- Wilhelm Max Wundt
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Wilhelm Maximilian Wundt (* 16. August 1832 in Neckarau (heute zu Mannheim); † 31. August 1920 in Großbothen bei Leipzig) war Physiologe, Philosoph (v. a. Logik und Erkenntnistheorie) und Psychologe. Wundt gilt als Begründer der Psychologie als eigenständiger Wissenschaft.
Zu seinen Ehren ist der Asteroid (635) Vundtia nach ihm benannt.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Aus einer pfälzischen Pastoren- und Akademikerfamilie stammend, studierte er von 1851 bis 1856 Medizin bei seinem Onkel, dem Anatomen und Physiologen Friedrich Arnold (1803-1890), an der Universität Heidelberg und an der Universität Tübingen. Nach der Promotion 1855 ging er nach Berlin zu einem der ersten Anhänger der neuen physiologischen Richtung in Deutschland, Johannes Müller. Dort kam er auch mit Emil Du Bois-Reymond in Kontakt. Nach seiner Habilitation 1857 war er von 1858 bis 1862 Assistent bei Hermann von Helmholtz. 1864 erfolgte die Berufung zum Professor für Anthropologie und medizinische Psychologie an der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg.
Er war Mitbegründer des Vereins deutscher Arbeitervereine und von 1866 bis 1869 Vertreter Heidelbergs in der Zweiten Kammer der Badischen Ständeversammlung.
1874 nahm er eine Stelle als Professor der induktiven Philosophie in Zürich an, um schon ein Jahr später an die Universität Leipzig auf eine ordentliche Professur für Philosophie zu wechseln. Dort gründete er 1879 das erste Institut für experimentelle Psychologie und gab eine Hausschrift aus den dort vollzogenen Arbeiten heraus:
- Philosophische Studien (von 1881 bis 1902)
- Psychologische Studien (von 1905 bis 1917)
Diese Arbeiten und ihre Verbreitung durch seine Studenten in aller Welt etablierten das Fach Psychologie als Naturwissenschaft. Weitere Studien folgten über Kunst, Sprache, Mythen, Sitten, die in eine Kulturpsychologie der Völker mündeten, woraus sich von 1900 bis 1910 eine zehnbändige Veröffentlichung ergab. Insofern blieb Wundt der philosophischen Psychologie verbunden. Er stand mit anderen bedeutenden Leipziger Gelehrten wie dem Historiker Karl Lamprecht und dem Chemiker Wilhelm Ostwald in engem Austausch, mit denen er das „Positivistenkränzchen“ besuchte.
Er knüpfte vor allem bei Leibniz' Lehre von der Apperzeption an, überwand den Assoziationismus und begründete das Prinzip der schöpferischen Synthese. Seine Grundthese war die Aktualität des Seelischen, die er aus den Prozessen, nicht aber aus den Gegenständen herleitete.
Wundt wurde 1902 zum Ehrenbürger der Stadt Leipzig und 1907 der Stadt Mannheim ernannt. Mit dem Beginn des ersten Weltkriegs 1914 verteidigte er vehement die Position der deutschen Reichsleitung in der Schrift Über den wahrhaften Krieg, wodurch sein Ansehen in der Gegenwart gemindert wurde. Zu seinen Schülern zählten u. a. Ernst Meumann und Hugo Münsterberg.
Bei Wundt in Leipzig studierten und assistierten u. a. Bechterew, Boas, Durkheim, Husserl, Lange, Malinowski, Mead, Sapir, Thomas, Tönnies, Whorf und Wygotski. Auch der Historiker Karl Lamprecht war von Wundts Völkerpsychologie beeinflusst.
Ein Sohn Wilhelm Wundts war der deutsche Philosoph Max Wundt (1879 - 1963).
Werk
In den 1850er Jahren wurden eine Vielzahl von Lehrstühlen für Physiologie im deutschsprachigen Raum gegründet: 1858 in Berlin, Du Bois Reymond und in Heidelberg für von Helmholtz und 1859 in Jena für Albert von Bezold (?).
