Türkische Kapitulation

Türkische Kapitulation

Als Tanzimat (osm.تنظيمات‎; Anordnungen, Neuordnung) wird im allgemeinen die Periode tiefgreifender Reformen im Osmanischen Reich bezeichnet, die 1839 begann und 1876 mit der Annahme der Osmanischen Verfassung endete. Die Reformen liefen schließlich darauf hinaus, dass der Sultan auf seine unbeschränkten Rechte über Leben und Eigentum seiner Beamten verzichtete und die Ministerialressorts festgelegt, die zivilrechtliche Gleichheit aller Untertanen ausgesprochen sowie das Finanz-, Justiz- und Heerwesen reorganisiert wurden.

Inhaltsverzeichnis

Übersicht

Die Phase ist eng mit den Namen der Großwesire Mustafa Reschid Pascha und später Ali Pascha und Fuad Pascha verknüpft. Andere Periodisierungsversuche, wie etwa die des amerikanischen Osmanisten Stanford Shaw, hingegen sehen die Regierungszeit Abdülhamids II. (1876-1908) als Fortsetzung der Tanzimat im engeren Sinne und entwerfen ein Bild, in dem der ansonsten, vor allem von der türkischen Historiographie, geschmähte Herrscher als "radical reformer" erscheint, dessen Maßnahmen, getragen von seinem autokratischen Selbstverständnis, weit über die Reformversuche der Tanzimat hinausgingen. Diese Periodisierung jedoch hat sich in der osmanistischen Fortsetzung nicht durchsetzen können.

Mahmut II. (1808-1839) unternahm die ersten ernsthaften Reformanstrengungen, zu denen die Auflösung des Janitscharenkorps (1826) und die Abschaffung des Lehnswesens (Tımar) (1833/1834-1844) zählen.

Nach dem Amtsantritt von Abdülmecid I. gelang es Mustafa Reschid Pascha das Freikaufsystem (Iltizam) abzuschaffen.

  • 1843 wurde eine feste Frist für die Wehrdienstdauer eingeführt.
  • 1847 erhielten Christen das Recht als Zeuge vor Gericht aufzutreten.
  • 1850 wurde ein Handelsgesetz verabschiedet.

Die Maßnahmen wurden unter dem Namen "Tanzimat-ı Hayriye" (osmanisch: Heilsame Neuordnung) bekannt und fallen mit der Regierungszeit von Abdülmecid I. (1839-1861) und Abdülaziz (1861-1876) zusammen. Sie stellten die Nichtmuslime im Reich auf die gleiche Stufe mit den Muslimen und führten ein neues Justizsystem ein, organisierten das Steuersystem neu und legten eine allgemeine Dienstpflicht in der Armee fest. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurden auch die Steuerpachten abgeschafft.

Die wichtigsten Reformedikte waren der Hatt-ı Scherif (Edles Handschreiben) von Gülhane (1839), der Hatt-ı Hümâyûn (Großherrliches Handschreiben) (1856) sowie die Verfassung von 1876, mit denen schrittweise und mit Einschränkungen (1839 lauten diese "im Rahmen der Scheriatgesetze") die Gleichheit und Gleichbehandlung aller Untertanen unabhängig von ihrer Religion eingeführt wurde.

Der Hatt-ı Scherif von Gülhane (1839)

Mit dem sultanischen Erlass des Reformedikts Hatt-ı Scherif am 3. November 1839 begann die Epoche des Tanzimat in der Geschichte des Osmanischen Reiches. Der Erlass wurde feierlich am Sultanshof in Gülhane (Istanbul) in Anwesenheit aller europäischen Botschafter verkündet. Mit diesem Erlass hatte Sultan Abdülmecid I. seine Absicht bekundet, die Modernisierung des Osmanischen Reiches fortzusetzen.

