- Bayrische Verfassung
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Die Verfassung des Freistaates Bayern, die demokratischste in der Geschichte Bayerns, wurde im Jahre 1946 verabschiedet. Sie baut auf christlichen Werten auf.[1] Maßgeblich am Entwurf beteiligt war der damalige bayerische Ministerpräsident Dr. Wilhelm Hoegner (SPD).
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
→ Hauptartikel: Bayerische Verfassungsgeschichte
Vorgängerinnen waren die Konstitution von 1808, die die erste bayerische Verfassung bildete, sowie das Verfassungsdokument von 1818, die von Friedrich von Zentner, dem engsten Mitarbeiter von Montgelas, ausgearbeitet wurde. In ihr wurden Gleichheitsrechte garantiert und eine Volksvertretung geschaffen. Im Jahre 1919 folgte mit der Bamberger Verfassung die erste demokratische Verfassung auf bayerischem Boden.
Grundlagen
Nach dem Zweiten Weltkrieg beauftragte die US-amerikanische Besatzungsmacht am 9. Februar 1946 Wilhelm Hoegner (SPD), den zweiten Ministerpräsidenten nach dem Krieg, einen Ausschuss für die Beratung über eine neue Verfassung zu bilden. Hoegner hatte während seines Exils in der Schweiz eine Verfassung entworfen, die sich an der dortigen direkten Demokratie orientierte und jetzt als Grundlage diente. Am 8. März 1946 berief er einen Vorbereitenden Verfassungsausschuss.
Die Mitglieder kamen von mehreren politischen Richtungen:
- SPD: Wilhelm Hoegner (Bayer. Ministerpräsident), Josef Seifried, Albert Roßhaupter (beide Staatsminister) und Thomas Wimmer (Münchner Bürgermeister);
- CSU: Hans Ehard, Anton Pfeiffer (beide Staatssekretäre) und Karl Scharnagl (Münchner Bürgermeister)
- KPD: Heinrich Schmitt
Der Staatsrechtslehrer Prof. Hans Nawiasky fungierte als wissenschaftlicher Berater.
Im Entwurf des Ausschusses entdeckte die Militärregierung viel „sozialistische Philosophie“, nachdem die von Hoegner geplante Planwirtschaft stark geschwächt worden war. Ferner wurde die im Entwurf vorgeschlagene Staatsbezeichnung „Volksstaat“ nicht übernommen; in die Verfassung aufgenommen wurde sie aber schon: „Bayern ist ein Volksstaat.“[2]
Verfassunggebende Landesversammlung
Am 30. Juni 1946 wurde eine Verfassunggebende Landesversammlung mit 180 Mitgliedern gewählt, in der die CSU mit 109 Sitzen die Mehrheit hatte. Die SPD erreichte 51 Sitze, die KPD 9, die WAV 8 und die FDP 3. Da innerhalb der CSU viele Fragen umstritten waren, versuchte sie, trotz ihrer Mehrheit, Kompromisse zu finden.
Die Verfassunggebende Landesversammlung tagte im Sommer unter anderem in der Aula der Ludwig-Maximilians-Universität. Es wurde ein 21köpfiger Verfassungsauschuss gewählt: 12 Mitglieder CSU, 6 SPD, jeweils ein Mitglied der KPD, FDP und WAV, hinzu kam Professor Hans Nawiasky als Sachverständiger. Im Verfassungsauschuss fand die eigentliche Arbeit statt. Umstritten waren vor allem:
- Das Wahlrecht (CSU: Mehrheitswahlrecht, SPD: Verhältniswahlrecht); das Ergebnis war ein modifiziertes Verhältniswahlrecht
- die Schulfrage
- ein bayerischer Staatspräsident (durch ein Patt abgelehnt)
- die Zweite Kammer des Parlaments – es entstand schließlich der bayerische Senat.
Die amerikanische Besatzungsmacht schwankte zwischen Nichteinmischung und Einbringung des eigenen Standpunktes. Sie missbilligte Art. 6, der eine bayerische Staatsangehörigkeit schuf, und suspendierte Art. 178, der den Beitritt zum deutschen Staat regelte und nach Ansicht der Besatzungsmacht diesen nicht eindeutig genug festlegte.
Beschluss
Der Entwurf des Verfassungsausschusses wurde am 26. Oktober 1946 von der Landesversammlung beraten und ohne größere Änderungen von einer großen Mehrheit beschlossen.
Am 1. Dezember 1946 wurde er der Bevölkerung vorgelegt und in einem Volksentscheid mit 70,6% bestätigt. Damit stimmte zum ersten Mal in der bayerischen Geschichte das Volk selbst über eine Verfassung ab. Sie trat am 8. Dezember 1946[3] mit ihrer Veröffentlichung im bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) in Kraft. Bei der Abstimmung gab es große regionale Unterschiede, in Nord- und Altbayern votierten verhältnismäßig viele Personen gegen die Verfassung, und auch viele ungültige Stimmen zeigten den Protest, der sich im Norden gegen die große Eigenstaatlichkeit, im Süden gegen die Ablehnung des Staatspräsidenten richtete.
