Leichenfraß

Leichenfraß

Unter Leichenfraß oder postmortalem Tierfraß versteht man jede nach dem Tod eingetretene Veränderung an einem Leichnam, die durch Biss- und Fraßspuren von Wirbeltieren bedingt ist. Das Vorliegen von Tierfraß kann zu einem irrtümlichen Verdacht einer unnatürlichen Todesursache beziehungsweise eines Tötungsdelikts führen. Besiedelungen der Leiche mit Insekten und Würmern und die dadurch hervorgerufenen Leichenveränderung gelten nicht als Leichenfraß im engeren Sinn.

Häufig findet man einen Leichenfraß bei Leichen, die im Freien aufgefunden werden. Fleischfressende Tiere und besonders Aas- und Allesfresser kommen hierfür in Frage. In Mitteleuropa sind dies besonders Füchse, Dachse und Wildschweine, aber auch Vögel verursachen besonders an weichen, leicht zugänglichen Körperteilen Leichenfraß, besonders Möwen und Rabenvögel (Krähen und Raben). Typische Fraßspuren an abstehenden Körperteilen (Ohren, Finger, Zehen, Nase, Lippen etc.) werden von Nagetieren wie Mäusen und Ratten hervorgerufen. Wasserleichen können von Fraß durch Fische (besonders Haie) und Krustentiere betroffen sein. Bei intensivem Leichenfraß und/oder bei längere Zeit liegenden Leichen ist die Verschleppung von Leichenteilen oder einzelnen Knochen an verschiedene Orte ein kriminalistisches Problem, da dadurch die Auffindesituation der Leiche erheblich verändert und der ursprüngliche Tatort nicht immer sicher ermittelt werden kann.

Bei Todesfällen, bei denen der Leichnam zusammen mit Haustieren eingeschlossen ist, kann es nicht selten zu Leichenfraß kommen. Hierfür kommen überwiegend Haushunde[1] und Hauskatzen, aber auch selten Hamster[2] und domestizierte Singvögel[3] in Betracht. Dabei scheint die Motivation des Tieres nicht in jedem Fall mit Hunger und dem Drang nach Nahrungsaufnahme erklärbar zu sein, vielmehr scheint die Ausnahmesituation des Haustieres (speziell bei Haushunden) zu Weckversuchen oder Übersprungshandlungen in Form von Beißen zu führen. Diese Formen liegen besonders dann vor, wenn der Leichenfraß unmittelbar nach Todeseintritt und nach vorheriger normaler Nahrungsaufnahme des Tieres geschieht.[4] Erleichtert wird dies bei geringer Bekleidung oder Abdeckung der Leiche, wobei auch Fälle von postmortaler Kastration beschrieben sind.[5] Eine besondere Form ist die agonale Bissverletzung, bei der bewusstlose oder schon in Agonie liegende Personen von einem Tierfraß betroffen sind und daher die Verletzungen an der Leiche noch ante mortem (intra vitam) hervorgerufen wurden.

Der bewusst herbeigeführte postmortale Tierfraß ist bei einigen Kulturen eine besondere Art der Bestattung. So ist bereits in kanaanitischen Religionen der Tierfraß ein Teil des Opferkultes an speziellen Orten (Tofet), bei Zoroastriern und Parsen ist der rituelle Leichenfraß in speziellen Bauwerken („Türme des Schweigens“), den Dakhmahs üblich.

Literatur

Einzelnachweise

  1. L. Plötsch-Schneider, L. Endris: Postmortale Hundebißspuren und Leichenfraß. Kriminalistik (1984) 38: S. 351–353
  2. D. Ropohl et al.: Postmortem injuries inflicted by domestic golden hamster: morphological aspects and evidence by DNA typing. Forensic Sci. Int. (1995) 72(2): S. 81–90 PMID 7750871
  3. A. Dettling: Animal bites caused by a song bird?. Archi Kriminol. (2001) 208(1-2): S. 48–53 PMID 11591059
  4. M. A. Rothschild, V. Schneider: On the temporal onset of postmortem animal scavenging. "Motivation" of the animal. Forensic Sci. Int. (1997) 89(1-2): S. 57–64 PMID 9306664
  5. N. Romain et al.: Post-mortem castration by a dog: a case report. Med Sci Law. (2002) 42(3): S. 269-271 PMID 12201075

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