- Pseudogottheit
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Mit Pseudogottheit, Pseudogott oder Pseudogöttin wird in der Religionsforschung eine Gottheit verstanden, die in der wissenschaftlichen oder populären Literatur auftaucht, aber von der Forschung nicht als historisch echt anerkannt wird. Andere geläufige Bezeichnnungen sind falsche Gottheit, unhistorische Gottheit, unechte Gottheit, erfundene Gottheit oder ähnlich. Pseudogottheiten sind typisch für Religionen und Mythologien, die nur bedürftiges Quellenmaterial aufweisen, wie die slawische oder südgermanische Religion, während im Gegensatz hierzu die nordgermansiche oder antike Religion mit ihrer reiche Überlieferung selten Pseudogottheiten kennen. Nicht zu den Pseudogottheiten gerechnet werden literarische Gestalten, deren fiktiver Charakter eindeutig ist, wie bei den Gottheiten in den Opern Wagners oder in den Phantasieromanen von J. R. R. Tolkien.
Daneben kann der Begriff Pseudogottheit außerhalb der Religionsforschung auch pejorativ gebraucht werden, für Gottheiten, die einer anderen Religion angehören als der eigenen.
Inhaltsverzeichnis
Ursache von Pseudogottheiten
Gründe, die das Entstehen von Pseudogottheiten fördern, sind vielfältig. Ein häufiger Grund ist mangelnde Sprachkenntnisse eines Forschers oder falsche Lesung einer überlieferten Quelle, aber auch falsche Überlegungen und Rekonstruktionen. Auch der Wunsch, einer fremden Kultur Gottheiten zuzuschreiben spielt eine maßgebliche Rolle, sei es um diese Religion als heidnisch abzustempeln oder um das exotische Potenzial zu erhöhen oder auch nur um die großen Lücken einer schlecht überlieferten Tradition aufzufüllen. Manchmal spielen auch egoistische Gründe mit, um mit dem angeblichen Wissen Ansehen zu erlangen. In der modernen Zeit kommt noch der Wunsch neopaganer Kreise hinzu, ihre religiösen Vorstellungen als alt und historisch zu verbürgen.
Islamische Pseudogottheiten
Im Mittelalter wurden den Muslimen regelmäßig mehrere Gottheiten zugeschrieben, entweder aus Unkenntnis des Islams, aber auch mit der Absicht, die Muslime als Heiden abzustempfeln. Mittelalterliche Epen aus Deutschland, Frankreich oder England nennen so Apolle, Jupiter, Mercurius, Terfîant (»der Feind«) oder Vigant (»Feind«), Tôt, (»Tod«), Medelbolt, Machazên und Machmet. Diese den Sarzenen zugeschriebenen Abgötter sind eindeutig eine Mischung aus antiken Göttern, teutschen Namen und natürlich dem Namen des Propheten Mohammed. Obschon der Islam keinen Bilderkult kennt, beschreiben Heldensagen, wie christliche Helden sarazenische Götteridole vernichtet haben.
Antike Pseudogottheiten
In der Genealogia deorum (»Genealogie der Götter«) von Giovanni Boccaccio (1313-1375) taucht als Stammvater der antiken Götter ein Demogorgon auf. Der Name ist jedoch eine Falschlesung des Wortes demiurgos (agriech. »Handwerker, Schöpfer«). Obschon der Fehler schon früh aufgedeckt wurde, blieb Demigorgon weiterhin längere Zeit erhalten und erfuhr sogar Uminterpretationen.
Germanische Pseudogottheiten
Zu den germanischen Pseudogottheiten zählt Cisa, die angeblich in Augsburg verehrt wurde. Der mittelalterliche Text, der den Kult dieser Pseudogöttin beschreibt, wurde von der modernen Forschung als unhistorische Phantasterei entlarvt. Auch andere frühmittelalterliche Quellen, darunter Heiligenlegenden, nennen Gottheiten, die von der Religionsforschung als unecht betrachtet werden.
Mehrere Pseudogottheiten stammen aus der Forschung von Jacob Grimm, der als erster, die "deutsche Religion" seriös untersucht hatte. Obwohl spätere Forscher nachweisen konnten, dass Göttinnen wie Hruoda, Ostara oder Ricen nicht historisch belegt werden können, tauchen einige von ihnen, darunter Ostara, immer wieder als angeblich historisch bezeugte Gottheiten auf, besonders in nichtwissenschaftlichen oder populärwissenschaftlichen Medien.
