Dora (Geschütz)

Dora (Geschütz)
Der „Schwere Gustav“ im Einsatz

Schwerer Gustav und Dora waren die Namen der größten und aufwändigsten Kanonen der Welt, die tatsächlich im Einsatz waren. Irreführenderweise werden diese Sondergeschütze oft als Eisenbahngeschütze bezeichnet, obwohl sie nur kurze Gleiswege zum Aufbau und als Schießkurve benötigten, im Gegensatz zu den auf dem Schienenwege mobil eingesetzten schweren Eisenbahnkanonen. Sie wurden von der Firma Krupp in den Jahren 1937–1941 hergestellt und von der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg eingesetzt.

Dem Konstruktionsprinzip nach waren es Kanonen mit hydraulischem Schubkurbelverschluss. Das Geschützrohr bestand aus Mantelrohr und Seelenrohr. Es war in einer Rohrwiege gelagert, die zwischen zwei langen Lafettenholmen montiert wurde. Die Lafettenholme waren wiederum über Zwischenträger auf insgesamt acht fünfachsigen Drehgestellen gelagert, die auf zwei parallelen Gleisen liefen. Das Geschütz wurde über einen eigenen Generator mit Strom versorgt und konnte über Elektromotoren an einigen der Achsen für die Feineinrichtung bewegt werden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Entwicklung und Produktion

Im Zuge der strategischen Ausrichtung der deutschen Wehrmacht wurde Mitte der 1930er-Jahre zwar die Blitzkriegstrategie entwickelt, jedoch fragte das Heereswaffenamt bei Krupp nach schwersten Kanonen, die Befestigungen und Bunkeranlagen wie die Maginotlinie zerstören konnten. Die Geschütze sollten ausdrücklich aus vorbereiteten Stellungen innerhalb des eigenen Territoriums eingesetzt werden, jedoch in Teillasten über das normale Schienenverkehrsnetz transportabel sein.

Daraufhin wurden Geschütze in 70, 80 und 100 cm Kaliber projektiert. Auf ausdrücklichen Wunsch Adolf Hitlers erging dann der Auftrag für das 80-cm-Geschütz in Haubitzenbauweise im Jahre 1937. Für die gesamte Projektleitung bei Krupp war der Direktor Prof. Dr.-Ing. Erich Müller (1892–1963) verantwortlich. Sein Spitzname war „Kanonen-Müller“, da er für die Planung und Entwicklung der Geschütze bei Krupp verantwortlich zeichnete. Es wurden zwei Geschütze vom Kaliber 80 cm bestellt (GUSTAV und DORA). Ein weiteres, drittes Geschütz wurde mit dem Kaliber 52 cm projektiert. Es wurde nie fertiggestellt. Laut Taube (siehe unten) trug das erste Geschütz seitens Krupp formal die Bezeichnung „Schwerer Gustav“, das baugleiche zweite die Bezeichnung „Schwerer Gustav 2“, das projektierte dritte Geschütz aufgrund seiner Modifikationen die Bezeichnung „Langer Gustav“. Die formale Wehrmachtsbezeichnung für den Waffentyp der Geschütze 1 und 2 war „Gustav-Gerät“. Das erste einlagige Seelenrohr wurde im September 1941 auf dem Schießplatz Hillersleben auf einer Behelfslafette eingeschossen.

Die Fertigstellung der Lafette erfolgte kurze Zeit später, dann wurde das Geschütz auf dem Übungsplatz Rügenwalde-Bad bei Rügenwalde in Hinterpommern montiert und getestet. Am 8. Januar 1942 wurde die Schwere Artillerie-Abteilung (E) 672 aufgestellt; Kommandeur dieser Einheit war Oberst Dr.-Ing. R. Boehm. Im Laufe der Übergabezeremonie wurde das Geschütz auf den Namen „Dora“ getauft.

Am 5. April 1942 erging der Marschbefehl „Weisung 41“ an die Abteilung 672 zum Beschuss der Festung Sewastopol.

Transport und Aufbau

Die Verlegung des Geschützes sowie der Mannschaften und des Gleismaterials erforderte allein fünf Eisenbahnzüge und drei bis vier Bauzüge für den Aufbau des Geschützes und der Feuerstellung. Der Bau der Feuerstellung nahm die meiste Zeit in Anspruch, da die Aufbaustrecke dreigleisig und die in einem Kreisbogen verlegte Schießstellung zweigleisig mit zusätzlichen Stabilisierungselementen über eine Länge von etwa 900 m angelegt werden musste. Zudem wurden zu beiden Seiten der Schießstellung Erdwälle aufgeworfen, die zusammen mit Tarnnetzen für den Schutz des Geschützes sorgten. Zum Luftschutz standen zwei Heeres-Flakabteilungen bereit. Der Aufbau des Geschützes selbst konnte mit den auf zwei zusätzlichen Schienen außerhalb der drei Aufbaugleise laufenden Portalkränen innerhalb von 56 Stunden erfolgen.

