Simon Wiesenthal

Simon Wiesenthal
Simon Wiesenthal, ca. 2000

Simon Wiesenthal (* 31. Dezember 1908 in Butschatsch, Galizien, heute Ukraine; † 20. September 2005 in Wien) war ein österreichisch-jüdischer Überlebender des Holocaust sowie Architekt, Publizist und Schriftsteller.

Nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen im Mai 1945 machte Simon Wiesenthal die „Suche nach Gerechtigkeit für Millionen unschuldig Ermordeter“ zu seiner Lebensaufgabe. Dadurch wurde er zu einem Zeitzeugen des Holocaust, der weltweit Tätern aus der Zeit des Nationalsozialismus nachforschte, um sie einem juristischen Verfahren zuzuführen. Er gründete das Dokumentationszentrum Jüdische Historische Dokumentation in Linz und später das Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes in Wien.

Wiesenthal verstand sich nicht als „Nazi-Jäger“, wie er im Laufe der Zeit sowohl anerkennend von Anhängern als auch ablehnend von Kritikern bezeichnet wurde. Wiesenthal sah sich selbst eher als Rechercheur, der jene zur Verantwortung ziehen wollte, die an der geplanten „Endlösung der Judenfrage“ mitgewirkt hatten. Entsprechend lehnte er die Kollektivschuldthese nach einem frühen Umdenken ab. Wiesenthal sah in seiner Tätigkeit unter anderem die Pflichterfüllung, als Zeitzeuge und Überlebender des Holocaust vor dem Vergessen der Shoa zu warnen, die nicht mit Massenmord und Gaskammern begonnen habe, sondern mit der Demontage von Demokratie und Menschenrechten. Seine internationale Vortragstätigkeit stand deshalb unter dem Leitspruch „Aufklärung ist Abwehr“.

Als Autor zahlreicher Bücher, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden, wollte Wiesenthal ein Vermächtnis für nachfolgende Generationen hinterlassen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Vorkriegszeit und Holocaust

Wiesenthal war der Sohn des Großhändlers und Offiziers des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn Hans Wiesenthal, der bereits 1915 im Ersten Weltkrieg starb. In Buczacz überlebte Simon Wiesenthal als Zwölfjähriger nur knapp ein Pogrom marodierender Kosaken. Nach seiner Matura 1928 wurde er wegen einer Quotenbeschränkung gegenüber jüdischen Studenten nicht für das Polytechnische Institut in Lemberg (Lwiw) zugelassen. Stattdessen studierte er Architektur an der Technischen Universität in Prag und schloss sein Studium 1932 mit dem Ingenieurdiplom ab. 1936 heiratete er seine jüdische Schulfreundin Cyla Müller, eine entfernte Verwandte Sigmund Freuds, und eröffnete in Lemberg ein Architekturbüro. Nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens im Jahr 1939 wurde der jüdische Stiefvater inhaftiert und enteignet. Schließlich starb er an den Folgen der Haft. Wiesenthal musste sein Architekturbüro schließen. Er durfte nur noch als Techniker arbeiten. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 wurde Wiesenthal im Juli des Jahres als Jude von ukrainischen Milizionären in Lemberg verhaftet. Er arbeitete schon damals mit der polnischen Widerstandsorganisation zusammen. Diese Kontakte nutzte er zur Rettung seiner Frau, so dass sie der Deportation entkam und unter dem Namen Irena Kowalska zuerst nach Warschau flüchtete. Mit einem falschen Pass wurde sie zur Zwangsarbeit ins Rheinland verschleppt und konnte unerkannt überleben.

Nach seiner Verhaftung in Lemberg zwangen deutsche SS- und Wehrmachtsangehörige Männer der Stadt, sich auf dem Marktplatz neben manngroßen Holzkisten aufzustellen. Die Erschießungen begannen. Um 12 Uhr mittags läuteten die Glocken der Kirche. Einer rief „Schluss jetzt, Vesper“ (Original-Interview mit S. Wiesenthal) und etwa 10 bis 20 Mann vor Simon Wiesenthal hörte das Morden auf. Daraufhin wurde er in ein KZ interniert. Simon Wiesenthal war in insgesamt fünf Konzentrationslagern inhaftiert, darunter den KZ-Stammlagern Groß-Rosen und Buchenwald, dem Internierungslager Plaszów und dem Ghetto Lemberg. Erst 1945 kam er durch die US-Armee aus dem KZ Mauthausen wieder frei.

