Kulturgüterschutz in der Schweiz

Kulturgüterschutz in der Schweiz

Der Kulturgüterschutz in der Schweiz bezeichnet alle Maßnahmen zum Schutz von Kulturgütern in der eidgenössischen Schweiz vor Beschädigung, Zerstörung, Diebstahl und Verlust. Dazu wurden Gesetze erlassen und internationale Abkommen getroffen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Geschichte des Kulturgüterschutzes in seiner heutigen Form beginnt mit der massiven Zerstörung von Kulturgut während des Zweiten Weltkriegs. Im Zuge der UNO-Gründung 1945 wurde auch die UNESCO geschaffen, welche noch heute als die «Mutterorganisation» des Kulturgüterschutzes auf internationaler Ebene gilt. Die UNESCO war federführend als 1954 der Kulturgüterschutz mit dem Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten (HAK) auf eine völkerrechtliche Basis gestellt wurde. Die Schweiz trat dem HAK 1962 bei und ratifizierte 2004 als einer der ersten Staaten weltweit das Zweite Protokoll zum Haager Abkommen von 1954 (Zweites Protokoll), welches das HAK seit 1999 ergänzt.

Kulturgüter-Begriff

Kulturgüter sind Objekte, welche in irgendeiner Form vom Menschen erschaffen oder verändert wurden und damit etwas über deren Vergangenheit und Herkunft aussagen. Art. 1 des HAK vom 14. Mai 1954 definiert den Begriff so:

  • a) bewegliches oder unbewegliches Gut, das für das kulturelle Erbe der Völker

von grosser Bedeutung ist, wie z.B. Bau-, Kunst- oder geschichtliche Denkmäler kirchlicher oder weltlicher Art, archäologische Stätten, Gruppen von Bauten, die als Ganzes von historischem oder künstlerischem Interesse sind, Kunstwerke, Manuskripte, Bücher und andere Gegenstände von künstlerischem, historischem oder archäologischem Interesse sowie wissenschaftliche Sammlungen und bedeutende Sammlungen von Büchern, von Archivalien oder von Reproduktionen des oben umschriebenen Kulturguts;

  • b) Gebäude, die in der Hauptsache und tatsächlich der Erhaltung oder Ausstellung

des unter a umschriebenen beweglichen Guts dienen, wie z.B. Museen, grosse Bibliotheken, Archive sowie Bergungsorte, in denen im Falle bewaffneter Konflikte das unter a umschriebene bewegliche Kulturgut in Sicherheit gebracht werden soll;

  • c) Denkmalzentren, das heisst Orte, die in beträchtlichem Umfange Kulturgut

im Sinne der Unterabsätze a und b aufweisen.

Organisation

Der Kulturgüterschutz ist eine Verbundaufgabe, welche nur durch die Zusammenarbeit verschiedener Partner bewältigt werden kann. In der Schweiz ist diese Zusammenarbeit wie folgt geregelt:

Auf Bundesebene ist der Fachbereich Kulturgüterschutz beim Departement Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS, im Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS), angegliedert. Zusätzlich gibt es mit dem Schweizerischen Komitee für Kulturgüterschutz eine ausserparlamentarische Kommission, welche dem Fachbereich Kulturgüterschutz beratend zur Seite steht. Die Mitglieder des Komitees vertreten fünf Departemente der Bundesverwaltung (Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA, Finanzdepartement EDF, Departement des Inneren EDI, Justiz- und Polizeidepartement EJPD, Departement Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS), die kantonalen Fachstellen (Denkmalpflege und Archäologie) sowie die kulturellen Institutionen (Archive, Museen und Bibliotheken). Sie werden vom Bundesrat ernannt.

In den Kantonen existieren als Anlaufstellen kantonale Verantwortliche für Kulturgüterschutz. Diese sind jeweils entweder bei der kantonalen Kulturabteilung ‒ meist bei der Denkmalpflege ‒ oder beim Bevölkerungsschutz angesiedelt. Die Denkmalpflegen bringen als Fachstellen das Know-how im Umgang mit den Objekten in die Zusammenarbeit mit ein, der Zivilschutz stellt die personellen Ressourcen für den Einsatz auf lokaler und regionaler Ebene.

