Clodia

Clodia

Clodia ist die weibliche Form des römischen Namens Clodius, den insbesondere die drei Schwestern des Publius Clodius Pulcher und des Appius Claudius Pulcher (Konsul 54 v. Chr.) trugen.

Inhaltsverzeichnis

Die Schwestern des Publius Clodius Pulcher

Die drei Clodias stammten aus dem angesehenen Adelsgeschlecht der Claudier, das viele berühmte Persönlichkeiten der römischen Geschichte hervorbrachte. Ihr Vater Appius Claudius Pulcher, der im Jahr 79 v. Chr. Konsul war, ließ die Familie nach seinem Tod verarmt zurück, weshalb eine der Schwestern ohne Mitgift verheiratet werden musste. Ihre Mutter war Caecilia Metella.

Die mittlere der drei Schwestern (* um 94 v. Chr.) war eine der umstrittensten Frauen der späten Republik und meist gemeint, wenn nur von „Clodia“ gesprochen wird. Sie war verheiratet mit Quintus Caecilius Metellus Celer und berüchtigt durch ihren ausschweifenden Lebenswandel, den Marcus Tullius Cicero in seiner Rede Pro Caelio scharf (und wohl übertreibend) angriff, als sie ihren früheren Geliebten Marcus Caelius Rufus anklagen ließ (56 v. Chr.). Außerdem wurden ihr Inzest mit ihrem Bruder Clodius und Giftmord an ihrem Gatten (der 59 v. Chr. starb) unterstellt. Man nimmt an, dass sie die „Lesbia“ genannte Geliebte des Dichters Catull war, der dieser zahlreiche Gedichte gewidmet hat. Über Clodias späteres Leben ist nichts Sicheres bekannt.

Die älteste der Schwestern war mit Quintus Marcius Rex verheiratet, die jüngste mit Lucius Licinius Lucullus. Dieser ließ sich nach etwa zehn Jahren Ehe 66 v. Chr. von ihr scheiden. Auch ihnen wurden zahlreiche Verhältnisse, unter anderem mit ihrem Bruder, nachgesagt.

Clodias Brüder

Appius Claudius Pulcher wurde 54 zum Konsul gewählt, während über den zweiten, einen Priester, weniger bekannt ist. Der dritte, Publius Clodius mit dem Beinamen Pulcher, war wenige Jahre jünger ist als Clodia, und Gerüchten zufolge pflegte er mit ihr ein inzestuöses Verhältnis. Sie verfolgte seine politische Karriere anteilsvoll und unterstützte ihn, wobei ihr politischer Einfluss mehr hinter den Kulissen wirkte. Über Clodias Kindheit, Erziehung oder den Einfluss ihrer Mutter kann nur gesagt werden, dass sie eine umfangreiche Bildung erhielt und der Literatur mit Interesse begegnete.

Wie unter Patriziern nicht unüblich, wurde sie ihrem Cousin, dem konservativen Quintus Caecilius Metellus Celer zur Frau gegeben. Der Befehlshaber der römischen Armee im Orient diente während Ciceros Konsulat als Prätor und hob Truppen zur Bekämpfung der Catilinarischen Verschwörung aus. Zunächst stand er unter der Protektion Pompeius’, es kam aber zum Zerwürfnis, als letzterer Metellus’ Schwester Mucia aus der Ehe entließ. Als Konservativer verfügte Clodias Mann über genügend Ansehen, um den ehemaligen Schwager im Rennen um das Konsulat im Jahr 60 v. Chr. ausstechen zu können. Cicero nannte ihn einen „überaus angesehenen, mutigen und patriotischen Mann, der, sobald er nur den Fuß über die Schwelle seines Hauses setzte, beinahe alle seine Mitbürger an Tüchtigkeit, Ruhm und Ansehen übertraf“. Da es in dieser Ehe alles andere als harmonisch zugehen und sich Clodia fortwährend im Krieg mit ihm befinden sollte (ea cum viro bellum gerit), provozierte das plötzliche Lebensende ihres Mannes 59 v. Chr. Gerüchte, nach denen Clodia daran nicht ganz unschuldig gewesen sei. Die Gründe für diese Differenzen müssen mangels näherer Angaben über die beiden (zum Beispiel darüber, ob ein signifikanter Altersunterschied oder eine manus-Ehe besteht) im Dunkeln bleiben. Jedenfalls begleitete sie ihn nicht in den Orient und blieb als reiche Witwe zurück, die unter Missachtung der traditionellen Moralvorstellungen erheblich über die Stränge schlug.