Nach dem Holocaust

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam er sofort mit den zuständigen amerikanischen Behörden in Kontakt und übergab bereits am 20. Mai 1945 eine Liste mit 91 nationalsozialistischen Verbrechern. Schon im Juli wurde er von den Amerikanern beauftragt, Adolf Eichmann zu suchen. Erst Ende 1945 sah er seine Frau Cyla wieder. Die einzige Tochter Pauline wurde 1946 geboren. Er gründete 1947 in Linz die Jüdische Historische Dokumentation, die sich unter anderem zum Ziel setzte, von Zeugen erhaltene Informationen auszuwerten sowie Karteien zu Tätern und Tatorten anzulegen. Das Büro in Linz schloss er 1954, da sich auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges kaum eine staatliche Organisation für seine Ermittlungen einsetzte und er daher keine Unterstützung bekam. In dieser Zeit arbeitete er in der Weiterbildung für jüdische Flüchtlinge, die ohne Beruf schon damals kaum eine Chance zu einer Auswanderung hatten. Erst 1961 gründete er in Wien erneut ein Jüdisches Dokumentationszentrum. Auch dieses Zentrum konnte nur aufgrund von Spenden arbeiten.

Simon Wiesenthal berichtete, wie seine 9-jährige Tochter Pauline von der Schule nach Hause gekommen sei und gefragt habe: „Was sind wir für Menschen? Alle aus der Klasse haben Oma, Opa, Onkel, Tanten, warum haben wir niemanden?“ Darauf habe er nicht antworten können und in Tränen ausgebrochen. Er berichtete, wie ihn das Grauen und das Morden in Träumen und Gedanken immer wieder heimgesucht habe: „Dann lag ich in der Nacht schweißnass.“ Das Ehepaar Wiesenthal verlor im Holocaust 89 Verwandte.

Seine Schlafstörungen bekämpfte Wiesenthal mit dem akribischen Sammeln von Briefmarken, vorwiegend aus seiner galizischen Heimat.[1] Bereits 1953 hatte der passionierte Briefmarkensammler Wiesenthal mit Hilfe von Briefmarkenfreunden Eichmann in Argentinien aufgespürt. 1954 fand er einen Vermittler, der bereit war, Eichmann zu identifizieren. Jedoch fehlten 500 US-Dollar für dessen Fahrtkosten. Darum bat Wiesenthal den damaligen Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses Nahum Goldmann, was dieser jedoch ablehnte. Daraufhin gab Wiesenthal sein Wissen an die israelische Regierung weiter. Im Mai 1960 wurde Eichmann nach Israel entführt und im Eichmann-Prozess in Jerusalem vor Gericht gestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte Eichmann unter Mithilfe argentinischer Diplomaten, Funktionären der katholischen Kirche und auch der CIA [2] von einer strafrechtlichen Verfolgung seiner Taten unbehelligt dort leben. Eichmann war neben John Demjanjuk der einzige Nazionalsozialist, der in Israel vor Gericht gebracht wurde. Später bestritt der frühere Mossadchef Isser Harel, dass Wiesenthal bei der Ergreifung Eichmanns geholfen habe.[3] Der Wiesenthal-Biograf und israelische Journalist Tom Segev bestätigte im Juni 2006 die Existenz eines Schreibens von Wiesenthal an den Jüdischen Weltkongress im Jahre 1954, worin er auf den Aufenthalt Eichmanns in Argentinien hinwies.[4]

Tom Segev schreibt in seiner Biografie auch, dass Wiesenthal jahrelang mit dem israelischen Mossad zusammenarbeitete. Er erhielt ein Monatsgehalt des Geheimdienstes und regelmäßig Besuch von Agenten aus Israel. Mit dem Geld finanzierte Wiesenthal die Arbeit seines Dokumentationszentrums.[5]

