Verdener Blutgericht

Verdener Blutgericht
"Verdener Blutgericht" Notgeldschein (eine Mark) Sparkasse Verden von 1921

Als Blutgericht von Verden bezeichnet man eine in den Quellen überlieferte Hinrichtung von 4.500 Sachsen bei Verden an der Aller auf Befehl Karls des Großen im Jahre 782 während der Sachsenkriege. In der Geschichtswissenschaft wird vielfach in Zweifel gezogen, dass die Hinrichtungen überhaupt oder jedenfalls mit einer solch hohen Zahl von Opfern stattfanden.

Inhaltsverzeichnis

Überlieferung

Im Verlauf der Sachsenkriege hatten die Sachsen nach einer neuerlichen Erhebung im Jahre 782 in der Süntelschlacht ein fränkisches Heer besiegt. Daraufhin begab sich Karl der Große wiederum nach Sachsen. Er versammelte die sächsischen Großen an der Mündung der Aller in die Weser, also bei Verden. Die dort versammelten Sachsen benannten Karl gegenüber Widukind als den Urheber des Aufstands.

Die Einhardsannalen berichten: Da Widukind nicht greifbar war, hätten die sächsischen Großen diejenigen Sachsen, die an der Erhebung beteiligt waren, an Karl den Großen ausgeliefert. Es habe sich um 4.500 Personen gehandelt. Sie alle seien auf Befehl des Königs an einem Tage enthauptet worden.

Die Reichsannalen schreiben ebenfalls, die Sachsen hätten die Rädelsführer „zur Hinrichtung ausgeliefert – 4.500“.

Forschungsgeschichte

Seit dem 20. Jahrhundert ist der Wahrheitsgehalt dieser Überlieferung umstritten.

Einerseits erschienen Anfang des 20. Jahrhunderts viele Beiträge, die Karls Rolle in ein kritisches Licht rückten. Als deutlichste Position aus dem Bereich der einflussreichen Laienforschung ist Wilhelm Teudt mit seinem Werk Germanische Heiligtümer zu nennen.

Mitte der 1930er Jahre änderte sich die herrschende Meinung. Adolf Hitler nämlich erteilte all denen eine klare Absage, die in den Sachsenkriegen den Freiheitskampf der alten Niedersachsen gegen ein fremdes Imperium sahen. Vielmehr richtete er seine eigene politische Propaganda in imperialistischer Absicht scharf auf die deutsche Kaisertradition des Mittelalters aus. Dieser Linie folgend verteidigte der Historiker Karl Bauer als Autor von Die Quellen für das sogenannte Blutbad von Verden (Münster 1937) Karl den Großen. In diesem Werk wird die These vertreten, in den zeitgenössischen Quellen sei ein Abschreibfehler auszumachen — statt „decollati“, also enthauptet, habe es von den Opfern bloß „delocati“, also umgesiedelt, geheißen. Ein Massaker habe es also niemals gegeben.

Bis heute halten die meisten Fachhistoriker an einer alternativen, Karl den Großen entlastenden Leseart des „Blutgerichts von Verden“ fest: So nimmt Dieter Hägermann an, dass nur eine Gruppe von wenigen Dutzend von Karl dem Großen hingerichtet worden seien.[1] Der emeritierte münstersche Staatsarchivdirektor Wilhelm Kohl vermutet 400-500 Enthauptete.[2]

Demgegenüber wehrt sich Ernst Schubert gegen „abmildernde Spekulationen“ des Geschehens.[3]

Die derzeit wohl herrschende Meinung der Historiker geht von einer „aus Rache bzw. momentaner Verbitterung diktierten Strafaktion Karls des Großen“ aus, „die aber kaum 4.500 Sachsen betraf.“[4]

Siehe auch

Fußnoten

  1. Dieter Hägermann: Karl der Große. Herrscher des Abendlandes. Berlin 2000, S.214 ff.
  2. Wilhelm Kohl: Bemerkungen zur Entstehung der Pfarrorganisation im alten Sachsen, vornehmlich im Bistum Münster. In: Johannes Mötsch (Hrsg.): Ein Eifler für Rheinland-Pfalz. Band 2. 2003, S. 920, Anm. 16.
  3. Ernst Schubert: Artikel Verden, Blutbad v., in: Lexikon des Mittelalters. Bd. 8 (1997), Sp. 1500 f.
  4. So: Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Münster 2007, S. 387.

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