Clodia in Catulls Liebesgedichten

Es würde gut ins Bild passen, Clodia mit der Geliebten Lesbia in Catulls Gedichten gleichzusetzen, die mit ihm 61 bis 60 v. Chr. ein Verhältnis unterhalten haben soll, was ihrem Ehemann durchaus nicht entgangen sein dürfte. Es verwundert, dass Metellus, den man zu recht als Römer vom alten Schlag bezeichnen mag, nicht um sein Ansehen besorgt war und Schritte zur Trennung in die Wege leitete, sollte er von der Untreue seiner Frau gewusst haben.

Catull kam zur Intensivierung seiner Studien nach Rom, wo er auf Clodia traf. Catull beklagte in seine Gedichten, dass Clodia die Beziehung bei Weitem nicht so ernst nahm wie er. Da das Leben einer verheirateten Adeligen unter ständiger Überwachung stand, mussten die Liebenden sich im Haus eines Freundes des Dichters verstecken und Clodia schien ihrem Liebsten nur wenig Zeit am Stück widmen zu können. Als verheirateter Frau drohte ihr im Familiengericht die Verurteilung zum Tod, mit dem im Extremfall schwere Vergehen wie Ehebruch geahndet werden konnten. Obwohl dieser grausame Brauch langsam verschwand, durfte man sich nicht einfach über die öffentlichen Moralvorstellungen hinwegsetzen. Metellus war sicherlich nicht der erste betrogene Ehemann in höheren Kreisen, aber mit Rücksichtnahme auf seine politische Karriere und den Einfluss der gens konnte man solches Fehlverhalten nicht dulden. In Catulls Gedichten spiegeln sich die Intensität der Liebe zur sechs Jahre Älteren und der Trennungsschmerz wieder. Selbstverständlich darf nicht vergessen werden, dass die Verse kein unverzerrtes Abbild der Wirklichkeit geben, weil sie nach poetischen Normen gestaltet sind und das lyrische Ich nicht zwingend mit dem historischen Catull identisch ist. Dennoch können einige Aufschluss über Lesbia – beziehungsweise Clodia – geben.

Lesbias Sperling (passer, deliciae meae puellae) erscheint im zweiten Gedicht als Tröster seines Frauchens bei Liebeskummer (tum gravis acquiescet ardor), den auch Catull gerne an seiner Seite gehabt hätte, weil er sich der ersehnten Nähe zu ihr noch nicht sicher war. Das darauf folgende Gedicht beklagt den Tod des Tieres und bringt die Endlichkeit des Lebens zu Bewusstsein. Aus liebender Verbundenheit teilt Catull Lesbias Trauer, obwohl das als unmännlich galt. Die Schlussfolgerung, dass man das Leben genießen müsse, setzt sich auch im fünften Gedicht fort, wo er fordert, dass Sittenwächter (rumoresque senum severiorum omnes unius aestimemus assis) und Neider (aut nequis malus invidere possit) die unkonventionelle Beziehung nicht behindern sollen. Stattdessen erträumt er sich unendlich viele und unzählbare Küsse.

Dieses Thema wird im siebten Gedicht wieder aufgegriffen, wo sich der Dichter die „Unersättlichkeit seines Begehrens“ eingesteht. Veranschaulicht durch die libysche Wüste (quam magnus numerus Libyssae harenae) und den nächtlichen Sternenhimmel (aut quam sidera multa, cum tacet nox) wird eine Liebeswelt geschaffen, die sich außerhalb des Alltags und der gesellschaftlichen Wirklichkeit bewegt. Syndikus konstatiert sogar „die Abkehr von der in Rom gültigen Wertewelt“, die ferner die Abkehr vom bisherigen Frauenbild miteinschließt, wie später zu zeigen sein wird.

Bis jetzt bedrohten äußere Umstände das Glück der Liebenden, aber im achten Gedicht kommen verstärkt Bedenken über Lesbias Aufrichtigkeit zu Geltung. An früheren Stellen schimmern solche Sorgen nur andeutungsweise durch, wenn Catull Linderung der düsteren Sorgen seines Herzens wünscht (tristis animi levare curas, c. 2) oder die Stimmung nach dem Tod des Vogels sehr düster schildert (iter tenebricosum […] malae tenebrae Orci, c. 3).