Wundt hätte sich wohl in die Reihe großer Physiologen des 19. Jahrhunderts eingereiht, hätte ihn nicht ein Lebensereignis zu einem Umdenken gezwungen. Denn zurückgekehrt nach Heidelberg hielt er als Privatdozent einen Vorlesungsmarathon über die gesamte Physiologie, der seine Gesundheit überforderte. Einen Blutsturz überlebte er nur knapp, die Ärzte hatten ihn schon aufgegeben. Die erlebte Todesnähe bildete für ihn eine Zäsur, welche ihn wesentlich zu dem Versuch veranlasste, eine Synthese der verschiedenen wissenschaftlichen Strömungen seiner Zeit zu versuchen.
Bereits drei Jahre nach diesem Ereignis hielt Wundt bei von Helmholtz Vorlesungen über „Psychologie vom naturwissenschaftlichen Standpunkt“ und veröffentlichte fünf Abhandlungen zur Theorie der Sinneswahrnehmungen, welche 1862 als erste experimentalpsychologische Schrift Wundts mit dem Titel Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung zum Druck kam.
Acht Jahre später, 1867, trat das neue Denken Wilhelm Wundts bei seiner Rede vor der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte zu Tage. Sein Vortrag trug den Titel Ueber die Physik der Zelle in ihrer Beziehung zu den allgemeinen Prinzipien der Naturforschung. Wie der Medizinhistoriker Dietrich von Engelhardt feststellte, hielt Wundt dort die Interpretation der Materie selbst noch für ungeklärt. Im Gegensatz zu Du Bois Reymond, der nur fünf Jahre später eine Vereinbarkeit von Mechanismus und Teleologie ausschloss, sei dies für Wundt „stets eine offene und bedenkenswerte Frage“ geblieben. Wundts Denken durchzieht eine Tendenz zum Versuch einer Synthese verschiedener Strömungen, ganz im Gegensatz zu den damals vorherrschenden naiv materialistischen Auffassungen. In seinen Lebenserinnerungen heißt es über die Zeit nach seiner schweren Erkrankung: „Denn von nun an begann ich zugleich meine Erlebnisse und Erkenntnisse als zugehörig zu einer in sich mehr und mehr einheitlichen Weltanschauung zu betrachten, die in der sinnlichen Welt ihr notwendiges Substrat und in der geistigen Welt die dem menschlichen Bewußtsein gegebene lebendige Form dieses Substrats finde.(...) Von nun an hat sich mir daher in fortschreitendem Maße die Nötigung aufgedrängt, die einzelne Arbeit jedesmal gleichzeitig der tatsächlichen Wirklichkeit und einer das Ganze dieser Wirklichkeit umfassenden Weltanschauung einzuordnen, und ich konnte mich endlich der Überzeugung nicht verschließen, dass die Aufgabe der Philosophie wesentlich darin bestehe, jenen Zusammenhang zwischen der empirisch-sinnlichen Wirklichkeit und ihrer geistigen Wiedererzeugung in dem menschlichen Bewußtsein wiederzugeben.“
In seinen Beiträgen zur Sinneswahrnehmung wird seine spätere Theorie des psychopyhsischen Parallelismus bereits aufgeführt: Die Grundfrage der Psychologie sei wie der Übergang vom physischen Empfindungseindruck zur Empfindung: „Derjenige Akt, der allen Wahrnehmungsprozessen vorangeht, ist die durch den äußeren Sinneseindruck hervorgerufene Empfindung. Die Empfindung kommt zustande, indem die äußere Bewegung, die den Sinneseindruck ausmacht, durch empfindende Nervenfasern zu zentralen Ganglienzellen sich fortpflanzt (...) Die Empfindung aber, dieser erste psychische Akt, in welchen der fortgepflanzte Bewegungsprozess sich umsetzt, ist etwas vollkommen Neues, das aus den vorangegangenen Bewegungserscheinungen sich vorerst nicht ableiten lässt.