Zu den bekanntesten Tätern, die Wiesenthal neben Eichmann ausfindig machte, zählte 1963 Karl Silberbauer in Wien, der die damals 15-jährige Anne Frank in Amsterdam verhaftet hatte. Silberbauer arbeitete bis dahin unerkannt als Wiener Kriminalrayoninspektor. Seine Aufdeckung war Wiesenthals schwierigster Fall, da auch in Österreich alte Seilschaften von Nationalsozialisten aktiv wurden. 1967 fand er den KZ-Kommandanten des Vernichtungslagers Treblinka, Franz Stangl, Franz Murer und 1987 in Brasilien den ehemaligen Ghetto-Kommandanten von Przemyśl, Josef Schwammberger. Der Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, bekannt als der „Schlächter von Lyon“, arbeitete als Folterspezialist zuerst mit dem CIC zusammen und tauchte dann 1951 in Bolivien unter. Dort spürte ihn das Ehepaar Serge und Beate Klarsfeld auf, von wo er dann unter Wiesenthals Mithilfe 1983 nach Frankreich ausgeliefert wurde.

Franz Murer, der „Schlächter von Vilnius“, wurde mehrmals auf Wiesenthals Betreiben vor Gericht gestellt. Zum ersten Mal 1948 an die Sowjetunion ausgeliefert, verurteilte man Murer in Vilnius zu 25 Jahren Zuchthaus. Die Todesstrafe wurde damals nur wegen einer Gesetzesänderung nicht gegen ihn verhängt. 1955 wurde er entsprechend den Vorgaben des Staatsvertrages an Österreich ausgeliefert, aber damals von der österreichischen Justiz nicht weiter verfolgt. Eine weitere Verfolgung der österreichischen Justiz durch die Alliierten gab man stillschweigend auf. Erst 1962 kam es nach Intervention von Simon Wiesenthal zu einer neuerlichen Verhaftung und einem Prozess in Graz, der mit einem skandalösen Freispruch endete. Franz Murer lebte bis an sein Lebensende, auch nach wiederholten Versuchen, ihn erneut vor Gericht zu stellen, in Gaishorn am See, Bezirk Liezen. Er war noch zuletzt Bezirksbauernvertreter der ÖVP. Im Prozess standen ihm prominente Fürsprecher vor allem aus dem Lager der ÖVP zur Seite.

Da in Österreich eine zentrale Staatsanwaltschaft fehlt, wurden zahlreiche NS-Prozesse nicht geführt. Lediglich 20 Personen wurden seit 1955 in Österreich verurteilt, 23 Personen (darunter zum Teil mit skandalösen Urteilen) sprach man frei. In seinem Memorandum im Jahr 1966 an die ÖVP-Regierung kritisierte Wiesenthal das Desinteresse österreichischer Behörden an der Ausforschung und Strafverfolgung von NS-Tätern in Österreich. Seine Feststellung blieb folgenlos, denn Staatsanwälte und Polizisten waren stets überlastet, Ermittlungen wurden verzögert, ehemalige NS-Angehörige befanden sich unter den ermittelnden Beamten, Prozessbeobachter zu deutschen Parallelprozessen wurden nicht entsandt. Ohne Simon Wiesenthals unermüdliches Engagement wäre eine Vielzahl von Ermittlungen gegen zum Teil auch prominente Täter nicht zustande gekommen. Insgesamt wurden seit 1955 etwa gegen 5.500 Personen Erhebungen geführt, die meisten davon jedoch nicht nachdrücklich genug.