An diesem Punkt muss Catull feststellen, dass Lesbia ihm nicht dieselben Gefühle entgegenbringt wie er ihr, denn sie will auf einmal nicht mehr (nunc iam illa non vult, c. 8). Sein Verstand rät ihm, sich von ihr abzuwenden, aber er erliegt ihrem verführerischen Reiz noch immer und schwelgt in Erinnerungen an glücklichere Zeiten. Schließlich droht er ihr damit, dass sie nicht mehr umworben werden wird (at tu dolebis, cum rogaberis nulla), und fragt sich, wie ihre Zukunft aussehen wird. Noch ist sie ihm also nicht gleichgültig und er beschimpft sie weniger, als dass er sie bemitleidet. Einen ganz anderen Ton schlägt Catull in seinem 37. Gedicht an, in dem er verbal auf Kneipengänger losgeht, mit denen Lesbia sich jetzt ungeachtet der Einzigartigkeit seiner Liebe abgibt. Laut Syndikus spielt sich die fiktive Szene vielleicht sogar in Lesbias Haus ab, so dass die Aristokratin durch den Angriff auf ihren Umgang indirekt selbst beschimpft wird. Als Steigerung dazu wird Lesbia in c. 58 als Straßendirne dargestellt, damit Catull sich selbst von der Sinnlosigkeit seiner Liebe überzeugen kann und nicht länger von ihr gefangen bleibt. Alle Beschimpfungen folgen, wie c. 92 zeigt, nur der irrationalen Logik der Leidenschaft, in der sie trotzdem Liebe bedeuten. Das schließt Catull aus seiner eigenen Erfahrung, denn er beschimpft Lesbia gemäß seinen eigenen Worten nur, weil sie ihm solchen Schmerz durch ihr Fehlverhalten zufügt.

Catulls Eifersucht ist im 51. Gedicht nach dem Vorbild Sapphos aussagekräftig beschrieben. Durch seine heftige Reaktion verrät sich der „Verlust jeglicher Selbstkontrolle“ , den er auf die Muße (otium, Catulle, tibi molestullmst: otio exultas nimiumque gestis) des Lebens der vornehmen Römer zurückführt, die sehr großen Schaden anrichtet (otium et reges prius et beatas perdidit urbes). Hier wird bereits erkennbar, dass der Verlust der Nähe zur Geliebten den Dichter in schlimme Schmerzen stürzt.

Dass Lesbia die Aufrichtigkeit in der Beziehung ganz anders einschätzt als Catull, ergibt sich daraus, dass sie dem begehrenden Liebenden (cupido […] amanti) im 70. Gedicht Versprechungen macht, die man nicht als verlässlich ansehen kann und die zu halten sie offensichtlich nie vorhatte. Im 87. Gedicht beklagt sich Catull über den Grund für das Scheitern: Seine einzigartige Liebe zu Lesbia wird nicht treu erwidert. Auch c. 72 stellt konträre Auffassungen von Liebe einander gegenüber, denn für Catull ist damit untrennbar fürsorgliche Treue verbunden. Das Reduzieren auf sinnliche Anziehung lässt Lesbia in seiner Achtung sinken (multo mi tamen es vilior et levior), obgleich er sie entgegen der Einsicht seines Verstandes liebt (amare magis), auch wenn sich ohne Herzlichkeit ein bitterer Beigeschmack (sed bene velle minus) ergibt. Letztendlich hängt seine Zuneigung zu Lesbia gar nicht mehr von ihrem Verhalten ab, denn weder durch dessen Besserung (si optuma fias, c. 75) noch durch dessen Verschlechterung (omnia si facias), kann sich der innere Zwiespalt Catulls lösen.

Ein Grund für Catulls Enttäuschung über die Geliebte ist offenbar, dass sie Lesbius lieber mag als ihn (Lesbius, […] quem Lesbia malit quam te cum tota gente, Catulle, tua, c. 79). Was die Identität dieses Namensvetters angeht, darf man ihn in Analogie zu Lesbia mit Clodius Pulcher, ihrem Bruder, gleichsetzen. Die Bezeichnung „pulcer“ spielt auf den Beinamen des Bruders an und ruft Gerüchte über seine Homosexualität in Erinnerung. Die implizite Behauptung, Lesbius würde keine drei Bekannten auftreiben, die ihn küssen wollen (si tria notorum savia reppererit), deutet darauf hin, dass er seinen „Mund in ekelerregenden Ausschweifungen“ besudelt. Somit wird wiederum Lesbia angegriffen, die diesen verschmähten Menschen dem desillusionierten Catull vorzieht.

