Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland (1987)

Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland (1987)
Letzte Volkszählung:
██ nach 2005
██ 2000–2004
██ 1995–1999
██ 1990–1994
██ 1970–1989

Eine Volkszählung (auch Zensus, Census oder Makrozensus) ist eine gesetzlich angeordnete Erhebung von statistischen Bevölkerungsdaten, wobei die Bürger bei der herkömmlichen Methode der Zählung per Fragebogen zur Auskunft verpflichtet sind. Beim Modell des Registerzensus wird ohne Befragung der Bürger auf Daten in den Melderegistern zurückgegriffen.

Ein weiteres Volkszählungsverfahren ist die Methode des rollierenden Zensus. Hierbei erfolgt jährlich eine Befragung eines Teiles der Bevölkerung, wobei sich der Umfang der Befragungen meist nach der Gemeindegröße richtet. Auch gibt es Mischformen, wobei herkömmliche Volkszählungen mit der Auswertung von Registern kombiniert werden, oder registergestützte Zählungen, die mit Stichproben ergänzt werden[1].

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Sankt Petersburg, Tagungsort des Internationalen Statistischen Kongresses 1872

Der Begriff Volkszählung ist dahingehend irreführend, dass nicht einfach das Volk gezählt wird, also die Anzahl der Einwohner bestimmt wird. Vielmehr ist es überwiegend die Regel, dass durch Volkszählungen Menschen verpflichtet werden, eine Vielzahl persönlicher Daten anzugeben. In einigen Ländern wurde die herkömmliche Methode der Zählung vom Modell der Registerzählung abgelöst, wobei auf die Daten in den Melderegistern zurückgegriffen wird. Die Bürger brauchen dann keine Fragebögen mehr auszufüllen. In modernen Industriestaaten werden in der Regel alle zehn Jahre, meist zu Beginn eines neuen Jahrzehnts, Volkszählungen durchgeführt.

Eine Volkszählung wird durchgeführt, um möglichst genaue Informationen über verschiedenste statistische Parameter zu erhalten, die als Grundlage für das politische und verwaltungsmäßige Handeln genutzt werden sollen. So können die Planung von Wohnungsbauprogrammen, Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur, Bemessungsgrundlagen für die Finanzierung der öffentlichen Haushalte oder Steuerschätzungen von den Zahlen, die durch eine Volkszählung gewonnen werden können, profitieren.

Der Internationale Statistische Kongress 1872 in Sankt Petersburg stellte die Empfehlung auf, welche persönlichen Daten bei jeder Volkszählung erfragt werden sollten: a) Vor- und Zunamen, b) Geschlecht, c) Alter, d) Verhältnis zum Haupte der Familie oder des Haushalts, e) Zivilstand, f) Beruf oder Beschäftigung, g) Religionsbekenntnis, h) im gewöhnlichen Verkehr gesprochene Sprache, i) Kenntnis des Lesens und Schreibens, j) Herkunft, Geburtsort und Staatsangehörigkeit, k) Wohnort und Art des Aufenthalts am Zählungstag (ob dauernd oder vorübergehend anwesend, respektive abwesend), l) Blindheit, Taubstummheit, Blödsinn und Kretinismus, Geisteskrankheit. Die genannten Personendaten bilden im Allgemeinen auch heute noch die Grundlage jeder Erhebung.

Eine methodische Besonderheit von klassischen Volkszählungen besteht darin, dass anders als bei normalen empirischen Untersuchungen nicht etwa eine repräsentative Stichprobe, sondern sämtliche Haushalte und nahezu die gesamte Bevölkerung direkt befragt wird (Totalerhebung; siehe auch Grundgesamtheit). Die ermittelten Daten werden durch fortlaufende, seit 1957 in der Bundesrepublik und seit 1991 auch in den ostdeutschen Bundesländern, jährlich durchgeführte Repräsentativbefragungen (dem so genannten Mikrozensus) fortgeschrieben und auf die Basisdaten der letzten Volkszählung hochgerechnet. Die Stichprobengröße für diese Befragungen ist in Deutschland gesetzlich auf ein Prozent der Bevölkerung festgelegt. Da die daraus resultierende Fehlerquote mit den Jahren steigt, ist in größeren Abständen eine Wiederholung der Volkszählung und damit eine Aktualisierung der Basisdaten erforderlich.

Geschichte

Die ersten Volkszählungen

Unter Pharao Amasis fand 570 v. Chr. eine Volkszählung in Ägypten statt

Volkszählungen können auf eine lange Tradition zurückblicken. Aufgrund von Tonscherben lässt sich bereits für die Zeit 3800 v. Chr. eine Volkszählung im antiken Babylon belegen. Statistische Ermittlungen von Bevölkerungszahlen fanden bereits um 3050 v. Chr. in Ägypten statt. Aus der Antike sind ferner Zählungen in China, in Persien und Griechenland bekannt, außerdem in Ägypten unter Amasis (570 v. Chr.) und in Israel unter König David (1000 v. Chr.). Man beschränkte sich dabei oft auf die Erfassung der waffenfähigen Männer.

Im Römischen Reich gab es seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. alle fünf Jahre Volkszählungen und Erhebungen über die Einkünfte der römischen Bürger. Für den Zensus und die Steuerschätzungen war der Censor, ein altrömischer Beamter, verantwortlich. Er legte die Höhe der Steuer fest, die jeder Bürger zu zahlen hatte und war dem Senat verantwortlich. Die Censoren waren sehr einflussreich und genossen hohes Ansehen.

Der Zensus in der Bibel

Im Buch Numeri (4. Buch Mose) der Bibel werden (unter anderem) zwei auf Anweisung Gottes durchgeführte Volkszählungen ausführlich geschildert, kurz nach dem Beginn und kurz vor dem Ende der vierzigjährigen Wüstenwanderung der Israeliten unter Mose; der latenische Name des Buches "Numeri" kommt von diesen Zählungen. Dabei werden nur kampffähige Männer gezählt, ausgenommen bei den für den Priesterdienst vorgesehenen Leviten, bei denen auch männliche Kinder und Greise mitgezählt werden. Beide Zählungen ergeben jeweils eine Gesamtsumme von gut 600.000 Männern. Historiker halten es angesichts fehlender archäologischer Funde für sehr unwahrscheinlich, dass tatsächlich so viele Israeliten so lange Zeit durch die Sinai-Wüste gewandert sind.

Im Alten Testament der Bibel wird weiterhin eine Volkszählung der Israeliten durch den König David erwähnt (Zweites Buch Samuel, Erstes Buch der Chronik). Diese Volkszählung war demnach nicht durch Gott angeordnet und zog eine göttliche Strafe nach sich - eine Epidemie suchte das Land heim und forderte zahlreiche Opfer. Der Tempel in Jerusalem wurde laut dem Bericht später an der Stelle erbaut, wo David durch ein Schuldopfer den Zorn Gottes über die nicht angeordnete Volkszählung wieder abwenden konnte.

Conrad von Soest: Die Geburt Christi, 1404

Aus der Weihnachtsgeschichte im Neuen Testament der Bibel ist die vom römischen Kaiser Augustus befohlene Volkszählung bekannt. Laut dem Lukasevangelium hatte der Kaiser angeordnet, dass sich jeder in seinem Herkunftsort in die Steuerlisten einzutragen habe. Aus diesem Grund seien Maria und Josef nach Betlehem gereist, wo Jesus Christus geboren wurde:

Es geschah aber in jenen Tagen, dass eine Verordnung vom Kaiser Augustus ausging, den ganzen Erdkreis einzuschreiben. Diese Einschreibung geschah als erste, als Cyrenius Statthalter von Syrien war. Und alle gingen hin, um sich einschreiben zu lassen, ein jeder in seine Stadt. Es ging aber auch Josef von Galiläa, aus der Stadt Nazareth, hinauf nach Judäa, in Davids Stadt, die Bethlehem heißt, weil er aus dem Haus und Geschlecht Davids war, um sich einschreiben zu lassen mit Maria, seiner Verlobten, die schwanger war. (Lk. 2,1-5)

Die historische Echtheit der Weihnachtsgeschichte wird oft bezweifelt. Verwirrung schafft, dass Lukas Anfang des 2. Kapitels in zwei unmittelbar aufeinander folgenden Sätzen anscheinend zwei in der römischen Verwaltung klar unterschiedene Vorgänge erwähnt. Diese sind:

  1. Der Reichszensus (Iustrum), die Schätzung römischer Bürger im gesamten Imperium Romanum
  2. Der Provinzialzensus, die Schätzung für die Bewohner der Provinz, die das römische Bürgerrecht (Civitas Romana) nicht besaßen.

