Der Ehrbare Kaufmann

Der Ehrbare Kaufmann

Die Bezeichnung Ehrbarer Kaufmann beschreibt das historisch in Europa gewachsene Leitbild für verantwortliche Teilnehmer am Wirtschaftsleben. Es steht für ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein für das eigene Unternehmen, für die Gesellschaft und für die Umwelt. Ein Ehrbarer Kaufmann stützt sein Verhalten auf Tugenden, die den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg zum Ziel haben, ohne den Interessen der Gesellschaft entgegenzustehen. Er wirtschaftet nachhaltig.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Der Ehrbare Kaufmann steht als Leitbild für das optimal handelnde Wirtschaftssubjekt. Das heißt, es hat einen Vorbildcharakter für jeden verantwortlichen Teilnehmer am Wirtschaftsleben: Eigenwirtschaftler, Kaufleute, Unternehmer und Manager. In der Literatur finden sich viele Synonyme zum Attribut ehrbar. Zu nennen sind der wahre, gute, echte, ehrsame, ehrliche, sittliche, ideale, ethisch oder moralisch handelnde und sogar der königliche[1] Kaufmann. Der Begriff Ehre ist kein absoluter Begriff. Er unterliegt stark dem historischen Wandel.[2] Eine genaue Definition ist daher nicht möglich. Der Ehrbare Kaufmann muss immer im Kontext seiner Zeit betrachtet werden. Dennoch gibt es ein Grundgerüst, das seit dem Mittelalter für das Verhalten Ehrbarer Kaufleute bestimmend ist.

Die Bewusstseinsdimensionen Ehrbarer Kaufleute.[3]

Der Ehrbare Kaufmann im engeren Sinne

Die Grundlage bildet die humanistische Grundbildung. Darauf aufbauend benötigt jeder Ehrbare Kaufmann ein umfassendes wirtschaftliches Fachwissen. Es schließt alle notwendigen betrieblichen Zusammenhänge ein und beschreibt die rationale Seite seines Charakters. Die heutige Betriebswirtschaftslehre vermittelt in einem umfassenden mehrjährigen Studiengang das theoretische Fachwissen. Im Unternehmen kommt dann das praktische Wissen hinzu. Das fachliche Wissen wird ergänzt durch einen gefestigten Charakter, der sich an Tugenden orientiert, die die Wirtschaftlichkeit fördern. Redlichkeit, Sparsamkeit, Weitblick, Ehrlichkeit, Mäßigkeit, Schweigen, Ordnung, Entschlossenheit, Genügsamkeit, Fleiß, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung, Reinlichkeit, Gemütsruhe, Keuschheit und Demut muss der Kaufmann in einem Lern- und Erziehungsprozess erwerben, um ein Ehrbarer Kaufmann zu werden. Die Tugenden dienen nicht primär dazu gute Taten zu vollbringen. Sie dienen der eigenen körperlichen und seelischen Gesundheit, für ein erfülltes Leben mit langfristig ausgerichteter Geschäftstätigkeit. Weiterhin stärken sie die eigene Glaubwürdigkeit, die Vertrauen schafft, das für gute Geschäftsbeziehungen unerlässlich ist (Grundsatz von Treu und Glauben). Der feste Charakter schützt den Kaufmann auch vor unüberlegten Handlungen, um sich kurzfristig auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen. Im Ehrbaren Kaufmann sind Wirtschaft und Ethik nicht von einander zu trennen, sie sind zu einer Einheit verschmolzen, mit dem Ziel erfolgreich zu wirtschaften (Wert zu schaffen).

Der Ehrbare Kaufmann im weiteren Sinne

Aufbauend auf diesem festen Kern, der Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringt, entwickelt der Ehrbare Kaufmann ein Verantwortungsbewusstsein für die Dinge, die seinen geschäftlichen Erfolg bedingen. Zu unterscheiden sind zwei Ebenen.

Bewusstsein auf der Unternehmensebene

Das Verhältnis zu seinen Mitarbeitern steht (insofern er welche hat) an erster Stelle. Ihre Zufriedenheit bedingt seinen Erfolg. Es gilt sie fair und menschlich zu behandeln, aber auch Disziplin und Leistung zu fordern. An zweiter Stelle stehen die Geschäftskunden und seine Lieferanten, die er ebenfalls nach seinen Grundsätzen behandelt, mit dem Ziel langfristig gute Beziehungen zu ihnen aufzubauen und zu erhalten. Persönliche Bindungen stärken das Unternehmen. Seinen Wettbewerbern ist er ein loyaler Konkurrent.[4]