Zum Verschieben des Geschützes in der Feuerstellung kamen zwei eigens von Krupp für diese Aufgabe entwickelte Diesel-Doppelloks des Typs D 311 zum Einsatz. Die Feinrichtung erfolgte in Selbstfahrt durch eingebaute Elektromotoren in den Drehgestellen des Geschützes. Die Kartuschen der Granaten wurden wie bei allen schweren deutschen Eisenbahngeschützen seit dem Paris-Geschütz in einem separaten Klimawagen gelagert, um die für die optimale und vor allem berechenbare Verbrennung des verwendeten Nitroglycerinpulvers erforderliche Temperatur von etwa 15 °C zu gewährleisten.

Kampfeinsatz

Der erste und einzige Kampfeinsatz fand während der Schlacht um Sewastopol statt. Er dauerte vom 5. Juni bis zum 2. Juli 1942. In diesem Zeitraum wurde der gesamte Munitionsvorrat von 48 panzerbrechenden Granaten auf die verschiedenen Festungsanlagen der Stadt abgefeuert. Später wurden noch weitere fünf Schuss mit Sprenggranaten abgegeben, davon vier auf See und eine auf das Fort „Maxim Gorki I“, ohne aber wirkungsvoll zu treffen. Eines von insgesamt sieben Zielen war ein bis zu 30 Meter in gewachsenem Erdreich und unter Wasser gelegenes Munitionslager der Roten Armee, genannt „Weiße Klippe“, in dem die Russen den gesamten Bedarf (der für zwei Jahre ausgelegt war) an Munition der Festung lagerten. 16 Schuss wurden auf das Ziel abgegeben; eine 120 m hohe Rauchsäule soll vom Ziel aufgestiegen sein. Es ist unklar, ob Volltreffer im Stollensystem erzielt wurden oder ob außerhalb (für die Einlagerung bereitgelegte) Munition explodierte.

Trotz der schlechten Zielgenauigkeit der Schüsse und der daraus resultierenden großen Streuung der Einschläge war der verursachte Schaden doch immens. Da Geschütz und vor allem Munition unerprobt waren, kann der Einsatz unter Frontbedingungen als Erfolg gewertet werden. Dennoch wirkte besonders der immense finanzielle und logistische Aufwand, der für diesen Geschütztyp notwendig war, einer weiteren Verbreitung entgegen.

Nach der Beschießung Sewastopols sollte ein weiterer Einsatz bei der Belagerung Leningrads folgen. Dazu wurde eine Geschützstellung am Bahnhof der Stadt Taylsy südlich von Leningrad errichtet. Das vorgesehene Ziel war die Insel Kronstadt. Das Geschütz selbst verblieb die ganze Zeit verladen in der Nähe von Riga. Die Besatzung des Geschützes wurde dann dem 388. Volks-Artillerie-Korps zugeteilt. Das Geschütz wurde zurück nach Rügenwalde verbracht.

Überholung

Das Geschütz wurde zur Überholung nach Deutschland gebracht und erhielt dort ein neues (wie beim zweiten Geschütz nunmehr zweilagiges) Seelenrohr, da es bereits vor der projektierten Standzeit von 100 Schuss stark abgenutzt war. Die je 1850 kg Hochleistungstreibladung pro Schuss brannten das Rohr sehr schnell aus; schon ab dem 15. Schuss sah die Trefferlage schlecht aus. Es wurde nur noch einmal, am 18. März 1943 in Hitlers Anwesenheit, auf dem Übungsplatz Rügenwalde bei einer Vorführung abgefeuert.

Geplante Modifizierung

Im weiteren Kriegsverlauf wurde eine Modifizierung der beiden „Gustav“-Geräte als Planprojekt betrieben, um parallel zum Einsatz der V-Waffen Großbritannien mit Artillerie zu beschießen. Um die erforderlichen Schussweiten von 100 bis 200 km zu erreichen, sollte ein auf 44 m verlängertes glattes Seelenrohr eingebaut, Gegengewichte für die Rohrverlängerung am Verschlussblock montiert sowie Ansetzer und Munitions- und Kartuschentransport umkonstruiert werden. Noch wichtiger für die Reichweitensteigerung war der Einsatz neuer Munition.

