Bekenntnisse eines Ich-Menschen

Bekenntnisse eines Ich-Menschen

Erinnerungen eines Egotisten (frz. Souvenirs d'égotisme, dt. auch Bekenntnisse eines Ich-Menschen) ist ein autobiografischer Text von Stendhal, der im Jahr 1832 verfasst, aber erst 1892 posthum veröffentlicht wurde. Stendhal verarbeitet darin seine Erlebnisse zwischen 1821 und 1832. Der Text ist Fragment geblieben.

Inhaltsverzeichnis

Form

Der Text gliedert sich in zwölf Abschnitte, die den Charakter von Tagebucheinträgen haben und von Stendhal zwischen dem 20. Juni und dem 4. Juli 1832 in Italien verfasst wurden. Eine nachträgliche Überarbeitung oder Strukturierung ist nicht zu erkennen. Nach dem letzten Abschnitt bricht er unvermittelt ab.

Anders als in seinem späteren autobiografischen Roman Leben des Henry Brulard, in dem er sich selbst mit dem Pseudonym „Henry Brulard“ fiktionalisiert, tritt Stendhal in den Erinnerungen eines Egotisten unter seinem realen Namen Marie-Henri Beyle auf. Der ganze Text ist in der Ich-Form erzählt, wobei stellenweise ein impliziter Leser angesprochen wird, der sich deutlich in der Zukunft verorten lässt; an einer Stelle wird das Jahr 1872 erwähnt.[1] Einige von Stendhal gezeichnete Karten ergänzen die schriftlichen Aufzeichnungen.

Inhalt

Stendhals Grabstein auf dem Montmartre-Friedhof mit dem Grabspruch "Scrisse-Amo-Visse"

Der Fokus von Erinnerungen eines Egotisten liegt auf dem Jahr 1821, in dem Stendhal nach seiner unerfüllten Liebe zu Mathilde Dembowski von Mailand nach Paris zurückkehrte. Frühere und spätere Begebenheiten werden nur in Form von Rückblenden und Vorgriffen erzählt. Seine Mailänder Jahre von 1817 bis 1821 haben dabei für ihn traumatischen Charakter und werden niemals beleuchtet, obwohl sie stets im Zentrum von Stendhals Überlegungen stehen. Einen sehr großen Raum nehmen Beschreibungen von Personen ein, denen Stendhal in den Salons seiner Zeit begegnete. Dabei handelt es sich teils um bekannte Personen der Zeitgeschichte, wie etwa Marie-Joseph Motier, Marquis de La Fayette, teils nur um private Kontakte. Stendhals eigenes Leben tritt demgegenüber eher in den Hintergrund; nur an wenigen Stellen werden längere Passagen daraus erzählt. Eine große Ausnahme bietet ein Kapitel über seine Reise nach London, in dem er ausgiebig von Theater- und Bordellbesuchen berichtet. In diesem Kapitel verfasst Stendhal auch seine eigene Grabinschrift, aus der der Vers „visse-scrisse-amò“ (ital. „er lebte, schrieb, liebte“) später in abgewandelter Form wirklich auf seinem Grabstein auf dem Montmartre-Friedhof auftauchte. Wiederholt werden im Text implizite Leser angesprochen, die diesen Text möglicherweise dreißig oder vierzig Jahre nach Stendhals Tod lesen könnten. An seine Zeitgenossen wendet er sich nicht. Ein wiederkehrendes Problem ist für Stendhal die Ichbezogenheit seines autobiografischen Textes, die ihn eher abstößt. (Das Wort Egotismus im Titel spiegelt dieses Problem wider, muss jedoch von Egoismus differenziert werden.)

Rezeption

Der Text wurde zu Lebzeiten Stendhals nicht veröffentlicht. Er vermachte das Manuskript Abraham Constantin mit der Auflage, es frühestens zehn Jahre nach seinem Tod zu herauszugeben.[2] Da das Interesse an Stendhal in der Zeit nach seinem Tod nicht sehr groß war und erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wieder zunahm, fiel die Erstveröffentlichung letztlich erst ins Jahr 1892; eine vollständige Ausgabe erschien sogar erst 1927.[3] Im Fin de siècle genossen sowohl die Erinnerungen eines Egotisten alsauch das Leben des Henry Brulard eine rege Rezeption, bei der psychoanalytische Lesarten zumeist im Vordergrund standen, was schließlich zu einem regelrechten Personenkult um Stendhal führte.[4] Beide Texte wurden zudem als Manisfestationen des Ennui wahrgenommen.

