Chassidim

Chassidim

Chassidismus kommt von dem hebräischen Wort חסידים / Chassidim, „Fromme“ und bezeichnet verschiedene voneinander unabhängige Bewegungen im Judentum.

Gemeinsam ist diesen Bewegungen der hohe Standard religiöser Observanz, der hohe moralische Anspruch sowie eine besondere Gottesnähe, die häufig mystische Ausprägung gefunden hat.

Insbesondere werden unterschieden:

  • der Chassidismus aus der Zeit des Zweiten Tempels,
  • der Chassidismus des deutschen Mittelalters und
  • der osteuropäische Chassidismus seit dem 18. Jahrhundert, der heute weltweit verbreitet ist.

Inhaltsverzeichnis

Chassidim in der Zeit des Zweiten Tempels

Da jeder Fromme als Chassid bezeichnet werden kann, ist häufig unklar, ob mit den in den Quellen erwähnten Chassidim einfach die Gesamtheit der frommen Juden oder eine konkrete, strukturierte Gruppe gemeint ist.

Fassbar als Gruppe werden Chassidim als eine Vereinigung endzeitlich orientierter Gruppen um 300 bis 175 v. Chr., die nach 1. Makkabäer 2, 29-38 auf der Suche nach Recht und Gerechtigkeit ihre Wohnsitze verließen und in die Wüste zogen, um den religionspolitischen Zwangsmaßnahmen der Seleukiden zu entgehen. Widerstandslos ließen sie sich am Sabbat überfallen, nur um das Sabbatgebot nicht zu entweihen. Nach 2. Makkabäer 5, 24-26 eroberte Apollonius unter Ausnutzung dieser Mentalität Jerusalem am Sabbat. Erst Judas Makkabäus beschloss, sich auch am Sabbat zu verteidigen und erreichte die Unterstützung der Chassidim. Es gelang, die Seleukiden unter Antiochos IV. erfolgreich zu bekämpfen und aus dem Land zu vertreiben.

Der deutsche Chassidismus des Mittelalters

Vor dem Hintergrund der für das Judentum bedrohlichen Kreuzzüge entwickelte sich der Chassidismus in Deutschland parallel zur Entstehung der christlichen Mystik von etwa 1150 bis 1250 vor allem im Rheinland und in der Pfalz (Speyer, Worms und Mainz). Prägend waren insbesondere die Angehörigen der aus Italien eingewanderten Familie der Kalonymiden:

  • Samuel der Chassid (Speyer, um 1150)
  • Juda der Chassid (Regensburg, gestorben 1217)
  • Eleasar ben Juda (Worms, gestorben zwischen 1223 und 1232)

Der Chassidismus ist keine philosophische oder theologische Lehre, sondern die religiöse Praxis des Chassid (hebräisch „der Fromme“, abgeleitet vom Begriff „Gnade“, „Güte“), die sich insbesondere im Gebet als spiritueller Übung äußert. Bestimmende Momente sind dabei:

  • die Abwendung von der Welt,
  • vollkommener seelischer Gleichmut.

Der ursprünglich osteuropäische Chassidismus

Der Chassidismus im osteuropäischen Judentum hat mit dem deutschen Chassidismus des Mittelalters nur wenig mehr als den Namen gemeinsam und übertrifft diesen erheblich an Bedeutung. Er entstand als Reaktion auf die Pogrome unter Führung des Kosaken Bogdan Chmelnizki im Jahre 1648, als in Osteuropa über 700 jüdische Gemeinden vernichtet wurden.

Begründer des osteuropäischen Chassidismus ist Israel ben Elieser (um 1700-1760), genannt Baal Schem Tow („Meister des guten Namens“). Zu seinen wichtigsten Schülern gehören Rabbi Dow Bär, genannt „Maggid von Mesritsch“ bzw. der „Große Maggid“, und Rabbi Jakob Josef von Polonoje. Innerhalb weniger Jahrzehnte verbreitete sich der Chassidismus in jüdischen Gemeinden in der Ukraine, in Polen, Weißrussland, Russland, Österreich und Deutschland.

Der Baal Schem Tow und seine Nachfolger betonten den Wert des traditionellen Studiums der Tora und der mündlichen Überlieferung, des Talmud und seiner Kommentare. Daneben gewann die mystische Tradition der Kabbala erheblichen Einfluss. Über dieses Studium hinaus steht im Chassidismus das persönliche und gemeinschaftliche religiöse Erlebnis an vorderster Stelle.