Neben diesen mit dem Schutz von Kulturgut betrauten Behörden gibt es zahlreiche weitere Institutionen und Partner, welche ihren Beitrag zum Erhalt des kulturellen Erbes leisten: Die kulturellen Institutionen (Archive, Museen, Bibliotheken) selber, die Partnerorganisationen im Bevölkerungsschutz (Feuerwehr, Polizei etc.) oder Private wie die Schweizerische Gesellschaft für Kulturgüterschutz.

Auf internationaler Ebene gilt es die UNESCO als «Mutterorganisation» des Kulturgüterschutzes hervorzuheben, nicht zu vergessen die Signatarstaaten von Haager Abkommen und Zweitem Protokoll oder Nicht-Regierungsorganisationen wie ICOM (International Council of Museums), ICOMOS (International Council on Monuments and Sites), IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions) und ICA (International Council on Archives). Ein wichtiger Partner im internationalen Bereich ist natürlich das IKRK (Internationales Rotes Kreuz), welches im Rahmen seiner humanitären Tätigkeit auch den Kulturgüterschutz berücksichtigt.

Gefahren

Gefahren für Kulturgut kann man in drei Kategorien einteilen: Ständige Gefahren, Ereignisse in Friedenszeiten sowie Ereignisse im Falle eines bewaffneten Konflikts.

Ständige Gefahren umfassen unter anderem Diebstahl, Vandalismus, Luftverschmutzung, Schädlings- oder Pilzbefall, Alterszerfall, Unkenntnis oder Gleichgültigkeit. Ein Beispiel für diese Gefahrenkategorie ist der Brand der Kapellbrücke in Luzern vom August 1993. Es wird vermutet, dass die Brandursache eine weggeworfene Zigarette war. Begegnen kann man diesen Gefahren in erster Linie mit konservatorischen Massnahmen oder durch Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den richtigen Umgang mit Kulturgut.

Als Gefahren in Friedenszeiten sind vor allem technisch bedingte Schadensfälle wie Brand oder Wasserschäden und Naturereignisse wie Erdbeben, Unwetter oder Lawinen zu nennen, oft führt aber auch menschliches Versagen zu einer Schädigung von Kulturgut. Als Beispiel für Naturgefahren kann auf die Hochwasser-Ereignisse vom Sommer 2005 verwiesen werden, als an verschiedenen Orten der Schweiz Kulturgut in Mitleidenschaft gezogen wurde, beispielsweise Sammlungsobjekte im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern oder im Benediktinerinnenkloster St. Andreas in Sarnen.

In Kriegszeiten wirkt sich vor allem der Gebrauch von Waffen und Sprengstoff negativ auf das Kulturgut aus. Weitere Faktoren sind Plünderung oder Verschleppung. In jüngeren militärischen Konflikten, beispielsweise den Balkan-Kriegen, kam es vermehrt zu gezielten Zerstörungsaktionen gegen Kulturgüter, was mit ein Auslöser für die Erarbeitung des Zweiten Protokolls war. Auch terroristische Anschläge sind ein Thema. Die Sprengung der Buddha-Statuen in Afghanistan durch die Taliban im Frühjahr 2001 kann in dieser Hinsicht genannt werden.

In der Schweiz, welche in ihrer jüngeren Vergangenheit weitestgehend von bewaffneten Konflikten verschont wurde, konzentriert sich der Kulturgüterschutz aktuell vor allem auf Massnahmen gegen technisch bedingte Gefahren und Naturereignisse.