Einzelnachweise

  1. Béatrice Didier: Stendhal, autobiographe. Presses Univ. de France: Paris (1983), S. 306
  2. Michael Nerlich: Stendhal, Rowohlt: Hamburg (1993), S. 94
  3. Le Nouveau Dictionnaire des Oeuvres. Robert Laffont: Paris (1996), Bd. 6, S. 6846
  4. Michael Nerlich: Stendhal, Rowohlt: Hamburg (1993), S. 130

Literatur

  • Didier, Béatrice: Stendhal, autobiographe. Presses Univ. de France: Paris (1983) (frz.) ISBN 2-13-038064-6
  • DelLitto, Victor: Stendhal et les problèmes de l’autobiographie. Presses Univ. de Grenoble: Grenoble (1976) (frz.) ISBN 2-7061-0072-9

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Erinnerungen eines Egotisten — (frz. Souvenirs d égotisme, dt. auch Bekenntnisse eines Ich Menschen) ist ein autobiografischer Text von Stendhal, der im Jahr 1832 verfasst, aber erst 1892 posthum veröffentlicht wurde. Stendhal verarbeitet darin seine Erlebnisse zwischen 1821… …   Deutsch Wikipedia

  • Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull — Erstausgabe des vollständigen Romans aus dem S. Fischer Verlag (1954) Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil ist ein unvollendet gebliebener Roman von Thomas Mann, der in den Jahren 1910 bis 1913 und zwischen dem 26.… …   Deutsch Wikipedia

  • Bekenntnisse der christlichen Kirchen — Christliche Glaubensbekenntnisse gibt es seit dem Entstehen der christlichen Kirche. Ein Glaubensbekenntnis, auch als Credo (von lat. ich glaube ) oder Symbolum bezeichnet, ist eine kurzgefasste, feststehende Formulierung von wesentlichen Punkten …   Deutsch Wikipedia

  • Bekenntnisse der christlichen Kirchen und Gemeinschaften — Christliche Glaubensbekenntnisse gibt es seit dem Entstehen der christlichen Kirche. Ein Glaubensbekenntnis, auch als Credo (von lat. ich glaube ) oder Symbolum bezeichnet, ist eine kurzgefasste, feststehende Formulierung von wesentlichen Punkten …   Deutsch Wikipedia

  • Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull — Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil ist ein Roman von Thomas Mann, der in den Jahren 1909 bis 1911 und zwischen dem 26. Dezember 1950 und dem 16. April 1954 entstand. Den Roman stellt Thomas Mann in die Tradition… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Staat bin ich — Geflügelte Worte   A B C D E F G H I J K L M N O …   Deutsch Wikipedia

  • Die neuen Bekenntnisse — (engl. Originaltitel: The New Confessions) ist die deutschsprachige Ausgabe des 1988 erschienenen vierten Romans von William Boyd. Die deutsche Übersetzung von Friedrich Griese erschien 1989. Die neuen Bekenntnisse ist ein Bildungsroman in Form… …   Deutsch Wikipedia

  • Bernstein: Leben und Wirken eines großen Dirigenten, Komponisten und Pädagogen —   Musik bedeutete dem Amerikaner Leonard Bernstein vor allem ein Medium der Verständigung unter den Menschen. Diese Auffassung bestimmte nicht nur jeden einzelnen Bereich seines breit gefächerten musikalischen Wirkens, sondern war auch der Grund… …   Universal-Lexikon

  • Souvenirs d'égotisme — Erinnerungen eines Egotisten (frz. Souvenirs d égotisme, dt. auch Bekenntnisse eines Ich Menschen) ist ein autobiografischer Text von Stendhal, der im Jahr 1832 verfasst, aber erst 1892 posthum veröffentlicht wurde. Stendhal verarbeitet darin… …   Deutsch Wikipedia

  • Marai — Statue mit Sándor Márai Sándor Márai [ˈʃaːndor ˈmaːrɒi] (* 11. April 1900 in Kaschau, Österreich Ungarn; † 22. Februar 1989 in San Diego, USA) war einer der bedeutendsten ungarischen …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”