Bewusstsein gegenüber der Gesellschaft

Sein Bewusstsein endet nicht am Fabriktor. Der Ehrbare Kaufmann weiß, dass die Gesellschaft, in der er sein Unternehmen führt, ausschlaggebend ist für den Unternehmenserfolg. Hier haben seine Angestellten ihre Grundbildung erhalten. Die öffentlich finanzierte Infrastruktur ermöglicht den Gütertransport und das politische System sichert die Eigentumsrechte. Die Konsumenten zu schützen ist ihm ein inneres Anliegen, weil ihre Zufriedenheit zu zukünftigen Käufen anregen kann. Unzufriedene Kunden beeinträchtigen den Ruf des Unternehmens. Das Verhältnis zur Gemeinde, in der sich das Unternehmen befindet, stärkt er, weil er ihr seine qualifizierten Mitarbeiter zu verdanken hat. Der Ruf des Unternehmens in der Gemeinde hat ebenfalls Auswirkungen auf die Motivation seiner Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens. Die Öffentlichkeit ist bedeutsam, weil er über sie seine Interessen bekunden und über seine gesellschaftlich bedeutsame Rolle aufklären kann. Das politische System ist zwar kein Tagesthema, aber ohne die Soziale Marktwirtschaft wäre das Unternehmen gar nicht möglich. Rechtssicherheit wird durch das System gewährleistet. Eine politische Tätigkeit ist für den Ehrbaren Kaufmann nicht ausgeschlossen, um die wirtschaftlichen Interessen der Ehrbaren Kaufleute in der Regierung zu vertreten und um in der Politik das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge zu stärken. Zuletzt umgibt alles die Umwelt, die er bei seinen grundsätzlichen Investitionsentscheidungen bedenken muss. Als verantwortlich Entscheidender hat er auch die langfristigen Folgen für die Umwelt zu bedenken, mit Hinblick auf die nachhaltige Sicherung des Fortbestands des Unternehmens, auch über mehrere Generationen hinweg.

In der Wissenschaft hat sich zu angrenzenden Fragestellungen auf der Unternehmens- und Gesellschaftsebene das Forschungsfeld zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen etabliert – auch als Corporate Social Responsibility (CSR) bezeichnet.

Geschichtliche Entwicklung

Nachweislich seit dem 12. Jahrhundert wird in Europa das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns in Kaufmannshandbüchern gelehrt. Seine europäischen Anfänge finden sich im mittelalterlichen Italien und dem norddeutschen Städtebund der Hanse. [5]

Mittelalter

Im Mittelalter tritt der Ehrbare Kaufmann erstmals in Italien in Erscheinung. Die Ehrbarkeit ist abhängig von seinen praktischen Fähigkeiten (z.B. Schreiben, Rechnen, Sprachen, Gewinnstreben, Menschenkenntnis, Organisationstalent, Weitblick), die seinen Erfolg begründen und von Charaktereigenschaften oder tugendhaftem Verhalten (z.B. Vertrauen schaffen, Toleranz, Friedensliebe, Höflichkeit, Klugheit, Ordnung, Kulturförderung), die dazu dienen sollen den langfristigen Geschäftserfolg zu fördern und gleichzeitig den sozialen Frieden seiner Stadt aufrecht zu halten. Gott ist stellvertretend für die Armen als Teilhaber am Geschäft beteiligt und im Alltag allgegenwärtig. Italienische Kaufmannshandbücher als frühe Vorgänger der BWL empfehlen diese Eigenschaften explizit.[6]. Eine pragmatische Geschäftsmoral des goldenen Mittelwegs war auch bei den Hansekaufleuten im Norden Europas in sehr ähnlicher Weise zu beobachten. Grobe Verstöße gegen die Regeln konnten dort harte Konsequenzen haben.

Frühe Neuzeit – Europäisches Bürgertum

Der frühneuzeitliche Ehrbare Kaufmann in Deutschland [7] gehört zum europäischen Bürgertum und setzt die Entwicklung aus dem Mittelalter fort. Praktische Regeln beinhalteten die Rationalisierung und Ökonomisierung der Wirtschaftsführung. Sparen, hohe Einnahmen, Fleiß, Betriebsamkeit und Maßhalten dienen dem Geschäftserfolg genauso wie die Tugenden Mäßigkeit, Schweigen, Ordnung, Entschlossenheit, Genügsamkeit, Fleiß, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung, Reinlichkeit, Gemütsruhe, Keuschheit und Demut. Kaufmännische Solidität (Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Einfachheit, Wahrhaftigkeit, Treue und Ehrlichkeit) und bürgerliche Wohlanständigkeit (z.B. korrekt leben, nicht trinken) sollten das nötige Vertrauen für Geschäfte aufbauen. Diese Grundsätze waren weiterhin Inhalt der Lehre von Kaufleuten. Das Geschäft ist Mittel zum Zweck des Lebens.

Moderne – 19. und 20. Jahrhundert

In der Moderne wurde in Hamburg versucht das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns bis heute zu wahren, beispielhaft ist die Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e.V.. Bauer (1906) setzt die Tradition des bürgerlichen Ehrbaren Kaufmanns fort und passt sie an die Anforderungen der Zeit an (Mitarbeiterverhältnis, der globale Handel und die Verteidigung der konstitutionellen Monarchie gegen Tendenzen der Verstaatlichung). Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Bild an den Unternehmer angepasst (Verantwortung gegenüber Verbrauchern, Mitarbeitern, Kapitalgebern, der Öffentlichkeit, dem System der Sozialen Marktwirtschaft, dem Staat und der Umwelt).

