Amphitrite (Planet)

Amphitrite (Planet)

Amphitrite ist ein hypothetischer neunter Planet des frühen Sonnensystems, der im Laufe der Migration von Uranus und Neptun mit einem von diesen kollidiert sein soll. Seine Existenz wird aufgrund neuerer Modelle zur Entwicklung der protoplanetaren Scheibe angenommen. Mit dieser Hypothese lassen sich zudem bisher nicht befriedigend herleitbare Charakteristika der äußeren Gasplaneten (Rotationsanomalie Uranus'; Wärmehaushalt Neptuns) sowie Herkunft und Bahneigenschaften des ungewöhnlichen Neptunmondes Triton erklären.

Nice-Modell/ Bahnsimulation der äußeren Planeten und des Planetesimalgürtels: a) frühe Konfiguration, bevor Jupiter und Saturn in 2:1-Resonanz geraten; b) Streuen der Planetesimale nach dem Bahnentausch von Neptun (dunkelblau) und Uranus (hellblau); c) endgültige Orbits.[1]

Inhaltsverzeichnis

Die Hypothese

Entstehung Amphitrites

Aufgrund der Massenverteilung in der protoplanetaren Scheibe müssen die beiden äußeren Gasplaneten Neptun und Uranus sehr viel näher bei der Sonne entstanden sein, als sie sich derzeit befinden, im Nice-Modell[1][2] bei etwa 11,5 und 14,2 Astronomischen Einheiten (AE). An sie schloss sich demnach im Bereich zwischen 15 und 30 AE ein Gürtel von Planetesimalen mit einer Gesamtmasse von 35 Erdmassen an. Unter diesen Bedingungen kann sich hier bei ca. 18 AE ein Gesteinsplanet von ca. zwei Erdmassen gebildet haben[3], für den der Name Amphitrite vorgeschlagen wird[4].

Vergehen Amphitrites

In diesem Modell wurden die ursprünglichen Bahnen von Uranus und Neptun jedoch destabilisiert, als Jupiter und Saturn in 2:1-Resonanz zueinander gerieten. Uranus und Neptun sollen daraufhin - noch verstärkt durch die abnehmende Reibung in der sich ausdünnenden planetaren Scheibe - nach außen migriert sein, bis sie durch die Gravitationswirkung der beiden inneren Gasplaneten vor etwa vier Mrd. Jahren in ihren gegenwärtigen Umlaufbahnen bei 19,2 und 30,1 AE fixiert wurden. Bei ihrer Migration soll einer von ihnen mit Amphitrite kollidiert sein und ihn absorbiert haben. Dabei soll Amphitrites Mond Triton von Neptun eingefangen worden sein.[4]

Triton

Gestützt wird diese Hypothese durch die ungewöhnlichen Eigenschaften Tritons. Dieser umkreist Neptun retrograd, d. h. entgegen dessen Rotationsrichtung in nur knapp über 14 Neptunradien Entfernung (354.759 km) in einer stark geneigten Bahn, wobei diese ursprünglich stark exzentrisch mit einer Periapsis von lediglich sieben Neptunradien gewesen sein muss. Triton ist nicht nur außergewöhnlich groß, auch seine Zusammensetzung weist ihn als Kuipergürtel-Objekt (KBO) aus. Er kann daher nicht zusammen mit Neptun entstanden, sondern muss von ihm eingefangen worden sein.[5] Hierzu wurden folgende Varianten diskutiert:

  • Ein direktes Einfangen Tritons als Einzelobjekt ist unwahrscheinlich, da dies aufgrund der großen Masse Tritons, der hohen Orbitalgeschwindigkeiten vor dem Einfangen und seiner engen Umlaufbahn danach eng mit Neptun abgestimmte Bahnparameter erfordert hätte. Außerdem hätte die Bewegungsenergie Tritons von einem Vielfachen auf den heutigen Wert abgebaut werden müssen, wofür in diesem Szenario nur ein größerer Impakt in Frage käme. Die Differenz zwischen dem für die Abbremsung erforderlichen und dem zur völligen Zerstörung des Mondes führenden Energieeintrag ist jedoch so gering und die Bahnabstimmungen mit dem Impaktor müssten gleichzeitig so präzise sein, dass dieses Szenario außerordentlich unwahrscheinlich ist.[6]
  • Ein Einfangen Tritons aus einem binären KBO analog dem Pluto-Charon-System, bei dem der Partner entweder von Neptun absorbiert oder von ihm aus dem Sonnensystem geschleudert wurde, würde die Abbremsung Tritons plausibilisieren, da die Bewegungsenergie von dem Partner mitgenommen worden wäre. Dieses Szenario ist jedoch aus statistischen Gründen unwahrscheinlich: Da von einem binären System fast immer der kleinere Partner eingefangen wird, müsste Triton an ein massereicheres KBO gebunden gewesen sein.[6] Allerdings hat es in der Entwicklung der planetaren Scheibe weniger als 100 KBO mit größerer Masse als ihn gegeben[7], von denen wiederum die wenigsten in binären Objekten gebunden gewesen sein können. Zudem ist diese Hypothese auch hinsichtlich der kinetischen Verhältnisse unrealistisch, da die Annäherungsgeschwindigkeiten Neptuns im Verhältnis zur Umlaufgeschwindigkeit der Objekte des binären Systems zu hoch für ein Einfangen Tritons waren.

