Abschied von den Eltern

Abschied von den Eltern

Abschied von den Eltern ist eine 1961 erschienene autobiographische Erzählung und eines der Hauptwerke von Peter Weiss. Anlass des Textes war die „Erkenntnis eines gänzlich mißglückten Versuchs von Zusammenleben, in dem die Mitglieder einer Familie ein paar Jahrzehnte lang beieinander ausgeharrt hatten“[1]. Erst nach dem Tod der Mutter im Dezember 1958 und des Vaters im März 1959 vermochte der Sohn das Wesen dieser beiden „Portalfiguren“ seines Lebens zu erfassen und sich von ihrem Einfluss zu befreien.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Erzählung beginnt mit dem Bericht über den Tod der Eltern, der den Anlass für die Rekapitulation der Kindheit und Jugend des Ich-Erzählers bildet. Von frühester Jugend an hat sich der Ich-Erzähler als Außenseiter empfunden. Als prägend erweist sich die verkrampfte binnenfamiliäre Beziehung zwischen Vater und Sohn. Die unermüdliche Schaffenskraft des beruflich erfolgreichen Vaters lähmt die Aktivitäten des verträumten und sich seiner Schwäche bewussten Jungen. An praktischen Berufen fasst der Sohn kein Interesse, der als Lehrling in einem Warenhaus oder als Volontär im väterlichen Kontor erfolglos bleibt. Allein künstlerische Betätigung stellt ihn zufrieden. Doch selbst der Besuch einer Kunstakademie offenbart scheinbar nur seine Unfähigkeit, aus eigener Kraft zu leben. In das Haus der nach Schweden emigrierten Eltern zurückgekehrt, versetzt den Ich-Erzähler das Gefühl, ein Versager zu sein, in einen „Zustand der Umnachtung“[2]. In Schweden arbeitet er zwei weitere Jahre lang als Laborant, bevor ihn schließlich eine Vision zum Fortgehen veranlasst und damit ein Neubeginn möglich wird.

Literarische Form

Obwohl ohne Absätze und scheinbar ohne Unterbrechung niedergeschrieben, lässt die Erzählung von Beginn an erkennen, dass sie nicht erst eine Klärung der Situation herbeiführen soll, sondern bereits das Resultat eines vorausgegangenen inneren Bewältigungsprozesses ist. Der Ich-Erzähler greift dabei auf ein regelmäßig wiederholtes Erzählschema zurück. „In der Regel nähert sich der Erzähler dabei einem thematischen Block durch einen assoziativen Übergang, überlässt sich dann distanzlos der Erinnerung einzelner Ereignisse, bevor er die Sequenz mit einem Resümee, einer Reflexion des Berichteten oder seiner Kontextualisierung abschließt [...].“[3] Durch die Technik der Verknüpfung präziser Erinnerungsbilder mit Passagen nachgeholter Reflexion erzielt Peter Weiss eine narrative Verdichtung, die der Kindheits- und Jugendgeschichte über den individuellen Fall hinaus exemplarischen Charakter verleiht.

Ausgaben

  • Peter Weiss: Abschied von den Eltern. Erzählung. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1961.
  • Peter Weiss: Abschied von den Eltern. Erzählung (Suhrkamp BasisBibliothek; 77). 7. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2007, ISBN 3-518-01700-4 (kommentiert von Axel Schmolke).

Literatur

Aufsätze
  • Christof Hamann: Subjektinszenierung und Ideologiekritik. Schreibprozesse in Peter Weiss' „Abschied von den Eltern“. In: Hansjörg Bay, Christof Hamann (Hrsg.): Ideologie nach ihrem ‚Ende‘. Gesellschaftskritik zwischen Marxismus und Postmoderne. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 1994, ISBN 3-531-12626-1, S. 294–316.
  • Michaela Holdenried: Mitteilungen eines Fremden. Identität, Sprache und Fiktion in den frühen autobiographischen Schriften „Abschied von den Eltern“ und „Fluchtpunkt“. In: Gunilla Palmstierna-Weiss, Jürgen Schutte (Hrsg.): Peter Weiss, Leben und Werk. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1991, 3-518-04412-5, S. 155–173 (Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, Akademie der Künste (Berlin), 24. Februar bis 28. April 1991).
  • Tanja van Hoorn: Peter Weiss' „Abschied von den Eltern“ und Marguerite Duras' „Der Liebhaber“. Zwei Modelle autobiographischen Erzählens. Ein kontrastierender Vergleich. In: Michael Hofmann, Martin Rector, Jochen Vogt (Hrsg.): Peter-Weiss-Jahrbuch, Bd. 10. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2001, ISSN 1438-8855, S. 75–102.
  • Jürgen Schutte: „Die Kindheit ist nicht mehr vorhanden.“ Anmerkungen zum autobiographischen Diskurs in Peter Weiss' „Abschied von den Eltern“. In: Irmela von der Lühe, Anita Runge (Hrsg.): Wechsel der Orte. Studien zum Wandel des literarischen Geschichtsbewußtseins; Festschrift für Anke Bennholdt-Thomsen. Wallstein-Verlag, Göttingen 1997, ISBN 3-89244-254-1, S. 334–345.
Bücher
  • Nils Göbel: „Wir können keine Form erfinden, die nicht in uns vorhanden ist“. Gattungsfragen, Intertextualität und Sprachkritik in ‘Abschied von den Eltern’ und ‘Fluchtpunkt’ von Peter Weiss. Tectum-Verlag, Marburg 2007, ISBN 978-3-8288-9278-1.
  • Axel Schmolke: Das fortwährende Wirken von einer Situation zur andern. Strukturwandel und biographische Lesarten in den Varianten von Peter Weiss' „Abschied von den Eltern“. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2006, ISBN 978-3-86110-414-8 (zugl. Dissertation, FU Berlin 2006).

Einzelnachweise

  1. Peter Weiss: Abschied von den Eltern. Erzählung. In: Peter Weiss. Prosa 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991 (Peter Weiss. Werke in sechs Bänden. Hrsg. vom Suhrkamp Verlag in Zusammenarbeit mit Gunilla Palmstierna-Weiss, 2). S. 57-141, hier S. 59.
  2. Peter Weiss: Abschied von den Eltern. Erzählung. In: Peter Weiss. Prosa 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991. S. 57-141, hier S. 139.
  3. Arnd Beise: Peter Weiss. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2002. S. 215.

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