Eine Möglichkeit ist, dass es sich bei der von Lukas erwähnten Volkszählung um den Provinzialzensus handelt, der 6/7 n. Chr. unter Publius Sulpicius Quirinius in der Provinz Syria, durchgeführt wurde, in welche die bisherige Ethnarchie Judäa nach der Verbannung des Herodes Archelaos kurz zuvor eingegliedert worden war. Dieser Zensus ist auch bei Flavius Josephus erwähnt.

Allerdings gibt Lukas in seinem Evangelium an, die Zählung habe zur Zeit Herodes des Großen stattgefunden (vgl. Lk. 2,1 mit 1,5). Dieser starb aber 4 v. Chr. Wenn der Bericht stimmt, müsste es also vor dem von Flavius Josephus bestätigten Provinzialzensus einen Reichszensus gegeben haben. Auch im Evangelium des Matthäus wird berichtet, die Geburt Jesu habe zur Zeit des Herodes stattgefunden (Mt. 2,1-19).

Die Steuererklärungen der Bewohner der Provinzen erfolgten vermutlich immer nach einem einheitlichen Steuerformular, welches in allen kaiserlichen Provinzen gleich war. 1961 wurde solch ein Formular aus dem Jahre 127 n. Chr. in einer Höhle westlich des Toten Meeres gefunden.

Zählungen im Mittelalter und am Beginn der Neuzeit

Nürnberg führte 1449 eine Volkszählung durch

Im 7. Jahrhundert wurden im China der Tang-Dynastie Volkszählungen durchgeführt. Das Überleben der Kleinbauern und damit den sozialen Frieden sicherten Steuergesetze (619) und die dazugehörigen Agrarverordnungen (624). Darin wurden den Bauern gleichmäßig verteilte Parzellen auf Lebenszeit übergeben. Grundlage der Vergabe waren genaue Volkszählungen unter Berücksichtigung des Alters sowie ein Katastersystem zur Landbewertung-/verteilung. Das System wurde aber schon im späten 7. Jahrhundert durch manipulierte Zahlenangaben und Ausdehnung des privaten und kirchlichen Gutsbesitzes untergraben. Es war zudem zu anfällig gegen veraltete Zahlen, Abwanderung und veränderten Anbau.

Nach der normannischen Eroberung Englands 1066 veranlasste König Wilhelm der Eroberer eine Volkszählung. Die Daten der im Jahre 1086 durchgeführten Zählung wurden im Domesday Book (angelsächsisch domesdaeg = „Tag des Jüngsten Gerichts“) veröffentlicht.

Im Mittelalter gab es in Europa insgesamt nur wenige Volkszählungen, die Daten waren oft ungenau, so dass Angaben zur Bevölkerung meist nur Rekonstruktionen und nicht überlieferte Zahlen sind. Noch 1753 lehnte das britische Parlament eine Volkszählung ab, denn sie „würde Englands Feinden dessen Schwächen“ bloßstellen. Ein Abgeordneter betonte im Parlament, er sei befremdet, „dass es menschliche Wesen gäbe, die so frech und schamlos seien“, derartiges vorzuschlagen.

In Mitteleuropa haben zuerst einige Städte, beispielsweise Nürnberg im Jahre 1449, den Versuch von Volkszählungen unternommen. Bei den später durchgeführten landesweiten Zählungen wurde die Zahl der Feuerstellen ermittelt, wodurch sich die Bevölkerung über eine geschätzte durchschnittliche „Anzahl der Personen pro Feuer“ ermitteln ließ.

Von Bedeutung bei der Erfassung der Bevölkerung waren auch kirchliche Aufzeichnungen. So mussten die Pastoren Bücher über die „Seelen“ führen (lateinisch „liber status animarum“). In einzelnen Ländern war das Interesse an diesen Aufzeichnungen besonders groß. Schweden besaß im 17. Jahrhundert hervorragende Daten. In Württemberg legten die Pfarrer Familienbücher an, in denen auch die Anzahl und das Alter der Kinder verzeichnet waren. In einigen Teilen Europas, wie in Frankreich, Spanien und Italien reichen die Quellen zurück bis in das 14. und 15. Jahrhundert.

Moderne Volkszählungen

Die erste Volkszählung in Österreich ordnete Maria Theresia 1754 an

Die erste Volkszählung im modernen Sinne wurde 1665 in Kanada durchgeführt. In Preußen begann man 1686 mit der Zählung der Landbewohner. In der Mark Brandenburg wurden 1719 Bevölkerungstabellen der Städte zur Vorbereitung der ersten allgemeinen Volkszählung 1725 angefertigt. Aus Island (1703), Finnland und Schweden (1749) sind Volkszählungen bekannt. Die erste Volkszählung in Österreich wurde nach den Verwaltungsreformen unter Maria Theresia 1754 durchgeführt. In Frankreich fanden ab 1762 Zählungen statt, in Dänemark und Norwegen ab 1769.

In den USA sind Volkszählungen im Zehnjahresrhythmus von der Verfassung vorgeschrieben, die 1789 in Kraft trat. Die erste Volkszählung erfolgte 1790, seitdem in allen Dekadenjahren. Später wurde für diesen Zweck vom Kongress das United States Census Bureau als Bundesbehörde eingerichtet.

1795 wurde auch die Bevölkerung der Niederlande erstmals vollständig gezählt, da ein Ausschuss, der eine Verfassung für die Einwohner des Landes aufstellen sollte, die Informationen benötigte. Nach 1800 fanden in fast allen europäischen Ländern mehr oder weniger regelmäßige Volkszählungen statt. Großbritannien startete seine erste Datenerhebung am 10. März 1801. In der Schweiz werden Volkszählungen ab 1850 (seit der Gründung des Bundesstaates) in der Regel bis heute alle zehn Jahre durchgeführt. Auch in Österreich erfolgt durch die Statistik Austria seit 1869 alle zehn Jahre eine Volkzählung. Im 19. Jahrhundert erfolgten die ersten Zählungen in Indien und einigen südamerikanischen Staaten, im Großteil der Länder der sogenannten Dritten Welt wurden zumeist erst im Laufe des 20. Jahrhunderts erste Volkszählungen abgehalten (z.B. Burkina Faso erstmals 1975, Afghanistan 1979, Äthiopien 1984, Laos 1985). Aufgrund diverser innerstaatlicher, politischer Wirren kam es zudem in einigen Staaten zu langen Unterbrechungen der Volkszählung, so fand in Argentinien zwischen 1914 und 1947 keine Zählung statt, in Uruguay gar von 1908 bis 1963 nicht.

Der Statistische Kongress 1872 in Sankt Petersburg empfahl schon den auch jetzt noch üblichen Zehnjahresrhythmus, wobei in den mit Null endenden Jahren gezählt werden sollte. Diese Empfehlung wurde vom Völkerbund, später von den Vereinten Nationen übernommen; Zählungen können jedoch auch im vorhergehenden oder nachfolgenden Jahr vorgenommen werden. Da sich die Mehrzahl der Länder der Welt an diese Empfehlung hält, liegen weltweit offizielle Angaben zur Bevölkerung vor; dieses Material bildet beispielsweise die Grundlage für Bevölkerungsprognosen für diese Länder. In Sonderfällen gibt es allerdings Gründe, den Zahlenangaben zur Bevölkerung zu misstrauen.

