Wertheimer-Porträts (Sargent)

Wertheimer-Porträts (Sargent)
 
Asher Wertheimer
John Singer Sargent, 1898
Öl auf Leinwand
Tate Britain, London

Die Porträts der Familie Wertheimer wurden von dem US-amerikanischen Porträtisten John Singer Sargent ab 1898 geschaffen. Insgesamt entstand eine Serie mit zwölf Bildern.

Inhaltsverzeichnis

Familie Wertheimer

Asher Wertheimer war ein Londoner Kunsthändler, der seinen Firmensitz an der Bond Street hatte. Die jüdische Familie Wertheimer stammte ursprünglich aus Deutschland; zu Asher Wertheimers Vorfahren gehörte Samson Wertheimer. Asher Wertheimer wurde in London und Paris ausgebildet. Schon sein Vater war Kunsthändler, ebenso sein Bruder, mit dem er nach dem Tod des Vaters konkurrierte.[1] Asher Wertheimers Frau Flora war Tochter eines Kollegen. Das Ehepaar hatte zahlreiche Kinder. Mit dem Maler John Singer Sargent verband die Familie eine enge Freundschaft; der Künstler war regelmäßig am Wohnsitz der Familie mit der Adresse 8 Connaught Place in London zu Besuch. Acht der zwölf Porträts, die er von Familienmitgliedern malte, hingen zunächst im Speisezimmer des Hauses.

Die Porträtserie

Die ersten beiden Bilder – Porträts von Asher Wertheimer selbst und von Flora Wertheimer – bestellte der Kunsthändler anlässlich seiner Silberhochzeit im Jahr 1898 bei Sargent. Die Darstellung des Kunsthändlers wurde von Kritikern enthusiastisch aufgenommen; Robert Ross zog im Art Journal einen Vergleich mit dem Porträt des Papstes Innozenz X. von Velázquez. Flora Wertheimers Porträt hingegen stieß auf weniger Zustimmung. Es verblieb zwar auch zunächst im Familienbesitz, doch wurde Sargent bald beauftragt, ein weiteres Porträt der Kunsthändlersgattin anzufertigen. Im Laufe der nächsten zehn Jahre kamen zahlreiche weitere Aufträge Wertheimers hinzu, so dass Sargent schließlich behauptete, an chronischem Wertheimerismus zu leiden.

Sargent porträtierte Wertheimers älteste Tochter Helena, genannt Ena, eine Malerin, einmal zusammen mit ihrer Schwester Betty im Haus der Familie Wertheimer. Ein zweites Porträt Enas schuf er anlässlich der Hochzeit der jungen Frau. Es trug den Titel A Vele Gonfie und wurde später verkauft, um Enas Kunstgalerie mitzufinanzieren. Ihr Gatte bemühte sich später, das Bild von einem amerikanischen Sammler zurückzukaufen.

Alfred Wertheimer war ein angehender Naturwissenschaftler und wurde von Sargent auch als solcher – mit Laborgläsern und wahrscheinlich mit Fachliteratur – dargestellt. Der junge Mann fiel im Alter von 25 Jahren im Burenkrieg in Südafrika. Auch Edward Wertheimer, der Asher Wertheimers Nachfolger im Kunstgeschäft werden sollte, wurde nicht alt. Er starb im Alter von 29 Jahren an einer Austernvergiftung. Sargent malte Edward Wertheimer in Paris mit einer Skulptur, um dessen Bezug zur Bildenden Kunst deutlich zu machen.

Ferner malte Sargent die Geschwister Conway, Almina und Hylda zusammen auf dem Landsitz von Eustace H. Wilding, dem Gatten von Essie Wertheimer. Essie selbst stellte er zusammen mit ihrem Bruder Ferdinand, einem Künstler, und ihrer Schwester Ruby im Heim der Familie Wertheimer dar. Des Weiteren gehörten Einzelporträts von Almina, Betty und Hylda Wertheimer zu der Bilderserie.