Es ist hingegen kinetisch plausibel, dass Triton als Einzelobjekt in einem weiten Orbit eingefangen wurde (d ~ 1 Mio. km)[8]. Dies wäre dieser Hypothese nach durch Amphitrite geschehen, dessen Bahn sich im damaligen Bereich des Planetesimalringes befand, zu dem Triton ursprünglich gehört haben muss. Zum Übergang Tritons von Amphitrite auf Neptun gibt es zwei mögliche Szenarien:

Kollisionsvarianten

Neptun entstand nach dem Nice-Modell zwar sonnennäher als Uranus, überholte diesen jedoch während ihrer Migration und erreichte als erster den angenommenen Orbit Amphitrites. Da Triton nach einer Kollision seines Planeten mit diesem auch den größten Teil seiner Bewegungsenergie verloren hätte, wäre sein Verbleiben im Schwerefeld Neptuns plausibel. Der Energieeintrag durch die Kollision würde in diesem Szenario die ungewöhnlich hohe Energieabstrahlung Neptuns erklären, die das 2,7-fache seiner von der Sonneneinstrahlung empfangenen Energiemenge beträgt[9].

Uranus. Ein alternatives Szenario beschreibt ein Auseinanderreißen der Bindung zwischen Amphitrite und seinem Mond Triton durch Neptun, dessen Einfangen Tritons und die anschließende Kollision Amphitrites mit Uranus, für dessen Rotationsanomalie (mit der Rotationsachse in der Ekliptik) eine Kollision mit einem Objekt mit ebenfalls etwa doppelter Erdmasse als Ursache angenommen wird[10]. Uranus erreichte nach dem Nice-Modell im Laufe seiner Migration den angenommene Orbit Amphitrites zwar erst nach dem Durchgang Neptuns, hielt sich aber länger dort auf. Da kosmische Zusammenstöße äußerst selten sind, kommen ein Verfehlen des rasch migrierenden Neptun und Amphitrites und die Kollision mit Uranus durchaus in Betracht.[4]

Namensgebung

Die Okeanide Amphitrite auf einer korinthischen Abbildung (ca. 575–550 v. Chr.)

Amphitrite (Ἀμφιτρίτη) ist eine Okeanide bzw. Nereide der griechischen Mythologie, Beherrscherin der Meere und Gemahlin Poseidons (röm. Neptun). Sie ist die Mutter des Meeresgottes Triton.

Einzelnachweise

  1. a b Gomes/ Levison/ Tsiganis/ Morbidelli: Origin of the cataclysmic Late Heavy Bombardment period of the terrestrial planets. In: Nature 435, S. 466, 2005
  2. Tsiganis/ Gomes/ Morbidelli/ Levinson: Origin of the orbital architecture of the giant planets of the Solar System. In: Nature 435, S. 459, 2005
  3. Desch, Steve: Mass Distribution and Planet Formation in the Solar Nebula. In: The Astrophysical Journal, 671, S. 878–893, 2007
  4. a b c Desch/ Porter: Amphitrite: A Twist on Triton’s Capture Paper zur 41. Lunar and Planetary Science Conference (2010)
  5. McKinnon/ Lunine/ Bandfield, 1995: Neptune and Triton, University of Arizona, S. 807
  6. a b Agnor/ Hamilton: Neptune's capture of its moon Triton in a binary–planet gravitational encounter. In: Nature 441, S. 192-194, 2006
  7. Vokrouhlický/ Nesvorný/ Levison: Irregular Satellite Captions by Exchange Reactions. In: The Astronomical Journal 136, S. 1463–1476, 2008
  8. Goldreich/ Lithwick/ Sari: Formation of Kuiper-belt binaries by dynamical friction and three-body encounters. In: Nature 420, S. 643, 2002
  9. Pearl/ Conrath: The albedo, effective temperature, and energy balance of Neptune, as determined from Voyager data. In: Journal of Geophysical Research Supplement 96, S. 18.921-18.930, 1991
  10. Wayne/ Slattery/ Benz/ Cameron: Giant impacts on a primitive Uranus. In: Icarus 99-1, S. 167, 1992

Weblinks


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