Die wenigen Prozesse trugen in Österreich lediglich der außenpolitischen Notwendigkeit Rechnung, überhaupt NS-Prozesse zu führen. Nachdem 1972 die zwei Erbauer der Auschwitzer Krematorien, Fritz Ertl und Walter Dejaco, und 1975 Johann Gogl, einst Schlächter in Mauthausen, von den österreichischen Geschworenen freigesprochen wurden, schien Wiesenthal vorübergehend zu resignieren: „In Österreich bleiben etwa 800 Nazis, gegen die ermittelt wurde, unbestraft.“ Besonders bitter für die vom Holocaust Betroffenen ist diese Bilanz auch deshalb, weil es unmittelbar nach 1945 durchaus ernsthafte Versuche gegeben hatte, NS-Täter zu verfolgen; dafür zuständig waren die „Volksgerichte“.

Konflikte

1975 entstand zwischen Wiesenthal und dem österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky ein Disput um die SS-Vergangenheit des FPÖ-Vorsitzenden Friedrich Peter, der als Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre in die Geschichtsbücher einging. Kreisky warf Wiesenthal im Zuge dieser Affäre ohne Beweise vor, mit der Gestapo kollaboriert zu haben. Wiesenthal erklärte in einem Fernsehgespräch 1978, die Zeit dieser Angriffe seitens Kreiskys sei für ihn die schlimmste seit seinem Aufenthalt im Konzentrationslager gewesen.[6] Ein Gerichtsbeschluss verurteilte Kreisky zu einem Bußgeld für seine Unterstellungen.

Der Jüdische Weltkongress (WJC) engagierte sich 1986 maßgeblich für eine Untersuchung der Vergangenheit des damaligen österreichischen Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim (siehe auch „Waldheim-Affäre“). Waldheim wurde beschuldigt, falsche Angaben zu seinen Tätigkeiten während des Zweiten Weltkrieges im besetzten Griechenland sowie zu seinen Mitgliedschaften gemacht zu haben. Erst schrittweise räumte Waldheim seine Beschönigungen ein, allerdings war er nie ein SS-Mitglied, wie es ihm anfänglich Vertreter des WJC unterstellt hatten. Als bereits gewählter Bundespräsident wurde Waldheim vor allem auf Betreiben des Jüdischen Weltkongress in den USA 1987 auf die „watch list“ gesetzt, was ein Einreiseverbot für ihn als Privatperson bedeutete. Wiesenthal nahm gegenüber Waldheim eine differenziertere Haltung ein und forderte stattdessen eine Historikerkommission. Diese wurde auch von der österreichischen Regierung eingesetzt und kam zu dem Schluss, dass Waldheim keine persönliche Schuld an Kriegsverbrechen trage, ihm aber Mitwisserschaft von Deportationen griechischer Juden und das Verschweigen und Beschönigen seiner Tätigkeiten während des Krieges anzulasten seien.

1996 beschuldigte Eli Rosenbaum, der frühere »general counsel« bzw. Chefsyndikus oder -anwalt des Jüdischen Weltkongresses,[7] Wiesenthal, bei der Suche nach den wichtigsten Kriegsverbrechern versagt zu haben und unterstellte ihm niedere Beweggründe. Dieser Vorwurf schadete Wiesenthals Ansehen jedoch nur vorübergehend.

Für Aufsehen sorgte eine Sendung des NDR-Magazins Panorama am 8. Februar 1996. Redaktionsleiter Joachim Wagner ließ neben einigen jüdischen Zeugen vor allem Eli Rosenbaum seine Vorwürfe wiederholen, wie jenen einer übertriebenen Darstellung der Erfolge Wiesenthals und sogar einer Obstruktion in laufenden Ermittlungen.[8] Die FAZ (14. Februar 1996) sah darin den „Versuch einer Hinrichtung“. Wiesenthals Reaktion blieb gelassen: „Mein Lebenswerk lässt sich nicht von ein paar Leuten, die ja selbst kaum etwas getan haben, mit Hilfe quotensüchtiger Fernsehjournalisten zunichte machen.“ (SZ, 12. Februar 1996). Gefährliche Bedrohungen blieben bestehen, 1982 entging er nur knapp einem Bombenanschlag von Neonazis.