Schutzmassnahmen

a) Inventar

Das aktuelle «Schweizerische Inventar der Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung» wurde 2009 vom Bundesrat in 3. Fassung genehmigt (frühere Ausgaben: 1988, 1995). Die darin enthaltenen Objekte von nationaler Bedeutung (A-Objekte) aus den Bereichen Einzelbauten, Archäologie sowie Sammlungen (Bestände aus Museen, Archiven und Bibliotheken) wurden nach einheitlichen Kriterien überprüft und bewertet. Das Inventar ist sowohl als gedruckte Publikation als auch als Geografisches Informationssystem (GIS) im Internet einsehbar. Daneben existieren verschiedene Inventare nach Artikel 5 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz (NHG) , welche an dieser Stelle als Querbezüge zum Kulturgüterschutz aufgelistet werden sollen: Das Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), das Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz (IVS) sowie das Bundesinventar der Landschaften- und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN).

b) Sicherstellungsdokumentation

Bei der Erarbeitung einer Sicherstellungsdokumentation werden möglichst umfangreiche Unterlagen (fotografische und fotogrammetrische Aufnahmen, Baupläne, Restaurierungsrapporte, archäologische Dokumentationen, historische Quellen, Literatur sowie Inventare und Detailblätter) zu einem Objekt gesammelt. Dies ermöglicht die Restaurierung oder den Wiederaufbau eines beschädigten oder zerstörten Gebäudes. Die Erarbeitung von Sicherstellungsdokumentationen in den Kantonen wird vom Bund mit Subventionen unterstützt.

c) Mikrofilm

Im Bereich der Langzeitarchivierung gilt der Mikrofilm als das momentan verlässlichste Speichermedium, ist er doch bei richtiger Lagerung mehrere hundert Jahre haltbar. Wichtige Dokumente aus Archiven und Bibliotheken, aber auch Sicherstellungsdokumentationen können mikroverfilmt und die Filme an einem sicheren Ort abgelegt werden. Der Bund richtet auch an Mikroverfilmungsprojekte in den Kantonen Subventionen aus und erwirbt zusätzlich von jedem Film eine Kopie für das bundeseigene Archiv in Heimiswil (BE).

d) Kulturgüterschutzräume

In der Schweiz bestehen über 300 Kulturgüterschutzräume, welche der Einlagerung von Kulturgut im Schadenfall dienen bzw. bereits als Lagerräumlichkeiten für Kulturgut genutzt werden. Der Bund zahlt auch an diese Schutzmassnahme sowie für die Einrichtung dieser Räumlichkeiten Beiträge. In jüngster Vergangenheit hat man, auch aufgrund sinkender Geldmittel, vermehrt auf die Variante Umnutzung bereits bestehender (Personen-) Schutzräume gesetzt.

e) Ausbildung

Die Kantone sind zuständig für die Ausbildung der KGS-Spezialisten, der Bund übernimmt die Schulung der obersten Kader im Kulturgüterschutz, der Chefs KGS, und stellt den Kantonen die Ausbildungsunterlagen für die Spezialisten-Kurse zur Verfügung. Schweizweit stehen aktuell ca. 3‘000 Angehörige des Zivilschutzes für den Kulturgüterschutz im Einsatz.

f) Partner

Die wichtigsten Partner des Kulturgüterschutzes sind diejenigen, welche bei einem Schadenfall innert kürzester Frist vor Ort sind, also die Polizei und vor allem die Feuerwehr. Die Zusammenarbeit mit letzterer wurde seit 2004 intensiviert. Gemeinsam hat man auch eine Einsatzdokumentation erarbeitet, welche es ermöglicht, den Schutz von Kulturgut im Schadenfall in den Feuerwehreinsatz zu integrieren.