Am eindringlichsten spiegelt c.85 Catulls innere Zerrissenheit und Ausweglosigkeit wider: Catull hasst und liebt (odi et amo) gleichzeitig. Er selbst kann diese widersprüchlichen Gefühle, derer er sich bewusst ist (sed fieri sentio), nicht erklären oder aufarbeiten, wird aber von der Situation gequält (excrucior).

Bei der abschließenden Betrachtung der Darstellung der Beziehung zwischen Lesbia und Catull fällt auf, dass die typische Rollenverteilung hier scheinbar umgekehrt wird. Lesbia wirkt deutlich mächtiger als der blind verliebte Dichter, der seine eigene Schwäche und Inkonsequenz eingesteht. Folglich verstößt sie „durch Ausleben einer zügellosen Sexualität gegen die ihr von der Gesellschaft zugewiesene Rolle als passive Partnerin in einer Liebesbeziehung“. Hinzu kommt noch, dass sich das lyrische Ich Holzberg zufolge absichtlich als unmännlich präsentiert und den „Rollentausch“ dadurch komplettiert.

Clodia in Ciceros Rede Pro Caelio

Anders als in Rom üblich ging Clodia nach ihrer Verwitwung keine zweite Ehe ein, sondern wendete sich Marcus Caelius Rufus, einem Schüler und Freund Ciceros, zu. Er kam aus dem Ritterstand, und sein geiziger Vater verfügte über große Besitztümer in Afrika. Wie auch immer Caelius in die Catilinarische Verschwörung verwickelt gewesen sein mochte, er schaffte jedenfalls noch rechtzeitig eine Kehrtwendung. Somit hatte er dank der Unterstützung durch Pompeius eine glänzende Karriere vor sich. Dann verließ Caelius das väterliche Haus, um unter hohen Unkosten in das Haus im Wohnviertel des Palatins einzuziehen, das Clodius ihm vermietete. Cicero, ebenfalls dort ansässig, versicherte, dass politische Gründe ausschlaggebend gewesen seien (Pro Caelio, 18). Andere wiederum meinten, er wollte Clodia, in die er verliebt war, näher sein. Als Verteidiger behauptete Cicero, Clodia habe seinem Mandanten regelrecht nachgestellt (36).

Caelius war zwölf Jahre jünger als Clodia, groß, schön (36), gewitzt und ein begnadeter Redner, was nach Ciceros Auffassung natürlicherweise zu unbegründetem Klatsch Anlass gab (6). Im Gegensatz zu diesem Lob setzte Cicero die Schönheit Clodias herab, wenn er es für das Beste hielt, blind zu sein und sie nicht sehen zu müssen (33).

Cicero beschuldigte sie nach Beendigung der ungefähr zweijährigen Beziehung aus Rache einen Prozess (Anfang April 56 v. Chr.) gegen den ehemaligen Liebhaber angestrengt zu haben, weil sie es nicht habe ertragen können, von ihm verlassen zu werden. Bei einer Verurteilung wegen „Gewaltanwendung“ (vis) drohte dem Angeklagten die Verbannung. Der offizielle Kläger Lucius Sempronius verfolgte damit seinerseits das Ziel, seinen Vater vor einer wiederholten Anklage durch Caelius zu schützen. Dank der brillanten Verteidigung durch Cicero und Crassus wurde Caelius jedoch freigesprochen. Cicero klagte an Stelle seines Mandanten Clodia an, die seiner Meinung nach die ausschlaggebende Person für den Prozess war (in quibus una atque eadem persona versatur, 30). Mit den Verleumdungen über Clodia konnte sich Cicero auch an ihrem Bruder rächen, der ihn in Ausnutzung seines Amtes als Volkstribun 59 v. Chr. in die Verbannung geschickt und für den billigen Verkauf seiner Besitztümer gesorgt hatte. Deshalb machte sich Cicero daran, die Kronzeugin zu diskreditieren, indem er ihr eine schlechte Lebensweise, den Empfang fremder Männer in ihrem Haus und mehrmaligen Ehebruch sowie Voyeurismus anlastete (38, 36). Indem er Clodia als Dirne (,,non solum meretrix, sed etiam proterva meretrix procaxque,, 49) darstellte, entkräftete er dadurch in gewisser Weise den Vorwurf, Caelius sei ein Ehebrecher oder Liebhaber (adultor an amator), der ja nur bei einer ehrbaren Frau hätte erhoben werden können.