Der Erfassungsgrad der Weltbevölkerung durch Volkszählungen betrug Mitte des 19. Jahrhunderts ca. 17 % und erreichte zur Mitte des 20. Jahrhunderts mit ca. 78 % einen ersten Höchststand. Dadurch, dass zwischen 1954 und 1982 in China, dem bevölkerungsreichsten Staat der Erde, keine Volkszählung durchgeführt wurde, sank der Erfassungsgrad wieder. Ende des 20. Jahrhunderts wurde mittlerweile in nahezu allen Staaten der Welt eine Volkszählung im mondernen Sinne abgehalten, die großen Genauigkeitsunterschiede sowie große zeitliche Schwankungen (Erhebungszeitpunkte bzw. -invervalle) in vielen Ländern erschweren die direkte Vergleichbarkeit der Erhebungen.

Die auf internationalen Erfahrungen beruhenden Erkenntnisse und die technische Entwicklung führten zum ersten Mal bei den Volkszählungen in Österreich und den USA im Jahre 1890 zur Verwendung der Lochkartentechnik. In der Gegenwart ist der Einsatz von Computertechnologie bei der Vorhaltung, Verdichtung und Auswertung der Daten Standard, obwohl bei der unmittelbaren Erhebung der schriftlich auszufüllende Fragebogen in den meisten Ländern noch immer Praxis ist. Den Volkszählungsbogen per Internet ausfüllen konnten die Bürger – zum ersten mal in Europa – beim Zensus in der Schweiz im Jahre 2000. Jeder Haushalt erhielt mit dem Fragebogen einen Benutzernamen und ein Passwort, mit dem die Teilnehmer sich im Internet unter einer bestimmten Adresse einwählen konnten. Bisher wurde das Internet bei Zählungen in Singapur und den USA – allerdings nur bei Stichproben und als Test – angewendet.

In Ländern mit einer langen Tradition von registerbasierten statistischen Erhebungen, wie Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden, erfolgte die Ablösung der traditionellen Methode der Volkszählung durch das Modell der Registerzählung. Dänemark war 1981 das weltweit erste Land, das auf die neue Methode umstellte. In den nordeuropäischen Staaten wurden bereits nach dem Zweiten Weltkrieg lokale Einwohnerregister aufgebaut. Diese sind bereits landesweit vernetzt und mit persönlichen Identifikatoren ausgestattet. Zusätzlich bestehen zentrale Einwohnerregister. Für 2010/2011 planen auch die Regierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Umstellung auf das „registergestützte“ Modell[2]. Staaten ohne Melderegister werden aber auch in Zukunft nicht auf die traditionelle Methode der Zählung per Fragebogen verzichten.

Probleme der Bevölkerungserfassung

Politische Gründe

Aus Gründen der Staatsräson werden Teile der Bevölkerung mit Absicht nicht vollständig erfasst oder durch die Bevölkerungsstatistik zahlenmäßig vergrößert. Beispielsweise waren in den früheren Kolonien die Kolonialmächte daran interessiert, die einheimische Bevölkerung zahlenmäßig so klein wie möglich auszuweisen. Rivalitäten aus ethnischen Gründen (zum Beispiel Stammesrivalitäten) lassen es für einige Gruppen als richtig erscheinen, andere Gruppen zahlenmäßig zu verkleinern und die eigene Gruppe zu vergrößern, beispielsweise wenn nach der Bevölkerungszahl Parlamentssitze oder der Anteil an der Beamtenschaft festgelegt werden. (So waren für einige Staaten Afrikas auswärtige Schätzungen besser nutzbar als offizielle Bevölkerungsfortschreibungen oder Ergebnisse von Volkszählungen.)

Weiterhin kann der Gedanke auf eine höhere Entwicklungshilfe dazu führen, die Bevölkerungszahl zu erhöhen. Wenn mehr Menschen in einem Gebiet leben, so ist es eher förderwürdig, beziehungsweise das jeweilige Bruttoinlandsprodukt verteilt sich auf mehr Menschen, was zu einer Verringerung des statistischen Pro-Kopf-Einkommens führt und damit eine Wirtschaftshilfe dringlicher erscheinen lässt als sie es wäre. Allerdings entspricht diese Unterstellung einem antiquierten Begriff von „Entwicklungshilfe“ der sechziger Jahre, zumal heute Weltbank oder Europäischer Entwicklungsfonds die mit ihren Mitteln durchgeführten Statistiken streng kontrollieren.

Aus politischen Gründen werden Personen in einige Regionen aus- oder eingegliedert. Beispiele: Die Republik Südafrika gliederte unter der Herrschaft der weißen Bevölkerung Zehntausende von Menschen mit schwarzer Hautfarbe in die sogenannten Homelands ein, um den weißen Bevölkerungsanteil von Südafrika zu vergrößern (Apartheid). Für Angaben zur Gesamtbevölkerungszahl der Volksrepublik China war noch bis zu Beginn der Wirtschaftsreformen 1978 schwer festzustellen, ob die Bevölkerung Taiwans enthalten war oder nicht. Auch gab es wegen der politischen Wirren (Kulturrevolution) zwischen 1964 und 1982 keine Volkszählungen im Land.

Kriege und Naturkatastrophen

Sowjetische Truppen beim Rückzug aus Afghanistan 1988 – Afghanischer Bürgerkrieg und sowjetische Invasion verhinderten seit 1979 eine Volkszählung im Land. Foto: Mikhail Evstafiev

In einigen Ländern gab und gibt es noch keine Bevölkerungserfassung oder Bevölkerungsfortschreibung. Beispiele: In Angola war die letzte Volkszählung 1970. Der Bürgerkrieg zwischen 1975 und 2002 machte eine Zählung der Bevölkerung des Landes unmöglich (siehe Geschichte Angolas). In Afghanistan erfolgte die erste und letzte Volkszählung 1979 – Afghanischer Bürgerkrieg und sowjetische Invasion verhinderten diese bis heute – frühere und spätere Angaben zur Bevölkerung beruhten und beruhen immer auf Schätzungen.

Kriege verhindern Zählungen und kontinuierliche Bevölkerungserfassungen. Beispiele: In Kambodscha starben während der Diktatur der Roten Khmer von den etwa acht Millionen Einwohnern im Jahre 1974 nach verschiedenen Quellen bis 1979 rund drei Millionen. Bis zur Volkszählung von 1998 gab es jedoch keine zuverlässigen Angaben zur Bevölkerung des Landes. Nicht auszudenken wären die Folgen, hätte das kambodschanische Regime damals zur Vernichtung der Intellektuellen und Kritiker auf die Unterstützung moderner Informationstechnologie und Bevölkerungsstatistik zurückgreifen können. Während des Völkermordes in Ruanda 1994 starben von den acht Millionen Einwohnern der Volkszählung von 1991 etwa 10 bis 25 Prozent, ein Viertel flüchtete in die Nachbarstaaten und ein weiteres Viertel der Bevölkerung innerhalb des Landes.

In durch Naturkatastrophen (Dürre, Überschwemmungen, Stürme, Erdbeben, Vulkanausbrüche) betroffenen Regionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sind oft jahrelang keine Volkszählungen möglich. Die Flüchtlingsströme in und aus diesen Gebieten erschweren eine Erfassung der Bevölkerung.

Weitere Probleme

Gruppen in wenig erschlossenen Gebieten entziehen sich bewusst (ihre Devise lautet: Eine Erfassung hilft uns nicht) oder unbewusst (wegen fehlender Kommunikation oder ungünstiger geografischer Lage) einer Erfassung. Beispiel: Schätzungen zu den durch Volkszählungen nicht erfassbaren brasilianischen Urwaldbewohnern (Indigene Völker) sprechen von 50.000 bis 150.000 Personen. Für eine technokratische Politik, die glaubt, alle Sachverhalte des Daseins empirisch erfassen zu können, ist diese Datenlücke ein Gräuel. De facto sichert aber auch die teilweise Nichterfassung vorläufig die Existenz einiger von der Regenwaldzerstörung bedrohter indigener Völker wie der Tagaeri und Taromenani in Ecuador[3].

