Volksabstimmungen 1920

Volksabstimmungen 1920
Historische Karte von Nord- und Südschleswig um 1918

Bei den Volksabstimmungen in Schleswig wurde 1920 in zwei Abstimmungszonen über die nationale Zugehörigkeit Schleswigs abgestimmt.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 hatte der Deutsche Bund unter gemeinsamer Führung Preußens und Österreichs Schleswig-Holstein aus dänischer Hoheit gelöst und der gemeinsamen Verwaltung durch Preußen und Österreich unterstellt. Zwei Jahre später kam es zum Bruch zwischen den beiden deutschen Mächten. Im Paragraph 5 des Prager Friedensvertrages von 1866 nach dem Deutschen Krieg verpflichtete sich Preußen auf Druck Frankreichs hin [1] gegenüber England und Frankreich, im nördlichen Teil des nach dem deutsch-dänischen Krieg von 1864 an Preußen abgetretenen Schleswigs binnen 6 Jahren ein Referendum zur Staatszugehörigkeit durchzuführen, kam dieser Verpflichtung jedoch nicht nach. Bereits im Jahre 1878 wurde die Nordschleswig-Klausel des Prager Friedens durch den preußisch-österreichischen Vertrag von Gastein annulliert, und im Jahre 1907 erkannten Deutschland und Dänemark im Optantenvertrag von Kopenhagen die Grenzziehung von 1864 an.

Abstimmung

Die Karte zeigt den Anteil der Bevölkerung mit dänischer Muttersprache im Jahr 1905 [2]
Legende

Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg, an dem Dänemark nicht teilgenommen hatte, wurde im Versailler Vertrag eine Volksabstimmung für die nördlichen Bereiche Schleswigs vorgesehen und dabei die Abstimmungszonen und -modalitäten nach den Wünschen Dänemarks definiert.

Es wurden zwei Abstimmungszonen bestimmt. Die nördliche Zone (Zone I) wurde für eine En-Bloc-Wertung vorgesehen und so festgelegt, dass dort eine sichere dänische Gesamtmehrheit zu erwarten war, wodurch lokale grenznahe Mehrheiten für Deutschland von vornherein unberücksichtigt blieben. In der südlich angrenzenden mittleren Zone (Zone II) mit erwarteter deutscher Mehrheit erfolgten einen Monat zeitlich versetzt Abstimmung und gemeindeweise Wertung, so dass für Dänemark die Möglichkeit bestand, im Falle von Mehrheiten in einzelnen Gemeinden diese der nördlichen Zone I zuzuschlagen.

Die Volksabstimmung wurde 1920 unter Aufsicht einer internationalen Kommission (CIS, Commission Internationale de Surveillance du Plébiscite Slesvig) durchgeführt.

Zone I („Nordschleswig“):

Bei der Volksabstimmung in Nordschleswig am 10. Februar 1920 stimmten 25.329 Stimmberechtigte (25,1 %) für Deutschland und 75.431 (74,9 %) für Dänemark.

Zone I bestand aus den damaligen Landkreisen

  • Hadersleben (Haderslev): 6.585 Stimmen bzw. 16,0 % für Deutschland, 34.653 Stimmen bzw. 84,0 % für Dänemark, davon
    • Stadt Hadersleben 3.275 Stimmen bzw. 38,6 % für Deutschland, 5.209 Stimmen bzw. 61,4 für Dänemark;
  • Apenrade (Aabenraa): 6.030 Stimmen bzw. 32,3 % für Deutschland, 12.653 Stimmen bzw. 67,7 % für Dänemark, davon
    • Stadt Apenrade 2.725 Stimmen bzw. 55,1 % für Deutschland, 2.224 Stimmen bzw. 44,9 % für Dänemark;
  • Sonderburg (Sønderborg): 5.083 Stimmen bzw. 22,9 % für Deutschland, 17.100 Stimmen bzw. 77,1 % für Dänemark, davon
    • Stadt Sonderburg 2.601 Stimmen bzw. 56,2 % für Deutschland, 2.029 Stimmen bzw. 43,8 % für Dänemark und
    • Flecken von Augustenburg 236 Stimmen bzw. 48,0 % für Deutschland, 256 Stimmen bzw. 52,0 % für Dänemark;
  • Tondern (Tønder), nördlicher Teil: 7.083 bzw. 40,9 % für Deutschland, 10.223 Stimmen bzw. 59,1 % für Dänemark, davon
    • Stadt Tondern 2.448 Stimmen bzw. 76,5% für Deutschland, 750 Stimmen bzw. 23,5 % für Dänemark,
    • Flecken Hoyer 581 Stimmen bzw. 72,6 % für Deutschland, 219 Stimmen bzw. 27,4 % für Dänemark und
    • Flecken Lügumkloster 516 Stimmen bzw. 48,8 % für Deutschland, 542 Stimmen bzw. 51,2 % für Dänemark;
  • Flensburg (Flensborg), nördlicher Teil: 548 Stimmen bzw. 40,6 % für Deutschland, 802 Stimmen bzw. 59,4 % für Dänemark.

