Duomo Santa Maria Assunta

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Dom zu Pisa, Westfassade
Dom zu Pisa, Blick zur Kuppel I
Malerei in der Kuppel
Wasserspeier
Dom zu Pisa, Blick zur Kuppel II
Der Leuchter, an dem Galilei die Pendelgesetze untersucht haben soll

Der Dom Santa Maria Assunta ist eine Kirche in Pisa, zu der der weltweit berühmte Schiefe Turm von Pisa gehört.


Der Dom steht auf dem weitläufigen, grünleuchtenden Rasenplatz der Piazza del Duomo, auf der sich auch die drei dazugehörenden Bauwerke Baptisterium, Camposanto Monumentale und der Campanile (Der Schiefe Turm von Pisa) befinden. Während in vielen anderen Städten diese Flächen aus Platzmangel zugebaut wurden, blieben sie in Pisa bestehen. Sie ermöglichen heute eine hervorragende Sicht auf die imposanten Werke aus der Blütezeit Pisas. Dieser Platz wurde vom Dichter D'Annunzio als Piazza dei Miracoli (Platz der Wunder) bezeichnet und wird noch heute so genannt. Trotz einer unterschiedlichen Bauzeit von über 200 Jahren wurde durch den gleichbleibenden Baustoff Carrara-Marmor und die einheitliche Fassadengestaltung ein zusammenhängendes Bild geschaffen. Der Dom wurde zum Vorbild für spätere Dombauten wie z. B. in Florenz und Siena und galt jahrhundertelang als monumentalster Bau der christlichen Geschichte.

Am gesamten Gebäude findet man vielfach zusammenhanglose Zeichen auf den Außenwänden. Der Grund dafür liegt darin, dass man alte Baumaterialien wiederverwendete oder Materialien aus eroberten Städten holte.

Papst Gelasius II. weihte 1118 den damals noch unvollendeten Dom ein.

Inhaltsverzeichnis

Baugeschichte

Buscheto di Giovanni Giudice begann mit dem Bau des Doms im Jahre 1063 auf dem Schwemmboden vor der alten Stadtmauer. Finanziert wurde das Bauwerk mit den im gleichen Jahr von den Sarazenen vor Palermo eroberten Schätzen. Durch den weichen Untergrund sank auch der Dom im Osten leicht ein. Die kreuzförmige Grundfläche des Doms war zu diesem Zeitpunkt in Italien neu. Über der Vierung der fünfschiffigen Basilika mit dem dreischiffigen Querhaus erhebt sich eine elliptische Kuppel mit einem oktogonalen Ansatz. Sie wurde erst 1380 durch Lupo di Gante und Puccio di Gadduccio im gotischen Stil nachträglich hinzugefügt.

Die Fassade wurde am Ende des 12. Jahrhundert von Rainaldo geschaffen und wurde als Pisaner Romanik in der gesamten Toskana zum Vorbild. Bei der westlichen Fassade erheben sich über den sieben Blendarkaden im Erdgeschoss mit seinen drei Toren weitere vier Loggien mit 52 Säulen. Sie geben den Blick auf die dahinterliegende farbige Marmorwand frei. Auf dem Giebel der 35,5 m breiten und 34,2 m hohen Fassade steht eine Statue der Madonna col Bambino (deutsch: Madonna mit Kind) von Andrea Pisano. An ihrer Seite stehen Engel, die zusammen mit den beiden Evangelisten auf der ersten Loggia durch Schüler von Giovanni Pisano entstanden. Das mittlere Tor ist dem Leben der heiligen Maria gewidmet. Über diesem Tor findet man eine Erinnerungsschrift von Rainaldo. Unter dem linken Bogen der Fassade liegt das Grab von Buscheto di Giovanni Giudice, der den Dombau begann.

Die drei Bronzetore aus dem 17. Jahrhundert ersetzen die von Bonanno Pisano geschaffenen Tore von 1180, die bei einem schweren Feuer 1595 zerstört wurden. Diese neuen Tore mit umfangreichen Reliefszenen wurden durch die Schüler Francavilla, Mocchi und Tacca in Anlehnung an das alte Vorbild gegossen. Am südlichen Seitenschiff findet man das Portal Porta di San Ranieri, das dem Campanile zugewandt ist und den Besuchern den Eintritt zum Dom ermöglicht. Von diesem Tor ist das restaurierte Original des Meisters Bonanno Pisano von 1186 noch vorhanden. Es ist nach dem Schutzpatron Pisas benannt und stellt u. a. Szenen aus dem Leben Christi dar. Dieses Tor wird allerdings zurzeit durch ein einfaches Holztor ersetzt.