Einzelnachweise

  1. Paul Arthur Frommelt: Der königliche Kaufmann in seiner Sonderart und Universalität. Leipzig 1927, Aufbau- Verlag.
  2. Dagmar Burkhart: Eine Geschichte der Ehre. Darmstadt 2006, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 3-534-18304-5.
  3. Daniel Klink: Der ehrbare Kaufmann. Diplomarbeit, betreut von Joachim Schwalbach, Berlin 2007, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Management, S. 59 (PDF; ca. 1MB).
  4. Oswald Bauer: Der ehrbare Kaufmann und sein Ansehen. Dresden 1906, Steinkopf & Springer, S. 103-106.
  5. Daniel Klink: Der Ehrbare Kaufmann – Das ursprüngliche Leitbild der Betriebswirtschaftslehre und individuelle Grundlage für die CSR-Forschung. In: Joachim Schwalbach (Hrsg.): Corporate Social Responsibility. Zeitschrift für Betriebswirtschaft – Journal of Business Economics, Special Issue 3, Wiesbaden 2008, Gabler, ISBN 3-8349-1044-9, S. 57–79. Zur Geschichte vom Mittelalter bis zum Ende der Frühen Neuzeit.
  6. John Dotson: Fourteenth Century Merchant Manuals and Merchant Culture. In: A. Markus Denzel, Claude Jean Hocquet, Harald Witthöft (Hrsg.): Kaufmannsbücher und Handelspraktiken vom Spätmittelalter bis zum beginnenden 20. Jahrhundert, Stuttgart 2002, Franz Steiner Verlag, S. 86–87.
  7. Werner Sombart: Der Bourgeois – Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen. München 1920, Duncker und Humblot, ISBN 3-428-10917-1.

Literatur

  • Horst Albach: Zurück zum ehrbaren Kaufmann. Zur Ökonomie der Habgier. In: WZB-Mitteilungen, Heft 100, Berlin Juni 2003, ISSN 0174-3120, S. 37–40, (PDF; 0,1MB).
  • Oswald Bauer: Der ehrbare Kaufmann und sein Ansehen. Dresden 1906, Steinkopf & Springer.
  • Dagmar Burkhart: Eine Geschichte der Ehre. Darmstadt 2006, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 3-534-18304-5.
  • John Dotson: Fourteenth Century Merchant Manuals and Merchant Culture. In: A. Markus Denzel, Claude Jean Hocquet, Harald Witthöft (Hrsg.): Kaufmannsbücher und Handelspraktiken vom Spätmittelalter bis zum beginnenden 20. Jahrhundert, Stuttgart 2002, Franz Steiner Verlag, S. 75-87.
  • Heinz Dürr: Das Unternehmen als gesellschaftliche Veranstaltung. Vortrag im Wissenschaftszentrum Berlin, Redemanuskript, 28. Januar 2003. In: Günther Sassmannshausen (Hrsg.): Heinz Dürr – Annäherung an einen neugierigen Unternehmer, Frankfurt 2003, Campus Verlag, ISBN 3-593-37315-7, S. 40–47.
  • Günter Fandel, Joachim Schwalbach (Hrsg.): Der ehrbare Kaufmann: Modernes Leitbild für Unternehmer?. Zeitschrift für Betriebswirtschaft – Journal of Business Economics, Special Issue 1, Wiesbaden 2007, Gabler, ISBN 3-834-9065-9X.
  • Paul Arthur Frommelt: Der königliche Kaufmann in seiner Sonderart und Universalität. Leipzig 1927, Aufbau- Verlag.
  • Daniel Klink: Der ehrbare Kaufmann. Diplomarbeit, betreut von Joachim Schwalbach, Berlin 2007, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Management, (PDF; ca. 1MB).
  • Daniel Klink: Der Ehrbare Kaufmann – Das ursprüngliche Leitbild der Betriebswirtschaftslehre und individuelle Grundlage für die CSR-Forschung. In: Joachim Schwalbach (Hrsg.): Corporate Social Responsibility. Zeitschrift für Betriebswirtschaft – Journal of Business Economics, Special Issue 3, Wiesbaden 2008, Gabler, ISBN 3-8349-1044-9, S. 57–79.
  • Günther Sassmannshausen (Hrsg.): Heinz Dürr – Annäherung an einen neugierigen Unternehmer. Frankfurt 2003, Campus Verlag, ISBN 3-593-37315-7.
  • Joachim Schwalbach (Hrsg.): Corporate Social Responsibility. Zeitschrift für Betriebswirtschaft – Journal of Business Economics, Special Issue 3, Wiesbaden 2008, Gabler, ISBN 3-8349-1044-9.
  • Werner Sombart: Der Bourgeois – Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen. München 1920, Duncker und Humblot, ISBN 3-428-10917-1.

Siehe auch

Weblinks


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