Der deutsche Historiker Johannes Tiedje legte noch am Tag der ersten Abstimmung einen Gegenentwurf zum Grenzverlauf vor. Wäre der so genannte Tiedje-Gürtel zu Deutschland gekommen, wären die deutsche Minderheit in Dänemark kleiner und die dänische Minderheit in Deutschland größer und beide Minderheiten in etwa gleich groß ausgefallen. Der Entwurf wirkte sich in der Endphase des Wahlkampfes in Zone II aus.

Zone II („Mittelschleswig“):

Am 14. März fand die Volksabstimmung in Zone II, Mittelschleswig mit Flensburg, Niebüll, Föhr, Amrum und Sylt, statt. Hier votierten 51.742 Stimmberechtigte (80,2 %) für Deutschland und 12.800 (19,8 %) für Dänemark. Nur drei kleine Gemeinden auf Föhr hatten dänische Mehrheiten. So blieb Zone II geschlossen bei Deutschland.

Zone II bestand aus den damaligen Landkreisen:

  • Tondern, südlicher Teil: 17.283 bzw. 87,9 % für Deutschland, 2.376 Stimmen bzw. 12,1 % für Dänemark;
  • Flensburg, südlicher Teil: 6.688 Stimmen bzw. 82,6 % für Deutschland, 1.405 Stimmen bzw. 17,4 % für Dänemark;
  • Husum, nördlicher Teil: 672 Stimmen bzw. 90,0 % für Deutschland, 75 Stimmen bzw. 10,0 % für Dänemark

und der

  • Stadt Flensburg: 27.081 Stimmen bzw. 75,2 % für Deutschland, 8.944 Stimmen bzw. 24,8 % für Dänemark

Dritte Zone:

Eine dritte Abstimmungszone, die bis zu einer Linie Husum-Schlei oder Eider-Schlei (Danewerklinie) reichte, wurde von den dänischen Nationalliberalen vorgeschlagen. Sie wurde überraschenderweise in den ersten Entwurf zur Abstimmungsregelung aufgenommen, aber nach heftigen Auseinandersetzungen innerhalb Dänemarks auf Betreiben der dänischen Regierung vom endgültigen Ablauf gestrichen. [3][4][5][6]

Abtretung Nordschleswigs

Die Abtretung Nordschleswigs an Dänemark erfolgte am 15. Juni 1920. Der Tag wird in Dänemark als Wiedervereinigungstag (Genforeningsdag) bezeichnet. Bis heute werden noch in Nordschleswig Abstimmungsfeiern am 10. Februar und Wiedervereinigungsfeiern am 15. Juni veranstaltet (Genforeningsfest). In Deutschland ist der Begriff "Wiedervereinigung" (Nordschleswigs bzw. Südjütlands mit Dänemark) dagegen unbekannt.

Zusammenfassung

Die Mehrheitsverhältnisse in Schleswig waren allen Seiten in groben Zügen bekannt. So verlief beispielsweise bereits die Demarkationslinie nach der Erhebung 1849/1850 zwischen skandinavischen Truppen einerseits (dänische Truppen und schwedische bzw. norwegische Freiwillige, später schwedische Friedenstruppen) und preußischen Truppen andererseits nördlich von Tondern und südlich von Flensburg. Nahezu identisch, jedoch bereits ohne Berücksichtigung Flensburgs, war die erste Version der Sprachgrenze Hans Victor Clausens[7], die in ihrer später geänderten Version, der so genannten Clausen-Linie, zur Grenze zwischen Zone I und II wurde.

