Bis zur Vergasung

Bis zur Vergasung

Die umgangssprachliche Redewendungbis zur Vergasung“ soll in der Regel ausdrücken, dass man „einer Sache so überdrüssig ist, daß man sich lieber durch Giftgas töten ließe.“[1] Der Begriff kam kurz nach dem Ersten Weltkrieg auf und wurde zunächst vor allem von Soldaten, Schülern und Studenten verwendet.[2][3]

Im Hinblick auf den Holocaust ist der Gebrauch der Redewendung in heutiger Zeit ein Tabu. Vereinzelt wird sie jedoch trotzdem, meist aus Unbedachtheit, noch verwendet.[4]

Herkunft und Begriffsgeschichte

Ursprünglich kommt der Begriff des Vergasens aus der Physik und beschreibt den Übergang eines Stoffes vom flüssigen in einen flüchtigen Aggregatzustand bei Erhitzung.

Nachdem im Gaskrieg während des Ersten Weltkrieges vor allem an der Westfront von beiden Seiten Giftgas eingesetzt worden war, soll die Redewendung bei deutschen Soldaten erstmals gebräuchlich gewesen sein.[5] In der Soldatensprache ausgedrückt blieb man „bis zur Vergasung“ auf seinem Posten.[4] In gedruckter Form fand der Ausspruch unter anderem auf sarkastischen Feldpostkarten Verwendung.[4]

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der in der Zeit des Nationalsozialismus begangene Völkermord mit der Ermordung von Juden und anderen Gruppierungen in Gaskammern, zu einer weiteren Verbreitung in der deutschen Umgangssprache geführt hat.

Anlässlich einer Kritik von Heinz Küppers Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Band II stellte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger 1963 fest:

„In jedem Vorortzug des Landes ist, zwanzig Jahre nach Auschwitz, die Redensart zu hören: bis zur Vergasung. ... Diesen Befund vor Augen, werden die "Kulturträger" des Landes ihr altes Gejammer über den Nihilismus von neuem anstimmen, eine Messerspitze Abendland verordnen und getrost zu ihren Goethe-Jahren und Hofmannsthal-Wochen zurückkehren. Da hilft aber kein Goethe mehr, und auch kein Hofmannsthal.“

Hans Magnus Enzensberger in Der Spiegel 14/1963[1]

Der Sprachwissenschaftler Peter von Polenz stellte sich gegen diese Behauptung und vertrat bei einem Vortrag am Institut für Deutsche Sprache 1968 die Auffassung, der Nationalsozialismus hätte keine Auswirkungen auf den modernen Sprachgebrauch gehabt.[5] Von Polenz nannte Enzensbergers Methoden „dilettantisch“[6] und wies nach, dass die Redewendung bereits vor dem Völkermord an den Juden im deutschen Sprachgebrauch auftrat.[7] Anlässlich eines Interviews mit dem Germanisten Hans Jürgen Heringer im Jahr 1982 bekräftigte von Polenz dies noch einmal.[8] Heringer teilte dessen Einschätzung aber nur partiell.

„Aber auf der anderen Seite muß die Erinnerung auch in den Wörtern wachgehalten werden. ... Natürlich kann man es niemandem zum Vorwurf machen, wenn er nie diesen Sprachgebrauch kennengelernt hat. Dann weiß er eben nichts von der Geschichte. Ich halte es schon für erstrebenswert, historische Reminiszenzen und Assoziationen zu erhalten.“

Hans Jürgen Heringer[8]

Einzelnachweise

  1. a b Enzensbergers April-Lektüre: Heinz Küpper Wörterbuch der deutschen Sprache II in Der Spiegel 14/1963, abgerufen am 15. September 2011
  2. Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. 1997, Seite 876
  3. Ludwig Göhring: Volkstümliche Redensarten und Ausdrücke. München, 1937
  4. a b c Bis zur Vergasung, auf redensarten-index.de, abgerufen am 15. August 2011
  5. a b Vom moralischen Reden bei zeit.de, abgerufen am 15. August 2011
  6. Siegfried Jäger: Wie die Rechten reden. DISS, 1996, ISBN 3-927388-50-5
  7. Wirkendes Wort; deutsches Sprachschaffen in Lehre und Leben, Band 21. Pädagogischer Verlag Schwann, 1971
  8. a b Hans Jürgen Heringer: Der Streit um die Sprachkritik bei gleichsatz.de, abgerufen am 15. September 2011

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