Hochwassermarken der Unstrut

Hochwassermarken der Unstrut

Alte Hochwassermarken der Unstrut angebracht an Kirchen, Mühlen, Stadttoren oder Wohn- und Geschäftshäusern belegen ehemalige Hochwasser. Die Tradition solche Ereignisse durch Markierungen festzuhalten, ist in Deutschland schon für das 14. Jahrhundert belegt.

Die Unstrut, als größter Nebenfluss der Saale gehört zum Stromgebiet der Elbe. Sie entspringt westlich des Dorfes Kefferhausen (Eichsfeld) und mündet nach etwa 190 km bei Großjena in die Saale. Das hydrologisch sehr uneinheitliche Einzugsgebiet der Unstrut umfasst 6317 km². Anrainer sind die Bundesländer Thüringen und Sachsen-Anhalt. Wichtigste Nebenflüsse der Unstrut sind Gera, Wipper und Helme. Insbesondere aufgrund des geringen Gefälles, der geringen geohydrologischen Speicher- und Ausgleichswirkung und der wenig bewaldeten Vorläufer ist die Unstrut der hochwassergefährdetste Fluss Mitteldeutschlands.

An zahlreichen Fließgewässern haben sich historische Hochwassermarken erhalten. Mit der Anbringung sollte die Erinnerung an das abnorme Ereignis wach gehalten werden. Die Anbringung von Gedenksteinen, Marken und Zeichen war zunächst Sache der Bewohner, Eigentümer oder Gemeinden. Entsprechende Weisungen erteilte die Landesherrschaft sicher nur in Ausnahmefällen. Für das Königreich Preußen, und die Provinz Sachsen, findet sich im Jahr 1824 der erste Hinweis auf eine Kennzeichnung der Hochwasserstände "von Amts wegen". Die staatlich veranlasste Anbringung von Hochwassermarken setzte sich bis heute fort.

Informationen über Hochwässer in Kirchenbüchern, Ortschroniken oder Rechnungsbänden liefern genaue Angaben. Briefe, Rechnungsbücher oder Visitationsberichte können auch Informationen über Überschwemmungen enthalten. Ausgangspunkt für die systematische Erfassung von Hochwassermarken in den Bundesländern Thüringen und Sachsen-Anhalt war die Unstrut. Ziel war es eine Bestandsaufnahme und Dokumentation. Um ein geschlossenes Bild zu erhalten, wurden sowohl historische Marken (vor 1900) als auch Marken des 20. Jahrhunderts erfasst.

Hinsichtlich der Aussagefähigkeit sind vier Gruppen von Hochwassermarken zu sehen:

  • Gruppe 1 sind einfache Markierungen zusammen gefasst. Sie finden sich in Form von Farbstrichen, in Stein geschlagenen Kerben, Kreuzen, Pfeilen oder Tafeln (aus Emaille, Gusseisen, Marmor, Stein, etc.). Jahreszahlen fehlen, lediglich auf das Ereignis weisende Angaben können beigefügt sein (Großes Wasser, Wasserstand). Das Zuordnen der Marken zu einem bestimmten Hochwasser ist in der Regel unmöglich.
  • Gruppe 2 gehören Markierungen mit Angabe der Jahreszahl. In einigen Fällen mit Erläuterung, z.B. "Großes WASSER 1784. Aufgrund der Hinweise ist es bei gesicherter Quellenlage in den meisten Fällen möglich, die Markierungen einem bestimmten Ereignis zuzuordnen.
  • Gruppe 3 umfasst alle Markierungen mit Angabe des genauen Datums (Tag, Monat, Jahr). Gleichzeitig können Hinweise über die Wasserhöhe vermerkt worden sein.
  • Gruppe 4 sind Sonderformen. Dazu gehören Inschriften, die von einem Hochwasser in ausführlicher Form (z. B. durch die Aufzählung von Toten, Verletzten, Viehverlusten etc.) berichten und Auskunft über die Höhe des Wasserstandes geben. Sonderformen sind auch Gedenksteine. Ebenso zählen Chronogramme mit Angabe der Wasserhöhe oder auf Hochwässer bezogene Reime zu dieser Gruppe.

