Totentanz von Kientzheim (Haut-Rhin)

Totentanz von Kientzheim (Haut-Rhin)

In Kientzheim im Elsass, Departement Haut-Rhin, bestand bis zur französischen Revolution ein bedeutender Totentanz, dessen Bilder und Begleitverse heute nur noch durch eine im 19. Jahrhundert wieder aufgefundene Handschrift bekannt sind.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung und Zerstörung

Auf der südlichen Friedhofsmauer neben der Oberen Kirche in Kientzheim bei Kaysersberg befand sich früher ein Totentanz aus dem Jahr 1517 mit Predigerszene, Beinhausmusik und 27 Tanzpaaren in der gewohnten ständischen Ordnung. Zur Zeit der französischen Revolution hatte man die Malerei übertüncht und im 19. Jahrhundert sogar die ganze Mauer abgerissen unter vollständiger Zerstörung des Totentanzes.

Handschrift mit Beschreibung und Begleitversen

Durch glückliche Umstände wurde 1897 im Archiv der Stadt Kientzheim eine Handschrift des 16. Jahrhunderts aufgefunden. Sie trug den Titel „Folgt der Toden Dantz, wie er zu Köntzen ihm Kreutzgang stoht“ und enthielt auf 31 Blättern den vollständigen Text der begleitenden Verse und zusätzlich eine recht genaue Beschreibung der einzelnen Szenen und Personen in altelsässischer Volkssprache. Damit sind so zahlreiche Einzelheiten bekannt, dass Inhalt und künstlerische Qualität dieses untergegangenen Kunstwerks den Umständen entsprechend beurteilt werden können.

Nach der Beschreibung gehörten zu dem dreiteiligen Zyklus: drei einleitende Bilder, der eigentliche Totentanz mit 25 Szenen und zwei Schlussbilder. Die einleitenden Bilder zeigen einen Prediger auf der Treppe zur Kanzel, dem der Tod mit Stundenglas und Krückstock folgt, mehrere Totenskelette mit Musikinstrumenten vor dem Beinhaus und einen mit Gewürm bedeckten Leichnam im offenen Grab. Auf den eigentlichen Totentanz folgen die Bilder von drei als Pfeifer, Trommelschläger und Fähnrich kostümierten Skeletten mit dem Narr sowie ein Amtsweibel oder Bote, dem viele Menschen hinterherlaufen.

Die Tanzpaare treten in folgender Reihenfolge auf (die vom Tod jeweils mitgeführten oder gespielten Musikinstrumente sind in Klammern gesetzt):
1. Papst (Harfe), 2. Kaiser (Trompete), 3. Kardinal, 4. Kaiserin (Laute), 5. König (Pfeifen), 6. Bischof (Orgel), 7. Herzog (Zinken), 8. Graf (Jagdhorn), 9. Abt (Horn), 10. Ritter (Heertrommel), 11. Pfarrer (Schelle), 12. Arzt (Pritsche mit Schellen), 13. Barfüßer Mönch (Zeitglöckchen), 14. Schultheiß (Leier), 15. Ratsherr (Klingel), 16. Stadtschreiber, 17. Bürgerin (Hackbrett), 18. Waldbruder, 19. Wucherer (Dudelsack), 20. Handwerksmann, 21. Bauer, 22. Landsknecht, 23. Jüngling (Schalmei), 24. Jungfrau (Geige), 25. Kind, 26. Narr (Schnabelpfeife und Trommel), 27. Amtsweibel oder Bote. Es fällt auf, dass Stadtschreiber und Landsknecht nur in dem Kientzheimer Zyklus, nicht aber bei anderen Totentanzdarstellungen dieser Zeit vorkommen.

Die Art und Weise, wie in der Handschrift die Bewegungen der Tanzpaare, die Attribute der Tänzer und die Kleidungsstücke exakt beschrieben werden, deuten darauf hin, dass es sich bei diesem Totentanz um ein qualitätvolles Werk gehandelt haben muss, das zwar Anklänge an einzelne Szenen des Großbasler Totentanzes verrät, und wegen der von den Todesgestalten benutzten Musikinstrumente auch an den Heidelberger Totentanz von 1485/88 erinnert; aber Wortwahl und Ausdrucksweise sind zupackender und kritischer geworden als die Verse des 15. Jahrhunderts.

Bedeutung

Dass gerade in Kientzheim ein so kunstvoller Totentanz entstehen konnte, ist wahrscheinlich auf die Einflüsse des damaligen Bischofs von Basel und der Lehensherren zurückzuführen. Außerdem war Kientzheim im 15. und 16. Jahrhundert ein bekannter Wallfahrtsort, den auch Kaiser Friedrich III. besucht hat.

Aber aus welchem Anlass wurde bereits kurz nach der Entstehung des Totentanzes eine vollständige Beschreibung mit den Begleitversen für einen offenbar auswärtigen Interessenten angefertigt und wie gelangte dieses Manuskript wieder nach Kientzheim zurück? Diese Fragen versucht Reinhold Hammerstein zu klären, indem er auf die familiären Beziehungen der Familien der Grafen von Zimmern, der Grafen von Lupfen und des Reichsfreiherrn Lazarus von Schwendi und deren Verbindung mit Kientzheim hinweist. Kientzheim gehörte seit 1435 zur Lehensherrschaft der Familie von Lupfen, die es 1563 an Lazarus von Schwendi verkaufte; dieser war in zweiter Ehe mit Eleonora von Zimmern verheiratet und wurde 1583 in Kientzheim beigesetzt. Wilhelm Wernher von Zimmern hatte kurz nach Entstehung des Kientzheimer Totentanzes Katharina von Lupfen geheiratet (1521), und als gebildeter Historiker und Dichter damals wahrscheinlich auch das neue Totentanzgemälde kennengelernt. Sein Interesse an dessen Beschreibung und Begleittext lässt sich auch aus Vorstudien zu dem von ihm kurze Zeit später auf Schloss Herrenzimmern verfassten und gezeichneten Totentanz herleiten. Es ist weiterhin denkbar, dass die von ihm initiierte Handschrift nach seinem Tod wieder nach Kientzheim gelangte.

Literatur

  • Bruno Stehle: Der Totentanz von Kienzheim im Ober-Elsass. Strassburg 1899 (mit wörtlicher Wiedergabe der Beschreibung der Bilder und aller Begleitverse in der Handschrift des 16. Jh., die während des Zweiten Weltkriegs verbrannt ist).
  • André Herscher: La danse Macabre de Kientzheim, 1517. In: Kaysersberg, Ammerschwihr, Sigolsheim, Kientzheim. Société d´Histoire de la Vallée de la Weiss. Annuaire 1991, S. 75–94, sowie Annuaire 1992, S. 39–54.
  • Reinhold Hammerstein: Tanz und Musik des Todes - Die mittelalterlichen Totentänze und ihr Nachleben. Bern 1980, S. 88ff. und 212ff.
  • Hans Georg Wehrens: Der Totentanz im alemannischen Sprachraum, Vorbilder-Verbreitung-Bedeutende Darstellungen. In: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“. Band 128, 2009, S. 21 ff. und 41, ISSN 1434-2766

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