsportart. Ziel ist es, an Turngeräten Übungen nach vorgegebenen Kriterien (Technik und Haltung) auch in Verbindungen auszuführen. Durch das Gerätturnen werden vor allem koordinative und konditionelle Fähigkeiten entwickelt, aber auch Mut, Willensqualitäten und Selbstbeherrschung.

Turnerin auf dem Schwebebalken

Inhaltsverzeichnis

Begriffliches

Turner am Sprungtisch
  • Turnen bedeutet: Vielseitiges Bewegen im Sinne der Vielfalt von Körperübungen. Es schließt vielfältige Bewegungs- und Spielformen sowie Gymnastik und zum Teil auch Tanz ein. Oft kommt es zur Gleichsetzung von Turnen und Freizeitsport. Für den Deutschen Turner-Bund steht Turnen als Oberbegriff für die von ihm vertretenen Sportarten und Bewegungsaktivitäten.
  • Gerätturnen ist das normgeleitete Bewegen an Turngeräten, für dessen Ausführung es Technik- und Bewertungskriterien gibt. Das Gerätturnen ist als Sportart charakterisiert durch die Verwendung der Großgeräte: Reck, Barren, Pauschenpferd, Ringeturnen, Boden, Stufenbarren, Schwebebalken und der Sprunggeräte (Bock, Kasten, Pferd, Sprungtisch). Unterschieden wird dabei zwischen dem breitensportlich orientierten Gerätturnen, bei dem der Wettkampf keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt, und dem leistungssportlich orientierten Gerätturnen, welches bis vor kurzem auch vom Deutschen Turner-Bund als Kunstturnen (engl. „artistic gymnastics“) bezeichnet worden ist.

Strukturelle Systematik

Die Übungen des Gerätturnens wurden aus wissenschaftssystematischen Gründen auf der Grundlage ihrer wesentlichen Merkmale geordnet und unter strukturellen Gesichtspunkten in Klassen (Gruppen) zusammengefasst. Diese Systematisierung ist gleichzeitig die wissenschaftliche Grundlage der Terminologie. Die bewegungstechnische Verwandtschaft der in den Strukturgruppen zusammengefassten Übungen hat Konsequenzen für ihre Lehrweise. Die Übungen lassen sich unter dem Blickwinkel des Verhältnisses der Wirkung von inneren und äußeren Kräften in drei Arten einteilen:

  • Schwungübungen
  • Statische Übungen
  • Übungen mit relativ langsamer Verlagerung des Körpers (Heben und Senken)

Zwischen den genannten Arten der Turnübungen bestehen Beziehungen und wechselseitige Übergänge.

Schwungübungen

  • Auf-, Um- und Abschwungbewegungen
  • Kippbewegungen
  • Felgbewegungen
  • Stemmbewegungen
  • Rollbewegungen
  • Überschlagbewegungen
  • Beinschwungbewegungen
  • Sprungbewegungen
  • Flugbewegungen

Statische Übungen (Halten)

Kreuzstütz an den Ringen
  • Stütze
  • Hänge
  • Stände
  • Sitze
  • Liegen


Übungen mit langsamer Verlagerung des Körpers (Heben/Senken)

  • Heben/Senken
    • ohne Drehung des Körpers
    • mit Rückwärtsdrehung des Körpers
    • mit Vorwärtsdrehung des Körpers
    • mit Seitwärtsdrehung des Körpers

Die Ordnungsbeziehungen zwischen den Strukturgruppen der Schwungübungen

Ordnungsbeziehungen

Die meisten Übungen des Gerätturnens werden schwunghaft geturnt, wobei sich die Techniken (Turnübungen) vielfach aus der Kopplung von Merkmalen aus unterschiedlichen Strukturgruppen ergeben. Davon werden auch die Regeln für die Bildung der Übungsbezeichnungen (Terminologie) abgeleitet.

Die Abbildung veranschaulicht die Ordnungsbeziehungen zwischen den Strukturgruppen der Schwungübungen (nach Rieling, Leirich & Heß, R.).

Turnen in Deutschland

Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852) gilt als der Schöpfer der frühen Turnbewegung in Preußen und ihr Ideengeber, was ihm später den Ruf des „Turnvaters“ einbrachte. Der erste öffentliche Turnplatz in der Berliner Hasenheide (1811) war sein Werk. Sein Bemühen um die Entwicklung des Turnens galt auch der Realisierung seiner Erziehungs- und Bildungsabsichten: „Die Turnkunst soll die verlorene Gleichmäßigkeit der menschlichen Bildung wiederherstellen...“. Die von Jahn und seinen Vorturnern auf dem Turnplatz in der Hasenheide demonstrierten Vorstellungen von der „Deutschen Turnkunst“ sind im Turnbetrieb bis heute in Geltung geblieben, ebenso viele Bezeichnungen der Jahnschen Turnsprache. In den folgenden Jahren wurden viele Turnvereine und schließlich der Deutsche Turner-Bund gegründet. Aus dem Turnen entwickelte sich schließlich das Gerätturnen als Weltsportart.