Über bestimmte Angaben zur Person ist kein exaktes und statistisch verwertbares Wissen vorhanden. Beispiele: Altersangaben zur Person sind nicht exakt verfügbar. Unklar ist, ob eine Person in Region A oder B zu erfassen ist (zum Beispiel bei Auslandsaufenthalten).

Probleme gibt es nach wie vor bei der Bevölkerungsfortschreibung in Entwicklungsländern. Betrachtet man nur die Geburten und Sterbefälle, so ist die Untererfassung der Sterbefälle ausgeprägt. Besonders in Afrika und Lateinamerika wurde festgestellt, dass bei bestimmten Bevölkerungsgruppen zahlreiche Todesfälle bei Kindern und Neugeborenen nicht registriert worden waren. Aus diesen Gründen ist die Differenz zwischen Geburten und Sterbefällen tatsächlich wahrscheinlich geringer, damit natürlich auch das Bevölkerungswachstum, so dass die jährlichen Wachstumsraten einiger Länder etwas zu hoch ausgewiesen werden.

Unsicherheiten in den Industriestaaten

Selbst in den Industriestaaten kann es zu beträchtlichen Fehlern kommen. Beispiel: In den USA gibt es bis heute keine dem Melderecht in Deutschland vergleichbare Meldepflicht, woraus ein ständig geschätzter Fehler in der Erfassung von fünf bis sechs Millionen Personen resultiert. Aufgrund der verbindlichen Sozialversicherungsnummer einerseits und der Registrierung von Wählern vor Wahlen ergeben sich zwar Indikatoren zur Ermittlung einer gewissen statistischen Grundgesamtheit der Bevölkerung, aber keine verlässlichen Daten. Gerade deshalb wäre jedoch interessant zu wissen, wieso US-amerikanische Soziologie, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und Forschung zu weltweit anerkannten Ergebnissen kommen, ohne dass dort eine Volkszählung als Totalerfassung stattgefunden hat. In Staaten mit ausgezeichneter Bevölkerungsstatistik (wie zum Beispiel in den meisten hochentwickelten Industriestaaten) gibt es Unsicherheitsmöglichkeiten in der Bevölkerungserfassung jedoch im Allgemeinen in anderen Größenordnungen als in den oben aufgeführten Beispielen. Man kann sich aber darauf verlassen, dass in Ländern mit langjährigen statistischen Erfahrungen die Angaben zu den Volkszählungen exakt sind, wobei in der Regel nicht nur eine Personenzählung stattfindet, sondern eine Fülle notwendigen statistischen Materials aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erfasst und ausgewertet wird.

Entwicklung in Deutschland

Zählungen 1834–1925

Von 1834 bis 1867 führte der Deutsche Zollverein regelmäßig alle drei Jahre Volkszählungen in den Mitgliedsländern durch. Diese waren notwendig, da die Einnahmen des Zollvereins in Bezug zur Einwohnerzahl verteilt wurden. Im Deutschen Reich fanden Zählungen 1871 und von 1875 bis 1910 alle fünf Jahre statt. Am 1. Dezember 1900 ermittelte eine Volkszählung im Deutschen Reich 56.345.014 Einwohner; das entsprach einem Bevölkerungszuwachs von insgesamt 7,78 Prozent in den letzten fünf Jahren. Die letzte Zählung vor dem Ersten Weltkrieg fand am 1. Dezember 1910 statt. Danach wurde nur noch in unregelmäßigen Abständen gezählt. Nach zwei Kriegsvolkszählungen jeweils am 5. Dezember 1916 und 1917 zum Zweck der Lebensmittelverteilung wurden am 8. Oktober 1919 und 16. Juni 1925 wieder reguläre Volkszählungen durchgeführt.

Zensus unter dem Hakenkreuz

Die Zählungen von 1933 und 1939 während der Zeit des Nationalsozialismus waren gleichzeitig Volks-, Berufs- und Betriebszählungen und wurden wie die von 1925 von dem Bevölkerungswissenschaftler Friedrich Burgdörfer geleitet. Die Ergebnisse beider Volkszählungen bildeten die wichtigste Voraussetzung zur Festlegung der zur späteren Deportation vorgesehenen Bevölkerung. Bereits in der Zählung vom 16. Juni 1933 wurden etwa eine halbe Million „Glaubensjuden“ erfasst. Mit der Zählung 1939 wurde für alle Juden, „Mischlinge“ und Ausländer eine „Ergänzungskarte“ ausgefüllt, die als Grundlage für die Reichskartei der Juden und „jüdischen Mischlinge“ im Sinne der NS-Rassengesetzgebung diente. Diese enthielt Namen, Geburtsnamen, Wohnung, Geschlecht, Geburtstag, Religion, Muttersprache, Volkszugehörigkeit, Beruf und Kinderzahl unter 14 Jahren des jeweiligen Haushalts.

Das Statistische Reichsamt erstellte daraus auf Anordnung des Reichsinnenministers Wilhelm Frick vom 17. Mai 1939 eine „Volkstumskartei“, die, so der Historiker Götz Aly, der „Schlußstein in der Erfassung der Juden“ und die bürokratische Voraussetzung ihrer Deportation und Vernichtung wurde[4]. Da es sich dabei um keinen Missbrauch, sondern von Anfang an gewollte Ergebnisse handelte, erläuterte die „Statistik der Deutschen Reiches“ 1936 zum Zweck der Sonderzählung, um „einen Überblick über die biologischen und sozialen Verhältnisse des Judentums im Deutschen Reich“ zu bekommen, „im Hinblick auf die grundsätzliche Umgestaltung, die in der Stellung des Judentums zu seinem deutschen Wirtsvolk durch die nationalsozialistische Regierung herbeigeführt worden ist“[5].

Zählungen im geteilten Deutschland

Logo der Volks-, Berufs-, Wohnraum- und Gebäudezählung zum Stichtag 31. Dezember 1981 in der DDR

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Dezember 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone, im Januar 1946 in der Französischen Besatzungszone und im Oktober 1946 in allen vier Besatzungszonen Deutschlands unter Verantwortung der Besatzungsmächte Volks- und Berufszählungen durchgeführt. Dies geschah insbesondere, um die Kriegsverluste und die zahlreichen Ströme von Flüchtlingen, Umsiedlern und Heimatvertriebenen zu erfassen. Nach Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 fanden dort mehrere Volkszählungen statt.

In der DDR erfolgten die Zählungen von 1950 und 1964 als Volks- und Berufszählungen. Die Ergebnisse von 1950 wurden aus politischen Gründen nicht veröffentlicht. Die Zählungen von 1971 und 1981 fanden in der DDR als komplexe Volks-, Berufs-, Wohnraum- und Gebäudezählungen statt. Die Daten von 1964 wurden von der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik umfassend veröffentlicht, die Ergebnisse der Zählungen von 1971 und 1981 dagegen nur teilweise freigegeben.

Die in der Bundesrepublik 1950 und 1987 durchgeführten Zählungen waren gleichzeitig Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählungen, die Zählungen von 1961 und 1970 erfolgten als Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählungen. Während der Gebäude- und Wohnungszählung von 1956 wurde auch die Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik gezählt („kleine Volkszählung“). Die Veröffentlichung der Daten aller Zählungen in der Bundesrepublik Deutschland, ab 1994 auch der Ergebnisse der Volkszählungen in der DDR, erfolgte vom Statistischen Bundesamt.

