Englische Schule

Englische Schule

Die Englische Schule (auch liberaler Realismus) ist eine Denkschule innerhalb der Internationalen Beziehungen, welche die Idee der internationalen Gesellschaft im System der internationalen Anarchie vertritt.

Sie gilt als konstruktivistische Theorie, die aber das indeterministische System der Anarchie herausstellt. Sie ist stark beeinflusst durch den Funktionalismus und Realismus.

Der Begriff ist durch den Forschungsschwerpunkt in Großbritannien geprägt, da die Hauptvertreter der Englischen Schule (u.a. Hedley Bull und Martin Wight) an der Oxford University und vor allem an der London School of Economics arbeiteten. Er wurde durch Roy Jones 1981 in einer Kritik geprägt, in der er eigentlich dazu aufrief, die Englische Schule zu beenden[1]. Moderner Vertreter ist der ebenfalls an der London School of Economic lehrende Barry Buzan.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte und Vorgeschichte

Martin Wight
  • Zwischen Ende des 19. Jh. und dem Ersten Weltkrieg entstand in Großbritannien die geistige Strömung eines liberalen Internationalismus. Namentlich John Atkinson Hobson publizierte Studien und Stellungnahmen zu den internationalen Problemen seiner Zeit, etwa 1902 ein Werk über den Imperialismus und später über Wirtschaftsfragen und den Völkerbund. Norman Angell und Hobson warnten vor der Kriegsgefahr zwischen Großmächten.
  • In den 1930er Jahren verfassten David Mitrany und Edward Hallett Carr in England Schriften, die im Rückblick die Theorien des Funktionalismus und Realismus begründeten.
  • Ab 1959 trifft sich unter der Leitung von Herbert Butterfield, Martin Wight, Adam Watson und Hedley Bull das British Committee on the Theory of International Politics, um grundlegende Probleme und verschiedenste Gesichtspunkte (in Theorie und Geschichte) der internationalen Politik zu beleuchten.
  • 1977 verfasst Bull The Anarchical Society: A Study of Order in World Politics
  • In den 1990er Jahren erfolgt die Weiterentwicklung durch die 2. Generation.

Theoretische Grundlage

Martin Wight legt die drei R s fest:

Realismus
eine anthropologisch pessimistische Weltsicht, siehe auch Realismus (Internationale Beziehungen).
Rationalismus
der zwar das realistische negative Weltbild teilt, aber eine Verbesserung durch Vernunft und Institutionen sieht
Revolutionismus
kosmopolitischer Idealismus unter Annahme der Existenz universeller Werte

Bull abstrahiert und reduziert diese in seinem Buch The Anarchical Society auf drei konkurrierende Geistestraditionen[1]

Realistisch-Hobbesianisch
ausgehend von der Vorstellung Thomas Hobbes sind Staaten in einem permanenten Kriegszustand. Friede ist nur vorübergehend möglich, da es keine Zentralgewalt gibt.
Universalistisch-Kantianisch
nach Immanuel Kant stehen nicht Staaten, sondern Individuen als Weltbürger im Fokus.
internationalistisch-Grotianisch
die Lehre von Hugo Grotius hält zwar an der bestehenden Anarchie (der Staaten) fest, arbeitet aber darauf hin, durch Regeln und Institutionen Konflikte zu begrenzen

Bull selbst denkt stark in der Tradition nach Grotius.

Staatengesellschaft

Eine Staatengesellschaft (International Society) ist eine über eine normale Gemeinschaft hinausgehende Organisation der zwischenstaatlichen Beziehungen. Sie ist abgegrenzt gegenüber dem Begriff der Staatengemeinschaft (International System). Grundannahme ist, dass Staaten nicht nur eine mechanische Beziehung zueinander pflegen, wie das Mächtegleichgewicht suggeriert, sondern darüber hinaus gemeinsame Interessen und ggfs. Identitäten haben. Ursprungsgedanke für Bull ist das gemeinsame Interesse, totalen Krieg (all-out war) zu verhindern.[2] Aus diesem Grund organisiert eine Gesellschaft unter anderem gemeinsam vertretene Normen, Verfahrensweisen (Diplomatie, Krieg), internationales Recht und moralische Grundwerte. Damit ist sie mehr als die bloße Ansammlung interagierender Staaten.

„A society of states (or international society) exists when a group of states, conscious of certain common interests and common values, form a society in the sense that they conceive themselves to be bound by a common set of rules in their relations with one another, and share in the working of common institutions.“

Hedley Bull: The Anarchical Society: A Study of Order in World Politics

Zeigt sich nach erfolgter Etablierung einer Staatengesellschaft ein Rückgang in der Bedeutung, die Staaten den gemeinsamen Werten beimessen, fällt diese Gesellschaft zurück in den Zustand der Gemeinschaft. So bezeichnet Tim Dunne, einer der gegenwärtigen Vertreter der Englischen Schule, das Verhalten der USA nach den Terroranschlägen vom 11. September als teilweise imperialistisch, was der Idee einer Gesellschaft von Staaten widerspricht.

Zweite Generation

Seit den 1990ern etabliert sich eine zweite Generation der Englischen Schule, die mehr die Methodik als die Tradition der Englischen Schule ausbauen will.

Richard Little, Barry Buzan und Charles Jones[1][3] versuchen, an anderen Schulen der Internationalen Beziehungen, wie Neorealismus und Konstruktivismus, anzuknüpfen.

Tim Dunne und Andrew Linklater besetzten die drei Rs von Wight derzeit mit

um.

Quellen

  1. a b c Siegfried Schieder, Manuela Spindler: Theorien der internationalen Beziehungen, Budrich, Opladen [u. a.] 2006, ISBN 978-3-8252-2315-1
  2. Bull, 1977
  3. http://www.polis.leeds.ac.uk/research/international-relations-security/english-school/working-groups/

Literatur

  • Bull, H. (1977) The Anarchical Society: A Study of Order in World Politics.
  • Buzan, B., From International to World Society? English School Theory and the Social Structure of Globalisation, Cambridge 2004.
  • Dunne, T., Inventing International Society. A History of the English School, Basingstoke 1998.
  • Linklater, Andrew/Suganami, Hidemi, The English school of international relations. A contemporary reassessment, Cambridge 2006.
  • Little, Richard, International Relations Theory from a Former Hegemon, in: Reus-Smit, Christian/Snidal, Duncan (Hrsg.), The Oxford handbook of international relations, Oxford 2008, S. 675-687.
  • Suganami, H., British Institutionalists, or the English School, 20 Years on, in International Relations, 17 (2003), S. 253-271.

Weblinks


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