“ Besondere Betonung muss bei diesem Zitat auf das „sich vorerst“ gelegt werden. Denn die nachfolgende begeisterte Rezeption rückte ihn deutlich in die Nähe des naturwissenschaftlichen Materialismus. Der Pferdefuß nach seinen Historiographen Meischner und Eschler der Wundtschen Psychologie, nämlich die Verkennung des Abbildcharakters des Psychischen, die mit der Annahme einer autonomen, logischen Eigengesetzlichkeit des Psychischen verbunden ist, wurde anfangs auch von Wundt selbst nicht erkannt. Wundts experimentelle Psychologie wurde so schon zu seiner Entstehungszeit als die Umsetzung einer auf einem naiv materialistisch angelegten Denksystem sowohl kritisiert als auch gefeiert. Folgendes Zitat zeigt jedoch sowohl, dass Wilhelm Wundt nicht zu den Anhängern des naiven Materialismus zu zählen ist - was vor allem heutzutage geschieht -, als auch die Bedeutung, welche Lange für ihn besitzt: „Die experimentelle Psychologie begegnete in den ersten Jahren des Bestehens unseres Instituts lebhaften Angriffen von Seiten mancher Philosophen, denen freilich das damals noch verbreitete Mißverständnis zugrunde lag, diese neue Psychologie wolle auf einem Umwege den alten, durch das epochemachende Werk Albert Langes gründlich abgefertigten Materialismus wieder einführen, jedenfalls aber handle es sich hier um physiologische, nicht um eigentlich psychologische Studien.“ Wundt bezeichnete sich selbst als Idealrealist, ein Ausdruck Schellings.
Anerkannt blieb Wundt in seiner Bedeutung durch die Einführung des Experiments, der Anwendung physiologischer und statistischer Methoden in die Psychologie, welche in die Gründung des ersten Instituts für Experimentelle Psychologie an der Universität Leipzig 1879 gipfelte und für Generationen von Wissenschaftlern, darunter Emil Kraepelin, Vorbild wurde. Seine wissenschaftstheoretischen Grundanschauungen blieben jedoch nach Meinung seiner Zeitgenossen oft widersprüchlich und eklektizistisch zwischen materialistischen und idealistischen Positionen. Es nimmt nicht Wunder, dass einerseits Wundt sich zusehends der Philosophie zuwandte, andererseits der von ihm vertretene psychophysische Parallelismus in seinen späteren philosophischen Schriften ganz in den Hintergrund trat.
Auch heute wird Wundt noch gerne zur Begründung eigener Thesen herangezogen. So sei nach Gerhard Roth Wundts Grundaxiom, „daß im Bereich einfacher Wahrnehmungsleistungen und motorischer Akte diese Beziehung eng ist, daß aber bei komplexen kognitiven und psychischen Zuständen keine eindeutigen Bezüge zu erkennen sind“. In der Tat verfolgte Wundt einen solchen partiellen psychophysischen Parallelismus, letztlich auch um den Vorwurf eines Panpsychismus zu entgehen. Aber nach Roth sei Wundt der Auffassung gewesen, dass die einfache Sinnesleistung an sich physiologisch erklärbar sei, komplexe jedoch nicht. Hier folgt Roth einer Rezeptionslinie des wundtschen Denkens im Rahmen des zweiten Materialismusstreits. Hirschberger beschreibt diesen: „Die zweite Welle des Materialismus setzte gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein und heißt jetzt Monismus. Sie knüpft sich an die Namen Ernst Haeckel (1834-1919) und Wilhelm Ostwald (1853-1932). 1906 wurde der Monistenbund gegründet. Dieses Eine, auf das alle Vielheit zurückgeführt werden kann, ist bei Haeckel die „Substanz“, bei Ostwald ist es die „Energie“. So war also Büchners Kraft und Stoff nunmehr aufgeteilt worden. Den weitaus größeren Einfluss hat Haeckel ausgeübt, der Verfasser der in Hunderttausenden von Exemplaren verbreiteten und in mehr als 20 Sprachen übersetzten „Welträtsel“ (1899), die jetzt das wurden, was vorher „Kraft und Stoff“ (1854) von Ludwig Büchner war und nachher Nietzsches „Zarathustra“ wurde.