Da sich Granaten mit Raketenzusatzantrieb bei vorangegangenen Projekten als unpräzise erwiesen, verlegte man sich auf den Einsatz eines „Peenemünder Pfeilgeschosses“, also eines unterkalibrigen (52 cm), pfeilstabilen Treibspiegelgeschosses. Dieses sollte bei einem Gewicht von 2000 kg eine Mündungsgeschwindigkeit von über 1200 m/s und eine Reichweite von über 130 km haben. Bei einer Sprengladung von nur noch 180 kg wäre dieses nicht panzerbrechende Geschoss jedoch nur noch eine psychologische Waffe ohne militärischen Wert gewesen.

Lagerung und Verbleib

Das Geschütz wurde am 19. März 1944 bei einem Vorführungsschießen vor dem gesamten Oberkommando der Wehrmacht in Rügenwalde ein letztes Mal eingesetzt. Im September 1944 wurde es dann in das Heeres-Neben-Zeugamt nach Auerswalde bei Chemnitz verlegt und dort eingelagert. Am 14. April 1945, einen Tag vor dem Eintreffen der amerikanischen Truppen, wurde das Geschütz gesprengt. Im Sommer 1945 wurde es von sowjetischen Spezialisten untersucht und im Herbst dieses Jahres zum sowjetische Beutesammelplatz nach Merseburg verbracht. Dort verlor sich die Spur des Geschützes.

Das zweite niemals aktive Geschütz wurde im März 1945 in Rügenwalde abgebaut und weiter westlich eingelagert. Im Februar 1945 trafen die Geschützzüge im Heeres-Neben-Zeugamt in Auerswalde ein. Ende März wurden diese nach Grafenwöhr verbracht und am 19. April 1945 dort gesprengt. Die Trümmer wurden erst in den 1950er-Jahren verschrottet.

Teile des dritten Geschützes (Kaliber 52 cm) wurden nach dem Krieg in den Krupp-Produktionsstätten in Essen gefunden.

Das weltweit größte „Dora-Ensemble“ befindet sich im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden und wird derzeit in Teilen in der Interimsausstellung präsentiert. Nach der Fertigstellung des Umbaus erhält das Ensemble einen eigenen Ausstellungsbereich im sogenannten „Libeskind-Keil“.

Technische Daten

  • Gewicht: 1350 t
  • Gewicht des Rohres: 400 t
  • Länge über Puffer / Breite / Höhe: 47,30 m / 7,10 m / 11,60 m
  • Kaliber: 800 mm
  • Rohrlänge: 32,48 m
  • Erhöhung (max.): 65°
  • Stärke der Diesellok: 2 x 1000 PS
  • Munitionsarten:
    • panzerbrechendes Geschoss
      • Gewicht: 7100 kg
      • Länge: 6,79 m
    • Sprenggranate
      • Gewicht: 4800 kg
      • Länge: 8,26 m
  • Leistungsdaten
    • Mündungsgeschwindigkeit:
      • kleine Ladung: 600 m/s
      • mittlere Ladung: 700 m/s
      • große Ladung
        • Sprenggranate: 820 m/s
        • Panzergranate: 720 m/s
    • Reichweite
      • kleine Ladung: 28 km
      • große Ladung: 47 km
    • Lebensdauer des Rohres: ca. 100 Schuss
    • Durchschlagskraft der Panzergranate
      • Stahl: 1 m
      • Stahlbeton: 7 m
      • Beton: 10 m
      • gewachsener Boden: 32 m
  • Aufbauzeit: 56 Stunden (siehe Transport und Aufbau)
  • Personal für Feuerleitung und Bedienung: 1500 Mann einer besonderen Artillerieabteilung
  • Personal für Stellungs- und Gleisbau, Montage, Wartung, Bewachung, Tarnung usw.: 4120 Mann
  • Laden der Kanone: 19 bis 45 Minuten

Bilder

Literatur

  • Roger Ford: Die deutschen Geheimwaffen des Zweiten Weltkrieges, Karl-Müller-Verlag, Erlangen
  • Gerhard Taube: Deutsche Eisenbahngeschütze, Rohr-Artillerie auf Schienen, Motorbuch-Verlag, ISBN 3-61301-352-5
  • Gerhard Taube: Eisenbahngeschütz DORA. Das größte Geschütz aller Zeiten, Motorbuch-Verlag, 1. Auflage, ISBN 3-87943-648-7
  • Deutsche und alliierte Heereswaffen 1939–1945, Podzun Pallas Verlag, ISBN 3-7909-0469-4
  • Historischer Schrott im Steingarten, In: Sächsische Zeitung vom 5. April 2007

Siehe auch

Weblinks


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