Andere Gottheiten sind die Folge von Falschlesungen und Falschinterpretationen antiker und mittelalterlicher Quellen, so Hertha, eine Fehllesung für Nerthus oder Lollus, der in einem angeblich verlorenen Text von Julius Cäsar erwähnt sein solle [1].
Zu den germanischen Pseudogottheiten zählen unter anderem: Alemanus Hercules, Baldruus, Biel, Cisa, Fosta, Hama, Hertha, Hulda, Jecha, Krodo, Lollus, Ostara, Reto, Ricen, Satar, Siwa, Stuffo, Teut, Thisa usw.
Keltische Pseudogottheiten
In der Zeit der Keltenromantik, im 18. und 19. Jahrhundert, wurden in Kreisen der neuzeitlichen Druidenorden einige neue, vorgeblich keltische, Gottheiten erfunden, so entwickelte der britische Schriftsteller und Druide Owen Morgan, alias Morien, eine neokeltische Kosmologie um den Gott Celi und die Göttin Ced.Der Waliser Iolo Morganwg entwickelte aus spuriosen misverstandenen Texten die druidische Pseudogottheit Hu Gadarn.Früher hatte bereits Annius von Viterbo in seinen Fälschungen, dem Pseudo-Berossos, von einem angeblichen Stammvater der Kelten und Ur-Druiden namens Samothes berichtet, den er mit dem germanischen Urriesen Tuisto und dem römischen Totengott Dis Pater identifizierte.
Baltische Pseudogottheiten
Besonders viele Pseudogottheiten tauchen in Abhandlungen über die vorchristliche Religion der Prussen, Letten und Litauer auf, viele davon sind volkstümliche Umformungen von christlichen Heiligen, wie Mara für St. Maria oder Tenis für St. Antonius. So zählte Jan Lasicki (16.Jh.) 78 Götter und Geister auf, aber nur acht von diesen sind echt! Mit der nationalen Romantik haben »Pseudogötter nicht nur die vulgäre Vorstellungswelt, sondern sogar hervorragende wissenschaftliche Arbeiten bis zum heutigen Tage beeinflusst« [2].
Slawische Pseudogottheiten
Auch für die slawische Religion gibt es nur wenige zuverlässige Quellen. Die große Lücke des slawischen Götterhimmels wurde besonders von polnischen Chronisten des 16. und 17. Jahrhunderts nach antikem Vorbild mit Pseudogottheiten aufgefüllt [3]
Illyrische Pseudogottheiten
Längere Zeit wurde in der wissenschaftlichen Literatur eine illyrische Göttin Oethe (᾿Οήθη) behandelt, bis nachgewiesen werden konnten, dass die vermeintlichen antiken Ringe, die diese Pseudogöttin nennen sollen, aus dem 11. Jh. stammen und eine verstümmelte christliche Heilsformel aufweisen [4].
Ungarische Pseudogottheiten
Eine Schöpfung der Romantik ist der Pseudogott Ármány, der den dunkeln Weltaspekt verkörpern soll [5].
Einzelbelege
- ↑ Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie. Stuttgart (3. Auflage) 2006. ISBN 978-3520-36803-4
- ↑ Jonas, Balys & Harald Biezais: Baltische Mythologie; ni: Die Mythologie der alten Kulturvölker: Das alte Europa. Stuttgart (1973). ISBN 3-12-909820-8
- ↑ Norbert Reiter: Mythologie der alten Slaven; in: Die Mythologie der alten Kulturvölker: Das alte Europa. Stuttgart (1973). ISBN 3-12-909820-8<.
- ↑ Maximilian Lambertz: Die Mythologie der Albaner in: Die Mythologie der alten Kulturvölker: Das alte Europa. Stuttgart (1973). ISBN 3-12-909820-8
- ↑ Michael de Ferdinandy: Die Mythologie der Ungarn; i: Die Mythologie der alten Kulturvölker: Das alte Europa. Stuggart (1973). ISBN 3-12-909820-8<
Bücher
- Otto Holzapfel: Lexikon der abendländischen Mythologie; Freiburg i.Br.: Herder (1993). ISBN 3-451-22487-9
- Harald Biezais: Baltische Religion; Stuttgart: Kohlhammer (1975). ISBN 3-17-001157-X
- Hans Wilhelm Haussig (Hsg.): Die Mythologie der alten Kulturvölker: Das alte Europa. Stuttgart (1973). ISBN 3-12-909820-8
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