Die Volkszählung von 1987

Vorgeschichte

Briefmarkenausgabe zur Volkszählung 1987
Personenbogen der Volkszählung 1987

Die Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland war vom Bund ursprünglich bereits für das Jahr 1981 geplant. Sie war in den Augen der Bundesbehörden neben anderen Gründen notwendig geworden, um die Infrastruktur einem veränderten sozialen Gefüge anzupassen und entsprechend neue Maßnahmen einzuleiten. Dies galt für Verkehrsplanung ebenso wie für die soziale Versorgung und anderes. Kritiker wandten dagegen ein, dass Volkszählungen lediglich den Status Quo wiedergäben, nicht aber Versorgungsmängel, wenn beispielsweise eine befragte Person mangels vorhandener öffentlicher Verkehrsmittel das widerwillig benutzte Auto als Verkehrsmittel zur Arbeitsstätte angeben müsse und formulierten „Misstrauen gegen Planungsunwilligkeit und Planungsunfähigkeit“ der Verantwortlichen.[6]

Wegen eines Streits um die Höhe des Bundeszuschusses zur Volkszählung verzögerte sich die Verabschiedung des Gesetzes bis 1982 und damit der geplante Zähltermin auf 1983.[7]

Die 1983 gegen den Widerstand breiter Bevölkerungskreise durchgesetze Stationierung von Mittelstreckenraketen, die Atompolitik sowie Großprojekte wie die „Startbahn West“ des Frankfurter Flughafens oder der Rhein-Main-Donau-Kanal trugen mit dazu bei, dass sich innerhalb weniger Wochen nach Bekanntgabe der Fragebögen bereits hunderte von Bürgerinitiativen gebildet hatten, die zum Boykott der Volkszählung aufriefen. Auch Prominente wie Günter Grass, der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Helmut Simon sowie Manfred Güllner, Gründer des Forsa-Instituts, unterstützten die Kritik, die weit über die Fragen des Datenschutzes hinausging. Der zentrale Punkt der Kritiker war die Absicht, die in der Volkszählung erhobenen Daten für eine Korrektur der Meldedaten zu verwenden. Ein besonders brisanter Punkt war die vorgesehene zusätzliche Aufwandsentschädigung für das Erfassen nicht im Melderegister geführter Personen. Für jeden auf diese Weise gefundenen Deutschen sollte es 2,50 DM, für jeden Ausländer 5,- DM Entschädigung geben.[8]

Die Zählung, die für den 27. April 1983 geplant war, wurde zunächst bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 ausgesetzt, dann schließlich laut Urteil untersagt. Die erfolgreichen Kläger hatten beanstandet, dass die Ausführlichkeit der Fragen in den entsprechenden Volkszählungsbögen bei ihrer Beantwortung Rückschlüsse auf die Identität der Befragten zulasse und somit den Datenschutz unterlaufe, damit folglich gegen das Grundgesetz verstoße. Im Hintergrund stand die Befürchtung des so genannten Gläsernen Bürgers. Teilweise wurde die Volkszählung als Schritt in Richtung Überwachungsstaat gesehen. Mit dem historisch bedeutsamen Volkszählungsurteil (1 BvR 209/83) formulierte das Gericht das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung, das sich aus der Menschenwürde (Artikel 1 Grundgesetz) ableitet.

Zählung mit Hindernissen

Protest gegen die Volkszählung 1987: Beklebung der Berliner Mauer mit Personenbögen

Für den Zensus 1987 musste in Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (siehe Volkszählungsurteil von 1983) die Befragung teilweise neu konzipiert werden, indem personenbeziehbare Angaben von den Fragebögen getrennt und die Fragebögen selbst überarbeitet wurden, um die Anonymität der Befragten besser zu gewährleisten.[9] Bereits ein Dreivierteljahr vor dem Stichtag 25. Mai 1987 wurde eine Akzeptanzkampagne „Zehn Minuten, die allen helfen“ gestartet, die 46 Mio. DM kostete, aber so wenig überzeugte, wie etwa die Gesetzesbegründung, aufgrund der Volkszählung könnten „gezielte Maßnahmen zum Abbau der Benachteiligung der Frau am Arbeitsplatz und zur Verbesserung ihrer Berufschancen getroffen“ werden. Angesichts einer Politik, die zeitgleich auf Eigeninitiative, Rückbau des Sozialstaates und Privatisierung setzte, geriet die Behauptung der Werbung, die Volkszählung trage zur „Sicherung der Renten“ oder „Schaffung von Arbeitsplätzen“ bei, in eine Glaubwürdigkeitsfalle, die die Kritiker erfolgreich nutzten. So ermittelte das Emnid Institut im Dezember 1987 die Bedrohung durch Datenmissbrauch an vierter Stelle der Befürchtungen von Bundesbürgern hinter Kriegsgefahr, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung[10].

Anders als 1983 richtete sich die Kritik der Volkszählungsgegner weniger auf Gefahren etwa von De-Anonymisierung von Erhebungsdaten als vielmehr gegen eine „schleichende Einschränkung von Bürgerrechten“ und sie verstanden den Boykottaufruf als „zivilen Ungehorsam für mehr Demokratie“[11]. Die Akteure thematisierten den ihrer Meinung nach immer stärkeren Datenaustausch von Polizei und Geheimdiensten ebenso wie die Datensammlungen der Wirtschaft im Fortschreiten der Computerisierung. Sie warfen den Initiatoren der Volkszählung vor, sie förderten technokratische Politik und setzten ihre Forderung nach mehr demokratischer Mitgestaltung durch die Bürger dagegen. Statt „gläsernen Bürgern“ forderten sie den „gläsernen Staat“, etwa ein Informationsfreiheitsgesetz nach amerikanischem Vorbild und mehr direkte Demokratie.

Der Boykott wurde von einem breiten Bündnis verschiedener sozialer und politischer Gruppen getragen und vom „Koordinierungsbüro gegen den Überwachungsstaat“ im Bonner Büro der Jungdemokraten, der ehemaligen Jugendorganisation der FDP, organisiert. Auch die damalige Partei „Die Grünen“, zu der Zeit seit etwa vier Jahren im Bundestag vertreten, gehörte zu den Kritikern der Volkszählung und beteiligte sich mit vielen ihrer Mitglieder an der Kampagne. Aber auch Teile der Gewerkschaften GEW, ÖTV und IG Druck, der Jugendtag der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau oder der 11. Strafverteidigertag nahmen gegen die Volkszählung Stellung. Selbst Kommunen wie Freiburg und Wülfrath verabschiedeten Resolutionen gegen die Volkszählung oder mussten gar wie Lübeck und Essen auf dem Verwaltungs- und Gerichtsweg zur Durchführung des Zensus angewiesen werden.

Die Argumentation der Kritiker wurde mit näher rückendem Stichtag durch die staatliche Reaktion auf Boykottaufrufe bestärkt. Volkszählungskritikern wurde „Rechtsbruch“ (Friedrich Zimmermann) unterstellt, der Verfassungsschutz Niedersachsen beobachtete Jungdemokraten, Jusos und die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union. Obwohl bundesweit über 100 Haussuchungen bei Volkszählungsgegnern einschließlich der SPD-Parteizentrale wegen angeblicher „Sachbeschädigung“, – dem Aufruf zum Abschnippeln der Kontrollnummer auf den Erhebungsbögen – durchgeführt wurden, stieg die Zahl von Bürgerinitiativen laut Berliner tageszeitung von 350 im Herbst 1986 auf über 1.100 im April 1987 an. Über 900 Volkszählungsgegner wanderten in die „APIS“-Dateien des Bundeskriminalamts und allein in Baden-Württemberg wurden 653 Personen im „polizeilichen Meldedienst“ gespeichert, was die Datenschutzbeauftrage des Landes als „maßlose Überreaktion“ beurteilte[12]. Die überwiegende Mehrzahl der Strafverfahren wurde zwar 1988 eingestellt, aber die staatliche Reaktion hatte insgesamt die Argumente der Volkszählungsgegner geradezu bestärkt.

Die Durchführung des Zensus geriet zu einem publizistischen Wettstreit um den jeweiligen Erfolg. Während Bundesinnenminister Zimmermann das Scheitern des Boykotts verkündete, präsentierten „alternative Sammelstellen“ im Herbst 1987 1,1 Mio. unausgefüllte Erhebungsbögen. In Hamburg wurde der Chef des Statistischen Landesamtes im März 1988 abgelöst, weil er zunächst die Probleme mit der Volkszählung heruntergespielt hatte, dann öffentlich bekennen musste, dass 248.000 Fragebögen, etwa 13 % fehlten[13]. In Köln schloss die Erhebungsstelle 1988 mit offiziell bestätigten 5 % Boykott ab, in Wiesbaden bestätigte der Erhebungsstellenleiter noch im September 1987 über 15 % fehlende Antworten, weitere 10 % der Bürger hätten überhaupt noch keinen Erhebungsbogen bekommen [14].