g) Militär

Der Kulturgüterschutz ist Bestandteil von militärischen Kursen, in deren Rahmen zukünftige Adjutanten auf Stufe Bataillon oder Abteilung ausgebildet werden. Weiter ist eine Sequenz zum Kulturgüterschutz auch in die Ausbildung angehender Verteidigungs-Attachés integriert. Das Militär ist ein wichtiger Partner, da die Truppen beispielsweise bei Naturereignissen zu subsidiären Einsätzen aufgeboten werden können. Zusätzlich ist die Sensibilisierung für den völkerrechtlichen Aspekt des Kulturgüterschutzes ein Ziel dieser Ausbildungsgänge. Für den Schutz der Kulturgüter in der Schweiz im Falle eines bewaffneten Konflikts kann der Bundesrat die Kennzeichnung der Kulturgüter mittels des Kulturgüterschutzzeichens anordnen. Im Radius von 500m um ein derart gekennzeichnetes Kulturgut dürfen keine militärischen Aktivitäten ausgeübt werden.

h) Information

Internationale wie nationale Rechtsgrundlagen verlangen, dass die Staaten, die Behördenvertreter und die breite Öffentlichkeit über den Kulturgüterschutz informiert werden. Vielfach wurden in der Vergangenheit Kulturgüter zerstört, weil man sich deren Bedeutung nicht bewusst war. In diesem Bereich ist vor allem der Kulturgüterschutz auf Bundesebene gefordert, welcher dieser Aufgabe mit der Erarbeitung verschiedener Publikationen Rechnung trägt (siehe unter Literatur).

Internationale Zusammenarbeit

Die internationale Zusammenarbeit wird in erster Linie durch die UNESCO koordiniert. Weiter wurde im Zweiten Protokoll, Art. 24, festgelegt, dass sich ein internationaler Ausschuss für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten konstituieren soll. Dieser tagt jährlich und wird vom Sekretariat der UNESCO (Zweites Protokoll, Art. 28) unterstützt. Die Signatarstaaten legen dem Ausschuss alle vier Jahre einen Bericht über die Durchführung des Zweiten Protokolls vor. Der Schweiz kommt in der internationalen Zusammenarbeit eine führende Rolle zu; sie hat gerade für die Umsetzung des Zweiten Protokolls wichtige Arbeit geleistet, indem sie im Jahr 2002 eine grosse internationale Tagung dazu durchgeführt hat. Des Weiteren hat die Schweiz schon mit verschiedenen Staaten auf bilateraler Ebene zusammengearbeitet, als Beispiele können Tschechien, Deutschland oder Norwegen genannt werden.

Rechtliche Grundlagen

International

  • Haager Abkommens für den Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten (HAK) vom 14. Mai 1954
  • Zweites Protokoll zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 26. März 1999

National

  • Bundesgesetz über den Schutz der Kulturgüter bei bewaffneten Konflikten (KGSG) vom 6. Oktober 1966
  • Verordnung über den Schutz der Kulturgüter bei bewaffneten Konflikten (KGSV) vom 17. Oktober 1984
  • Bundesgesetz über den Bevölkerungsschutz und Zivilschutz (BZG) vom 4. Oktober 2002
  • Verordnung über den Zivilschutz (ZSV) vom 5. Dezember 2003

Querbezüge

  • Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (KGTG) vom 20. Juni 2003
  • Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) vom 1. Juli 1966

Literatur

  • Bundesamt für Bevölkerungsschutz: KGS-Forum (Zeitschrift, Nr. 1-14). Bern 2001ff.
  • Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Guidelines (Nr. 1-3). Bern 2003ff.
  • Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Kulturgüterschutz betrifft uns alle. (Internationale Kulturgüterschutztagung Schweiz, 23.-25. September 2002). Bern 2003.
  • Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Bewahren, Sichern, Respektieren. Der Kulturgüterschutz in der Schweiz. (Publikation zum Jubiläum 50 Jahre «Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten»). Bern 2004.
  • Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Expertenbericht: Erdbeben und Kulturgüter (Arbeitsgruppe Erdbeben und Kulturgüter de Schweizerischen Komitees für Kulturgüterschutz). Bern 2004.
  • Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Schutz von Kulturgut bei Hochwasser. Empfehlungen auf Stufe Bund und Kanton. Bern 2010.
  • Kerstin Odendahl: Kulturgüterschutz. Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, Tübingen 2005.

Weblinks


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