Beim großen Brand 1595 wurde im Innenraum des Doms vieles zerstört. Die vergoldete Kassettendecke stammt aus dem 17. Jahrhundert, in dem eine aufwendige Restaurierung des Doms nach dem Brand stattfand. Ein Höhepunkt stellt das überwältigende Mosaik vom thronenden Christus in der Apsis dar, das von Francesco di Simone begonnen und 1302 von Cimabue vollendet wurde.

Der zweite Höhepunkt ist die reich verzierte Kanzel von Giovanni Pisano. Sie entstand in der Zeit von 1302 bis 1311 und gilt als die vollendetste aller vergleichbaren Kanzeln. Von den acht Säulen stellen vier Christus, Erzengel Michael, Ecclesia und Herkules dar. Die mittlere Säule besteht aus den drei personifizierten christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung, die auf einem Sockel der Personifikation der weltlichen Künste steht. Die Säulen tragen zusammen das runde Kanzelbecken, das das neue Testament darstellt. Auf den Reliefs erkennt man Szenen aus der Bibel.

Weitere sehenswerte Werke sind das bronzene Kruzifix auf dem Altar, die Gemälde Madonna col Bambino von Antonia Sogliani (1492-1544) und Sant Agnes von Andrea del Sarto, das Grabmal Kaiser Heinrichs VII. von Tino da Camaino aus dem Jahr 1315, die Kuppel des Doms und die Urne des San Ranieri. Er ist der Schutzpatron von Pisa und starb 1161. Bis 1591 lagen seine Gebeine in einer moderateren Urne, bis ihm 1688 G. B. Foggini das heute sichtbare Kunstwerk fertigstellte.

Zweiundzwanzig der Altäre wurden von Matteo Civitali gestaltet.

Im Hauptschiff hängt ein bronzener Leuchter von Vincenzo Possenti aus dem Jahre 1587, der Entwurf stammt aber von Giovanni Battista Lorenzi. Es gibt die Geschichte, dass an dem Leuchter Galileo Galilei die Gesetze der Pendelschwingung gefunden haben soll. Sollte es ein Leuchter in dieser Kirche gewesen sein, der ihn auf das Gesetz brachte, kann es allerdings nicht dieser Leuchter gewesen sein, da Galileo Galilei das Gesetz um 1584 veröffentlicht hat.

Zwischen dem nördlichen Seitenschiff und der westlichen Fassade findet man an der Außenwand des Doms an einem Pfeiler einen Stein mit vielen schwarzen Punkten. Von diesem Stein erzählt man sich, dass er vom Teufel sei. Zählt man zweimal hintereinander die Punkte nach, so kommt man jeweils auf ein anderes Ergebnis.


Datierungsprobleme

Was die Datierung dieser Kathedrale und die historische Herleitung ihrer einzelnen Bauformen angeht, gibt es in der Forschung seit langem sehr unterschiedliche Ansichten. Eine offenbar am weitesten verbreitete Version kann mit genauen Zahlen aufwarten und mit den genauen Namen verschiedener Baumeister - so u.a. die Propyläen Kunstgeschichte Bd. 5, also ein durchaus seriöses Werk (Fillitz, Hermann: Das Mittelalter I. (=Propyläen-Kunstgeschichte Bd. 5. Frankfurt am Main - Berlin 1990), S. 218). Andere Forscher halten diese ganzen Geschichten für eine uralte, schon im Mittelalter erfundene Legende, so u.a. der Autor des Bandes über „Romanische Kunst“ aus der renommierten Reihe ‚Ars Antiqua’ des Herder-Verlages, also ebenfalls ein durchaus seriöses Unternehmen (Durliat, Marcel: Romanische Kunst. Freiburg-Basel-Wien 1983, S. 576).

Nach der ersten Theorie war der Seesieg bei Palermo über die damals im Mittelmeer herrschenden Sarazenen im Jahr 1063 Anlass zum Bau der Gesamtanlage (Castelli, Urano / Ranieri Gagetti: Pisa und seine Künstler, Florenz 1977, S. 9; Tschechne, Martin: Pisas Stolz ist nicht nur schief. In: ART 4/90, S. 60). In Venedig spielten diese sarazenischen Seeräuber ebenfalls eine Rolle. Auch dort war die Niederringung dieser Gefahr Anlass gewesen, den Markusdom neu zu bauen, und das im selben Jahr 1063, in dem die Pisaner Anlage möglicherweise begonnen wurde. Auch die Pisaner haben durch diesen Seesieg reiche Beute gemacht und das Geld in die Glorifizierung ihrer Stadt gesteckt. Pisa war damals - im 11. Jahrhundert - die mächtigste Stadt der Toskana.

