Die Akte Odessa

Die Akte Odessa

Die Akte Odessa ist der deutsche Titel eines Romans von Frederick Forsyth aus dem Jahr 1972. Der Originaltitel lautet The Odessa File, unter diesem Namen wurde das Buch 1974 auch verfilmt.

Handlung

Die Geschichte spielt in den Jahren 1963–1964, überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Hamburger Journalist Peter Miller findet beim Recherchieren über den Suizid eines alten Mannes (Salomon Tauber) heraus, dass dieser sich umgebracht hat, weil er seinem ehemaligen Peiniger, dem Leiter eines Konzentrationslagers in der Zeit des Nationalsozialismus auf der Straße wiederbegegnet ist. Eduard Roschmann, der Schlächter von Riga, kann trotz seiner Verbrechen unbehelligt in Deutschland leben.

Der Journalist beginnt Nachforschungen anzustellen und stößt zunächst auf große Schwierigkeiten bei Behörden, die entweder desinteressiert, eingeschüchtert oder durch bürokratische Einschränkungen behindert sind. Ein Staatsanwalt der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen ("mir sind Hände und Füße durch Weisungen gebunden") gibt ihm unter der Hand den Hinweis auf das Berlin Document Center, wo er erstmals umfangreiche Unterlagen über Roschmann findet - und die Aufmerksamkeit ehemaliger Nazis weckt.

Als er Simon Wiesenthal in Wien besucht, erfährt er von einem Netzwerk ehemaliger Nazis, die sich neue Existenzen in Deutschland, Südamerika und Ägypten aufgebaut haben und Ägypten im Krieg gegen Israel unterstützen: der Name OdeSSA steht für Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen.

Während ein Killer der Odessa nach ihm sucht, arbeitet Peter Miller mit einer Gruppe Überlebender des Holocaust zusammen, die sich der Jagd auf untergetauchte Nazis verschrieben haben. Um ihn bei der OdeSSA undercover einzuschleusen, verschafft ihm die Gruppe die Identität eines soeben verstorbenen SS-Angehörigen. Da der Journalist den Krieg nur als Kind erlebt hat, wird er äußerlich auf etwas älter getrimmt. Außerdem erhält er von einem befreundeten ehemaligen Angehörigen der SS Unterricht in Verhaltensweisen und Ritualen der SS, um seiner Rolle gerecht zu werden. Der Mossad hat ebenfalls die Spur des Lagerkommandanten Eduard Roschmann aufgenommen und bedient sich des jungen Deutschen für die Nachforschungen.

Im Laufe seiner Tätigkeit stößt Miller in Polizei und Wirtschaft auf die Seilschaften der Nazis. Er findet Verbindungen nach Südamerika und nach Ägypten (siehe auch Rattenlinie). Der Lagerkommandant und die OdeSSA unterstützen die Entwicklung von Raketen in Ägypten und die Forschung an biologischen und chemischen Kampfstoffen in arabischen Ländern mit dem Ziel, den Staat Israel zu vernichten.

Neben seinem beruflichen Interesse gibt es für Peter Miller einen privaten Grund: sein Vater, ein Offizier der Wehrmacht, war gegen Ende des Krieges umgekommen. In den Tagebucheintragungen des alten Mannes findet Miller die Beschreibung eines Offiziers und seines Todes, die offensichtlich auf seinen Vater zutrifft - und sein Mörder ist der SS-Mann Eduard Roschmann.

Durch einen Anfängerfehler enttarnt sich Miller nach kurzer Zeit und entkommt ohne es zu wissen nur knapp dem Killer der Odessa. Dennoch kann er die Spur Roschmanns aufnehmen und findet ihn - als Inhaber eines Herstellerbetriebes von Radiogeräten, dem eine streng geheime Forschungsabteilung angeschlossen ist, der als eigentliche Aufgabe militärische Forschung für Ägypten zugewiesen ist. Da Miller allein und ohne Kampferfahrung auf Roschmann trifft, misslingt sein Versuch; Roschmanns Leibwächter überwältigt ihn, Roschmann kann fliehen. Als der Odessa-Killer den bewußtlosen Miller töten will, rettet ihn der Mossad-Agent, der gerade noch rechtzeitig von Millers Freundin Sigi informiert wurde.

Die Forschungsabteilung wird aufgelöst, die Raketen-Gefahr für Israel ist gebannt. Zahlreiche Odessa-Mitglieder ziehen sich aus Deutschland zurück, und der Mossad-Agent Uri Ben Shaul spricht in der Gedenkstätte Yad Vashem ein Gebet für Salomon Tauber.

Zeitgeschichtliche Bedeutung

Das Buch gilt nicht als literarische Meisterleistung, die Darstellung der Recherchen eines deutschen Journalisten in den 1960er-Jahren wirft jedoch ein bezeichnendes Licht auf den Stand der Vergangenheitsbewältigung in der damaligen Bundesrepublik. Forsyth schildert ausführlich den - meist erfolglosen - Gang seines Protagonisten zu deutschen Dienststellen, die eigentlich mit der Verfolgung von Kriegsverbrechern beschäftigt sind, deren Engagement sich jedoch in sehr engen Grenzen hält. In Wien sucht er schließlich den "Nazi-Jäger" Simon Wiesenthal auf und findet erst dort nennenswerte Hilfe. Unter diesem Gesichtspunkt ist zumindest die erste Hälfte des Buches durchaus auch von zeitgeschichtlichem Interesse.

Diese Passage liefert eine besondere genaue Darstellung der Situation in Deutschland nach dem Krieg:

"Vor dem Krieg kannte nahezu jedermann in Deutschland einen Juden. Tatsache ist, dass in Deutschland kaum jemand etwas gegen die Juden hatte, bevor Hitler kam. Die jüdische Minderheit hatte bei uns in Deutschland nachweislich einen weit besseren Stand als in jedem anderen europäischen Staat. Es ging ihr besser als in Frankreich, besser als in Spanien, unendlich viel besser als in Polen und Russland, wo die schrecklichsten Pogrome stattgefunden hatten. Dann fing Hitler an, den Leuten zu erzählen, dass die Juden am Ersten Weltkrieg, an der Arbeitslosigkeit und an allen Missständen überhaupt schuld seien. Die Leute wussten bald nicht mehr, was sie glauben sollten. Nahezu jeder kannte einen Juden, der ein anständiger und netter Mensch war. Oder doch zumindest harmlos. Die Leute hatten jüdische Freunde, gute Freunde; jüdische Arbeitgeber, gute Arbeitgeber; jüdische Angestellte, fleißige Angestellte; die Juden hielten sich an die Gesetze und taten niemandem etwas Böses. Und dann kam Hitler und behauptete, die Juden seien an allem Schuld. Als dann die Lastwagen kamen und die Juden abholten, taten die Leute nichts. Sie hielten sich aus allem heraus und schwiegen. Und sie fingen an, der Stimme, die am lautesten schrie, Glauben zu schenken. So sind die Menschen nun einmal, und insbesondere wir Deutschen. Wir sind ein sehr gehorsames Volk. Darin liegt unsere größte Stärke und unsere größte Schwäche. Das hat uns das Wirtschaftswunder ermöglicht, während die Engländer lieber streikten - und andererseits sind wir aus Gehorsamkeit einem Mann wie Hitler verzückt in ein einziges Massengrab gefolgt." [1]

Quellen

  1. Frederick Forsyth, Die Akte ODESSA, Seite 77, 78

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