Hochwassermarken sind wichtige Ergänzungen zu schriftlichen Befunden. Als ortsfeste Bodenaltertümer stellen die Markierungen bedeutende Denkmale der Umwelt- und Regionalgeschichte dar und sollten daher dem Denkmalschutz der Länder unterliegen. Historische Marken sind insbesondere im original verbauten Zustand von Interesse. Vor allem Markierungen der Gruppe 3, aber auch der Gruppen 2 und 4, besitzen für umweltorientierte Forschungen Aussagewert. Als "physikalische Proxydaten" finden sie im Rahmen von Forschungsarbeiten zur Historischen Klimatologie Verwendung. Gemeinsam mit Archivalien können historische Wasserstände ungefähr ermittelt werden.

Trotz umfangreicher wasserbaulicher Maßnahmen in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts, traten Hochwasser immer wieder auf. So verursachte die Unstrut im Februar 1909 und im Sommer 1926 große Überschwemmungen. Am Unstrut-Pegel Straußfurt registrierte man zwischen 1888 und 1945 (57 Jahre) insgesamt 163 Hochwässer. Zu den besonders schweren Hochwässern vor dem Jahre 1888 zählen die Ereignisse vom Januar 1682, Februar 1784, Februar 1799, Juni/Juli 1871 und März 1881. Alle sind mehrfach in Form von Hochwassermarken dokumentiert. Es konnten 71 Markierungen aus vier Jahrhunderten erfasst werden, wobei 44 am etwa 145 km langen Flussabschnitt in Thüringen und 27 am etwa 45 km langen Unstrutlauf in Sachsen-Anhalt gefunden wurden. Darüber hinaus wurden 43 zerstörte Marken (42 davon in Thüringen) ermittelt.

Die älteste Marke ist die in Stein geschlagene Jahreszahl "1613" und befindet sich, mit fünf weiteren, an der St. Georgi Kirche in Mühlhausen/Thüringen. Laut Handschriften des Stadtarchivs bezieht sie sich auf die so genannte. "Thüringische Sintflut" vom 29. Mai 1613, bei der es an zahlreichen Fließgewässern Thüringens zu katastrophalen Überschwemmungen kam. Die Zuordnung zum Ereignis vom 29. Mai 1613 wird durch Kirchenrechnungen bestätigt. (Stadtarchiv Mühlhausen, Sign. 2371/1, fol. 545). Während entlang der Unstrut fünf weitere Marken in das 17. Jahrhundert datieren, liegen aus dem 18. und 19. jeweils 15 und aus dem 20. Jahrhundert 30 Hochwassermarken vor. Fünf Zeichen waren aufgrund fehlender Angaben nicht zuzuordnen. Am Flusslauf wurden 17 Marken mit genauer Datierung (Tag, Monat, Jahr) erfasst.