Nach der zweiten Ansicht ist nichts anderes erwiesen, als dass im Jahr 1118 die Kathedrale im Bau war. Das sei das einzige wirklich überlieferte Datum. Und man nutzte damals die rein zufällige Anwesenheit des Papstes Gesalius’ des II., um eine angemessene Weihe zu vollziehen (Durliat, Marcel: Romanische Kunst. Freiburg-Basel-Wien 1983, S. 577). Da muss aber schon einiges von der Kathedrale gestanden haben und dann würden sich die beiden Theorien in der Entstehungszeit nicht so sonderlich unterscheiden.

Die Kathedrale gehört zusammen mit dem Markusdom in Venedig zu den ersten Monumentalbauten des mittelalterlichen Italiens, und daher hat man sich natürlich häufig Gedanken darüber gemacht, wer denn die entscheidenden Bauideen gehabt hat. Die Stadt Pisa hat schon sehr früh eine eigene lokalpatriotische Version in die Welt gesetzt, die dem Baumeister - natürlich einem reinen Pisaner! - die gesamte Anlage als geniale, völlig eigenständige Idee zuschrieb. Fremde Einflüsse sollen keine Rolle gespielt haben.

Der erste Baumeister der Kathedrale soll demnach ein gewisser Buscheto (oder Busketos) gewesen sein, über den aber sehr wenig bekannt ist. Vasari berichtet, er sei griechischer Herkunft gewesen – also doch kein reiner Pisaner (Zimmermanns, Klaus: Toscana. Köln 1980, S. 75)! Der offizielle Pisaner Kunstführer von 1980 behauptete allerdings, dass ihn – Buscheto - die moderne Forschung mit großer Wahrscheinlichkeit für einen echten Pisaner hält, weshalb er in diesem Buch nicht nur Buscheto, sondern Buscheto Pisano genannt wird. Es dürfte sich bei dieser kühnen Behauptung um rein pisanische Forschung handeln (Castelli, Urano / Ranieri Gagetti: Pisa und seine Künstler, Florenz 1977, S. 10).

Wie dem auch sei: auf jeden Fall kannte dieser Buscheto, wenn er es denn überhaupt gewesen ist, den byzantinischen Kulturraum, mit Sicherheit hat er sehr viel in seinem Leben gesehen. Denn seine Baukunst nimmt Anleihen auf bei islamischen Moscheen in Persien und bei frühchristlichen Kirchen in Armenien und Georgien, sie vereint Elemente der italienischen Romanik mit Motiven aus der Stadtmauer von Kairouan - also ein sehr weit gefächertes Feld. Inschriften im Dom belegen die Mitarbeit von Heiden, Türken, Afrikanern, Persern und Chaldäern (Tschechne, Martin: Pisas Stolz ist nicht nur schief. In: ART 4/90, S. 60). Man ist sich in der Forschung durchaus nicht einig darüber ist, wer die Idee zu der Kathedrale hatte, wo er herkam und wo er seine stilistischen Vorbilder hernahm. Pisa hatte - wie Venedig - als Seemacht intensive Handelsbeziehungen im östlichen Mittelmeer. Deshalb ist es kein Wunder, dass die östliche Baukunst hier Einfluss ausüben konnte.

Die Bauzeit des Pisaner Domes zog sich lange hin, aber der Gesamteindruck ist einheitlich. Wenn man bei der ersten Theorie bleibt, dann sah die weitere Entwicklung folgendermaßen aus: Der Dom war noch nicht fertig, da war der neue Baumeister Rainaldus um 1100 eigensinnig genug, den ursprünglichen Grundriss zu ändern, das Langhaus zu verlängern, den Lichtgaden zu erhöhen - die ursprüngliche Höhe ist noch am Querhaus zu sehen - und das untere Geschoss der Fassade zu errichten (auf dem mittleren Tor der Westfassade steht rechts oben die Inschrift: „Diese berühmte und prächtige Fassade wurde von Rainaldo, tüchtigem Handwerker und Bauführer, mit Kunst, Genialität und Eifer fertiggestellt.“), die später der Innsbrucker Meister Wilhelm, gen. Guglielmus bis 1160 vollendet hat (Zimmermanns, Klaus: Toscana. Köln 1980, S. 72).

