Graph (Linguistik)

Graph (Linguistik)

Graphe (auch: Grafe, von griechisch γραφή graphē ‚Schrift‘) sind die kleinsten analysierbaren graphischen Einheiten eines sprachübergreifenden Schriftsystems oder eines schriftähnlichen Zeichensystems. Sie sind der sprachwissenschaftliche Untersuchungsgegenstand der Graphetik.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsabgrenzung

Mehrere Graphen, die innerhalb eines Schriftsystems dieselbe Funktion erfüllen bzw. dieselbe Bedeutung haben und einander ersetzen können, heißen Allographen bzw. allograph zueinander. Jede Klasse von Allographen bildet ein Graphem. Allographe und Grapheme sind abstrakte Einheiten der Schriftlinguistik, ein Graph ist hingegen eine „konkrete, klassifizierbare graphische Erscheinung“[1] und somit nur paralinguistisch. Während Grapheme nur als Teil einer vollwertigen Schrift, die prinzipiell zum Schreiben jeder Sprache verwendet werden kann, vorkommen, können Graphe auch Bestandteile von Vorläufern der Schrift sein.

So kann bspw. festgestellt werden, dass der heutige Graph ‹ö› historisch – paläographisch – nacheinander bevorzugt als ‹oe›, ‹oͤ› und ‹o̎› dargestellt wurde, er je nach Schreib- bzw. Druckmedium – chiro- oder kalli- bzw. typographisch – auch wie ‹ō›, ‹õ› oder ‹ő› aussehen kann und ihm in anderen Sprachen – glottographisch – u.a. ‹œ› und ‹ø› weitgehend entsprechen. Wenn allerdings in der Rechtschreibung – orthographisch – regelmäßig ‹Ö› als syntagmatisch markierte Schreibung, ‹oe› als Ersatzschreibung und ‹eu› als Variantenschreibung zulässig sind, dann handelt es sich genauso um eine graphematische Analyse der Allographen des Graphems 〈ö〉 wie bei der eher technischen oder philosophischen Diskussion, ob es sich bei ‹ö› um einen Simplex oder um einen Komplex aus ‹o› und ‹¨› handelt.

Glyphen werden wie Graphe ebenfalls konkret realisiert, beschreiben aber nur technisch einen graphischen Körper, der manchmal einem Graphen entspricht, aber auch sowohl nur Teil eines Graphen sein als auch mehrere Graphen zugleich abbilden kann, z.B. kann der Graph für einen Umlautvokal ‹ö› aus einer Glyphe für den Basisbuchstaben ‹o› und einer für die Tremapunkte ‹¨› zusammengesetzt werden und eine Graphfolge ‹oe› kann als Ligaturglyphe ‹œ› angelegt sein, bei der die Buchstabengrenzen verwischen.

Viele Bezeichnungen graphischer Einheiten enden mit dem Morph {-graph} oder {-gramm}. Mit dem ersten ist eher eine graphetische, mit dem zweiten eine graphematische Bedeutung assoziiert, aber die Unterscheidung wird nicht einheitlich und systematisch angewendet.

Sequenzen

Wenn mehrere Graphen im Schriftfluss aufeinander folgen, werden sie gegebenenfalls gemeinsam betrachtet. Dabei ist zwischen einer funktionalen und einer rein statistischen Herangehensweise zu unterscheiden. Funktional werden „Monographen“ zu Digraphen, Trigraphen, … oder allgemein als Plurigraphen zusammengefasst, die allograph zu anderen solchen Einheiten sind und somit Graphemkonstituenten sein können. Statistisch wird bspw. in der Computerlinguistik oder Kryptographie einfach jede motivierte oder unmotivierte Zeichenfolge als Bigramm, Trigramm, …, N-Gramm analysiert und die jeweiligen Häufigkeiten des Auftretens verglichen, was eine Vorstufe zur funktionalen Analyse sein kann.

Einige Graphetiker[2] haben die lateinischen und teilweise auch die griechischen Minuskeln dahingehend analysiert, wie ihre abstrakten Formbetandteile mit phonologischen Eigenschaften korrelieren; so haben bspw. die normalen Vokalbuchstaben 〈a, e, i, o, u〉 keine Ober- und Unterlängen.

Siehe auch

Literatur

  • Hans Peter Althaus: Graphetik. In: Hans Peter Althaus, Helmut Henne, Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.): Lexikon der germanistischen Linguistik. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Niemeyer, Tübingen 1980, ISBN 3-484-10389-2, S. 138–142.
  • Christa Dürscheid: Einführung in die Schriftlinguistik. In: Studienbücher zur Linguistik. 2 Auflage. 8, Verlag für Sozialwissenschaft, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-33680-0.
  • Peter Gallmann: Graphische Elemente der geschriebenen Sprache. Grundlagen für eine Reform der Orthographie. In: Reihe germanistische Linguistik. 60, Niemeyer, Tübingen 1985, ISBN 3-484-31060-X, 2.2 „Zum Begriff des Graphems“.
  • Manfred Kohrt: Problemgeschichte des Graphembegriffs und des frühen Phonembegriffs. In: Reihe germanistische Linguistik. 61, Niemeyer, Tübingen 1985, ISBN 3-484-31061-8.

Einzelnachweise

  1. Gallmann (1985), §47.
  2. u.a. Primus, Brekle

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