Späte Anerkennung

1977 wurde das nach ihm benannte Simon Wiesenthal Center mit Hauptsitz in Los Angeles gegründet. Ziel des Zentrums war und ist es bis heute, flüchtige Kriegsverbrecher und Nazis zu verfolgen. Inzwischen sind weitere Institute in New York, Miami, Toronto, Jerusalem, Paris und Buenos Aires gegründet worden. Zunächst empfand Simon Wiesenthal es als große Ehre, dass das Simon Wiesenthal Center nach ihm benannt wurde. Dessen Leiter Marvin Hier vermittelte ihm zahlreiche Vorträge, Preise und Ehrungen in den USA. Es gelang ihm nicht, Simon Wiesenthal mit dem Nobelpreis ehren zu lassen. In späteren Jahren fühlte sich Simon Wiesenthal häufig übergangen oder schlecht informiert, so dass sich die Konflikte häuften. Marvin Hier gelang es immer wieder, ihn zu besänftigen. Simon Wiesenthal hinterließ dem Simon Wiesenthal Center seinen Schreibtisch mit der dahinter aufgehängten Landkarte.[9]

1989 wurde sein Leben in dem mehrfach preisgekrönten Spielfilm Murderers Among Us: The Simon Wiesenthal Story (deutscher Titel: Recht, nicht Rache) mit Ben Kingsley als Simon Wiesenthal verfilmt.

Das Mahnmal für die österreichischen Opfer der Shoah, am Wiener Judenplatz, 2000

Auf seine Initiative hin wurde das Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoa am Wiener Judenplatz errichtet, seitdem die zentrale Gedenkstelle für die ermordeten österreichischen Juden.

2003 zog sich Wiesenthal in den Ruhestand zurück. In einem Rückblick auf sein Lebenswerk meinte er, seine Ziele weitgehend verwirklicht zu haben (NZZ, 25. April 2003). Seine Arbeit wird nun von Efraim Zuroff vom Jerusalemer Wiesenthal-Center vor allem in osteuropäischen Ländern weitergeführt. Am 10. November 2003 starb seine Ehefrau Cyla.

Am 9. Juni 2005 wurde ihm durch Bundespräsident Heinz Fischer das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Während der Kreisky-Wiesenthal-Affäre war Fischer Klubobmann der SPÖ und schlug einen Untersuchungsausschuss gegen Wiesenthal vor, der allerdings nicht zustande kam. Im Präsidentschaftswahlkampf distanzierte sich Fischer öffentlich von seiner Initiative: „Ich würde heute anders und reifer handeln und es tut mir leid, dass ich damals keinen besseren Weg zur Bereinigung des Konflikts gefunden habe.“

Simon Wiesenthal starb am 20. September 2005 in seinem Haus in Wien-Döbling im Alter von 96 Jahren. Er hinterließ seine Tochter Pauline Kreisberg, drei Enkel und sieben Urenkel in Israel. Sein letzter Wille war es, in Israel begraben zu werden. Er wurde am 23. September 2005 in Herzlija-Pituach im Beisein von österreichischen und israelischen Regierungsvertretern beigesetzt.

Würdigung

Biografen, Journalisten, Freunde und Gegner haben Simon Wiesenthal mit zahlreichen Etikettierungen versehen. Je nach Motivation wird Wiesenthal als „unbequemer Zeitgenosse“, „obsessiver Wahrheitssucher“, „lebende Legende“, „Störfaktor“ und „Provokateur“ der österreichischen Innenpolitik, „Gestapo-Kollaborateur“, „personifiziertes jüdisches Gewissen“, „Don Quichotte oder James Bond“, „praktischer Philosoph“ oder – geläufigste und zum Synonym gewordene Beifügung – „Nazi-Jäger“ bezeichnet.

Er selbst bezeichnete sich in seinen Erinnerungen als Kriminalist; Briefe unterschrieb er als Diplomingenieur oder mit dem Zusatz „Leiter des Dokumentationsarchivs des Bundes jüdischer Verfolgter des Naziregimes“. Wiesenthal sah sich auch nicht als Rächer, da er keinen Hass empfunden habe. Er habe jedoch an die vielen Menschen gedacht, die es nicht mehr gebe, und sich stellvertretend für diese vielen Ermordeten und zu Tode Gequälten eingesetzt. Wiesenthal war bestrebt, die Menschen nach der Shoa zu beschützen und die Mörder und Unmenschen zu lehren, dass sie ihrer Strafe und Verurteilung nicht entkommen könnten. Dies gelte auch trotz ihrer vorerst erfolgreichen Flucht aufgrund der Hilfe durch diplomatische Kanäle und katholisch-kirchliche Netzwerke, der sog. Rattenlinie.