Das Gerätturnen ist die Basis-Sportart vieler Vereine im Deutschen Turner-Bund (DTB) (siehe auch: Turnen).

Im Leistungs- und Hochleistungssport gibt es Mannschaftsbewerbe, Einzelmehrkämpfe und Wettkämpfe an jedem einzelnen Gerät. Bei den Olympischen Spielen und bei den Welt- und Europameisterschaften werden in insgesamt 14 Disziplinen Titel und Medaillen vergeben.

Turner am Pauschenpferd

War das Gerätturnen bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts vor allem durch Statik und Krafthalteteile und historische Übungen geprägt, so ist es heute eine sehr dynamische Sportart mit vielen akrobatischen Elementen, Drehungen, Salti und Sprüngen.

Wettkampfformen

Kür

Bei Deutschen und Landesverbandsmeisterschaften, in der Bundes- und Regionalliga (Deutsche Turnliga) sowie teilweise in den höchsten Ligen der Landesverbände werden Kürübungen nach dem neuen seit 2009 gültigen Code de Pointage (CdP) geturnt. Diese Übungen werden von den Turnern frei nach den Anforderungen des CdP zusammengestellt. Der Ausgangswert der Übung setzt sich aus D- und E-Note (früher A- und B-Note) zusammen, wobei die D-Note die Schwierigkeit (difficulty) der Übung bewertet und die E-Note die Ausführung (execution). Zusätzlich existiert als Nachfolger des Ende 2006 abgeschafften B-Stufen-Systems die Kür Modifiziert (KM). Diese ist ab dem 1. Januar 2008 eingeteilt in vier Schwierigkeitsstufen von I-IV und unterscheidet sich hauptsächlich dadurch vom CdP, dass je nach Schwierigkeitsstufe weniger Elemente, leichtere Übungsabgänge und sogenannte Nationale Elemente (NE), die nicht im CdP enthalten sind, geturnt werden dürfen. In der leichtesten Stufe KM IV müssen sogar weniger Elementgruppen erfüllt werden. Diese Übungsformen finden unter anderem beim Deutschland-Cup und den Seniorenmeisterschaften Anwendung.

Pflicht

Neben der Kür existiert seit dem 1. Januar 2007 im DTB ein neues Pflichtübungssystem, die sog. P-Übungen. Dabei muss der Turner eine vorgegebene Folge von Elementen zeigen. Die P-Übungen lösen die bisherigen A-Übungen (Breitensport) und AK-Übungen (leistungssportlicher Nachwuchs) ab und sind am 1. Januar 2008 in ihrer endgültigen Form in Kraft getreten. Dabei werden die P-Übungen in eine A-Variante für den Breitensport und eine B-Variante für den leistungssportorientierten Nachwuchs unterteilt. Bei den P-Übungen Variante A werden an allen Geräten Übungen der Schwierigkeitsstufen P1 bis P9 angeboten (außer Ringe keine P1 und P2), wobei sich dabei der Ausgangswert aus A- und B-Note zusammen setzt (Nummer der Übung plus 10 Punkte, P7a = 17 Punkte). Die Turnerinnen dürfen am Boden ihre Musik frei aber zur Übung passend wählen. Die A-Versionen werden unter anderem auf Turnfesten geturnt. In der Variante B existieren Übungen der Schwierigkeitsstufen P1-P11 (außer Sprung Männer nur bis P10) mit Pflichtmusiken für die Turnerinnen am Boden. Diese Übungen werden in der Regel jahrgangsabhängig geturnt. Dadurch soll erreicht werden, dass der leistungssportorientierte Nachwuchs definierte und altersgerechte Leistungsziele erreicht.


Turner am Barren

Im Wettkampfbereich, männlich, sind folgende sechs Geräte üblich (in olympischer Reihenfolge):

Im Wettkampfbereich, weiblich, sind folgende vier Geräte üblich (in olympischer Reihenfolge):

Außerdem sind im Jugend- und Seniorenbereich folgende Geräte zusätzlich im Einsatz:

  • Minitrampolin
  • Pilz
  • Schaukelringe
  • Bank

Turnen in der Schweiz

In der Schweiz unterscheidet man Kunstturnen (Leistungssport) und Geräteturnen (Breitensport). Im Kunstturnen turnt man an den oben genannten Geräten (wie in Deutschland). Im Geräteturnen allerdings werden Boden, Schaukelringe, Minitrampolin, Barren und Reck geturnt. Im Geräteturnen, wie auch im Kunstturnen, gibt es einen Unterschied der geturnten Geräte zwischen Frauen und Männer. Während im Geräteturnen die Männer mit fünf Geräten, welche oben aufgeführt sind, einen Wettkampf bestreiten, turnen die Frauen nur an vier Geräten, Reck, Schaukelringe, Boden und Sprung(Minitrampolin). Das Bodenturnen im Geräteturnen wird (im Gegensatz zum Bodenturnen im Kunstturnen) auf einer etwa 2.5 m breiten und 17 m langen Bodenbahn geturnt. Die Schwierigkeitsgrade der geturnten Elemente sind tiefer, jedoch wird großer Wert auf die Ausführung und die korrekte Haltung gelegt. Geräteturnen ist in der Schweiz weiter verbreitet als das Kunstturnen.