Um 1900 lieferte eine Volkszählung dann ein genaueres Bild von der Verteilung nationalen Gesinnung in Schleswig[8]: in den drei nördlichen Landkreisen Hadersleben, Apenrade und Sonderburg hatte es jeweils dänische Bevölkerungsanteile von 80 % gegeben und in diesen Landkreisen befanden sich knapp 100.000 der 140.000 Dänen Schleswigs (70 % der Schleswiger Dänen)[9], im Landkreis Tondern mit rund 25.500 Dänen betrug der dänische Bevölkerungsanteil 45 % (18 % der Schleswiger Dänen), in den Stadt- und Landkreisen Flensburg jeweils rund 6 % (4 % der Schleswiger Dänen), in den südlichen Landkreisen Schleswig, Husum und Eckernförde jeweils unter 5 % und insgesamt nur 8 % der Dänen in Schleswig.

Die Resultate der 1900 erfolgten Volkszählung spiegelten sich dann auch bei der Abstimmung von 1920 wider[10]. Da die beiden Abstimmungszonen weitestgehend mit den 5 nördlichen Landkreisen und dem Stadtkreis Flensburg deckungsgleich waren (ein kleiner Teil des Landkreises Husum kam hinzu, ein Teil des Landkreises Schleswig war nicht Teil), fanden sich im Abstimmungsgebiet über 90 % der Dänen des Herzogtums Schleswig wieder, so dass in beiden Abstimmungszonen zusammen mit 47 % für Deutschland (77.071 Stimmen) und 5 % für Dänemark (88.231 Stimmen) sogar ein leichtes Übergewicht pro Dänemark zustande kam, wobei allerdings Zone I mit 111.000 Stimmberechtigten gegenüber Zone II mit rund 70.000 Stimmberechtigten deutlich übergewichtet war und durch die zeitliche Trennung und unterschiedlichen Wahlmodi keine vergleichbaren Bedingungen in den Abstimmungszonen I und II herrschten.

Die regionale Verteilung der Stimmen war deutlich: Während die drei nördlichen Landkreise mit dänischen Stimmenanteilen zwischen 68 % und 84 % klare Ergebnisse boten, hatten im Landkreis Flensburg grenzübergreifend 76,6 % für Deutschland, im Landkreis Tondern grenzübergreifend 65,9 % für Deutschland gestimmt, hier gab es innerhalb der en bloc abstimmenden Zone I nördlich der Grenze einzelne Bereiche mit deutschen Stimmenanteilen von über 75 %. Die Nichtberücksichtigung der Ergebnisse in diesen beiden grenzübergreifenden Landkreisen war Anlass zur Kritik von deutscher Seite und führte zum Vorschlag Tiedjes, diese Gebiete innerhalb der Landkreise Tondern und Flensburg samt weiterer angrenzender Bereiche, in denen die Verhältnisse ausgeglichen waren, aus der nördlichen Zone herauszutrennen und der südlichen Zone zuzuschlagen.

Minderheiten

Seit den Volksabstimmungen gibt es nationale Minderheiten beiderseits der neuen Grenze; auf der deutschen Seite die Dänische Minderheit, auf der dänischen Seite die Deutsche Minderheit in Dänemark. Beide unterhalten eine beachtliche Zahl von Kindergärten und Schulen zur Pflege der eigenen Kultur.

Beide Minderheiten sind Gesinnungsminderheiten. Wie bereits mit Auswanderung vieler deutsch und friesisch gesinnter Schleswiger nach der niedergeschlagenen Erhebung 1848 emigrierten auch nach 1864 viele dänisch, aber auch deutsch und friesisch gesinnte Schleswiger [11] oder zogen als dänische Optanten zeitweilig nach Dänemark, um der dreijährigen preußischen Wehrpflicht zu entgehen.

Quellen

Fußnoten

Siehe auch


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