Nach dem Krieg glaubte Simon Wiesenthal zunächst an die Kollektivschuld der Deutschen an den Nazi-Verbrechen. Schließlich habe er seine Meinung geändert, denn die Juden seien „seit 2000 Jahren Opfer der Kollektivschuld-These“. [10] Seine Arbeit habe vielmehr darauf abgezielt, individuelle Schuld aufzuzeigen.

Kritik

Der britische Autor Guy Walters beschreibt Wiesenthal als „einen Lügner“, der falsche oder übertriebene Behauptungen über seine akademische Karriere und seine Kriegsjahre aufgestellt habe. Walters behauptet, dass viele Unstimmigkeiten in seinen Memoiren zu finden seien, so dass es unmöglich sei, ein zusammenhängendes Bild von Wiesenthals Leben im Zweiten Weltkrieg zu zeichnen.[11] In einer Reaktion darauf wird der Direktor der Wiener Library, Ben Barkow, zitiert – es sei möglich zu akzeptieren, dass Wiesenthal ein Angeber und sogar ein Lügner sei, und gleichzeitig Wiesenthals dokumentierte Leistungen anzuerkennen.[12] Walters Thesen konnten durch Historiker nicht bestätigt werden.

Simon-Wiesenthal-Archiv

Simon Wiesenthals Tätigkeitsnachlass setzt sich einerseits aus einer umfangreichen Sammlung von Dokumenten zu NS-Tätern und NS-Verbrechenskomplexen (rund 8000 Akten in ca. 35 lfd. Meter) zusammen. Andererseits enthält er auch zahlreiche Unterlagen zur Auseinandersetzung Wiesenthals mit der österreichischen Innen- und Außenpolitik, sowie unterschiedlichste Zeugnisse seines Engagements wider das Vergessen. Dieser Nachlass ist in seinem Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes (Simon-Wiesenthal-Archiv) in der Wiener Innenstadt untergebracht und wird dort systematisch erschlossen und detailliert digital erfasst.

Die Frage nach dem späteren Bestimmungsort für seinen Tätigkeitsnachlass wurde Wiesenthal in den letzten Jahren immer wieder gestellt. In die engere Wahl kamen die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel und das Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles. Als jedoch die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) mit dem Plan der Gründung eines Shoa-Forschungszentrums am Wiener Rabensteig an ihn herantrat, sah er darin einen würdigen Platz, um sein Lebenswerk in Österreich zu belassen. Er willigte ein, das Simon-Wiesenthal-Archiv mit seinem Bestand als eigenständige Organisation in dieses, nach ihm benannte, Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) (VWI = Vienna Wiesenthal Institute) zu integrieren. Weitere Trägerorganisationen dieses geplanten Zentrums sind neben dem Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, das Institut für Konfliktforschung (IKF), das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK), sowie das Jüdische Museum Wien (JMW). Vorsitzender ist der Innsbrucker Politologe Dr. Anton Pelinka. Unterstützt wird das Projekt, das der historischen Forschung, Dokumentation und Vermittlung dienen soll, von bedeutenden nationalen und internationalen Bibliotheken und Archiven. Ihre Kooperation haben u.a das Österreichische Staatsarchiv, die Österreichische Nationalbibliothek, die Universitätsbibliothek Wien, das Central Archives for the History of the Jewish People, Yad Vashem, sowie das United States Holocaust Memorial Museum angeboten.