Anders als im Kunstturnen gibt es im Geräteturnen keinen A-Wert, sondern die Abzüge werden direkt von der Ausgangsnote 10.00 abgezogen. Der Schwierigkeitsgrad ist somit nicht ausschlaggebend für die Endnote. Pro Kategorie werden jedoch Mindestanforderungen gestellt, die es zu erfüllen gilt.

Zudem gibt es in der Schweiz noch das Vereinsgeräte- oder Sektionsturnen. Hier turnt man in einer Gruppe eine Übung kombiniert mit Musik synchron. Dabei werden die Programzusammenstellung (Choreographie), die Synchronität und die Einzelausführung bewertet. Grundsätzlich sind alle Geräte zugelassen, wobei aber Reck- und Pferdpauschenvorführungen sehr selten sind. Weitaus beliebter sind die Gerätekombinationen, bei denen zum Beispiel Boden und Minitrampolin kombiniert werden können.

Der Schweizerische Turnverband (STV), dem sowohl Kunst- als auch Geräteturnen, sowie die Rhythmische Gymnastik, Trampolinturnen, breitensportgerichtete Leichtathletik und Jugendturnen angehören, ist der größte Sportverband in der Schweiz.

Turnen leitet sich ursprünglich ab von dem Wort „Turnier“, das schon im Mittelalter der Ausdruck für sportliche Auseinandersetzung war.

International

International wird das Gerätturnen genauso wie Allgemeines Turnen, Trampolinturnen, Rhythmische Gymnastik, Sportaerobic und Sportakrobatik durch die Fédération Internationale de Gymnastique (FIG, Internationaler Turnverband) und die Union Européenne de Gymnastique (UEG, Europäische Turnunion) vertreten.

Kritik

Kunst- bzw. Gerätturnen war, im leistungssportlichen Bereich, in Deutschland lange Zeit eine öffentlich umstrittene Sportart, da Talente häufig bereits im Kindergartenalter von ihren Betreuern täglich mit schwerem Training gefördert werden; der Einstieg in den Hochleistungssport erfolgt möglicherweise viel zu früh, sodass körperliche und auch seelische Entwicklungsschäden die Folge sein können. Wie bei jedem anderen Leistungssport, der im frühen Kindesalter beginnt, wird kritisiert, dass Kinder in jungen Jahren nicht in der Lage sind, Vor- und Nachteile des Hochleistungssports eigenverantwortlich zu prüfen, gegebenenfalls sich gar nicht erst in die Tretmühle des Spitzensports zu begeben.

Siehe auch

Literatur

  • Arnold, K., Leirich, J. (2005): Gerätturnen – Terminologie. Lochner-Verlag, ISBN 3928026240
  • Hans-Joachim Bartmuß: Welches sind die bleibenden historischen Verdienste Jahns? Jahn-Bibliothek unter Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum und Jahn-Förderverein
  • Bessi, Flavio et al. (2008): Materialien für die Trainerausbildung im Gerätturnen - zweite Lizenzstufe.
  • Bessi, Flavio (2006): Materialien für die Trainerausbildung im Gerätturnen - erste Lizenzstufe. ISBN 3000178236
  • Gerling, Ilona E. (2002): Basisbuch Gerätturnen. Meyer & Meyer Sport
  • Härtig, R. & Buchmann, G. (2003): Gerätturnen-Trainingsmethodik. Meyer & Meyer Sport
  • Knirsch,K. (2005): Gerätturnen mit Mädchen und Frauen. o. Angabe des Verlages
  • Knirsch, K. (1991): Fundamentum des Gerätturnens. Kirchentellinsfurt: Knirsch
  • Leirich, J., Bernstein, G., Gwizdek, I. (2007): Turnen an Geräten. Praxisideen, Bd. 29. Hofmann-Verlag, ISBN 3778002910
  • Schlegel,Kerstin (2008): Diagnostik relevanter Leistungsvoraussetzungen im Gerätturnen. Hamburg: Verlag Dr. Kovac, ISBN 978-3-8300-3718-7
  • Timmermann, H. (2001): Gerätturnen - Technik und Methodik. Limpert-Verlag

Weblinks


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