Verbleib der Bilder und Reaktionen des Publikums

Die Porträts wurden vom Publikum und den Kritikern mit recht unterschiedlichen Reaktionen bedacht, die häufig mit Asher Wertheimers Herkunft und seinem sozialen Status in Verbindung standen. Wertheimer gehörte zu den angesehensten Kunsthändlern Londons und hatte reiche Kunden wie etwa die Familie Rothschild, die er mit französischen Möbeln des 18. Jahrhunderts ebenso versorgte wie mit Gemälden europäischer Meister und vor allem mit Porträts aus dem 17. und 18. Jahrhundert aus England. Sargents Malweise und Darstellung der Familienmitglieder war auf diesen Schwerpunkt abgestimmt.

Asher Wertheimer hatte bereits 1916 angekündigt, neun der Porträts der Öffentlichkeit schenken zu wollen. Er starb zwei Jahre später, am 9. August 1918. Seine Witwe überlebte ihn um vier Jahre. Nach Flora Wertheimers Tod im Jahr 1922 wurden die Bilder sofort der National Gallery in London übergeben, wo sie in einem eigenen Raum ausgestellt wurden. Bald danach gelangten sie in die Tate Gallery of British Art, wo sie längere Zeit in einem Raum vereint blieben, der Sargents Schaffen gewidmet war. In den Jahren 1999 und 2000 wurden alle zwölf Wertheimer-Porträts in einer Sonderausstellung des Jüdischen Museums London präsentiert.[2]

Im Jahr 1927 besuchte Giuseppe Tomasi di Lampedusa die Tate Gallery. Er wagte den künstlerischen Wert der Bilder nicht zu beurteilen, schrieb aber in einem Brief am 10. August 1927: „[...] wenn allerdings die Meisterschaft eines Künstlers aus der Intensität der naturgetreuen Darstellung besteht, aus der Durchdringung der Seele des Modells bis zur Indiskretion und aus dem Projizieren dieser Seele auf die Leinwand, dann muss man zugeben, dass Sargent einer der größten Künstler aller Zeiten war.“ Die Porträts erzählen laut Tomasi di Lampedusa, „was die Modelle nie zu gestehen gewagt hätten.“

Alfred Wertheimer

„Papa Wertheimer“ sei „mit dem fröhlichsten und perversesten Filibustiergesicht weit und breit“ ausgestattet, seine Frau versuche „hundert Meilen weit nach Ghetto stinkend“ „als große Dame aufzutreten“[3] und die Töchter stellten „alle Varianten des korrumpierten Reichtums“ dar, darunter etwa „die gut gelaunte Strunze, parfümiert und schmuddelig und zweifellos die Geliebte ihres »chauffeurs«“. Zwei der Söhne Asher Wertheimers kamen in Tomasi di Lampedusas Betrachtungen auch nicht besser weg; während er Conway als „widerwärtigen [...] Jüngling“ bezeichnete, erschien ihm Edward als charakterloses und unvollendetes Mitglied in einem „Club von Judenmillionären.“ Nur in Alfred Wertheimers Porträt sah der Italiener die Darstellung „eines nachdenklichen und redlichen Jünglings.“

Insgesamt kommentierte Tomasi di Lampedusa Wertheimers Schenkung erbarmungslos: Asher Wertheimer habe die Bilder „vertrauensselig und nicht der ewigen Schmach bewusst“ geschenkt, „der er sich preisgibt; weil man auf seinem Porträt das Wort »Dieb« liest, als wäre es mit scharlachroten Buchstaben geschrieben.“[4]

Weblinks

 Commons: Wertheimer-Porträts (Sargent) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. http://query.nytimes.com/mem/archive-free/pdf?res=FB0C10F93F5D147A93C3A81782D85F4C8185F9
  2. http://www.jssgallery.org/Essay/Wertheimer_Family/JM_Intro.htm
  3. Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Ein Literat auf Reisen. Unterwegs in den Metropolen Europas, München/Zürich 2009, ISBN 978-3-492-26368-9, S. 79
  4. Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Ein Literat auf Reisen. Unterwegs in den Metropolen Europas, München/Zürich 2009, ISBN 978-3-492-26368-9, S. 80

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