Zentrum für Vertreibungen

Zentrum für Vertreibungen
Flüchtlinge aus dem Osten 1945 in Berlin

Das Zentrum gegen Vertreibungen ist eine Stiftung mit Sitz in Wiesbaden, die im Jahre 2000 vom Bund der Vertriebenen (BdV) gegründet wurde. Die Stiftung setzt sich dafür ein, dass in Berlin ein Dokumentationszentrum über die Vertreibungen des 20. Jahrhunderts in Europa errichtet wird. Das Vorhaben stieß auf Kritik in Deutschland und im Ausland, besonders in Polen und Tschechien; seine Konzeption wurde von der deutschen Bundesregierung nicht übernommen. Gleichwohl plant die Bundesregierung, in Berlin eine Institution („Sichtbares Zeichen“) zur Erinnerung an die Deutschen zu gründen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ost- und Mitteleuropa vertrieben wurden.

Inhaltsverzeichnis

Zielsetzung des Zentrums gegen Vertreibungen

Das Zentrum gegen Vertreibungen soll

  • die Flucht und Vertreibung von mehr als 15 Millionen Deutschen ebenso wie auch die Vertreibung anderer Völker, insbesondere im Europa des 20. Jahrhunderts, dokumentieren
  • mündliche und schriftliche Zeitzeugenberichte aus allen Vertreibungs- und Aussiedlungsgebieten zusammenführen
  • Kultur, Schicksal und Geschichte der europäischen, auch der deutschen Vertriebenen und ihrer jeweiligen Heimat im Zusammenhang erfahrbar machen
  • an die Integration der Vertriebenen sowie ihre gesellschaftliche Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik erinnern
  • in Wechselausstellungen aktuelle Vertreibungsgeschehen aufarbeiten
  • eine Requiem-Rotunde soll zum Gedenken an die Opfer zur Besinnung und Andacht einladen
  • die regelmäßige Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises gehört nach eigener Aussage ebenfalls zu den Aufgaben der Stiftung.

Geplant sind nach bisheriger Konzeption Ausstellungen zu folgenden Themen:

  • dem Schicksal der Armenier 1915/16,
  • den Vertreibungen von Griechen und Türken gemäß dem Lausanner Vertrag von 1923,
  • der Vertreibung der europäischen Juden ab 1933 als Teil des Holocaust,
  • den Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen und Deportationen der Polen, Balten und der Ukrainer zwischen 1939 und 1949,
  • der Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Deportation der Deutschen zwischen 1941 und 1949,
  • der Vertreibung der Westkarelier 1939/40 und 1944 bis 1947
  • der Vertreibung der Italiener aus Jugoslawien 1945/46,
  • den Vertreibungen als Folge des Zypernkonflikts nach 1974 und
  • den Vertreibungen im ehemaligen Jugoslawien am Beispiel von Bosnien und Herzegowina in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Vorsitzende der Stiftung sind Erika Steinbach (CDU) und Peter Glotz † (SPD), der 2001 erklärte: „Es [das Zentrum gegen Vertreibungen] soll nicht vor allem unsere Erinnerungen pflegen, es soll dazu beitragen, Vertreibungen weltweit zu ächten, die Völkergemeinschaft zu sensibilisieren und die Auseinandersetzung mit Ethnonationalismus und der Idee des ethnisch homogenen Nationalstaats systematisch zu führen. Insofern wird dieses Zentrum ein Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus sein.“[1]

Wanderausstellung „Erzwungene Wege“

Die Wanderausstellung des Zentrums gegen Vertreibungen „Erzwungene Wege – Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts“ war seit dem 18. Juni 2007 für die Öffentlichkeit in der Paulskirche zu Frankfurt am Main zugänglich. Sie entspricht in modifizierter Form der Ausstellung, die im vorigen Jahr für drei Monate im Kronprinzenpalais in Berlin präsentiert wurde. Neu aufgenommen wurde die Vertreibung von Ungarn aus der damaligen Tschechoslowakei sowie die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn und die Vertreibung der Deutschen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Außerdem wurde die Ausstellung um einen lokalen Teil erweitert, der die Aufnahme von Vertriebenen in Frankfurt zeigt. DIe Ausstellung war politisch stark umstritten. Polnische Museen und Opferverbände, die sich an der Ausstellung beteiligt hatten, zogen ihre Exponate wieder zurück.