Haeckel bemerkt zu Wundt: „Früher Assistent und Schüler von Helmholtz, hatte sich Wundt frühzeitig daran gewöhnt, die Grundgesetze der Physik und Chemie im gesamten Gebiete der Physiologie geltend zu machen, also auch im Sinne von Johannes Müller in der Psychologie, als einem Teilgebiete der letzteren. Von diesen Gesichtspunkten geleitet, veröffentlichte Wundt 1863 wertvolle „Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele“. Er liefert darin, wie er selbst in der Vorrede sagt, den Nachweis, dass der Schauplatz der wichtigsten Seelenvorgänge in der unbewussten Seele liegt, und er eröffnet uns „einen Einblick in jenen Mechanismus, der im unbewußten Hintergrund der Seele die Anregungen verarbeitet, die aus den äußeren Eindrücken stammen“. Was mir aber besonders wichtig und wertvoll an Wundts Werk erscheint, ist, dass er „hier zum erstenmal das Gesetz der Erhaltung der Kraft auf das psychische Gebiet ausdehnt und dabei eine Reihe von Tatsachen der Elektrophysiologie zur Beweisführung benutzt.“
Dreißig Jahre später veröffentlichte Wundt (1892) eine zweite, wesentlich verkürzte und gänzlich umgearbeitete Auflage seiner „Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele“. Die wichtigsten Prinzipien der ersten Auflage sind in dieser zweiten völlig aufgegeben, und der monistische Standpunkt der ersteren ist mit einem rein dualistischen vertauscht, so die Einschätzung Ernst Haeckels.
Und: „in der ersten Auflage rein monistisch und materialistisch, in der zweiten Auflage rein dualistisch und spiritualistisch. Dort wird die Psychologie als Naturwissenschaft behandelt, nach denselben Grundsätzen wie die gesamte Psychologie, von der sie nur ein Teil ist; dreißig Jahre später ist für ihn die Seelenlehre eine reine Geisteswissenschaft geworden, deren Prinzipien und Objekte von denjenigen der Naturwissenschaft völlig verschieden sind. Den schärfsten Ausdruck findet diese Bekehrung in seinem Prinzip des psychophysischen Parallelismus, wonach zwar einem „jeden psychischen Geschehen irgendwelche physische Vorgänge entsprechen“, beide aber völlig unabhängig voneinander sind und nicht in natürlichem Kausalzusammenhang stehen. Dieser vollkommene Dualismus von Leib und Seele, von Natur und Geist hat begreiflicherweise den lebhaften Beifall der herrschenden Schulphilosophie und wird von ihr als ein bedeutungsvoller Fortschritt gepriesen, um so mehr, als er von einem angesehenen Naturforscher bekannt wird, der früher die entgegengesetzten Anschauungen unseres modernen Monismus vertrat“.
