Dichlordiethylsulfid

Dichlordiethylsulfid
Strukturformel
Strukturformel von Lost
Allgemeines
Name Senfgas
Andere Namen
  • Bis(2-chlorethyl)sulfid
  • Lost
  • Schwefellost
  • S-Lost
  • Gelbkreuzgas
  • Yperit
  • Schwefelyperit
Summenformel C4H8Cl2S
CAS-Nummer 505-60-2
PubChem 10461
Kurzbeschreibung farb- und geruchlose Flüssigkeit [1][2]
Eigenschaften
Molare Masse 159,07 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,2741 g·cm−3 (20 °C) [3]

Schmelzpunkt

13–14 °C [3]

Siedepunkt

216,8 °C [3]

Dampfdruck

9,33 Pa (20 °C) [3]

Löslichkeit

0,48 g·l−1 in Wasser (20 °C) [3]

Sicherheitshinweise
Gefahrstoffkennzeichnung [4]
Sehr giftig Umweltgefährlich
Sehr giftig Umwelt-
gefährlich
(T+) (N)
R- und S-Sätze R: 45-10-22-24-26-50/53
S: 53-45
MAK

Für krebserzeugende Stoffe wird generell kein MAK-Wert vergeben. [3]

LD50
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Senfgas ist ein Trivialname für die Chemikalie Bis(2-chlorethyl)sulfid, einen hautschädigenden chemischen Kampfstoff aus der Gruppe der Loste. Weitere Bezeichnungen sind Lost, Schwefellost, S-Lost, Gelbkreuzgas, Yperit oder Schwefelyperit. Der NATO-Code lautet HD.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Herstellung gelang erstmals im Jahr 1822 durch den belgischen Chemiker César-Mansuète Despretz, der beim Experimentieren mit Ethen und Schwefeldichlorid die Entstehung einer übelriechenden Flüssigkeit beobachtete. Dem Franzosen Alfred Riche gelang 1854 die Herstellung aus Chlor und Diethylsulfid. Im Jahr 1886 wurde die Chemikalie von dem deutschen Chemiker Victor Meyer erstmals vollständig beschrieben. Der Vorschlag zur Verwendung als Giftgas kam von den beiden deutschen Chemikern Lommel und Steinkopf, beides Mitarbeiter von Fritz Haber am Kaiser-Wilhelm-Institut, im Jahr 1916. Der Name Lost entstand aus den beiden ersten Buchstaben ihrer Nachnamen.

Erster Weltkrieg

Am 12. Juli 1917 setzten die deutschen Truppen das erste Mal Senfgas ein, um die Ausgangslage für den erwarteten britischen Angriff bei Ypern zu verbessern (daher der Name Yperit). Senfgas wurde wegen der entstellenden Verletzungen, die es verursacht, im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges zu einer der gefürchtetsten Waffen. Allerdings wurden durch Senfgas weitaus weniger Soldaten getötet als durch Phosgen.

Zweiter Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkrieges wurden Senfgasbomben, soweit bekannt, nur ein einziges Mal eingesetzt. Dies geschah bei der Sprengung einer Brücke und dem Verminen einer Straßensperre durch polnische Truppen in der Nähe von Jasło. Dabei wurden am 8. September 1939 zwei deutsche Soldaten getötet und zwölf verwundet. Man geht aber davon aus, dass dies die Entscheidung eines einzelnen polnischen Offiziers war. Aus diesem Grund unterblieben von Seiten der deutschen Truppen Vergeltungsmaßnahmen. [6]

Am 2. Dezember 1943 bombardierte die deutsche Luftwaffe den italienischen Hafen von Bari. Dabei wurde der unter anderem mit Senfgasgranaten beladene US-Frachter John Harvey getroffen und versenkt. Ein Teil der Ladung lief ins Wasser, ein anderer Teil wurde durch die Explosionen und die Brände in der Luft verteilt. Da auf Grund der Geheimhaltung nur wenige Personen in Bari von der Existenz dieser Ladung wussten und diese allesamt umkamen, konnten die Verwundeten zunächst nicht richtig behandelt werden. Genaue Zahlen über die Opfer existieren nicht. Es wird geschätzt, dass über 600 Soldaten und Angehörige der Handelsmarine verätzt wurden, von denen etwa 100 starben. Die Zahl der getöteten Zivilisten dürfte um die 1000 betragen. Dieser Vorfall hätte beinahe eine weitere Eskalation des Krieges ausgelöst, da die Alliierten zunächst davon ausgingen, dass das Giftgas von den Deutschen abgeworfen worden war. Eine im Hafenbecken gefundene Gasbombe wurde aber noch rechtzeitig als amerikanisches Modell identifiziert, so dass die Alliierten keinen "Gegenschlag" durchführten.

Lost-Opfer in Behandlung während des Ersten Weltkrieges.