Kritik

Sowohl in Deutschland als auch im Ausland, speziell in Polen und Tschechien, stoßen das Vorhaben und der Standort Berlin auf Kritik beziehungsweise Ablehnung. Kritiker werfen dem Bund der Vertriebenen vor, eine solche Institution in Berlin würde dahingehend missverstanden werden, dass sie revisionistisch intendiert sei und zum eigentlichen Ziel die neuerliche Vertreibung der heutzutage in den früheren deutschen Gebieten lebenden Polen und Tschechen habe.

Das Projekt wird auch dahingehend kritisiert, dass sich mit ihm der Bund der vertriebenen Deutschen ungefragt und unbevollmächtigt das Gedenkinteresse anderer vertriebener Völker bzw. Volksgruppen aneigne. Zweck dieser Aneignung sei, die Hauptursache für die Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa, den Unterjochungs- und Vernichtungskrieg des Deutschen Reiches, aus den Inhalten einer deutschen Vertriebenengedenkstätte weitgehend auszuklammern.

Demgegenüber argumentieren Befürworter, dass das Zentrum gegen Vertreibungen Vertriebene aus allen europäischen Völkern einbeziehe, um eine einseitige Fokussierung auf die deutschen Vertriebenen zu verhindern. Vertreter anderer vertriebener Volksgruppen würden in die Gestaltung des Zentrums einbezogen. Eine angemessene Aufarbeitung der Thematik sei bisher unterblieben. Vielen Vertreibungen habe ein „völkisches Denken“ zugrunde gelegen, weil nicht persönliche Schuld, sondern allein die ethnische Zugehörigkeit den Ausschlag gegeben habe. Die Vertreibungen des zwanzigsten Jahrhunderts seien nur zum Teil aus Rache bzw. Vergeltung erfolgt. Auch persönliches Macht- bzw. Besitzstreben, (pseudo)historische Ideologien und das Ziel, ethnische Minderheiten zu beseitigen, hätten eine Rolle gespielt.

Alternativvorschläge aus dem In- und Ausland (über die Parteigrenzen hinweg kontrovers diskutiert) sind Breslau, Sarajewo, Schweden oder Priština. Der ehemalige DDR-Politiker und SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel initiierte das Gegenprojekt eines Europäischen Zentrums gegen Vertreibungen. Meckel will die konkrete Gestaltung des Zentrums einer internationalen Kommission übertragen.

Standpunkt der deutschen Bundesregierung

Die Bundesregierung plant die Gründung einer Berliner Institution, die an die Vertreibung der Millionen Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa erinnern soll. Sie steht unter dem vorläufigen Titel „Sichtbares Zeichen“. Dies wurde in den Koalitionsvereinbarungen von Union und SPD festgehalten. Konzepte für diese Institution werden unter Federführung des Staatsministers für Kultur und Medien Bernd Neumann erarbeitet. Innerhalb des Deutschen Historischen Museums wurde inzwischen die unselbständige Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung errichtet, die diese Aufgabe erfüllen soll.

Literatur

  • Ein Zentrum gegen Vertreibungen. Nationales Gedenken oder europäische Erinnerung? Podiumsgespräch in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin mit Nawojka Cieslinska-Lobkowicz, Helga Hirsch, Hans Lemberg, Markus Meckel und Erika Steinbach. Deutsches Kulturforum Östliches Europa. Moderation: Thomas Urban. Potsdam: Deutsches Kulturforum Östliches Europa, 2004, 76 S., ISBN 3-936168-11-3 (Potsdamer Forum)
  • Erzwungene Wege. Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts. Ausstellung im Kronprinzenpalais, Berlin; eine Ausstellung der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen. Zentrum gegen Vertreibungen. [Texte: Wilfried Rogasch sowie Katharina Klotz; Doris Müller-Toovey]. Wiesbaden: Zentrum gegen Vertreibungen, 2006, 143 S., ISBN 978-3-00-019838-0
  • Bettina Mihr: Wund-Male. Folgen der „Unfähigkeit zu trauern“ und das Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen. Gießen: Haland & Wirth im Psychosozial-Verlag, 2007, 184 S., ISBN 978-3-89806-922-9

Quellen

  1. Rede von Peter Glotz

Weblinks


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