Für eine genaue Zuweisung und wissenschaftliche Bearbeitung sind Studien der schriftlichen Quellen notwendig. Umfangreichere Inschriften, die sich auf ein bestimmtes Hochwasser beziehen, fehlen an der Unstrut. Ebenfalls liegen keine Hinweise auf Chronogramme oder gestaltete Gedenktafeln vor. Als einzige Sonderformen wurden zwei in der Feldflur aufgestellte Steine ermittelt. Der eine Stein steht südlich der Gemeinde Ringleben (Kyffhäuserkreis) auf einem Feldstück. Das aus Buntsandstein gefertigte Denkmal ist 155 cm hoch. Eingemeißelt findet sich die leicht verwitterte Inschrift: "Gedenkstein der großen Überschwemmung am 28. Juni 1871". Der zweite, nur als Nachbildung erhaltene, steht zwischen den alten Kilometersteinen 1,6 und 1,7 an einem Versorgungsweg zwischen Ritteburg und Gehofen (Kyffhäuserkreis). Das Original errichtete man nach dem Katastrophenhochwasser vom Juni 1871. Auf dem Buntsandstein befand sich 1,60 m über dem Dammscheitel die Aufschrift "Wasserstand am 29. Juni 1871". Nach den schweren Hochwässern von 1946 und 1947, die den Wasserstand von 1871 übertrafen, wurde ein Blech mit den Angaben „9.2.1946" und „16.3.1947" aufgesetzt. Bis zu seiner Zerstörung vor wenigen Jahren stand der so genannte "Wasserstein" in der Feldflur. Den Bemühungen der Heimatfreunde ist die Aufstellung einer Nachbildung im Juni 1996 zu verdanken.

Die jüngste aufgenommene Marke der Studie verweist auf das Sommerhochwasser von 1956. Die Farbmarkierung „1956" befindet sich mit drei weiteren Zeichen (1939, 1946, 1947) unter der Überschrift „Hochwasserstände" an einem Peiler der Schleusenbrücke von Laucha. Während das Winterhochwasser von 1939 verhältnismäßig schadlos blieb, kam es im Februar 1946 und März 1947 entlang der Unstrut örtlich zu katastrophalen Zerstörungen. Von der enormen Wasserhöhe des Jahres 1946 künden neun Marken. Auf das Ereignis vom März 1947 verweisen 11 Hochwassermarken. Ein ähnliches Ausmaß muss das schwere Winterhochwasser vom Februar/März 1784 erreicht haben. Damals kam es auch an Main und Elbe zu außerordentlichen Überschwemmungen. An der Unstrut wiesen vier Hochwassermarken das Ereignis von 1784 an. Noch höhere Fluten traten 15 Jahre später ein. Von dem Ereignis im Februar 1799 künden sieben Marken. Insbesondere die Straßen und Gassen der Vorstädte Freyburgs hatten immer wieder unter Hochwassern zu leiden. Angaben über die Schrecken des Hochwassers von 1799 liefert ein Schreiben des Freyburger Stadtrates vom 27. Februar 1799, veröffentlicht in der Leipziger Zeitung. Darin wird bemerkt: dass das selbige noch 2 Ellen (etwa 113 cm) höher als 1784 ausfiel.

Das vom Freyburger Rat aufgesetzte Schreiben an die Landesregierung in Dresden bezifferte den Schaden in der Stadt auf 5352 Taler. Es wird von 43 Häusern gesprochen, die teils ganz ruiniert, teils beträchtlich beschädigt wurden. Den Freyburgern blieb die Flut vom Jahr 1799 noch lange in Erinnerung. Bis weit in das 19. Jahrhundert war sie Vergleichsgröße für andere Überschwemmungen der Unstrut. Nicht zuletzt dient die alte Marke in der Wasserstraße 32 bis heute als eindrucksvoller Bezugspunkt.

Literatur

  • M. Deutsch: Hochwassermarken der Unstrut, 1994.
  • M. Deutsch & K.-H. Pörtge: Hochwassermarken in Thüringen, Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz, 2009. (PDF)
  • M. Deutsch & K.-H. Pörtge: Außergewöhnliche Niederschläge und Hochwässer in Thüringen am Beispiel des Hochwassers der Unstrut vom Juli 1926 im Altkreis Mühlhausen/ Thüringen. In: R. Mäusbacher und A. Schulte (Hrsg.), Beiträge zur Physiogeographie. Festschr. für Dietrich Barsch, Heidelberger Geograph. Arb. 104, 1996 S. 289-299.
  • R. Glaser:: Thermische Klimaentwicklung in Mitteleuropa seit dem Jahr 1000. Geowiss. 8/9, 1995 S. 302-312.

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