Die Wundtrezeption Ernst Haeckels zeigt bis heute Wirkung. Aber die Wundtsche Erkenntnistheorie ist eben nicht durchgehend naiv materialistisch, sondern versucht idealistische Momente, wie eine Eigengesetzlichkeit des Psychischen stets in seine Theorie mit einzubeziehen. Doch muss Wundt als Protagonist eines „modernen Monismus“ bis heute herhalten. So auch in bedenklicher Art bei Gerhard Roth: „(Der) Standpunkt Wilhelm Wundts war so lange verständlich, als man methodisch nur die einfachsten Sinnesleistungen und Reaktionen und ihren Bezug zu Bewußtseinsinhalten erforschen konnte. Er gerät aber dadurch in Schwierigkeiten, daß die Hirnforschung inzwischen zeigen kann, daß auch sehr komplexe Leistungen (...) aufs engste mit neuronalen Prozessen in bestimmten Teilen der Großhirnrinde (...) zusammenhängen“. Ganz im Gegensatz zur Selbstauffassung Wundts verbiegt Roth den von Wundt vertretenen psychopyhsischen Parallelismus ganz im haeckelschen Sinn in einen reduktionistisch materialistischen Monismus um.
Vielmehr näher ist Wundt dem Standpunkt Wilhelm Griesingers - ein Leidensbruder Wundts, wenn es um historische Fehlinterpretationen geht: „Unser Fühlen, Wollen und Denken ist aber in diesem Sinne nicht vergleichbar mit den Gegenständen der Außenwelt: wir können das Wort hören, das einen Gedanken ausspricht, wir können den Menschen sehen, der ihn gebildet hat, wir können das Gehirn zergliedern, das ihn gedacht hat; aber das Wort, der Mensch, das Gehirn sind nicht der Gedanke, und in der Erkenntnis dessen, was Denken bedeutet, wie es in seinen eigenen Bestandteilen zusammengefügt ist, und wie es mit früheren Inhalten unseres Bewußtseins zusammenhängt - in allem dem können wir durch die Untersuchung jener physischen Gegenstände und Vorgänge nicht um einen Schritt vorwärts kommen.“
Im Denken Wundts verhält sich das Psychische zwar gesetzmäßig, aber ganz in einem Gegensatz zur Physis gedacht. Es untergliedert sich in Erlebnis- und Erfahrungszusammenhänge, Assoziations- und Apperzeptionsvorgänge. Der Wundtsche Ansatz ist sich des qualitativen Unterschiedes zwischen materialistischer und idealistischer Theoriebildung nicht nur voll bewusst. Im Gegenteil lehnt Wundt jede gesetzmäßige Bestimmung von Psychischem durch Physisches strikt ab, wenn man dem Wundthistoriographien Alfred Arnold folgt. Seinen auf Leibniz sich gründenden psychophysischen Parallelismus als ein Ergebnis noch fehlender technischer experimentaler Möglichkeiten anzusehen wie bei Roth, zeigt verkürztes Denken. Versuchte Wundt doch - ganz im Sinne des kritizistischen Denkens von Friedrich Albert Lange - mittels des psychophysischen Parallelismus eine erkenntnistheoretische Brücke zu spannen, um - in den Worten Langes zu sprechen – eine Brücke zu spannen zwischen der negativen und der positiven Philosophie, um sie miteinander fruchtbringend in Verbindung zu setzen. Sein Prinzip des psychophysischen Parallelismus spielte so in der Auseinandersetzung mit dem Reduktionismus, der in vulgärmaterialistischer Weise psychische Erscheinungen auf materielle Nervenprozesse und gehirnphysiologische Vorgänge reduziert, letztlich eine progressive Rolle.
Der Psychiatriehistoriker Volker Roelcke ist der Auffassung, Wundt sei „über die Sinnesphysiologie zu einer physiologisch-experimentellen Psychologie, die programmatisch auf eine metaphysische Seelenlehre verzichtete und sich an der quantifizierenden naturwissenschaftlichen Methodik orientierte“ hinentwickelt.
