Doppelwirkung

Doppelwirkung

Das Prinzip der Doppelwirkung (PDW) ist ein Prinzip innerhalb deontologischer ethischer Theorien, die absolute Werte beinhalten und intrinsisch falsche Handlungen kennen. Es formuliert Regeln, nach denen entschieden werden kann, ob eine Handlung, die ein außermoralisches Übel verursacht, erlaubt oder verboten ist.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Innerhalb einer ethischen Theorie, die einige Handlungen absolut verbietet, kann das Dilemma auftreten, dass dieses Verbot eine Handlung nicht zulässt, die in einer bestimmten Situation sehr gute und wünschenswerte Konsequenzen hätte. Im Gegensatz zum Konsequentialismus, der bei der Beurteilung einer Handlung als moralisch richtig oder falsch ausschließlich die Konsequenzen der Handlung betrachtet, gelten in absolutistischen Ethiktheorien bestimmte Werte absolut. Ein gängiges Beispiel ist die christliche Ethik mit dem absolut geltenden Tötungsverbot.

Anhand des Beispiels der Tötung eines Aggressors im Akt der Selbstverteidigung wurde die Frage zuerst im 13. Jahrhundert von Thomas von Aquin diskutiert. Es kann vorkommen, so Thomas, dass man in Notwehr einen Aggressor tötet. Dies kann erlaubt sein, denn die mit dieser Handlung verknüpfte (moralisch gute) Absicht ist die Rettung des eigenen Lebens. Die Tötung des Angreifers ist ebenso eine Wirkung der Handlung wie die Rettung des eigenen Lebens. Wenn die Tötung keine unverhältnismäßige Gewaltanwendung in Bezug auf die Schwere des Angriffs war, dann ist der Tod des Angreifers vom Selbstverteidiger zwar in Kauf genommen worden aber trotz des absolut geltenden Tötungsverbotes kein Grund die Selbstverteidigung als moralisch falsch erscheinen zu lassen.[1]

In seiner heutigen Form ist das PDW eine Sammlung von Bedingungen, unter denen es erlaubt ist etwas Schlechtes zu bewirken. Es lautet gemäß den Ausführungen von Friedo Ricken aus dem Jahr 1998[2]:

Es müssen die folgenden vier Bedingungen erfüllt sein, damit die Verursachung eines Übels sittlich erlaubt ist:

(1) Die Handlung an sich, abgesehen von dem in Kauf genommenen Übel, muss sittlich gut oder sittlich indifferent sein.
(2) Die handelnde Person beabsichtigt die gute Wirkung der Handlung; die schlechte Wirkung wird nur zugelassen.
(3) Die schlechte Wirkung darf kein Mittel sein, um die gute Wirkung hervorzubringen. Die schlechte Wirkung darf deshalb nur entweder
(3a) eine Folge der guten Wirkung sein, oder
(3b) sie muss sich in gleicher Unmittelbarkeit wie die gute Folge ergeben.
(4) Die Zulassung des Übels muss durch einen entsprechend schwerwiegenden Grund aufgewogen werden.

Nach Helga Kuhse und der New Catholic Encyclopedia wird das PDW folgendermaßen formuliert[3][4]:

(1) Die Handlung selbst muss gut oder zumindest moralisch neutral sein.
(2) Der Handelnde darf die schlechte Wirkung nicht positiv wollen, darf sie aber zulassen. Wenn er die gute ohne die schlechte Wirkung erzielen kann, dann sollte er dies tun. Von der schlechten Wirkung sagt man manchmal, sie sei indirekt gewollt.
(3) Die gute Wirkung muss von der Handlung zumindest genauso unmittelbar ausgehen wie die schlechte (in der kausalen Abfolge, nicht notwendigerweise in zeitlicher Abfolge). Mit anderen Worten: Die gute Wirkung muss direkt von der Handlung verursacht sein, nicht von der schlechten Wirkung. Andernfalls würde der Handelnde ein schlechtes Mittel zu einem guten Zweck benutzen, was niemals erlaubt ist.
(4) Die gute Wirkung muss hinreichend wünschenswert sein, so daß sie das Zulassen der schlechten Wirkung aufwiegt. Bei dieser Entscheidung müssen viele Faktoren abgewogen und verglichen werden, und zwar mit einer Sorgfalt und Umsicht, die der Wichtigkeit des Falls angemessen ist.

In dieser Definition ist der zweite Satz der 2. Klausel ("Wenn er die gute ohne die schlechte Wirkung erzielen kann, dann sollte er dies tun") von Bedeutung. Durch diese Formulierung wird verhindert, dass der Eindruck entsteht, dass schlechte Nebenwirkungen, die vielleicht vermeidbar gewesen wären, ohne weiteres in Kauf genommen werden könnten, solange sie nur nicht direkt beabsichtigt waren.

Bekannte Beispiele

Sämtliche Beispiele sind so konstruiert, dass die Handlung im Fall A in einer ethische Theorie mit absolut geltendem Tötungsverbot moralisch verboten ist, während der Fall B in einer solchen Theorie gemäß des PDW moralisch erlaubt sein kann, vorausgesetzt die gute Wirkung wurde beabsichtigt (Bedingung (2)).

Mutter und Kind

Fall A: Bei der Geburt eines Kindes gibt es Komplikationen. Das Leben der Mutter kann nur gerettet werden, wenn das Kind durch die Zertrümmerung des Schädels getötet wird. Andernfalls sterben Mutter und Kind. In diesem Fall wäre der gute Effekt nur die Nebenwirkung der direkten - schlechten- Handlung, was unerlaubt ist.

Fall B: Bei einer schwangeren Frau wird Gebärmutterkrebs diagnostiziert. Die einzige Möglichkeit ihr Leben zu retten, ist die Entfernung der Gebärmutter, wobei der Fötus getötet wird. Es handelt sich also nicht um eine direkt beabsichtigte Tötung des Fötus.

Krieg

Fall A: In einem gerechten Krieg kann durch die einmalige Bombardierung der Zivilbevölkerung der Krieg (schneller) beendet werden.

Fall B: In einem gerechten Krieg kann durch die Bombardierung eines militärischen Ziels der Krieg (schneller) beendet werden. Bei der Bombardierung werden Zivilisten sterben.

Siehe auch:

Einzelnachweise

  1. Thomas von Aquin:Summa theologica 2-2, q. 64 a.7
  2. Vgl.: Friedo Ricken: Allgemeine Ethik, Stuttgart 1998, S. 231f.
  3. Helga Kuhse, Die „Heiligkeit des Lebens“ in der Medizin. Eine philosophische Kritik, Erlangen 1994, S. 118
  4. New Catholic Encyclopedia, Vol. 4, New York, S. 1020–22. Principle of Double Effect

Literatur

  • Philippa Foot: The Problem of Abortion and the Doctrine of the Double Effect, in: Philippa Foot: Virtues and Vices ans Other Essays in Maral Philosophy, Oxford 1978, S. 19-32 (englisch)
  • Martin Klein: Sterbehilfe und das Prinzip der Doppelwirkung, in: wiener klinische wochenschrift (2002) 114/10-11, S. 415-421 (PDF)
  • Peter Knauer: Handlungsnetze - Über das Grundprinzip der Ethik, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-8311-0513-8. (PDF)
  • Friedo Ricken: Allgemeine Ethik, 4. Auflage, Stuttgart 2003

Weblinks


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