Die Chassidim (Mehrzahl von Chassid) versammeln sich besonders am Sabbat und den jüdischen Festtagen um ihren Rabbi (jiddisch „Rebbe“), um in Gebet, Liedern und Tänzen und auch religiöser Ekstase Gott näher zu kommen. Der chassidische Rabbi, genannt „Zaddik“ („Gerechter, Bewährter“, von hebräisch „zedek“ = „Gerechtigkeit“), ist ein charismatischer Führer und Mittelpunkt der Gemeinde und gibt die chassidischen Lehren – oftmals in Form von Erzählungen und Gleichnissen – an seine Schüler weiter. Berühmtes Beispiel für einen Zaddik ist Rabbi Nachman von Bratslav, Urenkel des Baal Schem Tow und Gründer einer eigenen chassidischen Richtung, des Bratslaver Chassidismus.

Chassidische Gemeinden sind Teil des orthodoxen Judentums.

Zur Zeit seiner Entstehung erwuchs dem Chassidismus innerhalb des Judentums Widerstand aus zwei entgegengesetzten Richtungen: einerseits aus den Reihen der Mitnagdim (wörtlich: „Gegner“). Dies waren talmudisch geschulte Kreise, mit Zentrum in litauischen Jeschiwot. Wichtigster Vertreter der Mitnagdim war der Gaon von Wilna, der 1772 und 1782 den Chassidismus mit einem Bann belegte. Er befürchtete aufgrund der Spontanität und der Lebenslust der Chassidim Nachlässigkeit bei der Erfüllung der Mitzwot („Gebote“); auf Unverständnis stieß auch die Ablehnung von Kasteiung und asketischer Lebensweise seitens der Chassidim und die Forderung, dass selbst ein Zaddik Teschuva (hebr. „Umkehr“, „Rückkehr“) tun muss, um sich spirituell weiterzuentwickeln[1]. Andererseits empfanden die Maskilim, die Aufklärer um Moses Mendelssohn, den Chassidismus der Ostjuden als rückständig. Zwischen säkular geprägter, rationaler Aufklärung und der Mystik des Chassidismus entstand eine schwer überwindbare tiefe Kluft.

Die bekanntesten charismatischen chassidischen Rabbiner im 18. und 19. Jahrhundert, deren Leben auch von Chajim Bloch in seiner Sammlung Chassidische Geschichten nacherzählt werden, sind folgende:

Moderne chassidische Persönlichkeiten und Bewegungen

Chassidische Traditionen wurden in Europa mit der Vernichtung der osteuropäischen Juden durch den Nationalsozialismus beinahe ausgelöscht. In Israel und Amerika, aber auch in Westeuropa (Antwerpen, London) konnte sich der Chassidismus erfolgreich reorganisieren und ist heute, auch aufgrund des starken Bevölkerungswachstums chassidischer Gruppen, wieder in einem starken Aufschwung.

Die bekannteste chassidische Gemeinschaft der Gegenwart ist die Chabad-Bewegung. Daneben gibt es Satmar, Belz, Ger, Wischnitz und viele weitere kleine Gruppen.

Martin Buber (1878–1965) hat Anfang des 20. Jahrhunderts den Chassidismus über viele Jahre untersucht und mehrere Bücher darüber geschrieben. Ein zentrales Werk sind seine „Erzählungen der Chassidim“, worin er überlieferte Weisheitsgeschichten sammelte und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte.

Im deutschen Sprachraum hat daneben Friedrich Weinreb (1910–1988) die mystische Tradition des Ostjudentums in seinen Büchern beleuchtet.

Siehe auch

Juden in Osteuropa

Quellen

  1. Yosef Yitzchak Schneerson von Lubawitsch: Kuntres Bikur Chicago, New York 1955, S. 22-24; keine ISBN

Literatur

Sachbücher

  • Karl E. Grözinger: Jüdisches Denken. Theologie-Philosophie-Mystik. Bd. 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus. Frankfurt a.M. 2005, ISBN 3593375133
  • Karl E. Grözinger: Die Geschichten vom Ba'al Schem Tov – Schivche ha-Bescht. (hebr.-jidd.-deutsch) Wiesbaden 2002, ISBN 3447038675
  • Simon Dubnow: Geschichte des Chassidismus - in zwei Bänden. Jüdischer Verlag, Berlin 1931
  • Dan Cohn-Sherbok: Judentum, Freiburg im Breisgau 2000, S. 78–85, 140; ISBN 3-451-05250-4

Zeitschriften

  • Heichal Habesht, Monsey, N.Y., ist die bedeutendste zeitgenössische Fachzeitschrift zu Theologie und Geschichte des Chassidismus. Erscheint seit 2002 vierteljährlich.

Chassidische Geschichten

  • Martin Buber: Die Erzählungen der Chassidim. Zürich 1949, ISBN 3717510622
  • Georg Langer: Der Rabbi, über den der Himmel lachte. Die schönsten Geschichten der Chassidim. Frankfurt a.M. 1986, ISBN 3596254574

Weblinks


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