- Deidesheimer Geißbockversteigerung
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Die Deidesheimer Geißbockversteigerung ist ein altes Stadtfest in der Form eines Historienspiels, das jedes Jahr am Dienstag nach Pfingsten in der vorderpfälzischen Stadt Deidesheim an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz) gefeiert wird. Aus der ehemals ernsten Angelegenheit, dass die Stadt Lambrecht zur Abgeltung von Weiderechten der Stadt Deidesheim alljährlich einen „Geißbock“ (Ziegenbock) liefern musste, hat sich im Laufe der Zeit ein Volksfest entwickelt, bei dem etliche Weingüter Ausschankstellen betreiben. Schätzungen zufolge zog das Fest schon in den 1990er Jahren 8.000–10.000 auswärtige Besucher an[1], so dass sich die Zahl der Menschen in der Kleinstadt an einem einzigen Tag auf das Drei- bis Vierfache erhöht.
In Reminiszenz an die Geschichte der Geißbockversteigerung schuf der pfälzische Bildhauer Gernot Rumpf 1985 an der Stadthalle den Geißbockbrunnen.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die – über Waldwege – 12 km von Deidesheim entfernt im Pfälzerwald gelegene Kleinstadt Lambrecht besaß seit dem Jahr 1404 die Erlaubnis, im Deidesheimer „Hinterwald“ Rinder weiden zu lassen, aber keine Schweine und Ziegen. Als Gegenleistung, die erstmals 1534 erwähnt wurde, vermutlich aber schon davor gefordert worden war, hatte Lambrecht jeden Pfingstdienstag bei Sonnenaufgang an Deidesheim einen Ziegenbock zu liefern. Dieser musste nach damaliger Formulierung „bene cornutus et bene capabilis“, also „gut gehörnt und wohl gebeutelt“ sein, damit er für die Zucht verwendet werden konnte. Der jüngste Lambrechter Bürger – seit 1934 das jüngste Brautpaar, da es den Eintritt in das Bürgerrecht im alten Sinne nicht mehr gab – hatte die Aufgabe, den Geißbock in Deidesheim abzuliefern. Der Bock wurde dann in Deidesheim zu Gunsten des Stadtsäckels versteigert. Zwischen den beiden Städten gab es jedoch immer wieder Streitigkeiten um die Qualität des Bocks.
Anfang des 19. Jahrhunderts – inzwischen gehörte die linksrheinische Pfalz vorübergehend zum französischen Staatsgebiet – kam es wieder einmal zu einer Auseinandersetzung. Deidesheim schickte einen Boten zu Napoleon Bonaparte, damit dieser den Streit beende. In seinem Feldlager während der Eroberung Spaniens unterzeichnete der Feldherr am 26. November 1808 folgendes Dekret: „Die alten Weiderechte werden weiter gewährt, jedoch dass sie [Anm.: die Stadt Lambrecht] die gewöhnliche Recognition eines wohlgehörnten und wohlgebeutelten Geißbockes auch fernerhin entrichte ...“
Im Jahr 1851 – nun unter bayerischer Verwaltung – entbrannte neuerlicher Streit. Deidesheim lehnte den von Lambrecht gelieferten Bock ab, weil er die geforderten Eigenschaften nicht besitze und zudem die Lieferung erst nach Sonnenaufgang erfolgt sei. Ein Ersatzbock wurde zurückgewiesen. Auch im nächsten Jahr wurde der Geißbock nicht akzeptiert, so dass Lambrecht die Lieferungen einstellte. Schließlich erhob Deidesheim Klage, und 1857 entschied das Appellationsgericht in Zweibrücken den Prozess: Lambrecht musste die vertraglich zugesicherten Böcke für die Jahre 1851 bis 1857 nachliefern und Deidesheim die Gerichtskosten übernehmen. Deshalb wurden im Jahr 1858 acht Böcke geliefert, von denen allerdings auch wieder einer abgelehnt wurde, so dass sieben zur Versteigerung kamen.
Ein ähnliches Abkommen wie mit Lambrecht hatte Deidesheim mit den Orten Neustadt an der Weinstraße, Haardt und Gimmeldingen (heute beides Ortsteile von Neustadt) getroffen: Zur Abgeltung von Weiderechten mussten die Orte alljährlich dem Rat von Deidesheim einen Imbiss geben. Aus dieser Verpflichtung konnten sich die drei Orte jedoch 1755 mit einer Einmalzahlung freikaufen.
Historienspiel
Vorgeschichte
Mittlerweile ist aus der ehemals ernsten Angelegenheit ein Volksfest um Lieferung und Versteigerung des Tributbocks geworden, das sich erfolgreich um die Bewahrung der alten Tradition innerhalb des Feierbedürfnisses bemüht. Obwohl der Tag ein normaler Arbeitstag ist, wird die Veranstaltung jedes Jahr von bis zu 10.000 Gästen besucht[1].
