- Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom
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Klassifikation nach ICD-10 D68.0 Willebrand-Jürgens-Syndrom ICD-10 online (WHO-Version 2006) Das Willebrand-Jürgens-Syndrom, nach dem finnischen Arzt Erik Adolf von Willebrand (1870–1949) und dem deutschen Arzt Rudolf Jürgens (1898–1961), (syn. Angiohämophilie, von-Willebrand-Jürgens-Syndrom, von-Willebrand-Krankheit) ist die häufigste angeborene Krankheit mit erhöhter Blutungsneigung. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von hämorrhagischen Diathesen, deren gemeinsames Merkmal eine quantitative oder qualitative Abweichung des von-Willebrand-Faktors ist, der eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung spielt. Viele Betroffene leben ohne die Kenntnis der Erkrankung und ohne wesentliche gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Inhaltsverzeichnis
Epidemiologie
Das von Willebrand-Jürgens-Syndrom ist die häufigste vererbte Blutungskrankheit. Die Prävalenz wird auf 800/100.000 Menschen geschätzt, wobei nur 12,5/100.000 Menschen signifikante Symptome haben. Ein schweres von Willebrand-Jürgens-Syndrom ist sehr selten und betrifft <0,3/100.000 Menschen. Erworbene Formen sind beschrieben, jedoch sehr selten. Der Erbgang ist in der Regel autosomal-dominant, die schweren Formen und einige Subtypen werden jedoch autosomal-rezessiv vererbt. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.
Ätiologie
Es handelt sich um eine Gruppe von hämorrhagischen Diathesen, deren Gemeinsamkeit ein vererbter quantitativer oder qualitativer Defekt des Von-Willebrand-Faktors ist. Durch diesen Defekt wird unter anderem die Thrombozytenaggregation und deren Vernetzung beeinträchtigt und/oder (je nach Ausprägung der Erkrankung) der Abbau des Gerinnungsfaktors VIII (siehe Hämostase) nur noch ungenügend gehemmt. Letzteres wird dadurch erklärbar, da der Von-Willebrand-Faktor als Träger- und gleichzeitig Schutzprotein für Faktor VIII im Plasma fungiert. Sein Mangel resultiert in einer quantitativen Verminderung des Faktor VIII sowie in einer Reduzierung der Faktor VIII-Halbwertzeit von normal 12-15 auf 2,5 Stunden. Beide Punkte führen damit zu einer Hämophilie A ähnlichen Symptomatik.
Seltene erworbene Formen treten meistens als Begleiterkrankung bei Herzklappendefekten (vor allem bei der Aortenstenose), im Rahmen von einigen Autoimmunerkrankungen (wie zum Beispiel bei der Purpura Schönlein-Henoch), bei Erkrankungen des lymphatischen Systems (zum Beispiel Malignes Lymphom), als Nebenwirkung einer Therapie mit Valproat und anderem auf.
Einteilung
Das vWS zählt grundsätzlich zu den Erkrankungen des plasmatischen Gerinnungssystems, gleichwohl es die zelluläre Kaskade beeinflusst und auch in der klinischen Erscheinung eher einer Mischform zwischen plasmatischer und korpuskulärer Gerinnungsstörung entspricht.
Das von Willebrand-Jürgens-Syndrom tritt in drei Formen auf.
Typ 1
Beim Typ 1 des von Willebrand-Jürgens-Syndroms liegt ein quantitativer Mangel des Willebrand-Faktors vor. 60-80 % der Fälle entsprechen dem Typ 1. Klinisch zeigen die meisten Patienten jedoch eine milde Symptomatik. Ein nahezu normales Leben ist möglich. Auffälligkeiten entstehen durch die Neigung der Betroffenen zu langanhaltenden Blutungen und Nachblutungen nach operativen Eingriffen, die Ausbildung großflächiger Hämatome und gehäufte Menorrhagien bei weiblichen Betroffenen.
Typ 1 wird autosomal-dominant vererbt, die Penetranz ist variabel.
Typ 2
Der Typ 2 des von Willebrand-Jürgens-Syndroms ist bei etwa 15-20 % der Betroffenen festzustellen. Charakteristisch ist dabei das Vorhandensein qualitativer Defekte des Willebrand-Faktors.