Wie bereits erwähnt, lag Clodia viel am Wohl ihres Bruders, aber eine so enge Beziehung bot Nährboden für üble Nachrede, die Cicero aufgriff. Die ungewöhnliche Zuneigung (qui te amat plurimum, 36) innerhalb der Familie deutete man als Blutschande, weil er sich nachts zur größeren Schwester schleiche (qui propter nescio quam, credo, timiditatem et nocturnos quosdam inanis metus tecum semper pusio cum maiore sorore cubitabat, 36). In seiner Gerichtsrede gab Cicero absichtlich vor, den Bruder und den Ehemann Clodias nicht auseinander halten zu können (32). Als Anspielung auf ihre Schönheit und vor allem die großen Augen verwendete Cicero den Decknamen βοῶπις („Kuhäugige“) für Clodia, der auch als Attribut Heras, der Gattin und zugleich Schwester Zeus’, Verwendung fand, so dass nochmals der Inzestverdacht durchschimmerte. Hier lag allerdings eine Verwechslung mit der jüngeren Clodia vor, die von ihrem Mann tatsächlich eben dieses Vergehens beschuldigt wurde. Obwohl Cicero die Namensgleichheit im Prozess gegen Caelius zu Ungunsten der älteren Clodia ausnutzte, erzählte er selbst später die Angelegenheit mit dieser Rollenverteilung in seiner Rede für Milo. Und selbst in diesem Fall schien der Vorwurf kaum glaubwürdig zu sein, da sich Lucullus nur allzu gern seiner Frau entledigt haben und die belastenden Zeugenaussagen den Sklaven unter Folter abgepresst worden sein könnten. Cicero gab vor Gericht den Klatsch aus der Stadt wieder. Überhaupt galten Diffamierungen im Wahlkampf oder in Gerichtsreden als probates Mittel, weil sie nicht verboten und zudem schwer nachprüfbar waren, weshalb bei ihrer Deutung Vorbehalte angebracht sind. Von Zeitgenossen dürfte wohl der Verdacht des Inzestes Ciceros mit seiner Tochter Tullia, die er aufrichtig mochte, kaum ernstgenommen worden sein.

In der Folge erreichten Ciceros Schmähungen ihren Höhepunkt darin, dass er Clodia in Anspielung auf die mykenische Königin (die ihren Gatten Agamemnon nach seiner Rückkehr vom Trojanischen Krieg aus Rache für die Opferung ihrer Tochter Iphigenie mit Hilfe ihres Geliebten Ägisthus umbrachte) als „Viergroschen-Klytämnestra“ titulierte. Außerdem klagte Cicero, Clodia führe in ihrem Haus, „wo Orgien, hemmungslose Begierden und Schwelgerei, kurz alle unerhörten Laster und Schändlichkeiten eine Stätte haben“, „das Leben einer Dirne“ (meretricio more, 57). Glaubt man Cicero, fing Clodia tagtäglich neue Liebschaften an, scheute sich nicht, mit fremden Männern in der Öffentlichkeit aufzutreten (34) und feierte mit ihnen Gastmähler (49).

Die Anklagepunkte gegen Caelius, Gold geliehen (crimen auri) und einen Giftanschlag auf Clodia vorbereitet (crimen veneni) zu haben, verdichtete Cicero zu einer Affäre zwischen den beiden. In seinem Plädoyer ließ Cicero mit Appius Claudius Caecus den Erbauer der Via Appia zu Wort kommen, um aus seinem Munde Schmähungen gegen Clodia zu richten und darauf hinzuweisen, dass sie durch ihr Verhalten dem Ruf der Familie rücksichtslos schade. Auch die anderen Verwandten, die er auftreten ließ, setzten eine Liebschaft zwischen Clodia und Caelius voraus, was Ciceros Behauptung zu untermauern schien. Überdies entwertete die Vorstellung von Clodia als enttäuschter Geliebten ihre Glaubwürdigkeit. Insgesamt war sie sowohl Star als auch Opfer des Prozesses.

