Völkertafel (Steiermark)

Völkertafel (Steiermark)
Die Völkertafel

Die Völkertafel (auch Steirische Völkertafel) ist ein Anfang des 18. Jahrhunderts in der Steiermark entstandenes Ölgemälde eines unbekannten Malers. Das Gemälde ist eine bebilderte Zusammenstellung europäischer Völker mit tabellarisch geordneten Zuschreibungen verschiedener Eigenschaften. Die frühneuzeitliche Darstellung kann heute als Quelle für historische ethnische Stereotype gesehen werden.[1]

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Genaue Daten über Entstehungsjahr und -ort der Völkertafel sind nicht bekannt, vermutlich aber entstand sie im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Es gibt von ihr zumindest sechs Exemplare, wobei nicht bestimmt werden konnte, bei welchem davon es sich um das Original handelt.

Ein Kupferstich aus Augsburg mit dem Titel "Aigentliche Vorstell- und Beschreibung der Fürnehmsten in EUROPA befindlichen Land-Völcker" ist in Inhalt und Aufbau der Völkertafel sehr ähnlich. Der so genannte Leopold-Stich (nach dem Namen des Kupferstechers Fridrich Leopold) entstand zwischen 1718 und 1726 und diente nach aller Wahrscheinlichkeit, abgesehen von der bildlichen Darstellung der einzelnen Völker, als Vorlage für die Völkertafel.[1] Die in der Völkertafel verwendete sprachlichen Formen und Rechtschreibung entspricht der Oberdeutschen Schreibsprache, die noch Anfang des 18. Jahrhunderts in Österreich und Süddeutschland weit verbreitet war und erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durch das uns heute vertraute Neuhochdeutsch ersetzt wurde.

Aufbewahrungsorte

Drei der Exemplare befinden sich in Privatbesitz, drei weitere werden in der Sammlung des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien und in den Heimatmuseen in Bad Aussee und Moosham aufbewahrt, eines ist im ehemaligen Kloster Machern an der Mosel (bei Bernkastel-Kues) in den Empfangsräumen zu sehen.[1]

Aufbau und Inhalt

Die Überschrift der Völkertafel (104 x 126 cm) lautet "Kurze Beschreibung der In Europa Befintlichen Völckern Und Ihren Aigenschafften". Am oberen Bildrand finden sich nebeneinander Abbildungen von zehn Männern, die die behandelten Völker repräsentieren, darunter eine Tabelle mit den Namen in der Horizontalen (zu den Bildern passend) und den Eigenschaften in der Vertikalen angeordnet.

Von links nach rechts namentlich aufgeführt werden: "Spanier", "Frantzoß", "Wælisch", "Teutscher", "Engerländer", "Schwœth", "Boläck", "Unger", "Muskawith" und "Tirk oder Griech". In dieser Reihenfolge kann auch eine gewisse Linearität in der Beurteilung der Völker erkannt werden, also tendenziell eine stufenweise Veränderung von Westen nach Osten. Nicht ganz ohne Ausnahmen, aber vor allem bei den Letztgenannten lässt sich dies erkennen, beispielsweise wenn es unter der Eigenschaft der "Untugent" heißt, der "Unger" sei ein "Veräther", der "Muskawith" "Gar Verätherisch" und schließlich der "Tirk oder Griech" "noch Verätherischer". Der "Verstand" hingegen wird nach den Beurteilungen "Gering Achtent", "Nochweniger" und "GarNichts" plötzlich in der letzten Spalte als "Oben Auß" bezeichnet.

Unter den 17 aufgeführten Eigenschaften in dieser Zusammenstellung finden sich unter anderen "Natur Und Eigenschaft", "Lieben", "Krigs Tugente", "Gottesdienst", "Vergleichung Mit denen Thiren" und "Ihr Leben Ende".

Für die Zusammenstellung der Beschreibungen maßgeblich waren nicht nur historische Begegnungen mit Vertretern der jeweiligen fremden Völker oder die Klimazonentheorie, sondern laut Franz K. Stanzel in erster Linie schriftliche Zeitzeugnisse, das heißt neben Lexika und ethnographischen Schriften auch Reiseberichte, Briefsammlungen und Spottverse, um nur einige zu nennen.[1]

Die Inhalte

Die folgende Tabelle enthält, zur besseren Verständlichkeit in sprachlich leicht modernisierter Form, die Einträge der Völkertafel.