Auszeichnungen (Auswahl)

Mahnmal gegen Krieg und Faschismus auf dem Albertinaplatz in Wien

Publikationen

Eigene Schriften

  • KZ Mauthausen. Bild und Wort. Ibis, Linz und Wien, 1946.
  • Groß-Mufti – Groß-Agent der Achse. Tatsachenbericht mit 24 Photographien. Reid, Salzburg und Wien 1947.
  • Ich jagte Eichmann. Tatsachenbericht. S. Mohn, Gütersloh 1961.
  • Humor hinter dem Eisernen Vorhang. Signum, Gütersloh 1962 (unter dem Pseudonym Mischka Kukin).[16]
  • Doch die Mörder leben. Herausgegeben und eingeleitet von Joseph Wechselberg. Droemer/Knaur, München und Zürich 1967.
  • Die gleiche Sprache. Erst für Hitler – jetzt für Ulbricht. Pressekonferenz von Simon Wiesenthal am 6. September 1968 in Wien. R.  Vogel, Bonn 1968.
  • Die Sonnenblume. Von Schuld und Vergebung. Hoffmann und Campe, Hamburg 1970.
  • Segel der Hoffnung. Die geheime Mission des Christoph Columbus. Walter, Olten-Freiburg 1972, ISBN 3-530-95300-8. Neuauflage: Segel der Hoffnung. Christoph Columbus auf der Suche nach dem gelobten Land. Ullstein, Berlin 1991, ISBN 3-550-06189-7.
  • Max und Helen. Ein Tatsachenroman. Ullstein, Berlin u.a. 1981, ISBN 3-550-06352-0.
  • Krystyna. Die Tragödie des polnischen Widerstands. Nymphenburger, München 1986, ISBN 3-485-00535-5.
  • Jeder Tag ein Gedenktag. Chronik jüdischen Leidens. Bleicher, Gerlingen 1988, ISBN 3-88350-606-0.
  • Flucht vor dem Schicksal. Roman. Nymphenburger, München 1988, ISBN 3-485-00546-0.
  • Recht, nicht Rache. Erinnerungen. Ullstein, Frankfurt am Main und Berlin 1988, ISBN 3-550-07829-3.
  • Denn sie wußten, was sie tun. Zeichnungen und Aufzeichnungen aus dem KZ Mauthausen. Deuticke, Wien 1995, ISBN 3-216-30114-1.

Herausgeber

  • Verjährung. 200 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sagen nein. Eine Dokumentation. Europäische Verlags-Anstalt, Frankfurt am Main 1965.
  • Projekt: Judenplatz Wien. Zur Konstruktion von Erinnerung. Zsolnay, Wien 2000, ISBN 3-552-04982-7.

Filmografie

  • „Simon Wiesenthal oder Ich jagte Eichmann“, Fernsehporträt von Hans-Dieter Grabe, Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen am 2. März 1978, wiederholt auf 3sat am 2. April 2008 in der Reihe „Vor 30 Jahren“, 50 Min.
  • Recht, nicht Rache, Ben Kingsley als Simon Wiesenthal, 1989, Spielfilm-Drama, 168 Min.
  • „Die Kunst des Erinnerns – Simon Wiesenthal“, Buch und Regie: Johanna Heer und Werner Schmiedel, 1994/95, Dokumentarfilm mit Filmszenen, Musik: John Zorn, 99 Min. [17]
  • „Simon Wiesenthal“, Buch und Regie: Andreas Novak, Dokumentation, ORF, 45 Min., Erstausstrahlung 27. Oktober 2000 Diese Dokumentation erhielt den Dr.-Karl-Renner-Publizistikpreis für das Jahr 2000, die höchste Auszeichnung im österreichischen Journalismus [18]
  • „Zur Erinnerung an Simon Wiesenthal. Gegen das Vergessen“, ZDF, Dokumentation, 15 Min., Erstausstrahlung 21. September 2005
  • I Have Never Forgotten You - The Life And Legacy Of Simon Wiesenthal. (Ich habe Euch nicht vergessen - Simon Wiesenthals Leben und Vermächtnis.) Dokumentation, USA, 2006, 141 Min., Regie: Richard Trank, Sprecherin: Nicole Kidman, Inhaltsangabe der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2007 (UA) (pdf-Datei, 2 S.), Besprechung