Die Rolle der Datierung für die Bedeutung der Fassade

Diese Fassade stellt für die abendländische Architekturgeschichte eine entscheidende Neuerung dar, nämlich den Übergang von der glatten Wand zur plastisch gestalteten Schaufläche. Daher ist auch die Frage ihrer genauen Datierung wichtig.

Die kritischere zweite Theorie akzeptiert lediglich, dass zu einem unbekannten Zeitpunkt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Westen des Hauptschiffes drei Joche angefügt und die heutige Fassade begonnen wurde. Namen werden in dieser Theorie nicht genannt. Demnach könnte die gesamte Fassade auch erst um 1200 fertig gewesen und möglicherweise von Anfang an in der jetzigen Form geplant sein (Durliat, Marcel: Romanische Kunst. Freiburg-Basel-Wien 1983, S. 577). Andere Schätzungen nehmen sogar erst die Mitte des 13. Jahrhunderts an (Durliat, Marcel: Romanische Kunst. Freiburg-Basel-Wien 1983, S. 577 - Christine Smith) - also hundert Jahre nach der ersten Theorie.

Trotzdem spricht viel dafür, dass man zwei verschiedene Phasen in der Entwicklung des Dekorationssystems unterscheiden kann. Die ursprüngliche Konzeption - also die erste Phase - sah so aus, die Außenmauern im Erdgeschoss durch folgende Elemente zu gliedern: erstens durch sog. Blendbögen, also aufgeblendete Arkaden, dann durch waagerechte Streifen aus farbigem Marmor - das hat eine gewisse Ähnlichkeit zur Proto-Renaissance in Florenz - und schließlich durch eingelegte Ornamente und Medaillons. Dieses Schema geht um die ganze Kathedrale herum, an den Seitenwänden auch an den oberen Geschossen. Das wäre also die erste Stufe in der Entwicklung der Pisanischen Baukunst.

Das Motiv dieser umlaufenden Blendnischen kommt wieder aus dem byzantinischen Raum, und zwar aus der komnenischen Kunst des 11./12. Jahrhunderts. Das Motiv der auf die Spitze gestellten Zierquadrate erscheint vorher schon in Apulien an einer Kirche aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, der ersten Fassung von Santa Maria di Siponto in Manfredonia (Legler, Rolf: Apulien. Köln [1987] 3. Auflage 1989, S. 91).

Spätere Baumeister hielten sich im unteren Teil der Fassade an dieses erste Konzept. Doch in den darüber liegenden Etagen übertraf man diesen Formenreichtum noch um ein Vielfaches. Hier ließ man in vier Galerien übereinander eine plastische Dekorationsschicht aus Säulen und üppig verzierten Bögen vor der eigentlichen Kirchenmauer deutlich hervortreten - also keine flächige Aufblendung mehr. Dieses Baumotiv spielt in der Architekturgeschichte eine wichtige Rolle und auch die Frage, wo es zuerst auftaucht und welche Kirche es von welcher anderen übernommen hat - daher die Wichtigkeit einer genauen Datierung. Generell kommt diese Idee aus der deutschen Architektur, wenn man sie im Zusammenhang mit der Zwerggalerie sieht, die zu Beginn des 11. Jahrhunderts zum ersten Mal am Dom zu Trier auftritt.

Der Pisaner Baumeister griff hier vielleicht ein toskanisches Vorbild auf, das beispielsweise in Lucca zu sehen war. Die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Pisa und Lucca oder anderen toskanischen Städten - und wiederum deren Verhältnisse zum östlichen Mittelmeerraum, wo viele neue Ideen herkamen - werden in der Literatur allerdings unterschiedlich gesehen. Man kann sich da nicht einfach auf mittelalterliche Quellen verlassen, denn auch damals wurde schon gelogen. Pisa hätte beispielsweise durchaus Grund gehabt, seine Kathedrale auf das Jahr 1063 vorzuverlegen, denn im gleichen Jahr ist der Markusdom von Venedig begonnen worden. Und hinter Venedig wollte man natürlich keinesfalls zurückstehen. In der Forschung müssen also solche Behauptungen, auch wenn sie sehr alt sind, durchaus auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden. Und das gelingt eben nicht immer, ohne dass ein Restzweifel bleibt.