Es werden die fünf Unterformen 2A, 2B, 2C, 2M, 2N des Typ 2 unterschieden . Typ 2A ist darunter am häufigsten anzutreffen. Alle Unterformen außer Typ 2C werden autosomal-dominant vererbt. Typ 2C folgt einem autosomal-rezessiven Erbgang.
Typ 3
Die klinisch am schwersten verlaufende, jedoch auch seltenste Form des von Willebrand-Syndroms ist der Typ 3. Die Betroffenen haben homozygote oder compound-heterozygote Mutationen des VWF-Gens. Daraus resultiert ein völliges Fehlen oder eine starke Erniedrigung (< 5 %) des VWF. Der Typ 3 wird autosomal-rezessiv vererbt.
Klinik
Die klinische Symptomatik ist nicht einheitlich. Ein Verdacht sollte sich bei folgenden Symptomen ergeben:
- erhöhte Blutungstendenz
- heftige rezidivierende Epistaxis (Nasenbluten)
- Neigung zur Ausbildung großflächiger Hämatome
- lange und ausgiebige Blutung auch nach kleineren chirurgischen Eingriffen (z. B. Zahnextraktion)
- Menorrhagie
- Gelenkeinblutungen (Hämarthrose)
Diagnostik
Die wegweisende Diagnostik ist labormedizinisch durchzuführen. Standarduntersuchungen der Blutgerinnung wie das Blutbild und Quick-Wert (INR) sind dabei praktisch immer normal. Die PTT kann in einigen Fällen (praktisch immer beim Typ 3, häufiger auch bei schweren Formen des Typ 1) verändert sein. Eine Aktivitätsbestimmung einzelner Gerinnungsfaktoren insbesondere des Faktor VIII, des Willebrand-Faktor Antigens sowie dessen Aktivität (Ristocetin-Cofaktor) sollten durchgeführt werden. Auch die Blutungszeit ist zu bestimmen, kann jedoch in vielen Fällen (besonders beim Typ 1) normal sein.
Charakteristische Befunde sind hierbei:
- Verlängerung der aktivierten Thrombinzeit (aPTT, beim Typ 3)
- Normaler Gerinnungsfaktor VIII-Wert (Faktor VIIIc) beim Typ 1
- Verringerter Gerinnungsfaktor VIII-Wert (Faktor VIIIc) beim Typ 3 und 2N
- verlängerte Blutungszeit beim Typ 2 und 3, oft normal beim Typ 1
- Faktor VIII-assoziiertes Antigen (=von Willebrand-Faktor): erniedrigt
- vWF-Aktivität: erniedrigt
Um die verschiedenen Typen und Subtypen unterscheiden zukönnen, müssen sowohl quantitative wie auch qualitative Untersuchungen des Von-Willebrand-Faktors (wie ELISA und Elektrophorese, die sogenannte Multimeranalyse) erfolgen.
Differentialdiagnostisch sind andere hämorrhagische Diathesen auszuschließen.
Therapie
Eine Dauertherapie ist meistens nicht notwendig. Vermieden werden sollten acetylsalicylsäurehaltige Medikamente (wie z.B. Aspirin), da diese die Thrombozytenfunktion zusätzlich hemmen. Bei Nasenbluten können gefäßwirksame Nasensprays gegeben werden. Übermäßige Regelblutungen können mit einem hormonellen Kontrazeptivum mit höherem Gestagenanteil reguliert werden.
Vor operativen Eingriffen ist die Gabe von Desmopressin zu empfehlen. Nach einer Desmopressin-Kurzinfusion steigt die Konzentration des Willebrand-Faktors um das bis zu Fünffache an.
Bei Typ 2 B wirkt Desmopressin nicht. In diesen und anderen Fällen mit fehlender Wirkung kommt die Substitution des Von-Willebrand-Faktors und in akuten Fällen die Gabe von aktiviertem Faktor VII oder Faktor VIII in Frage.
Bei Typ 3 wird in den meisten Fällen bei Traumata ein von-Willebrand-Faktor/Blutgerinnungsfaktor VIII-Präparat verabreicht. Oder es wird prophylaktisch in regelmäßigen Abständen (2-5 Tagen) substituiert.
Literatur
- von Willebrand EA: Hereditär pseudohemofili. Finska Läk Sällsk Handl. 1926.
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