Kaninchenhunger

Kaninchenhunger

„Kaninchenhunger“, auch als Proteinvergiftung bekannt, ist eine Form akuter Mangelernährung. Sie entsteht, wenn die Nahrung vor allem aus magerem Fleisch (z. B. vom Kaninchen) besteht und zusätzliche Stressfaktoren wie Kälte und Trockenheit herrschen. Die Symptome bestehen aus Durchfall, Kopfschmerzen, Müdigkeit, tiefem Blutdruck, niedrigem Puls sowie vagem Unwohlsein. Hinzu kommt ein Hungergefühl, das nur durch Aufnahme von Fett oder Kohlenhydraten zu sättigen ist.

Inhaltsverzeichnis

Mögliche Mechanismen

  • Kaloriendefizit. Ein 19- bis 30-jähriger Mann, der pro Tag eine Stunde mittelmäßig schwere Arbeit leistet (zum Beispiel zügiges Gehen während der Jagd) benötigt 3000 kcal/Tag (12'540 kJ/Tag) Energie.[1] Rohes Fleisch von Wildkaninchen enthält jedoch 114 kcal (476 kJ) Energie pro hundert Gramm[2], und so muss ein erwachsener Mann jeden Tag 2.6 kg Kaninchenfleisch essen, um seinen Energiebedarf zu decken. Soviel Fleisch kann jedoch nur aus acht Wildkaninchen mittlerer Größe gewonnen werden.[3] Dies bedeutet einen beträchtlichen Aufwand bei der Jagd.
  • Hypervitaminose: Wenn wegen des hohen Kalorienbedarfs auch die Lebern der Tiere verzehrt werden, kann leicht eine Überschuss an Vitamin A entstehen. Die Obergrenze von Vitamin A, 10'000 IU/Tag, kann durch den Verzehr von Karibu-Leber leicht überschritten werden (28'804 IU/100 g)[4]. Die A-Hypervitaminose zeigt ähnliche Symptome wie der Kaninchenhunger.
  • Gefährliche Proteinmenge: Die menschliche Leber kann nicht mehr als 200 bis 300 g Eiweiß pro Tag verwerten, und die menschlichen Nieren sind ebenso beschränkt in ihrer Fähigkeit, Harnstoff (ein Nebenprodukt des Protein-Abbaus) aus dem Blutkreislauf zu entfernen. Dies kann zu schädlichen Mengen an Aminosäuren, Ammoniak und/oder Harnstoff im Blut führen. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn eine Person ohne ausreichende Umstellungszeit die Proteinzufuhr stark erhöht. Weil Eiweiß nur 4 kcal (16.72 kJ) Energie pro Gramm enthält, sind zur Deckung des Grundbedarfs einer 70 kg schweren Person 419 g Eiweiß erforderlich - mehr, als die Leber beziehungsweise die Nieren verwerten bzw. verkraften könnten.

Beschreibungen

Der Anthropologe und Polarforscher Vilhjalmur Stefansson (1879 – 1962) beschrieb den Kaninchenhunger folgendermaßen:

„Die Menschen, die vom Blubber erlegter Tiere leben, sind die glückseligsten im Jägerleben, da sie nie an Fett-Hunger leiden. Dieses Problem ist in Nordamerika bei den Indianern, die von Kaninchen – der magersten Jagdbeute – abhängig sind, am Schlimmsten. Sie entwickeln einen extremen Fett-Hunger, der als Kaninchenhunger bekannt ist. Kaninchenesser, sofern sie kein Fett aus einer anderen Quelle wie Biber, Elch oder Fisch beziehen können, erleiden innerhalb einer Woche Durchfall, Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit und vages Unwohlsein. Wenn es genügend Kaninchen zu jagen gibt, essen die Menschen Kaninchen bis ihnen die Bäuche platzen – gleich wie viel sie auch essen, sie werden sich nicht satt fühlen.

Stefansson sagt auch, dass Todesfälle durch Kaninchenhunger selten seien, denn die Bewohner Nordamerikas kennen die Gefahren fettloser Ernährung und würden rechtzeitig Maßnahmen ergreifen. Nordamerikanische Indianer kennen zum Beispiel das lang haltbare, fett- und proteinreiche Pemmikan.

In der Einleitung zu Alden Todds Buch „Abandoned: The Story of the Adolphus Greely Arctic Expedition 1881 - 1884“ beschreibt Stefansson den Kaninchenhunger als Hauptproblem der 25-köpfigen Greely-Expedition. Von dieser Reise kehrten nur sechs Personen lebendig zurück. Stefansson erwähnt in dieser Sache auch den Kannibalismus – durch den Verzehr des mageren Fleisches verstorbener Expeditionsteilnehmer konnte niemand seinen Hunger stillen.

Charles Darwin schrieb in „Die Reise auf der Beagle“:

Wir waren in der Lage, Biskuit zu kaufen. Ich war nun mehrere Tage hier, ohne etwas zu essen außer Fleisch. Ich mochte diese Ernährungsweise durchaus, aber es fühlte sich an als wäre es eine harte Übung. Ich habe von Patienten in England gehört, die ausschließlich tierische Nahrung zu sich nehmen wollten und kaum in der Lage waren, diese Diät durchzuziehen. Die Gauchos der Pampa hingegen ernähren sich monatelang nur von Rindfleisch. Sie essen aber, wie ich beobachtet habe, eine sehr große Menge Fett und im Besonderen verscheuen sie trockenes Fleisch wie jenes vom Aguti. Dr. Richardson bemerkte: „Wenn Menschen für eine lange Zeit nur mageres Fleisch zu essen bekamen wird das Verlangen nach Fett so unstillbar, sie können dann eine große Menge ungemischtes und sogar öliges Fett ohne Übelkeit zu sich nehmen.“

Literatur

  • Bilsborough S, Mann N: A review of issues of dietary protein intake in humans.. In: Int J Sport Nutr Exerc Metab. 16, Nr. 2, 2006, S. 129–152. PMID 16779921.
  • Rabbit Starvation. Abgerufen am December 31, 2006.

Einzelnachweise

  1. „Estimated Energy Requirements“, Canada's Food Guide.
  2. Game meat, rabbit, wild, raw USDA National Nutrient Database; Reference 17180.
  3. http://www.env.gov.bc.ca/wld/documents/statusrpts/wr56.pdf
  4. http://www.nal.usda.gov/fnic/foodcomp/search/

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