Literatur

  • Irene Etzersdorfer: James Bond oder Don Quichotte? Simon Wiesenthals Kampf gegen Lüge und Verdrängung. Österreichische Staatsdruckerei, Wien 1992, ISBN 3-7046-0320-1.
  • Tuviah Friedman: Die Korrespondenz der zwei Nazi-Forscher Tuviah Friedman und Simon Wiesenthal. 1. Teil. 1946-1950, Wien-Linz. 2. Teil. 1950-2005. Institute of Documentation in Israel, Haifa 2005.
  • Christina Höfferer, Andreas Kloner: J 127 371. Simon Wiesenthal. ORF-Radiofeature 2006, 60 Min.
  • Alan Levy: Die Akte Wiesenthal. Ueberreuter, Wien 1995, ISBN 3-8000-3546-4.

Weblinks

Artikel

Einzelnachweise

  1. „Gestempelte Heimat: Nazi-Jäger Wiesenthal war auch Briefmarkensammler“, dpa, 26. Mai 2006
  2. Scott Shane: „C.I.A. Knew Where Eichmann Was Hiding, Documents Show“, New York Times, 7. Juni 2006
  3. Alexander Schwabe: „Zum Tode Simon Wiesenthals: Der Held des Lebens ist tot“, Spiegel Online, 20. September 2005
  4. Anne-Catherine Simon:„Briefmarken brachten ihn auf Eichmanns Spur“, Die Presse, 6. Juni 2006
  5. Willi Winkler: Deckname ‚Theokrat‘. Nazijäger Simon Wiesenthal stand auf der Gehaltsliste des Mossad. In: Süddeutsche Zeitung. 4./5. September 2010.
  6. „Simon Wiesenthal oder Ich jagte Eichmann“, Fernsehporträt von Hans-Dieter Grabe, Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen am 2. März 1978
  7. Ralph Blumenthal: „Simon Wiesenthal Is Dead at 96; Tirelessly Pursued Nazi Fugitives“, New York Times, 21. September 2005
  8. Michael Maier: Simon Wiesenthal: „Es wird etwas geschehen.“ Nazi-Jäger will sich gegen Anschuldigungen wehren. In: Berliner Zeitung. 13. Februar 1996
  9. Vgl. Tom Segev, S. 460-470.
  10. www.simon-wiesenthal-archiv.at
  11. The head Nazi-hunter’s trail of lies, Artikel der Sunday Times vom 19. Juli 2009
  12. It is right to expose Wiesenthal, Artikel des The Jewish Chronicle, 20. August 2009
  13. Simon-Wiesenthal-Gasse Wiener Straßennamen und ihre historische Bedeutung,wien.at, Simon Wiesenthal Gasse, 1020 Wien@google maps (zugriff=3.Mai 2010)
  14. „Wiesenthal-Park am Albertinaplatz geplant“, ORF, 19. Mai 2006
  15. Simon Wiesenthal, österreichische Ausgabe; Israelischer Kleinbogen(Abgerufen am 15. Juni 2010)
  16. „Essays: Hammer & tickle“, Prospect Magazine, Mai 2006
  17. „Die Kunst des Erinnerns – Simon Wiesenthal“ von Dietrich Kuhlbrodt
  18. Dr. Karl Renner Publizistik-Preis 2000
  19. Tom Segev über das Buch (zitiert nach einem Interview in der Aargauer Zeitung, 8. September 2010, Seite 23): " ... es gibt [bisher] keine Biografie, die frei und unabhängig auf den Dokumenten beruht, die Wiesenthal hinterlassen hat. Ich hatte als Erster völlig freie Einsicht in seine Unterlagen, auch in seine Privatakten. Es versuchte niemand, mich zu beeinflussen. Im Gegenteil, seine Tochter meinte, sie freue sich, dass jemand die Archive durcharbeite, weil es so viel gebe, was sie über ihren Vater nicht wisse ... "
  20. Die Tragik des Patrioten Interview mit Tom Segev in Die Zeit vom 8. September 2010
  21. Der Spiegel 36/2010, Seiten 52 und 55
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