Nach einer etwas größeren Verfassungsänderung am 20. Februar 1998 wurde der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) ermächtigt, die Verfassung neu bekanntzugeben. Dies ist am 15. Dezember 1998 geschehen.[4]
Bedeutung
Die bayerische Verfassung regelt die Selbständigkeit des Freistaates als Land der Bundesrepublik Deutschland und ist insofern für das staatliche System dort von grundlegender Bedeutung.
Durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes verlor sie jedoch stark gegenüber ihrer vorigen Bedeutung, schon einfach deshalb, weil nun zentrale Fragen von den Verfassungsorganen des Grundgesetzes, und nicht mehr dieser Verfassung, getroffen werden. Außerdem gilt, falls Grundgesetz und Bayerische Verfassung unterschiedliche Auffassungen vertreten, der Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ (Artikel 31 GG).
Explizit trifft das zu auf das Verbot der Annahme eines Adelstitels anlässlich einer Adoption (Art. 118 Abs. 3 Satz 2 dritter Halbsatz), welche das Bundesrecht zulässt. Ferner ist der „Ausschluß von Wählergruppen“ von der Landtagswahl (Artikel 15 mit Zuständigkeitszuweisung an den Verfassungsgerichtshof) auf das Parteiverbotsverfahren am Bundesverfassungsgericht übergegangen.
Inhalt
Präambel
Die Präambel zur Verfassung war im ursprünglichen Entwurf noch nicht vorgesehen, sie wurde von Alois Hundhammer (CSU) verfasst und auf dessen Initiative dem Verfassungstext vorangestellt. In staatsmännischer Kompromissbereitschaft wurde durch die Formulierung der Präambel ein Bekenntnis zu Gott in den Verfassungstext eingebracht, ohne eine explizit religiöse Staats- und Verfassungslegitimation einzufügen, die gegenüber den anderen Parteien kaum zu vermitteln gewesen wäre.[5] Der Text der Präambel lautet:
„Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechts dauernd zu sichern, gibt sich das bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung.“
Gliederung der Verfassung
Die Verfassung des Freistaates Bayern ist in vier Hauptteile gegliedert, denen die Schluss- und Übergangsbestimmungen folgen. Der erste definiert grundlegend das politische System Bayerns. Bevor er der Reihe nach Landtag, (früher) Senat, Staatsregierung, Verfassungsgerichtshof, Gesetzgebungsverfahren, Verwaltung, Rechtspflege und Beamtenwesen abhandelt, klärt er zunächst „Die Grundlagen des Bayerischen Staates“ (erste Abschnittsüberschrift), was mit dem in Bayern schon volkstümlichen Artikel 1 beginnt: „Bayern ist ein Freistaat. Die Landesfarben sind Weiß und Blau. Das Landeswappen wird durch Gesetz bestimmt.“ Diese gleichsam bodenständig-stolze Formulierungsweise ohne das Pathos etwa des Artikels 1 GG oder den juristischen Ton etwa des Artikels 13 GG aktuelle Fassung (Unverletzlichkeit der Wohnung, mit den genau ausgeklügelten Ausnahmeregelungen) prägt die ganze Verfassung.
In Artikel 2 wird das Volk zum Träger der Staatsgewalt. Dieser Terminus ist interessant; man vergleiche ihn zum einen mit der der Weimarer Reichsverfassung: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus“[6], zum anderen mit der autoritären, von Linken als klerikalfaschistisch bezeichneten österreichischen Maiverfassung: „Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht,...“[7] Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die bayerische Verfassung zum einen an der Volkssouveränität im demokratischen Sinne keinen Zweifel lässt, zum anderen aber die Frage nach der ursprünglichen Herleitung und Legitimation der Staatsgewalt, anscheinend bewusst, außen vor lässt (Anmerkung[8]). In Artikel 3 wird Bayern u.a. als Kulturstaat bezeichnet (unbestimmter Rechtsbegriff).
Weiterhin wird die Gewaltenteilung festgeschrieben und in Artikel 6 eine bayerische Staatsangehörigkeit definiert. Da jedoch in Artikel 8 die außerbayrischen Deutschen mit den bayrischen Staatsangehörigen komplett gleichgestellt werden, hat diese Staatsangehörigkeit keine praktische Bedeutung; das diesbezügliche, in Art. 6 geforderte Gesetz wurde nie erlassen.
Zum politischen System sind als Besonderheit die Volksbegehren und Volksentscheide anzumerken (direkte Demokratie), außerdem die bayerische Lösung zur Verantwortlichkeit der Staatsregierung gegenüber dem Landtag: Ein Misstrauensvotum gibt es nicht, jedoch ist der (zu Beginn der Wahlperiode vom Landtag gewählte) Ministerpräsident verpflichtet zurückzutreten, „wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen.“[9] Der Landtag kann sich übrigens mit einer einfachen absoluten Mehrheit selbst auflösen und sogar per Volksbegehren u. Volksentscheid „abberufen“ werden. Die Einführung solcher Regelungen wurde, zumindest in so weitgehender Form, im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 mit Bezug auf die mögliche Instabilität des Staates unisono abgelehnt; in Bayern kann von Instabilität keine Rede sein, da sie noch niemals angewendet worden sind.