Aber auch die Boykotteure hatten ihre „Sorgen“: So beklagte das „Koordinierungsbüro“ im Sommer 1987, die Initiativen überprüften die angelieferten Personenbögen so genau darauf, dass auch wirklich die jeweilige Anzahl Boykotteure dahinterstehe und dass dies zu erheblichen Zeitverzögerungen führe. Auf beiden Seiten wurde aber auch phantasievoll agiert: So prangte vor einem wichtigen Bundesligaspiel „Boykottiert und Sabotiert die Volkszählung“ auf dem Dortmunder Stadionrasen und widersetzte sich allen Löschversuchen, woraufhin mit Zustimmung Richard v. Weizsäckers für das Fernsehpublikum ein „Der Bundespräsident:“ davor und ein „nicht!“ angefügt wurden. NRW-Innenminister Herbert Schnoor wiederum schickte den vom Bundesjugendministerium finanziell disziplinierten Jungdemokraten einen Scheck über 100 DM mit der Bemerkung, trotz unterschiedlicher Meinung in der Sache sei er gegen jegliche Zensurversuche.

Ergebnisse

Die ermittelten Ergebnisse besaßen nach Angaben der statistischen Ämter eine insgesamt gute Qualität. Obwohl viele den Boykottaufruf trotz drohender Bußgeldverfahren befolgten und die Bögen nicht ausfüllten (manche füllten sie auch bewusst falsch aus), war der Rücklauf der in einem Ankreuz-Verfahren ausgefüllten Bögen, die an jeden Haushalt verteilt worden waren, groß genug, so dass die erhobenen Daten ausgewertet werden konnten. Die Qualität der Daten war ebenso wie die Frage von Verfälschungseffekten umstritten. So bezeichnete etwa der Informatiker Klaus Brunnstein die Ergebnisse als „Daten-GAU“ wegen der Unterschiedlichkeit der Rücklaufquoten und diagnostizierte einen Anfangsfehler der Daten nach über einem Jahr von bis zu 25 %[15]. Andere Autoren behaupten dagegen bis heute, von Verfälschungseffekten sei nichts bekannt geworden. Auch die wissenschaftliche Begleitforschung des Kölner Soziologen Erwin K. Scheuch hilft bei der Beantwortung der Frage nicht weiter, da diese weder nach der Qualität der ermittelten Daten fragte, noch etwa Methodenvergleiche zur Genauigkeit anderer statistischer Erhebungen wie freiwilliger Umfragen anstellte, sondern lediglich die Einstellungen der Befragten erforschte.

Das statistische Bundesamt verweist auf die erfolgten Korrekturen zwischen Zählergebnissen und alten, fortgeschriebenen Bevölkerungsdaten. Inwieweit jedoch die ermittelten Volkszählungsergebnisse ein reales Abbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit bieten können, ist damit nicht beantwortet. So stellt jede Volkszählung nur eine näherungsweise Abbildung zum Stichtag dar. Allein die Migrationszahlen nach Deutschland 1989: 872.000 Einwanderer incl. Asylsuchende 1990: 590.000 und 1991: 477.000 und aus Deutschland: 1989: 422.000, 1990: 545.000 und 1991: 580.000 (alle Zahlen Jahrbücher des Statistischen Bundesamtes) verdeutlichen die Schwierigkeit, eine scheinbar exakte Einwohnerzahl zu einem Stichtag zu ermitteln.

Da die Volkszählung die Grundlage für die Fortschreibungsergebnisse des Statistischen Bundesamtes und der Statistischen Landesämter bildet, entstanden auf Grund des langen Zeitraumes (17 Jahre) zur letzten Volkszählung von 1970 immer größere Fehler in den Berechnungen der Statistischen Ämter. So ergab die Volkszählung vom 25. Mai 1987 beispielsweise für West-Berlin eine Einwohnerzahl von 2.014.121. Das Ergebnis der Fortschreibung vom Statistischen Landesamt für den 24. Mai 1987 lag – auf Basis der Zählung von 1970 – damit um 133.062 Personen (7,1 Prozent) zu niedrig. Für München dagegen wurden 89.647 Personen (7,0 Prozent) zu viel fortgeschrieben. Für Roth (bei Nürnberg) lag die Abweichung des Fortschreibungsergebnisses des Statistischen Landesamtes bei 18 Prozent, das waren im Vergleich zum Volkszählungsergebnis 4.343 Personen zu viel. Für Göttingen wurden 14,5 Prozent (19.519 Personen) zu viel fortgeschrieben. Die Fehlerquoten der Fortschreibungsergebnisse der Statistischen Landesämter lagen bei den Gemeinden mit mehr als 200.000 Einwohnern im Durchschnitt bei 1,0 bis 1,6 Prozent, bei den Gemeinden mit 10.000 bis unter 200.000 Einwohnern im Vergleich zu den Volkszählungsergebnissen bei durchschnittlich 0,3 bis 0,7 Prozent.

Insgesamt musste auf Grund der ermittelten Einwohnerdaten die Summe im Länderfinanzausgleich um etwa 935 Millionen DM berichtigt werden, die Summe im kommunalen Finanzausgleich der Großstädte um rund 700 Millionen DM korrigiert werden. Die fortgeschriebene Zahl der Erwerbstätigen lag im Vergleich zu den Ergebnissen der Volkszählung um eine Million (3,6 Prozent) zu niedrig, die Anzahl der Ausländer um fast 600.000 (12,0 Prozent) zu hoch, die Zahl der Wohnungen (25,9 Millionen) um rund eine Million (3,8 Prozent) zu hoch. Die Anzahl der Erwerbstätigen musste auf Grund der Volkszählungsergebnisse um eine Million nach oben korrigiert werden, die Arbeitslosenquoten in etwa einem Drittel der Arbeitsamtsbezirke um rund 20 Prozent nach unten angepasst werden[16].

Nach der Wiedervereinigung

Die ursprünglich für 1991 in der Bundesrepublik und der DDR geplanten Volkszählungen wurden nicht mehr durchgeführt.[17] So fanden seit 1987 in der Bundesrepublik keine Volkszählungen mehr statt – auch nicht nach der Wiedervereinigung von 1990, nachdem die ostdeutschen Länder der Bundesrepublik beigetreten waren und damit etwa 16 Millionen weitere Bürger mit anderen infrastrukturellen Voraussetzungen zum Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hinzu kamen. Dies geschah überwiegend aus finanziellen Gründen – die letzte Volkszählung 1987 hatte umgerechnet rund 500 Millionen Euro gekostet –, aber auch wegen fehlender Akzeptanz in der Bevölkerung und der skeptischen Grundhaltung zahlreicher Politiker in allen Parteien.

Da in Deutschland auch die jährlichen Zu- und Abwanderungen in das Ausland im Gegensatz zu den Geburten und Sterbefällen nicht vollständig registriert werden, gibt es gegenwärtig keine genauen Angaben über die Zusammensetzung der Bevölkerung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben sich schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen bei der Ausreise aus Deutschland in ihrem Wohnort nicht abgemeldet. Die Anzahl der in Deutschland nicht registriert lebenden Personen beträgt etwa 500.000 bis eine Million. Die Einwohnerzahlen der Gemeinden beruhen alle auf den beiden letzten Volkszählungen in Deutschland (1981 in Ost- und 1987 in Westdeutschland). Da sich viele Menschen bei der Ein- und Ausreise nicht korrekt an- und abmelden, steigt die Fehlerquote in den Berechnungen der Statistischen Ämter mit den Jahren, deren Ausmaß naturgemäß unbekannt ist.

Allerdings wurden Anfang Juli 2007 sämtliche Melderegisterdaten aller Einwohner zur Vergabe einer einheitlichen Steuernummer an das Bundesamt für Steuern geliefert, das daraus bis zum Jahresende 2007 eine 11-stellige Steuernummer für jeden einzelnen Einwohner generiert. Diese werden mit den Melderegistern abgeglichen, Zweifelsfälle bereinigt. Damit wird nicht nur ein Zentralregister entstehen, das verfassungsrechtlich nicht unumstritten ist und natürlich auch nicht für statistische Zwecke zur Verfügung steht. Aber als Nebeneffekt ist davon auszugehen, dass die Melderegisterdaten nach dieser „Erhebung“ weitaus exakter sein werden, als bisher.