Kurze Beschreibung der in Europa befindlichen Völker und ihrer Eigenschaften
× Spanier Franzose Italiener Deutscher Engländer Schwede Pole Ungar Russe Türke oder Grieche
Auftreten Hochmütig Leichtsinnig Hinterhältig Offenherzig Angenehm Groß und stark Bäuerisch Untreu Boshaft Wie das Aprilwetter
Natur und Charakter Wunderbar Freundlich und gesprächig Eifersüchtig Ganz gut Liebenswürdig Grausam Noch wilder Am grausamsten Wirklich ungarisch Lügenteufel
Verstand Klug und weise Vorsichtig Scharfsinnig Witzig Anmutig Hartnäckig Geringschätzig Geringschätziger Gar nichts Dumm
Eigenschaften Männlich Kindisch Opportunistisch Immer dabei Weiblich Undurchschaubar Mittelmäßig Blutgierig Unendlich grob Zärtlich
Wissenschaften Schriftgelehrt Kriegskunst Kirchenrecht Rechtswesen Geographie Freie Künste Sprachwissenschaften Latein Griechisch Betrügerische Politik
Kleidung Ehrbar Unbeständig Ehrsam Macht alles nach Nach französischer Mode Leder Langröckig Vielfarbig Pelze Weibisch
Untugenden Eitel Betrügerisch Lüstern Verschwenderisch Ruhelos Abergläubisch Verfressen Verräterisch Noch verräterischer Am verräterischsten
Vorlieben Ehre und Ruhm Krieg Gold Trinken Vergnügungen Köstliche Speisen Adel Aufruhr Prügel Selbstverliebtheit
Krankheiten Verstopfung Syphilis Schlimme Seuche Podagra Schwindsucht Wassersucht An den Durchbruch[2] An der Fraisen Keuchhusten Entkräftung
Ihre Länder Fruchtbar Gut bestellt Ansehnlich und angenehm Gut Fruchtbar Bergig Waldreich Reich an Früchten und Gold Vereist Lieblich
Kriegstugenden Großmütig Arglistig Vorsichtig Unüberwindlich Seehelden Unverzagt Ungestüm Aufrührerisch Mühsam Faul
Religiosität Herausragend Gut Etwas besser Sehr fromm Veränderlich wie der Mond Eifrig im Glauben Glaubt allerlei Tatkräftig Ein Ungläubiger Ein Ebensolcher
Erkennen als ihren Herrscher an Einen Monarchen Einen König Einen Patriarchen Einen Kaiser Mal diesen, mal jenen Freie Herrschaft Einen Erwählten Einen Bestimmten Einen Freiwilligen Einen Tyrannen
Haben Überfluss an Früchten an Waren an Wein an Getreide an Viehweiden an Erzbergwerken an Pelzen an allem an Bienen An zarten und weichen Sachen
Zeitvertreib Spielen Betrügen Schwätzen Trinken Arbeiten Essen Streiten Müßiggehen Schlafen Kränkeln
Gegenstück in der Tierwelt Elefant Fuchs Luchs Löwe Pferd Ochse Bär Wolf Esel Katze
Ihr Lebensende Im Bett Im Krieg Im Kloster Im Wein Im Wasser Auf der Erde Im Stall Unter dem Säbel Im Schnee Beim Betrug

Einzelnachweise

  1. a b c d Franz K. Stanzel: Europäer. Ein imagologischer Essay. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1997, S. 13-36 und 44-54.
  2. Durchbruch in der Bedeutung „Durchfall“, siehe Grimmsches Wörterbuch, Bd. 2, S. 1595

Literatur

  • Franz K. Stanzel: Europäer. Ein imagologischer Essay. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1997. ISBN 3-8253-0616-X [1998 in der 2. Auflage erschienen]
  • Franz K. Stanzel: Europäischer Völkerspiegel. imagologisch-ethnographische Studien zu den Völkertafeln des frühen 18. Jahrhunderts. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1999. ISBN 3-8253-0784-0

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