Ganz im Gegensatz urteilte der Zeitgenosse Wundts und bekannte Philosoph Rudolf Eisler das Vorgehen Wundts: „Es ist ein Hauptvorzug der Philosophie Wundts, dass sie die Metaphysik weder bewusst noch unbewusst an den Anfang stellt, sondern streng zwischen empirisch-wissenschaftlicher und erkenntnistheoretischer-metaphysischer Betrachtungsweise sondert und jeden Standpunkt erst für sich allein in seiner relativen Berechtigung durchführt, um dann schließlich ein einheitliches Weltbild herzustellen.“ Denn: „Wundt sondert stets den physikalisch-physiologischen vom rein psychologischen, diesen wieder vom philosophischen Standpunkt. Dadurch entstehen scheinbare „Widersprüche“ für denjenigen, der nicht genauer zusieht und der beständig vergisst, dass die Verschiedenheiten der Ergebnisse nur solche der Betrachtungsweise, nicht der Wirklichkeitsgesetze sind, dass also z.B. vom rein empirischen Standpunkt ein psychophysischer „Parallelismus“ angenommen wird, während in der Metaphysik, wo alles Sein auf seine Wirklichkeit zurückgeführt ist, eine Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt statthaben kann“, so Eisler weiter. Denn nach Eisler habe Wundt erkannt, „daß Hypothesen allgemeiner Art schon in den Einzelwissenschaften stecken und daß es darum zweckmäßiger ist, statt die unvermeidlichen metaphysischen Begriffe die wissenschaftlichen Ergebnisse trüben zu lassen, sie methodisch zu bearbeiten“.
Veröffentlichungen
- Die Lehre von der Muskelbewegung, 1858
- Die Geschwindigkeit des Gedankens (Die Gartenlaube 1862, Heft 17, Seite 263)
- Lehrbuch der Physiologie des Menschen, 1865
- Die physikalischen Axiome und ihre Beziehung zum Causalprincip, 1866
- Handbuch der medicinischen Physik, 1867
- Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, 1862
- Vorlesungen über die Menschen- und Thierseele, 1863/1864
- Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1874 Digitalisat
- Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentren, 1876
- Logik, 1880 bis 1883, 3 Bände
- Essays, 1885
- Ethik, 1886
- System der Philosophie, 1889
- Grundriß der Psychologie, 1896 Digitalisat
- Völkerpsychologie, 10 Bände, 1900 bis 1920
- Kleine Schriften, 3 Bände, 1910
- Einleitung in die Psychologie, 1911
- Probleme der Völkerpsychologie, 1911
- Elemente der Völkerpsychologie, 1912
- Reden und Aufsätze, 1913
- Sinnliche und übersinnliche Welt, 1914
- Über den wahrhaftigen Krieg, 1914
- Die Nationen und ihre Philosophie, 1915
- Erlebtes und Erkanntes, 1920
Alle Werke Wundts zu nennen, würde den Umfang eines Enzyklopädieartikels bei weitem sprengen. Der amerikanische Psychologe Boring (1960) bezifferte den Umfang Wundts Bibliografie mit über 490 Werken, die im Mittel 110 Seiten lang sind. Wundt publizierte in 68 Jahren im Schnitt sieben Werke pro Jahr und war damit vermutlich der produktivste Wissenschaftler aller Zeiten. (Quelle Boring, E.G. (1960). A History of Experimental Psychology. 2. Aufl. Englewood-Cliffs: Prentice Hall)
Siehe auch
Weblinks
- Literatur von und über Wilhelm Wundt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Eintrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
- catalogus professorum lipsiensis
- Kurzbiografie und Verweise auf digitale Quellen im Virtual Laboratory des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte (englisch)
- Online-Ausstellung der Uni Leipzig zu Wundt mit vielen Fotos und Texten
- Zur Bedeutung Wundts () in der Psychiatriegeschichte insbes. Leipzigs( ; s.a.) und über Emil Kraepelin weit darüber hinaus.
Personendaten NAME Wundt, Wilhelm ALTERNATIVNAMEN Wundt, Wilhelm Maximilian KURZBESCHREIBUNG deutscher Philosoph und Psychologe GEBURTSDATUM 16. August 1832 GEBURTSORT Neckarau STERBEDATUM 31. August 1920 STERBEORT Großbothen bei Leipzig
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