Dabei wurde der Schwerpunkt auf drei Punkte gelegt:

  • den Untertanen wird die volle Sicherheit ihres Lebens, ihrer Ehre und Ihres Vermögens garantiert
  • die Steuern werden gerecht und geregelt festgesetzt und eingetrieben
  • die Wehrdienstpflichtigen werden geordnet einberufen und ihre Wehrdienstzeit wird geregelt

Der Hatt-ı Hümâyûn (1856)

Das Hatt-ı Hümâyûn-Reformedikt der Hohen Pforte wurde am 18. Februar 1856 verkündet. Es war eine Antwort der türkischen Regierung auf den Druck Englands, Frankreichs und Österreichs, die begonnenen Reformen zu vertiefen.

Das neue Reformedikt entwickelte die Reformen im Hatt-ı Scherif von Gülhane weiter.

Kern dieser Reform war die Auflösung des Millet-Systems. Zuvor waren alle Nichtmuslime in drei Millets (Religionsgemeinschaften) aufgeteilt. Die orthodoxen Christen bildeten die Millet-i Rum, die armenischen Christen die Millet-i Arman (dazu zählten auch Kopten und Syrer) und die Juden die Millet-i Yahud. Jede Millet unterstand der Kontrolle eines Ethnarchen („nationalen“ Führers). Dieser war jeweils ein religiöses Oberhaupt, das dem Sultan direkt unterstellt war. Ab dem Ende des 18. Jh. übernahmen ausländische Schutzmächte die Funktion der Ethnarchen: Großbritannien bürgte für die Juden, Frankreich für die Katholiken und Russland für die Orthodoxen.

Durch die Auflösung des Milletsystems bekamen alle Untertanen das osmanische Untertansrecht. Ihre Stellung als Untertanen wurde nicht indirekt über ihre Ethnarchen bzw. den ausländischen Schutzmächten legitimiert. Dies schaffte reale Möglichkeiten für eine weitere Modernisierung der grundlegenden Institutionen des Osmanischen Reiches, da nun allen Untertanenen der Zugang zu Staatsposten ermöglicht worden war.

Es folgten das Gesetz über den Boden (1858), das Verwaltungsgesetz (Vilajet) (1864), das Zivilgesetzbuch (1869) u.a.

Am 23. Dezember 1876 wurde die Verfassung verabschiedet, die allerdings nach Ausbruch des Russisch-Türkischen Kriegs (1877–1878) von Abdülhamid II. wieder außer Kraft gesetzt wurde.

Die Kapitulationen

Mit den von den Mächten eingeforderten Reformen gingen – auch bedingt durch die industrielle Rückständigkeit – zunehmend wirtschaftliche Probleme einher. In den "Kapitulationen" genannten Handelsverträgen wurde der Markt des Osmanischen Reichs für die Europäer geöffnet. Die Einfuhrzölle lagen unter den Ausfuhrzöllen. Durch die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des osmanischen Handwerks wurde das Osmanische Reich zum Exporteur von Rohstoffen und Importeur von europäischen Waren.

Literatur

  • Edouard Engelhardt La Turquie et le Tanzimat ou histoire des réformes dans l'Empire Ottoman, 2 Vols, Paris, 1882-1884
  • Nora Lafi Une ville du Maghreb entre ancien régime et réformes ottomanes. Genèse des institutions municipales à Tripoli de Barbarie (1795-1911), Paris, L'Harmattan, 2002, 305 p. [1]
  • Nora Lafi Municipalités méditerranéennes. Les réformes municipales ottomanes au miroir d'une histoire comparée, Berlin, K. Schwarz, 2005. ISBN 3879976341
  • Lord Kinross The Ottoman Centuries: The Rise and Fall of the Turkish Empire, New York 1977
  • Donald Quataert The Ottoman Empire, 1700-1922, Cambridge 2000
  • Thomas Scheben Verwaltungsreformen der frühen Tanzimatzeit: Gesetze, Maßnahmen, Auswirkungen. Von der Verkündigung des Ediktes von Gülhane 1839 bis zum Ausbruch des Krimkrieges 1853, Frankfurt/M. 1991;
  • Michael Ursinus Regionale Reformen im Osmanischen Reich am Vorabend der Tanzimat. Reformen der rumelischen Provinzialgouverneure im Gerichtssprengel von Manastir (Bitola) zur Zeit der Herrschaft Sultan Mahmuds II. (1808-39) Berlin 1982

Siehe auch


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