Im zweiten Teil werden die Grundrechte und Grundpflichten festgesetzt. Es gibt in Bayern hier die Möglichkeit der Popularklage.
Der dritte Teil regelt das Familien-, Schul- und Religionswesen Bayerns, er enthält auch Bestimmungen zum Naturschutz. Hier kann auch ein für die bayerische Verfassung wiederum typisch volksnaher Artikel gefunden werden, der Artikel 141 Abs. 3: „Der Genuß der Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur, insbesondere das Betreten von Wald und Bergweide, das Befahren der Gewässer und die Aneignung wildwachsender Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang ist jedermann gestattet.“
Zuletzt werden im vierten Teil („Wirtschaft und Arbeit“) das Wirtschaftsleben geregelt, mit besonderer Erwähnung der Landwirtschaft. Der Tag der Arbeit hat Verfassungsrang (Art. 174 Abs. 2). Hinsichtlich des Aufbaus – Staat, Grundrechte, Gemeinschaftsleben, Wirtschaft – ist der Einfluss der Weimarer Verfassung unverkennbar.
Der letzte Artikel, Art. 188, bestimmt: „Jeder Schüler erhält vor Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck dieser Verfassung.“ Dieses Buch, das auch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland enthält, ist kostenfrei.
Änderungen der Verfassung
Die Regeln zur Änderungen der Verfassung finden sich in Artikel 75. Eine Änderung, die dem demokratischen Grundgedanken der Verfassung widerspricht, ist unzulässig. Zur Änderung der Verfassung ist normalerweise eine Zweidrittelmehrheit im Landtag und eine Zustimmung durch das Volk im Rahmen eines Volksentscheids notwendig. Die Verfassung kann auch ohne die Zustimmung des Landtags über ein Volksbegehren durch einen Volksentscheid geändert werden.
- 22. Juli 1968: Christliche Gemeinschaftsschule statt katholische respektive evangelische Bekenntnisschule
- 15. Juni 1970: Herabsetzung des aktiven Wahlalters von 21 auf 18 Jahre und des passiven Wahlalters von 25 auf 21 Jahre.
- 19. Juli 1973: u. a.: Änderung der Sperrklausel von 10 % in einem Wahlkreis auf 5 % im ganzen Land
- 19. Juli 1973: ausdrückliche Festlegung der Freiheit des Rundfunks
- 20. Juni 1984: Schutz der Lebensgrundlage in Verfassung verankert
- 27. Oktober 1995: Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auf Gemeindeebene
- 20. Februar 1998: u. a. Streichung der schon durch das Art. 102 Grundgesetz gegenstandslos gewordenen Ausführungsbestimmung zur Todesstrafe, Angleichung des Artikels 100 (Menschenwürde, bisher: Würde der menschlichen Persönlichkeit) an den Wortlaut des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 1); Art. 125 „Kinder [bisher: Gesunde Kinder] sind das köstlichste Gut eines Volkes“
- 20. Februar 1998: u.a. Verlängerung der Landtags-Wahlperiode auf fünf Jahre
- 20. Februar 1998: Abschaffung des Senats
- 21. September 2003: u. a.: Konnexitätsprinzip
- 21. September 2003: u. a.: Herabsetzung des passiven Wahlalters von 21 auf 18 Jahre.
Quellen und Fußnoten
- ↑ „Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine [...]-ordnung ohne Gott [...] die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat“ (Präambel). „In ihnen [den öffentlichen Volksschulen] werden die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen“ (Art. 135 Satz 2).
- ↑ Art. 2 Abs. 1 Satz 1
- ↑ Termin im Verfassungstext nicht genannt, sondern durch den Ministerrat (die vorläufige Regierung) am 4.12.1946 festgestellt.
- ↑ Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt
- ↑ Hanns-Seidel-Stiftung: Oliver Braun: Konservative Existenz in der Moderne. Katholische und konservative Politikgestaltung im Bayern des 20. Jahrhunderts – das Beispiel Alois Hundhammers, S.7 (PDF)
- ↑ Weimarer Reichsverfassung Art. 1 Abs. 2
- ↑ (illegitim erlassene) Verfassung des Bundesstaates Österreich vom 24. April/1. Mai 1934, Präambel
- ↑ Zum Verständnis: Gemäß christlicher Lehre erfolgt die Unterwerfung unter die Obrigkeit nicht, weil sie (in der Demokratie) die Mehrheit ist, sondern weil sie von Gott her rechtmäßige Autorität hat (Röm 13,1-7 EU), was die Monarchen (Gottesgnadentum) teilweise als persönliche Auserwählung überinterpretiert haben.
- ↑ Art. 44 Abs. 3 Satz 2
Literatur
- Theodor Meder: Die Verfassung des Freistaates Bayern. Handkommentar. 4. Aufl., Richard Boorberg Verlag, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 1992.
Weblinks
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