Während der NS-Zeit wurde bis 1942 in Munster[7] und in Ammendorf bei Halle von der Firma ORGACID GmbH S-Lost produziert, kam aber im Zweiten Weltkrieg nicht zum Einsatz. Unter dem ehemaligen Ammendorfer Firmengelände an der heutigen Camillo-Irmscher-Straße liegen acht weitverzweigte grüngeflieste Zisternen, die auf Grund fehlender Baupläne nur schwer zu entgiften waren und nach der Wende hermetisch versiegelt worden sind. Im Jahre 1990 wurden noch 30 Tonnen Giftstoffe durch das Grundwasser an die Oberfläche transportiert.

Nach 1945

Nach den beiden Weltkriegen wurde ein Großteil der verbliebenen deutschen Senfgasbestände in der Ostsee versenkt. Da das Lost aber allmählich aus den mittlerweile lecken Fässern austritt, finden sich an Stränden der Ostsee immer wieder kleine Lost-Klumpen, die Bernstein ähnlich sehen, aber ziemlich weich sind. Bei Hautkontakt können sich Verätzungen bilden. Der nicht versenkte Teil wird seit einigen Jahren durch die Gesellschaft des Bundes für Kampfmittelbeseitigung (GEKA) in einer Delaborierungs- und Verbrennungsanlage in Munster entsorgt.

Einsätze in weiteren Konflikten

Lost wurde in folgenden Konflikten eingesetzt: [8]

Herstellung von S-Lost

Ursprüngliches Verfahren

S-Lost entsteht durch die elektrophile Addition von Schwefeldichlorid an Ethen. (Das S2Cl2 wird zu SCl2 und Schwefel).

Bei der großtechnischen Herstellung benutzte man größtenteils gusseiserne, mit Blei ausgekleidete Behälter mit eingebautem Rührwerk. Man füllte sie mit S2Cl2 und blies durch ein Rohr am Boden unter Rührung Ethen ein. Nach Beendigung der Reaktion ließ man das Dichlordiethylsulfid durch ein Absetzbecken laufen, um den entstandenen Schwefel zu entfernen. Eine weitere Konzentrierung fand nicht statt.

Modernes Verfahren

Durch die Umsetzung von Natriumhydrogensulfid mit Ethylenoxid wird als Zwischenprodukt ein Dihydroxythioether erhalten. Dieser wird dann mit in weiterem Reaktionsschritt Thionylchlorid zu Lost chloriert.

Lagerbestände

Stand 2003 (AC-Schutzzentrum Spiez):

  • Russland: 40.000 t (militärisch nicht mehr einsetzbar; Vernichtungsprogramm in den Anfängen)
  • USA: 31.500 t (davon ca. 25 % zerstört)
  • Indien: mehrere tausend Tonnen (aktives Vernichtungsprogramm)
  • Iran: mehrere hundert Tonnen
  • Südkorea: mehrere tausend Tonnen (aktives Vernichtungsprogramm)
  • Nordkorea: mehrere tausend Tonnen

Schutzmaßnahmen

Wegen der hohen Hautgängigkeit und des verzögerten Wirkungseintritts kommt dem Schutz der Körperoberfläche besondere Bedeutung zu. Die Aufnahme durch die Haut erfolgt leicht und ohne auffällige Anzeichen wie Nässe- oder Kältegefühl. Das Opfer bemerkt in der Regel die Vergiftung nicht.

Die Fähigkeit, normale Textilien zu durchdringen, macht diese Stoffe besonders gefährlich. Die gängigen Schutzmittel – Maske und Schutzanzug – bieten jedoch über einen Zeitraum von derzeit mindestens 6 Stunden, zukünftig 24 Stunden, sicheren Schutz vor der Einwirkung.

Für die Dekontamination können unter anderem Oxidationsmittel (z. B. Chlorkalk oder Calciumhypochlorit), alkalische Lösungen und nichtwässrige Medien, z. B. Aminoalkoholate, verwendet werden, da Lost zum einen empfindlich gegenüber Oxidationsmitteln ist und zum anderen die Hydrolyse einmal gelösten Losts sehr schnell verläuft.

Einzelnachweise

  1. MSDS bei Castleview
  2. wissenschaft-online: Eintrag zum Bis(2-chlorethyl)sulfid im Lexikon der Biologie/Chemie
  3. a b c d e f Eintrag zu Bis(2-chlorethyl)sulfid in der GESTIS-Stoffdatenbank des BGIA, abgerufen am 7. November 2007 (JavaScript erforderlich)
  4. Günter Hommel: Handbuch der gefährlichen Güter. Transport - Gefahrenklassen, Merkblatt 2298, 2002, Springer-Verlag, ISBN 3540203486
  5. a b Senfgas bei ChemIDplus
  6. a b Günther W. Gellermann: Der Krieg, der nicht stattfand. Bernard&Graefe Verlag, Koblenz 1986, ISBN 3-7637-5804-6
  7. http://www.lostplaces.de/cms/content/view/108/33/
  8. http://www.fas.org/bwc/papers/review/cwtable.htm

Weblinks


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