Teilnahme an der EU-weiten Zensusrunde 2011

Mit einem Kabinettsbeschluss vom 29. August 2006 entschied die Bundesregierung von CDU/CSU und SPD, dass sich Deutschland an der EU-weiten Zensusrunde 2011 mit einem registergestützten Verfahren beteiligen wird[18]. 2000/2001 waren Deutschland und Schweden die einzigen Staaten innerhalb der EU, die nicht am europaweiten Zensus teilnahmen. Im Unterschied zu früheren Jahrzehnten erfolgt keine traditionelle Volkszählung, bei der alle Einwohner befragt werden. Das Verfahren des registergestützten Zensus nutzt stattdessen hauptsächlich Verwaltungsregister – vor allem die der Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit. Daneben werden Informationen über Gebäude und Wohnungen, über die es keine flächendeckenden Verwaltungsdaten gibt, postalisch bei den Gebäude- und Wohnungseigentümern erfragt. Ergänzende Stichproben ermitteln per Interviews beispielsweise Daten zu Ausbildung und Bildung, die ebenfalls nicht in den Verwaltungsunterlagen vorliegen. Diese Stichproben dienen außerdem dazu, die in den Melderegistern aufgetretenen Ungenauigkeiten statistisch zu korrigieren. Die amtliche Statistik hat diese Methode in den Jahren 2001 bis 2003 getestet.[19]

Mit der Erforschung einer Methodik zur kleinräumigen Auswertung der Stichprobenergebnisse (Small Area Estimations) sind das Mannheimer Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen und der Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Trier unter Leitung von Ralf Münnich beschäftigt. Dabei wird ein Stichprobenplan entwickelt, der moderate Kosten und einen geringen Befragungsaufwand mit qualitativ hohen Angaben aus dem Zensus verbindet. Hierfür sollen neue Erhebungsmethoden erforscht und auf ihre praktische Einsatztauglichkeit hin getestet werden. Das Projekt wird im September 2010 rechtzeitig vor der Durchführung des Zensus in Deutschland abgeschlossen werden.

Das Verfahren der registergestützten Volkszählung soll zu ebenso belastbaren Ergebnissen führen wie eine traditionelle Volkszählung. Zugleich sollen für die Steuerzahler geringere Kosten anfallen. Während eine neue Zählung nach der herkömmlichen Methode nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung schätzungsweise eine Milliarde Euro kosten würde, fallen nach dem neuen Modell Kosten von etwa 300 Millionen Euro an [20]. Schätzungen des Statistischen Bundesamtes gehen von circa 1,4 Milliarden Euro für eine traditionelle Volkszählung und rund 450 Millionen Euro bei einem registergestützten Zensus aus [21].

Wissenschaftliche Zensuskommission

Der Bundesminister des Inneren berief am 14. September 2007 eine wissenschaftliche Kommission, die die Volkszählung und die Auswertung ihrer Daten wissenschaftlich begleiten und unterstützen soll.[22] Zum Vorsitzenden der „Zensus-Kommission“ wurde der Vorsitzende des Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten, Gert G. Wagner berufen, Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre an der TU Berlin und Forschungsdirektor am DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung). Die Zensuskommission hat die Aufgabe, die von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder entwickelten Konzepte, Methoden und Verfahren für den registergestützten Zensus 2011, einschließlich der ergänzenden Stichprobe, zu prüfen, die entsprechenden Umsetzungsarbeiten kritisch und konstruktiv zu begleiten sowie Empfehlungen für das weitere Vorgehen auszusprechen.

Die Zensuskommission hat am 22. Januar 2009 eine Stellungnahme zum Merkmalskatalog im Kabinettsentwurf des Zensusanordnungsgesetzes (ZensusG2011) verabschiedet. Darin bedauert sie ausdrücklich aus fachstatistischer Sicht die Beschränkung auf den EU-Pflichtkatalog und hält die von ihr geforderten Zusatzmerkmale weiter aufrecht. Ein Zensus-Merkmal zur im Haushalt gesprochenen Sprache halten die Wissenschaftler als Integrationsindikator für deutlich aussagekräftiger als die Religionszugehörigkeit. Weitere geforderte Merkmale sind u.a. Anzahl der Kinder je Frau, Pendlerbeziehungen, Energiequelle der Heizung sowie Nettokaltmiete.[23]

Zensusvorbereitungsgesetz

Zur Vorbereitung der Volkszählung 2011 wurde am 12. Dezember 2007 das Zensusvorbereitungsgesetz 2011 im Bundesgesetzblatt verkündet, das am Tage nach der Verkündung in Kraft getreten ist.

Zensusanordnungsgesetz

Mit dem Zensusanordnungsgesetz wird die entsprechende EU Verordnung in nationales Recht umgesetzt. Es regelt die Erhebungsmerkmale (z.B. Alter, Geschlecht, Schulabschluss oder Wohnfläche), definiert die Auskunftspflichtigen und macht Aussagen zu Zusammenführungen der Erhebungsteile sowie Löschungsfristen von Hilfsmerkmalen. Die politische Auseinandersetzung um dieses Gesetz ist geprägt von der Frage der Verteilung finanzieller Lasten zwischen Bund und Ländern[24], die auch Thema der 187. Sitzung der Innenministerkonferenz war und in dem Beschluss mündete, BMI und IMK mögen „möglichst rasch eine unabhängige Kostenkalkulation durch die Rechnungshöfe von Bund und Ländern veranlassen, damit eine angemessene Kostenbeteiligung des Bundes erreicht werden kann.“[25]

Das Bundeskabinett hat am 3. Dezember 2008 einen Gesetzentwurf „zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen“[26] beschlossen.[27] Dieser sieht eine 1:1 Umsetzung der von der EU geforderten Pflichtmerkmale vor. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren wurde der Gesetzentwurf umgehend dem Bundesrat zugeleitet, der sich damit am 13. Februar 2009 befasste.[28] Die Länder kritisieren am Regierungsentwurf die Einrichtung eines Referenzdatenbestandes auf Bundesebene und zweifeln die Realisierbarkeit eines ihrer Meinung nach „bislang noch nie angewandten Datenbanksystems“ an. Darüber hinaus fordert der Bundesrat im Rahmen der ergänzenden Haushaltestichprobe die Religionszugehörigkeit als Erhebungsmerkmal aufzunehmen. Schließlich fordern die Länder, „dass sich der Bund zur Hälfte an den Kosten der rund 528 Millionen teuren Erhebung beteiligt.“[29] Entgegen den Empfehlungen seiner Ausschüsse verwarf der Bundesrat die Forderungen nach Fragen zu Miete, Energie und Leerstand im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung. D.h. mit Ausnahme des Merkmals Religionszugehörigkeit sieht auch der Beschluss des Bundesrates die 1:1 Umsetzung der EU-Vorgaben vor.[30]

Der Regierungsentwurf des Zensusgesetzes 2011 wurde am 19. März 2009 in erster Lesung im Bundestag beraten, und dabei an insgesamt sieben Ausschüsse verwiesen, wobei der Innenausschuss die Federführung hat.[31] Als Themen wurden Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund genannt.[32]

Entwicklung in Österreich

Sitzungssaal des Nationalrates – Die Mandate werden auf Grund der Ergebnisse der Volkszählungen auf die Wahlkreise verteilt.

Eine erste Volkszählung („Seelenbeschreibung“) fand bereits 1754 in Österreich statt. Nach 1769 wurden auf Grund des Widerstandes von Adel und Kirche keine vollständigen Volkszählungen mehr durchgeführt. Im Vordergrund stand die Erfassung der wehrfähigen männlichen Bevölkerung. Ab 1869 fanden alle zehn Jahre Zählungen statt (1869, 1880, 1890, 1900, 1910). Zwischen den beiden Weltkriegen wurden diese in unregelmäßigen Abständen durchgeführt (1920, 1923, 1934 und 1939). Die Zählungen von 1920 und 1923 waren schlecht vorbereitet und die Ergebnisse deshalb unbrauchbar.

