- Chrie
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Eine Chrie [ˈçriː(ə)] (griech.: χρεία, chreia; abgeleitet vom Verb chré ‚man braucht, man muss, man darf‘, das ist wiederum abgeleitet von chréos ‚Schuld, Verpflichtung‘) oder Spruchweisheit ist eine bestimmte rhetorische Figur, die eine praktische Lebensregel oder eine ethische Maxime bezeichnet.
Bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie auch für längere Argumentationen verwendet und war im Schulunterricht von Bedeutung. Auch heute wird die Chrie noch in der Vorbereitung auf eine Debatte oder Rede benutzt.
Man fasst dabei seine Gedanken zum Chrie in festgelegten Schritten zusammen. Dabei sollen die positiven Aspekte dieser Maxime oder ähnliches beleuchtet werden, in dem man Gedanken zum Thema „Wo finde ich ein Beispiel für die positive Auswirkung?“ oder „Was wäre wenn Menschen anders handeln würden?“ aufschreibt oder vorträgt.
Inhaltsverzeichnis
Aufbau
1. Lob Lobende Vorstellung des Autors 2. Nennung Nennung des Zitates oder eines denkwürdigen Geschehnisses 3. Warum Aufzeigen eines Grundes, warum die Bemerkung oder die Geschehnisse denkwürdig sind 4. Gegenteil Deutung des Beispiels bei Umkehrung der Aussage 5. Vergleich Darstellung eines Vergleichs 6. Beispiel Nennung eines weiteren Beispiels für die Hauptaussage der Chrie 7. Untermauerung Untermauerung der dargestellten Meinung durch die Aussage einer anderen Persönlichkeit 8. Zusammenfassung Kurze Zusammenfassung Ausgearbeitete Chrie-Übung
Von Sir Peter Ustinov stammt folgende Vermutung: „Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt explodiert, wird die Stimme eines Experten sein, der sagt: ‚Das ist technisch unmöglich‘.“
Zu 1. Lob Sir Peter Ustinov, einer der bekanntesten und beliebtesten internationalen Schauspieler und Autoren der letzten Jahrzehnte, stach durch seinen Wortwitz und Scharfsinn zu aktuellen politischen und sozialen Gegebenheiten immer wieder hervor. Zu 2. Nennung Seine Einstellung zum Thema „Experten“ macht er dadurch deutlich, dass er für den Zeitpunkt der Explosion der Welt prophezeit, dass das Letzte, was man hören wird, die Stimme eines Experten ist, der dieses Ereignis als technisch unmöglich erklärt. Zu 3. Warum Diese Vermutung ist sehr treffend, da es zu nahezu jedem Phänomen mindestens zwei Experten und drei Meinungen gibt und so genannte Experten oft sehr selbstbewusst auftreten und sich auch von den offensichtlichsten Beweisen nicht von ihrer Meinung abbringen lassen. Zu 4. Gegenteil Einerseits ist diese Vielfalt der Auffassungen wissenschaftlich begrüßenswert, sie erscheint den meisten jedoch als Zeichen dafür, dass es mehr um die Selbstbestätigung und das Rechthaben von Wissenschaftlern geht, als um einen möglichen Dienst für die Menschen. Zu 5. Vergleich So ist auch eine beharrliche kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten, bei denen es letztlich nur um die Rechthaberei der Staatsoberhäupter geht, keineswegs gut für das Volk, zu dessen Wohle die Staatsmänner eigentlich handeln sollten. Zu 6. Beispiel Bewahrheitet hat sich dieses auch an dem Untergang der Titanic, die von Experten für unsinkbar erklärt worden ist und doch unzweifelhaft auf dem Grunde des Atlantiks ihr Ende gefunden hat. Zu 7. Untermauerung Auch Laurence Johnston Peter (1919–1990), ein bekannter amerikanischer Managementberater verlautbarte: „Rate dreimal hintereinander richtig und du wirst den Ruf eines Experten haben“. Auch er hegt also an der Wahrheit und Verlässlichkeit der Aussagen von Experten gewisse Zweifel. Zu 8. Zusammenfassung Ustinovs Ausspruch sollte uns also vor Augen führen, dass die Meinung von Experten und die Realität oft sehr weit voneinander entfernt sein können und es im Zweifel eben keine genau von Experten bewiesenen Sachen gibt. Sie beweisen sich oft erst, wenn sie geschehen. Beispiele
„Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind. Andere gibt es nicht.“
– Konrad Adenauer (1876–1967)
„Kein Ding ist gut oder schlecht, erst das Denken macht es dazu.“
– William Shakespeare (1564–1616)
„Wir müssen die Änderung sein, die wir in der Welt sehen wollen.“
– Mahatma Gandhi (1869–1948)
Passende Komplementärzitate könnten sein:
„Charakter ist die Unfähigkeit, anders zu sein.“
– Ron Kritzfeld (* 1921), deutscher Aphoristiker
„Der Andersdenkende ist kein Idiot, er hat sich eben eine andere Wirklichkeit konstruiert.“
– Paul Watzlawick (* 1921), amerikanischer Psychiater und Schriftsteller österreichischer Herkunft.
„O wie gut erginge es manchen Menschen, wenn sie einmal aus ihrem Geleise herauskämen.“
– Lucius Annaeus Seneca (4 v.Chr. – 65 n.Chr.), römischer Philosoph und Dichter
„Also meine Mitbürger, fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt. Meine Mitbürger überall auf der Welt, fragt nicht, was Amerika für euch tun wird, aber was wir zusammen für die Freiheit der Menschheit tun können.“
Die Chrie für den Aufsatz mit den Teilen „Ursprung, Umschreibung, Gründe, Gegenteil, Vergleich, Beispiel und Zeugnis“ lautet als Merkvers im Hexameter: „Quís, quid, cúr, contrá, simil(e), éxemplária, téstes?“
Eine Chrie stellt auch die neutestamentliche Erzählung Das Scherflein der Witwe (Mk 12,41–44 LUT) dar.[1]
Siehe auch
- Akusmata (ἀκουσματα), Apophthegma (ἀπόφθεγμα), Gnome (γνώμη)
Literatur
- Tim Ch. Bartsch, Michael Hoppmann, Bernd F. Rex, Markus Vergeest: Trainingsbuch Rhetorik; UTB 2689; Paderborn: Schöningh, 20082; ISBN 978-3-8385-2689-8; S. 38 ff.
- Göring, A.: Über die Benutzung der aphtonischen Chrie für den rhetorischen Unterricht. Lübeck 1826
- G. v. Wartensleben: Der Begriff der griechischen Chrie und Beiträge zur Geschichte ihrer Form; Heidelberg 1901 (Dissertation).
- F. A. Weber: Erklärendes Handbuch der Fremdwörter. 12. Auflage. 1870 („Chrie, f. (gr.) die Aufgabe zu einer schriftlichen Ausarbeitung; die schriftliche Schulausarbeitung.“).
Einzelnachweise
- ↑ Franz Jung: 32. Sonntag im Jahreskreis (B): Mk 12,38–44: Jesu entlarvender und rettender Blick; 2006; S. 1 (pdf, 240 kB)
Kategorie:- Rhetorischer Begriff
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