Caelius’ fehlende moralische Integrität wurde im Hinblick auf sein jugendliches Alter und den schlechten Einfluss Clodias heruntergespielt (42). Als Verwendungszweck für die geliehene Summe gab er das Ausrichten von Spielen an, obwohl es eigentlich ohne Clodias Wissen zur Bestechung benutzt werden sollte, um Dio von Alexandria ermorden zu können. Bei umfassenderer Betrachtung muss man darauf hinweisen, dass im Grunde genommen ähnliche Vorwürfe gegen Clodias und Caelius’ Lebenswandel (libidines, amores, adulteria, Baias, actas, convivia, commissationes, cantus, symphonias, navigia, 35) vorgebracht werden, die Beurteilung sich aber hauptsächlich nach den Geschlechterrollen richtet. Unter der Voraussetzung, dass es sich um männliche Gesellschaftsmitglieder handelt, gewährte Cicero der Jugend großmütig Nachsicht, während er Clodia in schärfster Art und Weise verurteilte.

Zweifel am Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen sind angebracht, wenn man bedenkt, dass die Taktik der Verteidigung darauf beruhte, die Aufmerksamkeit auf Clodia als schlechten Umgang für Caelius zu lenken, so dass ihr alle Vergehen angelastet werden konnten. Es war nur logisch, ihr neuartiges, schockierendes und als Beispiel für Nachahmerinnen gefährliches Benehmen in ein schlechtes Licht zu rücken. Ein wenig entkräftete Cicero sich selbst, als er meinte, er verbanne die Erinnerung an sein eigenes Leid und vergesse ihr kränkendes Verhalten (50). Damit lieferte der Anwalt selbst Genugtuung als Motiv für seine harte Vorgehensweise. Zudem ist davon auszugehen, dass Cicero dieses angeblich so verruchte Haus Clodias selbst auch nach dem Gerichtsverfahren weiterhin aufsuchte. Für das Grabmal seiner 45 v. Chr. verstorbenen Tochter zog der Anwalt Clodias Gärten in Betracht, die er zuvor noch als Ort von Ausschweifungen brandmarkte.

Einen interessanten Ansatz wirft G. Fau mit ihrem Hinweis auf Fresken des Dionysoskultes auf, die in Clodias Villa ausgegraben wurden. Mit einer Initiation Clodias in einen Mysterienkult böte sich eine Erklärung für den Vorwurf eines zu freundlichen Umgangs mit Sklaven (57) und eines zu freizügigen Auftretens gegenüber Männern an. Denn aus dem dort verbreiteten Gedanken von der Brüderlichkeit aller Menschen aufgrund der Unsterblichkeit der Seele resultiert, dass auch Sklaven innerhalb der religiösen Hierarchie aufsteigen können und man sie im Alltag besser behandelt. Mit dem Einverständnis ihrer Familie ließ Clodia Sklaven frei, was Cicero zu der Mutmaßung veranlasste, dies sei nur aus Eigennutz und Kalkül geschehen, um Zeugen für den Prozess zu finden.

Auch eine zunehmende Gleichstellung mit den Männern könnten die Mysterienkulte – abgesehen von den hauptsächlich sozialen Hintergründen einer solchen Entwicklung – angestoßen haben. Die Bacchanalien, ausgelassene Feiern zu Ehren des Dionysos, gingen mit Tänzen und exzessiven Orgien einher, weshalb sie vom Senat zeitweise verboten wurden. In diesem Rahmen konnten auch Frauen eine gewisse sexuelle Befreiung erleben, die durchaus für Sempronias und Lesbias/Clodias Ausbrüche aus den konventionellen Lebensformen kennzeichnend ist.

Nach der Prozessniederlage verblasst die Spur der historischen Clodia. Im Jahr 52 v. Chr. trafen auf der Via Appia die bewaffneten Banden von Clodias Bruder und Milo aufeinander, der den im Kampf verwundeten Clodius umbringen ließ. Wieder hieß der Verteidiger Cicero, aber diesmal lautete das Urteil Verbannung.

Über das Todesdatum Clodias lässt sich nur spekulieren, denn ihr Erzfeind Cicero hätte dieses Ereignis sicherlich in seiner Korrespondenz mit Atticus, der sie kannte, mitgeteilt. Noch im Jahr 44 v. Chr. erwähnte er sie in einem Atemzug mit Kleopatra ([Sed] Clodia quid egerit, scribas ad me velim).

Literatur

  • G. Fau: L'émancipation féminine à Rome
  • W. J. Tatum: The Patrician Tribune. Publius Clodius Pulcher. Chapel Hill 1999
  • L. Fezzi: Il tribuno Clodio. Roma-Bari 2008

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