Es kommt bei einem historischen Vergleich der Fassadengestaltungen und ihrer gegenseitigen Abhängigkeit beispielsweise nicht darauf an, wann der ganze Bau begonnen wurde, sondern darauf, wann die Fassade konzipiert wurde. Wenn man die Frage entscheiden will, welches Bauwerk mit welcher Idee zum ersten Mal aufgetreten ist, müssen die einzelnen Bauteile unterschiedlich gewertet werden, da an solchen Kirchen ja teilweise jahrhundertelang gebaut wurde. Und es kann durchaus eine Kirche mit einer neuen Idee zum ersten Mal aufgetreten sein, deren Baubeginn – als Ganzes - aber wesentlich später liegt als der einer anderen. Und wenn ein Papst ein Bauwerk geweiht hat und es liegt eine Urkunde darüber vor, dann heißt das noch lange nicht, dass der Bau in diesem Jahr vollendet war. Im Zweifel stand da ein Altar und ein Dach drüber - mehr nicht (Binding, Günther: Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140 – 1350. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, S. 6). Das macht es der Kunstgeschichte eben so schwer, die Abhängigkeitsverhältnisse genau zu rekonstruieren.

So sinnenfreudig wie Pisa in seiner Domfassade hatte sich noch keine Stadt in Italien gegeben und dieses neue Fassadenmotiv ist in der Toskana häufig aufgegriffen worden (Tschechne, Martin: Pisas Stolz ist nicht nur schief. In: ART 4/90, S. 62). Vollendet wurde die Fassade von dem Innsbrucker Meister Wilhelm (Guglielmus). Dessen Schüler Bonnano sollte später den Campanile bauen. Das Prinzip einer vor die eigentliche Wand gesetzten Säulenschicht findet im benachbarten Campanile seine markanteste Ausprägung, an dem insgesamt 180 Säulen in sechs Geschossen übereinander stehen. Die Säulen der Domfassade wurden teilweise aus antiken Bauten übernommen und auf dem Seewege nach Pisa transportiert.

Das Grundprinzip der pisanischen Bauschule heißt: das Überziehen aller Wandflächen mit dekorativen Arkadenmustern, entweder - als erste Stufe - nur flächig aufgelegt oder - in der zweiten Phase - plastisch davor gesetzt. Im Gegensatz zum europäischen Norden, der die Vertikale betont, wodurch die Bauteile gestrafft und rhythmisiert werden, wird hier in Italien eine fortlaufende Reihung in der Horizontalen zum entscheidenden Merkmal. Diese Beschreibung erinnert an die spätere Baukunst des Brunelleschi, den Vater der Renaissance in der Architektur und den Erfinder der Zentralperspektive. So ganz neu war dieser Gedanke nicht.

Hier haben wir eine gewisse Tradition in der toskanischen Baukunst von der römischen Antike über die Romanik bis zur Renaissance. Man kann das als Hinweis darauf sehen, dass die italienische Renaissance nicht schlagartig entstanden ist und dass es im Mittelalter durchaus Zwischenstufen wie hier in Pisa gegeben hat.

Das Prinzip der endlosen Reihung ist bezeichnend für die gesamte italienische Architektur nicht nur des Mittelalters, sondern seit der Antike. Und das macht auch verständlich, warum gerade die Zwerggalerie aus dem Norden Europas aufgegriffen wurde. Dieses `romanische´ Dekorationssystem taucht übrigens in Pisa nicht am Dom zum ersten Mal auf, sondern in noch älteren Bauten der Stadt und der nächsten Umgebung.

Die Kathedrale von Pisa wurde also ungefähr um 1063 begonnen und zu Ende des 13. Jahrhunderts weitgehend vollendet.


Literatur

  • Günther Binding: Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140 – 1350, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000.
  • Urano Castelli, Gagetti Ranieri: Pisa und seine Künstler, Florenz 1977.
  • Marcel Durliat: Romanische Kunst. Freiburg-Basel-Wien 1983.
  • Hermann Fillitz: Das Mittelalter I. (=Propyläen-Kunstgeschichte Bd. 5). Frankfurt am Main - Berlin 1990.
  • Rolf Legler: Apulien. Köln [1987] 3. Auflage 1989.
  • Martin Tschechne: Pisas Stolz ist nicht nur schief. In: ART 4/90
  • Klaus Zimmermanns: Toscana. Köln 1980.

Weblinks

43.72327222222210.3956194444447Koordinaten: 43° 43′ 24″ N, 10° 23′ 44″ O


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