Die Vorlage zum Historienspiel um das „Hohe Stadtgericht“, das vor dem Deidesheimer Rathaus dargeboten wird, entstammt zu Teilen den „Historischen Pfingstfestspielen Deidesheim/Pfalz“, die an Pfingsten 1927 mit über hundert Mitwirkenden an der Alten Bleiche aufgeführt wurden. Geschrieben wurde dieses Stück von dem Lambrechter Autor Karl Rauch[2]. Die Handlung des Stückes spielte im Jahr 1528, zu einer Zeit also, in der Deidesheim noch zum Fürstbistum Speyer gehörte.
Wanderung nach Deidesheim
Der Tributbock muss durch das jüngste Lambrechter Brautpaar zum Sonnenaufgang an der Deidesheimer Waldgrenze übergeben werden. Diese liegt etwa eine Fußstunde von Lambrecht entfernt. Um 5:30 Uhr morgens setzt sich in Lambrecht eine Art Volkswanderung in Bewegung, denn das junge Brautpaar wird von bis zu 200 Personen begleitet.
An der Deidesheimer Waldschänke wird die Gruppe dann vom einem als „fürstbischöflicher Waldhüter“ kostümierten Deidesheimer nebst einem Fähnlein „Stadtsoldaten“ begrüßt. Der Waldhüter verliest den Geleitbrief und kredenzt dem Lambrechter Ehepaar einen Schluck Deidesheimer Edelwein aus seinem Schlotterkrug. Nach dem Absingen des Lambrechter Geißbockliedes erfolgt der Marsch zur Deidesheimer Stadtgrenze.
Um 10 Uhr wird die Gruppe am südlichen Ortseingang von der Deidesheimer Delegation, bestehend aus Bürgermeister, Stadtrat, Kolpingkapelle, den Deidesheimer Grundschülern und einer großen Anzahl Schaulustiger in Empfang genommen. Hier singen die Grundschüler das Deidesheimer Geißbocklied. Gemeinsam ziehen dann alle zum Platz vor dem historischen Rathaus, auf dem sich das „Hohe Stadtgericht“ einfindet.
Verhandlung des „Hohen Stadtgerichts“
Der Bräutigam überreicht die Übergabeurkunde an den „Schultheiß“. Dann beginnt die Verhandlung des Stadtgerichts, in deren Verlauf der Bock auf seine Hörnung und seine Zuchtfähigkeit überprüft wird. Während die Stadtrichter die Frage, ob der Geißbock gut gehörnt ist, durch bloßes Hinsehen für sich selbst beantworten können, bedarf es bei der Frage um die Beschaffenheit seines Beutels der Expertise des „fürstbischöflichen Viehhofmeisters“. Dieser nimmt mit geübten Fingern eine Untersuchung vor und gibt sein Einverständnis mit den Worten: „...und was seine Gebräuchlichkeit angeht, da steh' ich mit meinem Wort dafür, dass der Bock was taugt für die Zucht.“ Wenn es keine Beanstandungen gibt, gilt der Bock als angenommen.
Weiteren Diskussionsstoff für das Stadtgericht liefert nun die Frage nach der Aufteilung des am Abend fälligen Steigpreises für den Geißbock. Nach einem alten Vertrag ist der Erlös der Auktion zwischen Deidesheim und dem Nachbarort Niederkirchen im Verhältnis 2:1 aufzuteilen, weil beide Orte nach der Teilung der Gemeinden 1819 noch bestimmte Flächen und Wege gemeinsam nutzen. Allerdings muss die Aufteilung nur dann erfolgen, wenn der Bürgermeister von Niederkirchen bei Sonnenaufgang der Bockübergabe im Wald und am Abend der Versteigerung beigewohnt hat. Zur Erheiterung der Festteilnehmer wird jedoch vom Stadtgericht angemerkt, dass er bei der morgendlichen Übergabe gefehlt habe. Nach den Worten „Ich habe den Bürgermeister von Niederkirchen gestern Abend in einem Deidesheimer Wirtshaus gesehen. Dort ist ihm wohl der gute Deidesheimer Wein nicht bekommen, denn er ist stark und hat schon manchen jäh von den Beinen gerissen“ wird schließlich entschieden, dass der Anspruch Niederkirchens auf ein Drittel des Steigpreises für dieses Jahr verwirkt sei.
Nach der Sitzung des Stadtgerichts bekommt das Lambrechter Brautpaar wie vereinbart Käsebrot und Wein. Die Veranstaltung hat nun bis nachmittags Pause; der Bock darf sich mit frischem Gras für seine Versteigerung stärken.