Zwischen 1951 und 2001 fanden die Zählungen wieder im Zehnjahresrhythmus statt. Dabei wurden die Anzahl und der Aufbau der Bevölkerung ermittelt. Die Daten finden Verwendung bei der Aufteilung der Nationalratsmandate auf die Wahlkreise, auch die Aufteilung der Steuereinnahmen auf die einzelnen Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) im Finanzausgleich beruhen auf den Ergebnissen der Volkszählungen. Die Verantwortung bei der Durchführung liegt bei den Gemeinden. Die Daten werden von der Statistik Austria veröffentlicht.

Die Volkszählung von 2001 war die letzte Zählung nach der herkömmlichen Methode. Mit Stichtag der Volkszählung von 2001 nahm das Zentrale Melderegister den Betrieb auf. Damit entfiel auch die Meldepflicht der Gemeinden bezüglich der An- und Abmeldungen der Bevölkerung. Im Juni 2000 beschloss der Ministerrat die Zählung von 2011 als Registerzensus durchzuführen. Die bei den Volkszählungen ermittelten Ergebnisse werden in Österreich seit 1967 durch fortlaufende vierteljährlich durchgeführte Repräsentativbefragungen (dem so genannten Mikrozensus) fortgeschrieben und auf die Basisdaten der letzten Volkszählung hochgerechnet.

Entwicklung in der Schweiz

Zwischen 1850 und 2000 fanden in der Schweiz alle zehn Jahre Volkszählungen statt. Die einzigen Abweichungen vom Zehnjahresrhythmus waren die Zählungen von 1888 und 1941. Die Erhebungen werden unter Verantwortung der Schweizerischen Eidgenossenschaft durchgeführt und die Ergebnisse vom Bundesamt für Statistik ausgewertet. Die Zählung im Jahre 2000 wurde auf Beschluss des Bundesrates von 2005 letztmalig nach der herkömmlichen Methode veranstaltet. Die nächste Volkszählung im Jahre 2010 soll als Registerzensus stattfinden. Als Datenquelle dienen die vorhandenen kantonalen und kommunalen Einwohnerregister.

Um die Registerzählung möglich zu machen, werden bis 2010 landesweit die Personenregister mit Gebäude- (EGID) und Wohnungsidentifikatoren (EWID) harmonisiert. Die Bereitstellung der Identifikatoren erfolgt durch das Gebäude- und Wohnungsregister (GWR). Die bei den Volkszählungen ermittelten Ergebnisse werden durch periodische Erhebungen des Schweizerischen Bundesamtes für Statistik fortgeschrieben. Dazu zählen die periodische Arbeitskräfteerhebung SAKE, der Mikrozensus Familie sowie eine Reihe ähnlicher Befragungen.

Siehe auch

Literatur

  • Roland Appel/Dieter Hummel (Hg.) „Vorsicht Volkszählung – erfasst vernetzt und ausgezählt“, 4. Auflage Kölner Volksblatt Verlag, Köln 1987, ISBN 3-923243-31-6
  • Jürgen Arnold/Jutta Schneider (Hg.) „Volkszählung verzählt“, Verlag Zweitausendundeins, Frankfurt, September 1988
  • Klaus Brunnstein et al. in: „Vorgänge“, Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Bd. 91, Januar 1988 ISBN 3-925763-91-0
  • Helmut Köhler: Bildungsstatistische Ergebnisse der Volkszählungen der DDR 1950 bis 1981. Dokumentation der Auswertungstabellen und Analysen zur Bildungsentwicklung, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin 2001, ISBN 3-87985-085-2
  • Jürgen Taeger (Hrsg.): Die Volkszählung. Rowohlt, Reinbek 1983, ISBN 3-499-15245-2
  • Frank Unruh: „Dass alle Welt geschätzt würde.“ – Volkszählung im Römischen Reich, Theis-Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-8062-1639-8

Quellen

  1. Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2006: Volkszählungen im Ausland
  2. Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg: Volkszählungen im Ausland, 6/2006
  3. OroVerde, Tropenwaldstiftung, „Indigene Völker Heute“: http://www.oroverde.de/regenwald-wissen/indigene-voelker.html
  4. Götz Aly in: Appel/Hummel Hg. Vorsicht Volkszählung, Köln 1987, 163 ff.
  5. Band 415/5 1936, zit. nach Götz Aly s.o.
  6. Freimut Duve in: Taeger, Volkszählung, S.25 ff.
  7. Stürmer/Würzberger in: Taeger, Volkszählung, S.167ff.
  8. Dokumentiert in Taeger 1983, 267-269.
  9. Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Erhebungsbogen der Volkszählung 1987 (pdf, 1.6 MB)
  10. „Die Predigt wurde nicht verstanden“, Sylvio Dahl in: „Die Zeit“ v. 27.11.87
  11. Roland Appel in: Vorsicht Volkszählung S. 32ff.
  12. 7. Bericht der Landesbeauftragten für den Datenschutz, Ruth Leuze, Januar 1988
  13. Volkszählung – Verzählt S. 77f.
  14. Wiesbadener Tageblatt v. 16. September 1987
  15. Brunnstein in: Vorgänge Bd. 91, Januar 1988, S.72
  16. Statistisches Bundesamt: Was hat die Volkszählung 1987 gebracht, wie wurden ihre Ergebnisse verwendet?
  17. Heise.de: Vor 20 Jahren: 10 Minuten, die allen helfen, vom 25. Mai 2007
  18. heute.de: Das Volk wird wieder gezählt, 29. August 2006
  19. Statistisches Bundesamt: Testerhebungen zur Machbarkeit eines registergestützten Zensus in Deutschland zum Stichtag 5. Dezember 2001, Veröffentlichung der Ergebnisse in der Zeitschrift Wirtschaft und Statistik
  20. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Die Macht der Zahlen (PDF, 148kb), 23. August 2006
  21. Bundesministerium des Innern: Deutschland beteiligt sich mit einer registergestützten Zählung an der kommenden Volkszählungsrunde der EU 2010/2011 Pressemitteilung vom 29. Aug. 2006
  22. Bundesministerium des Innern: „Zensuskommission“ der Bundesregierung ins Leben gerufen Pressemitteilung vom 14. Sep. 2007
  23. Stellungnahme der Zensuskommission zum Merkmalskatalog im Kabinettsentwurf des Zensusanordnungsgesetzes (ZensusG2011) (pdf, 120kB). Verabschiedet am 22. Januar 2009.
  24. Schönbohm droht mit Scheitern der Volkszählung Welt-Online vom 14. November 2008, 19:07 Uhr
  25. Bundesrat: Beschlüsse der 187. Sitzung der Innenministerkonferenz Potsdam, 21. November 2008
  26. Entwurf eines Gesetzes zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen vom 3. Dezember 2008, in BT-Drucksache 16/12219 vom 04.03.2009 (PDF, 620kB)
  27. Bundesministerium des Innern: Kabinett beschließt Zensusgesetz 2011 Pressemitteilung vom 3. Dez. 2008
  28. Bundesrat: Empfehlungen der Ausschüsse In - AS - FS - Fz - U - Wo zu Punkt 23 der 854. Sitzung des Bundesrates am 13. Februar 2009 (pdf, 158 KB)
  29. Bundesrat: Zahlreiche Korrekturen am Zensus 2011, Pressemitteilung 16/2009 vom 13. Februar 2009
  30. Bundesrat: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen (pdf, 134kB), Drucksache 3/09 (Beschluss) vom 13. Februar 2009
  31. Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht der 211. Sitzung (PDF, 3.1MB), Berlin, 19. März 2009, S. 22895(B) - 22899(C).
  32. heise online: Ausweitung der Volkszählung: "Wunschkonzert" oder notwendige Statistik?, Meldung vom 20.03.2009 15:51.

Weblinks


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