Vorbereitung der Versteigerung
Um 15 Uhr geht die Veranstaltung weiter mit einem Standkonzert der Kolpingkapelle. Ab 16 Uhr findet ein folkloristisches Programm statt – mit Volkstänzen der Trachtengruppe, mit dem Fassschlüpfen und dem Küferschlag. Das Fassschlüpfen ist ein Wettstreit unter Buben, bei dem es darauf ankommt, möglichst schnell durch das Fasstürchen eines Holzfasses in dieses hinein- und wieder herauszukommen; es erinnert an eine Zeit, als Kinder noch Holzfässer zu säubern hatten, in die ein Erwachsener nicht hineingepasst hätte. Der Küferschlag ist ein historischer Wechselgesang zwischen einem Küfermeister und seinen Gesellen. Da es in Deidesheim keine Küfer mehr gibt, wird das Lied vom Gesangsverein Liederkranz vorgetragen.
Nun beginnt eine weitere Sitzung des Stadtgerichts. Dabei wird das am Morgen getroffene Urteil bezüglich der Annahme des Geißbocks noch einmal bestätigt. Dann werden mit den Abgesandten von Neustadt, Gimmeldingen und Haardt die Weiderechte für das kommende Jahr verhandelt. Der Niederkirchener Bürgermeister tritt ebenfalls vor das Stadtgericht und erbittet für den Nachbarort den Anteil am Steigpreis; dieser wird ihm jedoch vom Stadtgericht mit dem Verweis auf die Vertragsbedingung abgeschlagen. Nach der Sitzung folgen die Grußworte des Deidesheimer Bürgermeisters, der Pfälzischen Weinkönigin sowie der Weinprinzessin der Verbandsgemeinde Deidesheim.
Seit 1949 gibt es einen Wettbewerb, bei dem das Publikum bis zum Beginn der Versteigerung den Steigpreis schätzen kann. Den Personen, die dem Ergebnis am nächsten kommen, winken ein Gutschein für eine Übernachtung im Gästehaus Ritter von Böhl beim Deidesheimer Spital, Gutscheine der Deidesheimer Gastronomie und diverse Weinpreise.
Versteigerung
Um 17:45 Uhr – zuvor werden noch die Versteigerungsbedingungen verlesen – beginnt die größte Glocke im Turm der benachbarten katholischen Pfarrkirche St. Ulrich zu läuten, und die Auktion auf der doppelseitigen Rathaustreppe nimmt ihren Lauf. Seit 1973 fungiert dabei Werner Leim als Auktionator, davor war diese Aufgabe ehrenamtlich von einem Ortspolizisten wahrgenommen worden. Exakt „mit dem Schlag der sechsten Stund“, dem letzten Glockenschlag der Pfarrkirche um 18 Uhr, fällt der Hammer. Der Ersteigerer muss im Ratssaal den Steigpreis bar auf den Tisch des Bürgermeisters legen, bevor er den Geißbock samt Urkunde mitnehmen darf. Die für die Böcke gezahlten Summen schwanken beträchtlich und bewegen sich seit den 1990er Jahren zwischen 2000 und 4000 Euro.
Erwähnenswertes
- Lange Zeit war es für die Stadt Lambrecht nicht einfach, einen geeigneten Geißbock zu beschaffen. 1910 musste gar ein Bock aus Thüringen angekauft werden. Der Grund war, dass die damals in der Pfalz bevorzugte Deutsche Edelziege (Saanerrasse) keine Hörner hatte, den Anforderungen also nicht entsprechen konnte.
- Im Jahr 1924 drehte die Europa-Film AG (Berlin) die Sendung „Fröhlich Pfalz, Gott erhalt's“. Extra dafür wurde am 21. September 1924, einem Sonntag, die Geißbockversteigerung mit allem Drum und Dran zum zweiten Mal in diesem Jahr aufgeführt.
- Nach einer langen Tradition werden am Pfingstdienstag in vielen Deidesheimer Haushalten anlässlich der Geißbockversteigerung „Bockwürste“ gegessen; tatsächlich handelt es sich dabei aber um Weißwürste.
- Gewissermaßen als Äquivalent zur Deidesheimer Geißbockversteigerung hat die Stadt Lambrecht ihr Kirchweihfest am 1. Augustwochenende Gäßbock-Kerwe genannt. Das Pfälzer Mundartwort ist mit langem ä zu sprechen und bedeutet hochdeutsch Geißbock-Kirchweih.
Literatur
- Karl Heinz Himmler, Berthold Schnabel, Paul Tremmel: Dienstag nach Pfingsten – Der Höhepunkt im Leben des Deidesheimer Geißbocks. D. Meininger Verlag, Neustadt/Weinstraße 1982, ISBN 3-87524-023-5
Weblinks
- Informationen zur Geißbockversteigerung auf der offiziellen Website von Deidesheim
- Bilder von der Geißbockversteigerung 2008
Einzelnachweise
- ↑ a b Kurt Andermann, Berthold Schnabel: Deidesheim – Beiträge zu Geschichte und Kultur einer Stadt im Weinland. Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1995, ISBN 3-7995-0418-4
- ↑ Karl Heinz Himmler: Chronik: 75 Jahre Verkehrsverein Lambrecht (2003)
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